Selbstlosigkeit und Achtsamkeit

  • Guten Abend liebe Community ;)
    Ich möchte mich erstmal kurz vorstellen: Ich bin 21, Student und beschäftige mich seit circa 3 Jahren mit Achtsamkeitsmeditation und Achtsamkeit im Alltag, ursprünglich eigentlich ohne spirituelle oder religiöse Motivation. Aus diesem Gebiet heraus bin ich dann irgendwann in Richtung Buddhisus gedriftet, der mich eigentlich immer sehr fasziniert hat. Besonders der intuitiv logische Kern der menschlichen Daseinsbedingungen hat mich sehr berührt. Momentan lese ich ein Buch über den spirituellen Weg des Buddhismus für westlich geprägte Menschen ("Rebell Buddha" von Dzogchen Ponlop Rinpoche) und habe eine Frage zum Thema Selbstlosigkeit.
    Dort steht geschrieben:

    Zitat

    Wenn wir den Punkt erreichen, an dem wir uns den Körper ebenso wie den Geist eingehend und ausgiebig "angeschaut" haben, ohne die Existenz eines Selbst ausfindig machen zu können, tut sich eine Lücke für uns auf. Im selben Augenblick, in dem wir das dauerhafte und eigenständige Selbst, von dessen Vorhandensein wir stets ausgegangen waren , nicht finden können, kommt alles Denken zum Stillstand. An dem Punkt können wir den Geist in einem Moment reiner Offenheit, den wir als nicht-begriffliches Gewahrsein bezeichnen, ruhen lassen. Damit beginnt unsere Entdeckung der Selbstlosigkeit.


    Ich kann mich ebenfalls an ähnliche Situationen erinnern. Aber nicht daran, dass ich jemals das Gefühl hatte, ich würde kein Selbst an sich haben. Ich will mich jetzt gar nicht auf eine Stufe mit den buddhistischen Meistern heben und deren Meinung negieren, nur weil ich sie nicht kenne, nur habe ich dennoch eine Frage zur Selbstlosigkeit.


    Ich habe während der (Atem-)Meditation und während des Alltags schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass ich mich von einmal nicht mehr mit meinen Gedanken und teilweise auch nicht mehr mit meinen Gefühlen identifiziert habe. Ich sah sie in diesem Augenblick nicht mehr als Teil meines Selbstmodells, sondern eher als Strom der in ständiger Bewegung an mir vorbeifloss. Was mich allerdings dennoch an der Überzeugung hielt ein Selbst zu besitzen war, dass ich in der Lage war meine Aufmerksamkeit zu steuern. Ich meinte in diesem Moment immer noch ein agierendes Etwas zu sein, weil ich ja bewusst meine Aufmerksamkeit auf den Strom der Gedanken lenkte, auch wenn ich die Gedanken vielleicht nicht hervorbrachte.


    Manchmal erreiche ich während der Meditation auch einen Zustand, in dem ich gar keine Gedanken oder wirklich nur sehr vereinzelte wahrnehme. Allerdings kann ich mich an diese Erfahrungen meist auch schlecht erinnern. Eine Selbstlosigkeit ist mir dort aber auch nie explizit aufgefallen.


    Intellektuell hingegen habe ich gar kein Problem damit kein Selbst zu besitzen, es wäre nach einer materialistischen Philosophie sogar eigentlich nur logisch konsequent.


    Handelt es sich bei dem was ich erlebt habe um etwas anderes als was der Autor des Buches beschreibt, oder ist es vielleicht schon etwas ähnliches? Wird das Selbst im Buddhismus vielleicht einfach nur anders definiert als ich es intuitiv tue?
    Über Anregungen würde ich mich sehr freuen :)

  • Zitat

    Eine Selbstlosigkeit ist mir dort aber auch nie explizit aufgefallen.


    Hallo suchender, herzlich willkommen. Ein Lehrer hat mir mal gesagt, das man die Erfahrung des Nicht-Selbst nicht verpassen kann. Also mach dir keine Sorgen :)

  • um die buddhistische Vorstellung von einm "Selbst" und "Nicht-Selbst" zu verstehen und zu begreifen, ist es sinnvoll sich mit traditionellen Bedeutung und Definition der ursprünglichen Begriffe "atta" bzw. "atman" und deren Negation "anatta" bzw. "anatman" zu beschäftigen. Hier finden sich einige Erklärungen:
    http://www.palikanon.com/buddhbib/02leerwelt/leerwelt4.html
    http://www.palikanon.com/wtb/ditthi.html
    http://www.palikanon.com/wtb/anatta.html
    https://en.wikipedia.org/wiki/Anatta
    https://en.wikipedia.org/wiki/%C4%80tman_(Buddhism)



    http://www.palikanon.com/samyutta/sam44.html#s44_10

  • Daumen hoch, verrückter Narr, für das vortreffliche Zitat.


    Hallo Suchender und herzlich willkommen :) ,
    ja, es gibt ein Selbst, durch das wir überhaupt in der Lage sind, uns in dieser Welt zurechtzufinden. Deshalb konnte auch der Buddha von seinen Erfahrungen erzählen.


    Nein, es gibt kein Selbst, denn alles ist zusammengesetzt und funktioniert entsprechend. Wie ein Auto, das auseinandergenommen nur aus Einzelteilen besteht und nicht mehr als Auto bezeichnet werden könnte, deshalb konnte der Buddha aus "Samsara aussteigen".


    Deine Erfahrung gefällt mir.
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Danke für eure schnellen und hilfreichen Antworten!

    Zitat

    ja, es gibt ein Selbst, durch das wir überhaupt in der Lage sind, uns in dieser Welt zurechtzufinden. Deshalb konnte auch der Buddha von seinen Erfahrungen erzählen.


    Nein, es gibt kein Selbst, denn alles ist zusammengesetzt und funktioniert entsprechend. Wie ein Auto, das auseinandergenommen nur aus Einzelteilen besteht und nicht mehr als Auto bezeichnet werden könnte, deshalb konnte der Buddha aus "Samsara aussteigen".


    Zumindest gefühlsmäßig denke ich, das Problem jetzt besser verstanden zu haben. Trotzdem bleibt so eine bestimmte Ungewissheit. Naja, vermutlich kann man sowas wirklich nur durch das Erleben dieser Erfahrung verstehen.


    Sehr interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Meinung von Thomas Metzinger (deutscher Philosoph). Er hat ein Buch ("Der Ego-Tunnel") geschrieben, in dem er seine Analyse des menschlichen "Geistes" vorstellt, wobei er ebenfalls nicht davon ausgeht, dass es soetwas wie ein Selbst gibt. Dabei geht er auch auf außerkörperliche Erfahrungen, Meditation etc. ein; kommt aber zu dem Schluss, dass es nicht möglich ist, die Wände des Ego-Tunnels zu durchbrechen, weil genau in diesem Moment Bewussstlosigkeit einsetzen würde. Ich fände es wirklich interessant, ob das in Widerspruch zu den Erfahrungen buddhistischer Mönche steht oder nicht. Man muss der Fairheit auch sagen, dass der Begriff Ego-Tunnel bei ihm sehr eng definiert ist.
    Laut seiner Defintion reicht es aus das Gefühl zu haben, die eigene Aufmerksamkeit lenken zu können, um sich als eigenständigen Agenten in dieser Welt wahrzunehmen.


    Hat hier jemand schonmal Erfahrungen dieser Art gemacht? Bzw. was haltet ihr denn von dem "Aufmerksamkeitssteuerproblem"? Ich finde so welche Diskussionen immer sehr interessant

  • Da scheint mir jemand einen anderen Zugang zu den sechs Sinnesobjekten gefunden zu haben. Das müsste Ich-Tunnel heißen und der ist tatsächlich sehr eng einzugrenzen. Das sind die neuronalen Netze der Sinneswahrnehmungen die sich im Gehirn stark vernetzen müssen um ein Gesamtbild des Wesen erzeugen zu können um diesem das Überleben zu ermöglichen. Das ist das jedem Wesen zu Grunde liegende System das Nerven-zentren gebildet hat. Da liegt die Hauptaufgabe des Gehirns, die Wahrnehmung der Sinnesobjekte zu vernetzen um ein "Ich bin" sein zu ermöglichen das ohne Nachdenken mit seiner Umwelt interagieren kann. Der Ich-Tunnel ist sehr eng zu fassen und kann auch unmöglich verlassen werden denn das würde tatsächlich Tod bedeuten nämlich das absterben der Nervenzellen. Die Sinnesobjekte können nicht mehr wahrgenommen werden und das ist die höchste Gefahr für das Lebewesen. Das bedeutet durch Umwelt erwirkte Bewusstlosigkeit und damit Gefahr durch weitere Umweltereignisse. Bewusstlosigkeit während einer Autofahrt.
    Ego ist durch Nachdenken und Vorstellungen machen, das zu Person führt und Persönlichkeit erschafft. Das ist zwar auch auf neuronaler Vernetzung gegründet ist aber scheinbar abgetrennt vom Ich-Tunnel. Das Ego kann vollkommen weg sein doch das ich bin bleibt und kann noch viele Jahre nach dem Verlust der Persönlichkeit überleben. Demenz, Unfall und alle weiteren Möglichkeiten sein bisheriges So-Sein zu zerstören. Das Gehirn kann aber viele Störungen einfach um gehen und so eine Ich-Form aufbauen die der vormaligen gut entspricht. EIN ICH gibt es nur im so wie es jetzt ist. Ein Ego ist durch Vorstellungen gebildet. Beide sind Augenblick abhängig und bestehen nur so lange wie der Augen blick dauert wird immer wieder anders gestaltet immer in Wandelung. Weder ich noch Helmut noch der Küchenchef ist heute der der er gestern glaubend war.

  • Ah, ok. Einerseits meine ich jetzt die Bedeutung des Selbst im Buddhismus richtig verstanden zu haben, andererseits bin ich ein wenig enttäuscht, wenn das schon die Endwahrheit ist. Ich habe mir die Erkenntnis, dass es kein Selbst gibt immer etwas spektakulärer vorgestellt :grinsen:


    So im Sinne von Subjekt und Objekt verschwimmen, ich bin eins mit dem Universum oder sowas.

  • Zitat

    Aussage meines Lehrers Lharampa Geshe Thubten Ngawang:"Ich bleibe Schüler - mein Leben lang."


    Das war wohl etwas schlecht formuliert von mir. Es ging mir eher darum auszudrücken, dass ich immer gedacht habe, dass so welche Erkenntnisse schlagartig während der Meditation von jetzt auf gleich auftreten, aber bei mir war das eher ein kontinuierlicher Prozess. Auch wenn ich damit jetzt nicht sagen möchte, dass ich schon eine hohe Stufe der Selbstlosigkeit erreicht habe.

  • suchender2:

    Es ging mir eher darum auszudrücken, dass ich immer gedacht habe, dass so welche Erkenntnisse schlagartig während der Meditation von jetzt auf gleich auftreten


    Nach allem, was ich hier und da gehört habe, kann das so sein. Oder auch nicht.
    Das ist ja auch ein uralter Streit zwischen den Schulen (Schule des plötzlichen Erwachens und Schule des allmählichen Erwachens, und dann gibt´s noch die, die finden, dass es keiner Veränderung bedarf und dass alle sowieso schon erwacht sind).


    Bisher hat die Wissenschaft noch keine gesicherte Erkenntnis gewonnen, wer Recht hat.


    Also beschränke Dich nicht durch Vorstellungen und Erwartungen.