• Fotost:

    Zitat

    Es ist kein Zufall - Deine Annahme ist ganz simpel falsch!


    Ich glaube, du verwechselst da was mit Umweltschutz. Der wurde durch die Industrialisierung notwendig. Und klar wird der auch nüchtern angegangen. Und der Humanismus der Neuzeit ist ja eine Reformbewegung. Schlag das mal nach.

    • Offizieller Beitrag
    fotost:


    Wirklich? Das entspricht absolut nicht meiner Erfahrung. Die Achtung vor der Umwelt und unseren Mitmenschen ist in den langweilig nüchternen, entmystifizierten Gebieten Zentraleuropas und Skandinaviens massiv viel größer als in den Gebieten, in denen Menschen noch in mythischem Denken behaftet sind.


    Es ist kein Zufall - Deine Annahme ist ganz simpel falsch!


    Ein bisschen ist es so, dass viele Mythen weniger was über die Sache selber Aussagen, sondern über menschliche Gefühle, Ängste und Hoffnungen im Bezug auf die Sache.


    Es gibt etliche Mythen in denen darauf hingewiesen wird, dass es Bäume gibt damit der Mensch aus ihnen Kanu macht so wie etliche Mythen darin uebereinstimmen, dass es die Sonne gibt, damit die Menschen was sehen. Dieses Denken scheint mir nahe beim modernen Nutz-Denken zu sein, das im Baum das Holz sieht. Beide sind extrem anthropozentrisch.


    Und dem gegenüber ist es ja das wissenschaftliche Denken das eben nicht utiltaristisch modern ist. sondern auch schaut was der Baum für die Ameise. Den Specht, den Pilz und für die Atmosphäre ist.


    Wobei es ja z.B Mythologien wie die daoistische gibt, die nicht anthropomorphe sind und insofern letzterem Denken aehnlicher.

  • void:
    fotost:


    Wirklich? Das entspricht absolut nicht meiner Erfahrung. Die Achtung vor der Umwelt und unseren Mitmenschen ist in den langweilig nüchternen, entmystifizierten Gebieten Zentraleuropas und Skandinaviens massiv viel größer als in den Gebieten, in denen Menschen noch in mythischem Denken behaftet sind.


    Es ist kein Zufall - Deine Annahme ist ganz simpel falsch!


    Ein bisschen ist es so, dass viele Mythen weniger was über die Sache selber Aussagen, sondern über menschliche Gefühle, Ängste und Hoffnungen im Bezug auf die Sache.


    Das ist genau das, was ich in meinen Beiträgen dazu bisher ausdrücken wollte :)


    Ich habe nichts gegen Mythen. Es geht dabei um 'menschliche' Erklärungsversuche der Welt in einer vorwissenschaftlichen Zeit. Die Poesie von Mythen kann den menschlichen Kern von Realitäten treffen, selbst wenn die wörtlichen Inhalte falsch sind.


    Wenn jemand den Arche Noah Mythos als historischen Fakt, als Tatsache nimmt, endet für mich die Möglichkeit des Dialogs.
    Wenn jemand die Erzählung der Saga (als eine unter Dutzenden ähnlicher älterer Erzählungen des gleichen Kulturraums) aufbringt und als Erklärung anbietet, daß es darum gehen könnte, daß einige Menschen trotz der negativen Aktivitäten der anderen um sie herum versuchen Elemente der Natur zu retten und daß sie damit höhere 'göttliche' Prinzipien vertreten und am Ende dafür belohnt werden habe ich kein Problem damit, es als kraftvolles Sinnbild zu verstehen.

  • Mensch jetzt wird mir so richtig bewusst wie kompliziert dieses Thema ist und warum ich gezögert habe da einzusteigen. Prinzipiell mag ich Mythen und so sie in meinem Leben eine Rolle spielen, sind sie positiv besetzt.
    Dazu was lustiges: Vor dem Wasserschöpfen von der Quelle meiner ehemaligen Waldhütte habe ich mich immer vor der Quellnymphe verneigt. Mir ist die Welt lieber wenn sie bevölkert ist von Elementarwesen, den Gnomen, Undinen, Salamandern und Sylphen. Die Autre Monde (Anderswelt) hinter der Materie, der geistige Hintergrund der Welt und die Götter in höheren Dimensionen. Ich lasse es mir völlig egal sein dass das aus der Mode gekommen ist und siehe da,im Buddhismus taucht das alles auf, so richtig zum Wohlfühlen. Obwohl natürlich die Befreiung das Wesentliche ist, ob mit oder ohne Mythen.



  • Vater Himmel, Mutter Erde, Kinder des Waldes....es gibt auch unzählige Mythen in diese Richtung. Da spielt das Ganzheitliche denken eine Rolle....in einigen solcher Kulturen es nicht mal Wörter für Besitz ...mein...dein ... Usw.


    Hingegegen wird in der Wissenschaft oft zerspalten ... Da guckt der eine Wissenschaftler ggf. nur auf den Specht, nur auf den Baum und nur auf die Ameise. Hier der Mensch, dort die Natur, statt den Menschen als Teil der Natur zu sehen...Die ganzheitliche Perspektive ist eher ein jüngere Disziplin...ökologie z.b. rückte da recht spät in den Fokus.....
    Einige Mythen wiederum zeugen davon was passiert, wenn der Mensch gierig und undankbar gegenüber seiner Umwelt ist... Das bestrafen die Geister des Waldes usw.... In Mythen stecken oft Jahrhunderte lange Erfahrungen eines Volkes...

  • Sunu:

    ...
    Hingegegen wird in der Wissenschaft oft zerspalten ... Da guckt der eine Wissenschaftler ggf. nur auf den Specht, nur auf den Baum und nur auf die Ameise. Hier der Mensch, dort die Natur, statt den Menschen als Teil der Natur zu sehen...Die ganzheitliche Perspektive ist eher ein jüngere Disziplin...ökologie z.b. rückte da recht spät in den Fokus.....
    Einige Mythen wiederum zeugen davon was passiert, wenn der Mensch gierig und undankbar gegenüber seiner Umwelt ist... Das bestrafen die Geister des Waldes usw.... In Mythen stecken oft Jahrhunderte lange Erfahrungen eines Volkes...


    Kein Problem mit dieser Art der Betrachtung. Ein einheitlicher Ansatz geht bei der Methodik der modernen Naturwissenschaften manchmal verloren. Das Zusammenführen der Einzelergebnisse wird manchmal gegenüber den Teilbetrachtungen versäumt.


    Wir können das etwa in der modernen Medizin beobachten. Die Erfolge bei der Bekämpfung von Krebs sind nicht perfekt, aber beeindruckend. Wenn man die Überalterung unserer Bevölkerung herausrechnet hat Krebs in den letzten 100 Jahren den Schrecken verloren. Allerdings wurde das dadurch erkämpft, daß die Forscher und Wissenschaftler sich immer mehr spezialisiert haben. Hautkrebs, Leberkrebs, Leukämie.. und so weiter. Fachwissenschaftler ohne Ende und häufig sehr gute Erfolge. Der Blick auf die zentrale Ursache geht dabei oft aus dem Ruder.


    Es ist richtig, daß in Mythen die Erfahrung von Jahrhunderten stecken können. Leider stecken in vielen Mythen eben auch die Fehler von Jahrhunderten, was viele Romantiker gerne verdrängen.


    Wenn die Geister des Waldes Brandroder und Waldzerstörer symbolisch bestrafen ist das ok. Wenn Leute auf der Basis eines Fruchtbarkeitskultes Schwule in ein KZ sperren und umbringen ist das nicht mehr ok.


    Ich hoffe, wir sind da einer Meinung..



  • Ja es gibt da kein schwarz/ weiß....
    Jedoch muss ich sagen, dass das KZ Beispiel auf Basis eines Fruchtbarkeitskultes ja kaum durch eine " echte" Mythologie zustande kommen kann. Da werden höchstens Teile einer Mythologie aus einer Kultur herausgenomen, die als Vorwand zum Mord herhalten müssen.
    Es gibt aber natürlich auch solche Mythologien, die großen Schaden anrichten, die vlt. schon dazu geführt haben, das ganzen Kultur ausgelöscht wurden. Sowas kann die Wissenschaft aber auch. Überhaupt sind die übergänge da fließend...die Wissenschaft von heute, ist vlt. die Mythologie von morgen.

    • Offizieller Beitrag
    Sunu:

    Jedoch muss ich sagen, dass das KZ Beispiel auf Basis eines Fruchtbarkeitskultes ja kaum durch eine " echte" Mythologie zustande kommen kann. Da werden höchstens Teile einer Mythologie aus einer Kultur herausgenomen, die als Vorwand zum Mord herhalten müssen.


    Eine Funktion, die Mythologien haben ist, dass sie prototypisch Verahaltensmuster für die Leute hergeben. So orientiert sich dann der Wikingerhäuptling an den alten Sagas. Und zwar sowohl bei den für uns nachvollziehbaren Sachen, wo es um Grosszügigkeit und Ehrfurcht gegenüber den Göttern geht hin zu den für uns unmenschlich anmutenden Sachen, wo es darum geht die Feinde zu dezimieren und ihre Frauen zu rauben. Oder eben Homosexuelle im Moor zu versenken. Das ist alles aus einem Guss: Auf der einen Seite ist das was erhaben und göttlich ist ( und um diese Erfahrung etwas "Erhabenes" zu haben, beneiden wir Bewohner einer entzauberten Welt die Alten) aber dieser steht auf der anderen Seite das Anti-Erhabene Verachtete gegenüber.


    Selbst bei der Quellnymphe ist es ja so, dass die ihr entgegengebrachte Verehrung nicht umsonst zu haben ist. Einen "heiligen reinen Bereich" zu etablieren, bedeutet die Heiligkeit zu schützen und eben den Frevler zu bestrafen. Einmal an den falschen Baum gepinkelt und das Leben ist verwirkt.

    • Offizieller Beitrag

    In dem von Spock zitierten Tex wird Mythos als eine "sinn- und identitätstiftende Geschichte" gesehen.


    Also so Geschichten, mit denen man antwortet, wenn man sagen soll, was man so ist.


    Darunter würde dann eben auch ganz viele "sinn- und identitätstiftende Geschichten" fallen, die von der Überwindung des Mythos durch die siegreiche Vernunft handeln.


    • Die Aufklärung
    • Das Wirtschaftswunder
    • Der Fortschritt
    • Der amerikanische Traum


    Ist ein Mythos "sinn- und identitätstiftende Geschichte" oder gibt es da noch andere Definitionen?

  • void:


    Eine Funktion, die Mythologien haben ist, dass sie prototypisch Verahaltensmuster für die Leute hergeben.
    .....


    Wobei die Art des Interesses das man an Mythen haben mag heutzutage Privatsache ist, solange damit kein Schaden angerichtet wird.

  • Spock:

    Axel hatte ja den Aspekt/die Definition der Schrift in Bezug auf den Mythenbegriff mit eingebracht.


    Nein, hatte ich eigentlich nicht, obwohl das ein hochinteressantes Feld ist... :)


    Ich schrieb 'Text' bewusst in Anführungszeichen und versuchte mit dem zusätzlichen im weitesten Sinne deutlich zu machen, dass ich mich hier an den Gebrauch des Wortes Text an Derridas Dekonstruktivismus anlehne. Zitat Derrida nach Wikipedia:

    Zitat

    Jeder potentielle Bedeutungsträger ist laut Derrida ein dekonstruierbarer Text:


    „Das, was ich Text nenne, ist alles, ist praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur auf die andere. Und diese Verweise bleiben nie stehen. Es gibt keine Grenzen der differentiellen Verweisung einer Spur auf die andere. Eine Spur ist weder eine Anwesenheit noch eine Abwesenheit. Folglich setzt dieser neue Begriff des Textes, der ohne Grenzen ist […] voraus, dass man in keinem Moment etwas außerhalb des Bereichs der differentiellen Verweisung finden kann, das ein Wirkliches, eine Anwesenheit oder eine Abwesenheit wäre […] Ich habe geglaubt, dass es notwendig wäre, diese Erweiterung, diese strategische Verallgemeinerung des Begriffs des Textes durchzuführen, um der Dekonstruktion ihre Möglichkeit zu geben […]“


    Das bedeutet nicht, dass ich Derridas Theorien vertrete (von denen meine Kenntnis bestenfalls oberflächlich ist), sondern seine erweiterte Definition von 'Text'.


    Was den Zusammenhang von geschriebenem und gesprochenem Wort, Mythos und Mystik angeht, will ich bloß auf die zwei Kapitel 'The Flesh of Language' und 'Animism and the Alphabet' in The Spell of the Sensuous: Perception and Language in a More-Than-Human World von David Abram und auf Mysticism after Modernity von Don Cupitt hinweisen.


    Tut mir leid, dass ich z.Zt. in allen threads nur 'Häufchen' mache, ohne in die Tiefe zu gehen. Hat was mit Nachtdienst und einer zusätzlichen Erkältung zu tun, die mich gerade ganz wattig im Kopf machen.

  • Danke für den tollen Artikel erstmal.


    Dieser und dein Beitrag bringt mich auf einen Gedanken.
    Ein Mythos braucht also einen Fakt, irgendwas real beobachtbares...dann wird es ritualisiert und schließlich kommt noch der gesellschaftliche Aspekt der gemeinsamen Identifikation dazu.
    Im Prinzip vermischen sich also wissenschaftliches, rituelles ( religiöser Aspekt) und gesellschaftliches ( Staat) zu einem Mythos miteinander.
    Bzw. in ursprünglichen Kulturen gab/ gibt es diese Trennung ja nicht, weshalb es da ja auch mythologisch zu geht.
    Man kann davon ausgehen, dass das auch tief im Menschen verwurzelt ist, schließlich lebte Mensch viele tausende Jahre ohne eine moderne, klare Gewaltenteilung... Das Mythologische ist so gesehen fast schon ein menschliches Grundbedürfnis.
    Das ganze kann ja auch entsprechend sehr sehr wirkungsvoll sein.
    Beispiel : Ein Stammesmitglied erkrankt und wird von einem Schamanen mit Heilkräutern behandelt, die für sich schon wirksam sind ( Wissenschaftlicher Aspekt).... Die Gabe der Kräuter geschieht innerhalb eines Rituals, was zusätzlich enorm verstärkend wirkt bezüglich der Heilkraft ( religiöser Aspekt/ Glaubensaspekt)..... Das ganze Ritual ist aber gleichzeitig auch ein Teil der Kultur des Stammes...ggf. wirken alle oder ein auserwählter Teil des Stammes beim Ritus mit...was dem Erkranken zusätzlich einen starken halt und somit durchhaltevermögen vermittelt.


    Die Wissenschaftler, die wirksame, pharmakologisch nutzbare Stoffe im Regenwald suchen, entdecken den traditionellen gebrauch der Pflanze xy, beim Stamm xy. Synthetisieren den wirsamen Stoff und wundern sich, dass dieser bei weitem nicht so gut hilft wie erhofft ( wie beim Stamm xy beobachtet).... Sie machen ggf. Fehlende Synergieeffekte mit anderen unbekannten Pflanzen dafür verantwortlich, die die Eingeborenen zu sich nehmen usw.... Den wirksamen Mythos als Ganzes, sehen sie dabei nicht. Naja, zumindest haben sie ihn noch vor einigen Jahren nicht wirklich beachtet, dass hat sich inzwischen aber natürlich auch schon sehr geändert... Nur wie soll so eine Entdeckung in unserer Gesellschaft dann genutzt werden ??? Das passt halt so überhaupt nicht in das Konzept eines "echten" Pharmakologen..bestenfalls ist das ein Fall für den Psychologen, aber was hat der wiederum mit Infektionskrankheiten oder Krebs usw. zu tun ??? Also gibts die Chemiekeule..... Wäre ja auch lustig sonst....ich stell mir gerade Ärzte und Pflegepersonal vor, die trommelnd ums Krankenbett Ringelreihe tanzen.. :grinsen:

    Einmal editiert, zuletzt von Spock ()

  • Du vermutest nur, dass sich die Wirksamkeit wegen der begleitenden Umstände steigert.
    Und schaffst damit einen Mythos.


    Genausogut könnten es aber auch genetische Faktoren sein, die dafür verantwortlich sind. Mittlerweile ist es bekannt, dass Frauen anders auf Medikamente reagieren und es auch Unterschiede in Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt, je nachdem welcher "Rasse" man zugehört.


    Übrigens ist das ärztliche Setting in Europa ebenso wirksam als Ritual. Das Krankenhaus, die Bekleidung, der Name der Medikamente, die Geräte usw. All das verstärkt den Heilungsprozess auch auf der psychologischen Ebene. Ist schon längst erforscht.

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • void:

    Eine Funktion, die Mythologien haben ist, dass sie prototypisch Verahaltensmuster für die Leute hergeben. So orientiert sich dann der Wikingerhäuptling an den alten Sagas. Und zwar sowohl bei den für uns nachvollziehbaren Sachen, wo es um Grosszügigkeit und Ehrfurcht gegenüber den Göttern geht hin zu den für uns unmenschlich anmutenden Sachen, wo es darum geht die Feinde zu dezimieren und ihre Frauen zu rauben. Oder eben Homosexuelle im Moor zu versenken. Das ist alles aus einem Guss: Auf der einen Seite ist das was erhaben und göttlich ist ( und um diese Erfahrung etwas "Erhabenes" zu haben, beneiden wir Bewohner einer entzauberten Welt die Alten) aber dieser steht auf der anderen Seite das Anti-Erhabene Verachtete gegenüber.


    Selbst bei der Quellnymphe ist es ja so, dass die ihr entgegengebrachte Verehrung nicht umsonst zu haben ist. Einen "heiligen reinen Bereich" zu etablieren, bedeutet die Heiligkeit zu schützen und eben den Frevler zu bestrafen. Einmal an den falschen Baum gepinkelt und das Leben ist verwirkt.


    Besonders der Missbrauch durch totalitäre Propaganda brachte die erhabene Empfindung und den Mythos in Verruf. Wie sehr sich die Empfindung des Erhabenen und der Ehrfurcht, der Glaube an einen heiligen Willen und das beglückende Gefühl, Teil einer größeren Kraft zu sein, zur Manipulation eignen, machen beispielsweise die Propagandafilme von Leni Riefenstahl deutlich. Der Mythos von der arischen Lichtgestalt und dem jüdischen Bazillus wurde von der damaligen Wissenschaft mitgetragen.


    Dabei sollte nicht unterschlagen werden, dass der Nationalsozialismus echte Begeisterung und immense Kraft schuf. Thomas Mann äußerte im Rückblick zu den frühen 30ern: Man soll nicht vergessen und sich nicht ausreden lassen, dass der Nationalsozialismus eine enthusiastische, funkensprühende Revolution, eine deutsche Volksbewegung mit einer ungeheuren seelischen Investierung von Glauben und Begeisterung war.
    Österreich sieht sich ja als besondere Kulturnation. Kann man auch hier von einem Mythos sprechen? In Wahrheit ging viel an gerechtfertigter Bedeutung mit der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung dahin.


    Zu Mythen im Sinne von gemeinschaftsstiftenden Erzählungen und Bildern fällt mir auch Mutter Teresa ein. Heiliggesprochen gilt sie und ihr Handeln vielen Gläubigen als bewundertes Vorbild. Kritiker ihrer Person würden allerdings von einem zweifelhaften Mythos sprechen. Wie dem auch sei, hilft dieser Mythos Gläubigen, sich für das Wohl ihrer Mitmenschen zu engagieren. Hier könnte man also von der positiven Wirkung eines Mythos sprechen - sofern man der katholischen Kirche nicht feindschaftlich gegenübersteht.


    Gibt es auch einen Mythos um die Person des Dalai Lama? Verlässt auch einen Tenzin Gyatso mitunter mal die Geduld und eine Kleinigkeit lässt ihn kurz ausrasten – ganz im Gegensatz zum Mythos des Erleuchteten? Ist es aber wichtig, darüber so genau Bescheid zu wissen? Seine Lehre und sein Lebenswerk drücken tiefe Weisheit aus und helfen, Mitgefühl und Glück zu finden.


    Die identitätsstiftende Wirkung eines bewunderten Vorbilds scheint mir nicht nur in spiritueller Hinsicht, sondern auch für die Politik, für Europa und die UNO, notwendig.

  • Für mich ist es wichtig immer auch den ganz normalen Menschen zu sehen, dadurch bekommt seine Heiligkeit enorme Kompetenz die ich auf mein Leben anwenden kann. Mich interessiert Tratsch weil damit die Mythenbildung durch Glauben wollen vermindert wird.

  • Doris Rasevic-Benz:

    Du vermutest nur, dass sich die Wirksamkeit wegen der begleitenden Umstände steigert.
    Und schaffst damit einen Mythos.


    Genausogut könnten es aber auch genetische Faktoren sein, die dafür verantwortlich sind. Mittlerweile ist es bekannt, dass Frauen anders auf Medikamente reagieren und es auch Unterschiede in Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt, je nachdem welcher "Rasse" man zugehört.


    Übrigens ist das ärztliche Setting in Europa ebenso wirksam als Ritual. Das Krankenhaus, die Bekleidung, der Name der Medikamente, die Geräte usw. All das verstärkt den Heilungsprozess auch auf der psychologischen Ebene. Ist schon längst erforscht.


    Ja wenn es erforscht ist, dann habe ich ja mit meiner Behauptung keinen Mythos erschaffen...
    Das Beispiel mit dem Arzt ist ein gutes...da vermischt sich im Prinzip das Wissenschaftliche mit dem Rituellen bzw. fast religiösen Aspekten. Es gibt sicher Ärzte die erfolgreicher sind im Behandeln von Krankheiten als ihre Kollegen, allein weil sie dieses Rituelle perfekt beherrschen...Ruhe und Kompetenz ausstrahlen usw. Vlt. verschreibt ein Kollege genau die gleichen Medikamente...hinterlässt aber einen inkompetenten, unsicheren Eindruck beim Patienten...Sicher nicht förderlich.
    Da bekommt Wissenschaft schon etwas mythisches, indem sie sich mit dem Glauben vermischt...bzw. es macht deutlich wie der Erfolg der Wissenschaft auch vom glauben abhängt. Ein Arzt kann ja quasi sogar zu einem Mythos werden...
    Ich denke da z.b. an Dr. Müller- Wohlfart :)... Der sitzt gefühlt immer auf der Bank bei den wirklich "wichtigen" Fußballspielen und ist eine Berühmtheit..... Wenn sich ein Spieler nach einem Foul auf dem Boden lümmelt, rennt er mit seinem Köfferchen los..immer und immer wieder das selbe Bild....er tastet dann das Bein ab, mit immer dem selben, fachkundigen Blick....packt das Eisspray aus und scheint damit sogar Knochenbrüche heilen zu können :D ....Der spieler spingt auf....humpelt noch ein zwei Schritte und sprintet los.... Im Prinzip hätte das jeder Sanitäter gekonnt.... aber wahrscheinlich eben nur im Prinzip .... :lol:

  • Das erinnert mich an eine Anekdote, die über mehrere Ärzte (u.a. Sauerbruch) erzählt wird und die auch Paul Watzlawick zitiert:

    Zitat

    In einem österreichischen Landeskrankenhaus liegt ein schwerkranker Mann im Ster­ben. Die behandelnden Ärzte haben ihm wahrheitsgemäß mitgeteilt, dass sie seine Krankheit nicht diagnostizieren können, ihm aber wahrscheinlich helfen könnten, wenn sie die Diagnose wüssten. Sie haben ihm ferner gesagt, dass ein berühmter Diagnosti­ker das Spital in den nächsten Tagen besuchen und vielleicht imstande sein wird, die Krankheit zu erkennen. Ein paar Tage später kommt der Spezialist wirklich an und macht seine Runde. Am Bett des Kranken angekommen, wirft er nur einen flüchtigen Blick auf ihn, murmelt 'moribundus' und geht weiter. Einige Jahre später sucht der Mann den Spezialisten auf und sagt ihm: 'Ich wollten Ihnen schon längst für Ihre Diagnose danken. Die Ärzte sagten mir, dass ich Aussicht hätte, mit dem Leben davonzukommen, wenn Sie meine Krankheit diagnostizieren könnten, und im Augenblick, da Sie 'moribundus' sagten, wusste ich, dass ich es schaffen werde.

  • Bei uns in Bayern ist es immer noch üblich Warzen zu besprechen.
    Und das wirkt.

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Um mal den Bogen zum Buddhismus zu schlagen:


    Carl-Friedrich Geyer erwähnt in seinem Buch Mythos - Formen, Beispiele, Deutungen den 'Mythos von der Möglichkeit des direkten Zugriffs auf die Dinge selbst bei E. Husserl'. Ich muss da spontan an den immer wieder gerne gebrauchten buddhistischen Slogan vom 'Sehen der Dinge, wie sie wirklich sind' denken.
    Don Cupitts Buch Mysicism after Modernity habe ich neulich ja schon in einem anderen thread angeführt. Es heißt dort auf der Rückseite:

    Zitat

    Don Cupitt behauptet, dass die umfangreiche moderne Literatur über Mystik auf einem Missverständnis beruht - dem Glauben, dass es sinnvolle Erfahrungen gibt, die der Sprache vorausgehen. Die Mystiker wurden so verstanden, dass sie erst tiefgreifende Erfahrungen haben, die sie dann in Worte fassten.


    Im postmodernen Denken jedoch verleiht nicht Erfahrung der Sprache Bedeutung; im Gegenteil verleiht Sprache der Erfahrung Bedeutung.

  • Ich glaube, im Prinzip hängen die genannten Punkte zusammen und ich würde 2 und 3. als Teil des Religiösen sehen. Eine gewisse Abhängigkeit besteht ja schon, wenn jemand Teil einer Gesellschaft ist, den das kann er nur in Abhängigkeit zu einer Gesellschaft sein, die es wiederum braucht um einen Mythos zu begründen ( oder meintest da etwas anderes mit Abhängigkeit?).
    Das Rituelle, nicht religiöse kann natürlich auch für sich schon wirken... Wobei ich mir beim Junkey gedacht habe, ob die Droge selbst nicht schon so eine Art Gott darstellt bzw. als eine Art Medium dient, für einen Rausch, der ja auch was irgendwie was transzendentes hat...Aber wie auch immer, Rituelles kann alleine schon wirken....sowie Medizin für sich auch wirken kann...nur kann es zusammen eben noch effektiver wirken. Was kann wohl passieren, wenn auch die Droge weggelassen wird und das ganze Ritual mit einem Placebo durchgeführt wird ?

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  • Mhh, die Idee war ja...dass sich bei einem Mythos faktische Aspekte ( Wissenschaft), Glaubensaspekte u. Riten ( ich nannte es den religiösen Aspekt) und schließlich gesellschaftliche Aspekte ( Staat) vermischen. Daraufhin sagtest du ja, dass da noch etwas fehlt....
    Also Abhängigkeit....paradox/ transzendentes und rituelles .... Aber ist das nicht durch das Religiöse bzw. durch das Gesellschaftliche schon abgedeckt?

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  • Ich kenne das in Form einer Art "Memplex". Da wird zu einem Kind z.B. gesagt :" Das tut man nicht!." Wenn das Kind dann fragt warum man das nicht tut, gibt es aber eigentlich keine Begründund...außer eben:" weil man das nicht macht".
    Das sind dann Gedanken bzw. Regeln, die einfach unreflektiert weitergegeben werden und die dann gar nicht mehr in Frage gestellt werden bzw. in Frage gestellt werden dürfen. Manchmal werden diese Memplexe über Generationen hinweg weitervermittelt...vlt. auch nur innerhalb einer Familie... Diese mögen ursprünglich auch einen Sinn gehabt haben, der dann aber schon längst verloren gegangen sein kann. Ich würde das jetzt nicht als Mythos bezeichnen wollen, da dort irgendwie die Tragweite fehlt...etwas Transzendentes hat es aber schon...fast wie so eine Art unbewusste Ahnenverehrung.

  • Spock:

    Wenn ein Memplex gesellschaftfähig is und der Identitätsbildung dient, dh. eine Geschichte dazu erzählt wird, aber trotzdem mit sich selbst begründet wird, wäre es dann schon ein Mythos?

    Einmal von der Problematik der doch ziemlich umstrittenen Memtheorie abgesehen, erfüllt ein Sinn und (soziale) Identität stiftender oder unterstützender Memplex zumindest genau die Funktion des Mythos - kann also in dieser Hinsicht durchaus damit gleichgesetzt werden.


    Erlaube mir, hier http://docupedia.de/zg/Mythos auf einen mE lesenswerten Essay über die Funktion von Mythen aus geschichtswissenschaftlicher / zeitgeschichtlicher Perspektive hinzuweisen - die hier vor allem die anthropologischen (explizit Malinowski und Lévi-Strauss) und religionswissenschaftlichen (Eliade) Ansätze aufgreift, dabei auch soziologische (Durkheim) und tiefenpsychologische Ansätze (Jung / Campbell) streift. Bietet zumindest ein ziemlich umfassendes name-dropping derer, die zum Thema Mythos etwas wesentliches beizusteuern hatten.


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