Ist Chandrakirtis Auffassung von Mitgefühl "ungewöhnlich"?

  • Bisher glaubte ich dass die Definition von Mitgefühl, welche in diesem Video gegeben wird die "normale" Buddhistische Auffassung sei. Aber in letzter Zeit habe ich den Eindruck dass das eher ungewöhnlich ist. Weil dort Leerheit gegenüber gewöhnlichem Mitgefühl sehr vorgezogen wird. Mit gewöhnlichem Mitgefühl meine ich wenn man z. B. der älteren Nachbarin die Einkaufstaschen trägt und sich dabei keine Gedanken macht, ob man in dualem oder non-dualem Geisteszustand ist. Man ist eben einfach grad bei einer Mitgefühlsübung. "Doing good" wird in diesem Video finde ich ziemlich abgewertet. Er sagt man soll jetzt nicht grad schlechtes tun aber...


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    allerdings kannte ich mehrere Jahre nur das nachfolgende Video. Dort interpretiert Dzongsar Khyense Rinpoche die gleiche stelle im Madhyamakavatara. Ich finde er stellt es dort noch radikaler da, durch den Satz: "The victims of your compassion."


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    Nun habe ich den Eindruck, dass doch viele heutige Meister sagen, man soll ganz einfach Mitgefühl üben. Also ganz schlicht gute Taten tun. Ein guter Mensch sein. Vielleicht ist Chandrakirti unter den alten Meistern schon eine Ausnahme in der Darstellung von Mitgefühl und Leerheit?

  • Nun habe ich den Eindruck, dass doch viele heutige Meister sagen, man soll ganz einfach Mitgefühl üben. Also ganz schlicht gute Taten tun. Ein guter Mensch sein

    Dagyab Rinpoche betont auch immer wieder, wie wichtig es ist, "ein guter Mensch" zu sein. Es gibt sogar eine Broschüre die beschreibt, was genau er darunter versteht. Es ist die Grundlage für Bodhicita und für alles weitere.

  • Für mich kommt hier schon sehr was anderes rüber, also die Betonung kommt mir sehr anders vor:


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  • Nun habe ich den Eindruck, dass doch viele heutige Meister sagen, man soll ganz einfach Mitgefühl üben. Also ganz schlicht gute Taten tun. Ein guter Mensch sein

    Dagyab Rinpoche betont auch immer wieder, wie wichtig es ist, "ein guter Mensch" zu sein. Es gibt sogar eine Broschüre die beschreibt, was genau er darunter versteht. Es ist die Grundlage für Bodhicita und für alles weitere.

    ja Ringu Tulku Rinpoche spricht ähnlich. Ich frage mich, ob das so für den modernen Menschen gesprochen ist, sie nicht immer ankommen können mit absolutem Bodhichitta, oder ob Dzongsar Kyentse Rinpoche sich eben auf einen ungewöhnlichen alten Meister bezieht-während andere Rinpoche sich eben auf andere alte Meister beziehen und dass dadurch der Unterschied zustande kommt.


    Nimmt man aber eine Schrift von Ringu Tulku Rinpoche wie z. B. Lojong Geistestraining, dann kommt keinerlei Aufforderung zu guten Taten, sondern es wird absolutes Bodhichitta dargestellt was im Grund eine Leerheitserklärung ist. Regenbogen-Analogie usw...

  • Nach meinem Verständnis braucht man beides: Relatives und absolutes Bodhicita (und die jeweiligen Erklärungen dazu).!

  • Grob gesagt würde ich sagen: Mündlich und in einer öffentlichen Veranstaltung mit sehr viele Teilnehmern gehen die Aussagen in Richtung: Gute Taten.

    Je weniger Teilnehmer da sind, und je mehr der Meister als "old school" bekannt ist, geht es in Richtung absolutes Bodhichitta. Sowas wie: "das 9. Kapitel Bodhicharyavatara braucht man nicht verstehen"- wird glaub ich nur in der Volkshochschule gesagt. Die Texte alter Meister sind dann eben Leerheits-Erklärungen welche kein Ende nehmen... Mitgefühl ja, aber da gehts immer um den Bodhisattva, welcher den Wesen zur Befreiung hilft. Dazu muss man es selbst ja erst mal verstanden haben.


    Aber vielleicht seh ich das falsch. Vielleicht wie gesagt bekomme ich einfach nur eine gewisse Richtung alter Schriften in die Hand?:?

  • Ich denke für den Alltag macht es Sinn, beides zu kombinieren, und zwar so, dass man tut, was gerade anliegt, also z.B. wenn jemand Hilfe braucht. Aber mit einem Verständnis von Leerheit. Auf die Weise vermeidet man ein Helfersyndrom. Man könnte auch sagen, dass es um die Balance von Weisheit und Mitgefühl geht.


    Wenn die Zuhörer Weisheit überbetonen, oder aufgrund von Konzepten über Leerheit nicht mitfühlend handeln, oder aufgrund von Unwissenheit nicht mitfühlend handeln, gibt es Belehrungen zum zum "relativen" Mitgefühl. Wenn die Leute rumrennen und vor lauter "Mitgefühl" nur noch zu den Nachbarn rennen, um deren Taschen zu tragen und dabei vergessen zu meditieren oder es in Mitleid umschlägt, gibt es Belehrungen zur Weisheit und zur Leerheit.


    Also geht es nicht um entweder-oder sondern um eine Balance.

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    allerdings kannte ich mehrere Jahre nur das nachfolgende Video. Dort interpretiert Dzongsar Khyense Rinpoche die gleiche stelle im Madhyamakavatara. Ich finde er stellt es dort noch radikaler da, durch den Satz: "The victims of your compassion."


    Nach etwas Recherche kommt es mir so vor, als würde es hier um zwei Qualitäten von "Mitgefühl" gehen.


    In der von mir unterstrichenen Variante wird eine Gefahr in den Folgen des "Mitgefühls" gesehen.


    Es wäre vielleicht zu klären, welche Gefahr hier gesehen wird.


    Und dann, warum sie von Chandrakirti (eventuell) nicht gesehen wurde, oder falls doch:

    Warum er es nicht nötig hielt, zu seiner Zeit darauf hinzuweisen.


    :sunny:

  • Es gibt im Text "Das Diamantlicht des gewöhnlichen Geistes" ein Kapitel "Mitgefühl, das sich als Feind erhebt"


    (Aus dem "Diamantlicht" des 9. Karmapa - Mahamudra-Belehrungen)


  • . Man könnte auch sagen, dass es um die Balance von Weisheit und Mitgefühl geht.

    Die Balance von Weisheit und Mitgefühl ist nichts anderes wie das (gleichzeitige) Praktizieren vom relativen und absoluten Bodhicita :)

  • Die Problematik dabei ist, daß so einfach ist, moralische (ethische) Dilemma zu konstruieren.


    Ich habe wenig außer meinem gesunden Menschenverstand in solchen Situationen.

    Die Vorstellung, eine Kontrolle über etwas außerhalb zu besitzen ist eine Illusion.


    Was, wenn der Jäger in Deinem Beispiel tatsächlich ein grausamer Mensch gewesen ist, dem es Freude gemacht hätte zu töten, aber wenn dieser Jäger nur deshalb losgeschickt worden wäre, weil die Hirsche (Rotwild) die Bäume in diesem Gebiet verbissen hätten, die allein das biologische Gegenmittel für Krebs produziert hätten?

  • Ich tue mich mit den Beispielen in dem Text auch schwer, aber es ist eben aus einer andere Zeit und anderen Region der Welt. Daher erfreue ich mich auch besonders an dem letzten Satz im Zitat ;)

  • Vielen Dank für eure Darstellungen. Es ist nur so, dass ich das alles kenne und würde einfach gerne wissen, wieso es Chandrakirti anders sagt. Bzw ob die Darstellung eine Ausnahme ist-bezogen auf andere klassische Texte.


    Ich finde halt nicht, dass die Videos sich nach Balance anhören. Dann kann es ja nur so zu verstehen sein, dass Dzongsar Kyentse Rinpoche meint, das muss jetzt mal gesagt werden und daher immer wieder diese Chandrakirti-Textstelle auspackt.


    der Formulierung von Dzongsar Khyense Rinpoche: "die Opfer eures Mitgefühls" bezieht sich darauf, dass man Leerheit gar nicht verstanden hat, als Schlagwort nur herbeten kann: "Die Einheit von Weisheit und Mitgefühl" und dann eben sich im Mitgefühl übt, und es ist eben doch einfach nur duales Mitgefühl. So versteh ich ihn, wieso er das macht.

  • Duales Mitgefühl ist immer durchzogen von Stolz. Bevor ich das Video gesehen habe ist mir schon immer aufgefallen, dass Buddhisten untereinander oft ein "Opfer ihres Mitgefühls" suchen. Das heißt zum Teil gibt es richtig Wünsche, der andere möge ungebildet sein, damit man ihn aus Mitgefühl belehren kann. Er möge ein wenig labil sein, damit man ihn aus Mitgefühl ein wenig aufbauen kann. Er möge keine Ahnung haben, wo sich die Toilette befindet, damit man ihm aus Mitgefühl das mitteilen kann.


    Stellt man dann fest: Der andere ist ein alter Haase, weiß von vor 5 Jahren schon wo das Klo ist, kommt mit sich und der Lehre klar, dann gibt es eine gewisse Enttäuschung...

    Stolz und schlechtes Gewissen sagt Dzongsar Khyentse Rinpoche. Ja für das Gewissen braucht man auch die Mitgefühls Opfer. Denn wenn sich heute keiner zur Verfügung stellt als Mitgefühls-Opfer,hat man ein schlechtes Gewissen, heute sein "Soll" als Buddhist nicht erfüllt zu haben.


    Bisschen überspitzt formuliert aber solche Tendenzen meinte ich zu bemerken.. Ich glaube nicht, dass er das einfach so nur immer wieder betont.

  • Hier steht ja auch nirgendwo, dass er das "einfach so" betonen würde. Die Balance herzustellen, kann auf einen Einzelnen, eine Gruppe oder auch auf das allgemeine Verständnis bezogen sein. Gerade wenn etwas als Youtube-Video herauskommt, und dass er sich dessen sehr bewusst ist, kann man sich denken, immerhin ist er selbst Filmemacher, dann macht es Sinn, ein viel weiteres und vielfältiges Publikum im Hinterkopf zu behalten.

  • Es gibt im Text "Das Diamantlicht des gewöhnlichen Geistes" ein Kapitel "Mitgefühl, das sich als Feind erhebt"


    (Aus dem "Diamantlicht" des 9. Karmapa - Mahamudra-Belehrungen)


    [lz]Ein Beispiel. Angenommen, du siehst einen Jäger, der Schwierigkeiten hat, einen Hirsch zu töten, und aus Mitgefühl für diesen grausamen Menschen entschließt du dich, ihm zu helfen. Wenn du dein eigenes Mitgefühl für Tiere und dein Gelübde, nicht zu töten, aufgibst und ihm hilfst, das Tier zu erschießen, hat sich Mitgefühl als Feind erhoben.


    Unmittelbare Anschauung, rechte Betrachtung ist Voraussetzung für Handlungen aus Mitgefühl.


    Die Betrachtung hypothetischer Folgen, so wie sie fotost vorgeschlagen hat, erzeugt nicht die Art von Mitgefühl, über die hier meiner Ansicht nach in beiden Fällen (Rinpoche & Chandrakirti) gesprochen wird.


    Das hier konstruierte Dilemma ist also leicht aufzulösen:


    Was, wenn der Jäger in Deinem Beispiel tatsächlich ein grausamer Mensch gewesen ist, dem es Freude gemacht hätte zu töten, aber wenn dieser Jäger nur deshalb losgeschickt worden wäre, weil die Hirsche (Rotwild) die Bäume in diesem Gebiet verbissen hätten, die allein das biologische Gegenmittel für Krebs produziert hätten?


    Es finden hier Erwägungen statt. Keine unmittelbare Anschauung, aus der heraus sich Mitgefühl einstellt.




    :sunny:

  • Hier steht ja auch nirgendwo, dass er das "einfach so" betonen würde. Die Balance herzustellen, kann auf einen Einzelnen, eine Gruppe oder auch auf das allgemeine Verständnis bezogen sein. Gerade wenn etwas als Youtube-Video herauskommt, und dass er sich dessen sehr bewusst ist, kann man sich denken, immerhin ist er selbst Filmemacher, dann macht es Sinn, ein viel weiteres und vielfältiges Publikum im Hinterkopf zu behalten.

    normal ist er so unterwegs, dass er die Probleme der tibetisch-buddhistischen Szene im gesamten im Kopf hat. Für mich macht es absolut Sinn, dass er das immer wieder so sagt.

    Aber ich seh doch jetzt das diese Videos nicht DIE klassische Belehrung zum Thema sind. Wobei ich sagen muss dass ich noch immer nicht weiß wie oft und bei wem von den alten Meistern die Chandrakirti Aussage vor kommt. Wenn ich mal 90 bin, weiß ich sowas dann vielleicht...

  • Don't overthink it ;)


    Es finden hier Erwägungen statt. Keine unmittelbare Anschauung, aus der heraus sich Mitgefühl einstellt.

    :!::like:

  • Aber auch nicht zu viel. Denn dann kann es passieren, dass man sich die Erfahrung blockiert. Es ist sowas wie eine gegenseitige Balance von Wissen, formaler Meditation und "einfach geschehen lassen"…

  • Ok, das kann ich vom Gedanken her nachvollziehen.


    Was machst Du also in der Situation? Du hinderst den Jäger daran, die Hirsche zu töten. Die Hirsche zerstören die Bäume und es sterben viele Menschen.


    Gute Intention, gutes Gewissen (Gefühl) [Du hast ja noch nicht einmal von der Krebsgeschichte gewußt, das war außerhalb Deiner unmittelbaren Anschauung] - schlimmes Ergebnis :doubt:, solange man für sich akzeptiert, daß vielleicht hunderte tote Menschen negativer sind als ein paar tote Hirsche.


    Ich habe absolut nicht vor, das Beispiel leicht zu nehmen oder ins Absurde zu führen. Es zeigt für mich einfach die Grenzen von 'gesundem Menschenverstand' und des Versuchs Kontrolle auszuüben.

  • Fotost:

    Ich habe absolut nicht vor, das Beispiel leicht zu nehmen oder ins Absurde zu führen. Es zeigt für mich einfach die Grenzen von 'gesundem Menschenverstand' und des Versuchs Kontrolle auszuüben.

    Genau. Deshalb finde ich es sehr hilfreich, dass im achtfachen Weg "bemühe Dich", oder "vermeide", und nicht "du sollst nicht..."


    Wenn man konsequent oft richtig liegt, kann man schon einiges bewirken, das muss gar nicht absolut sein.


    Liebe Grüße, Aravind.


  • Ja, aber darum geht es in diesem Thread nicht. Es geht um die Frage, ob eine bestimmte Auffassung von Mitgefühl ungewöhnlich ist.


    Ich verstehe deine Ausführungen sehr gut.


    Mitgefühl ist etwas anderes als eine Sorge über mögliche, sich vorgestellte Zustände. Ich denke es geht hier um eine Sache, die sich per Definition aus möglichst unmittelbarer Anschauung einstellt. Und nicht aus Erwägungen heraus.


    Unmittelbare Anschauung heißt in diesem konkreten Beispiel: das sehen was dort ist. Und da ist nur ein Hirsch, ein Jäger und ein Wald. Und keine Vorstellungen dazu oder Vorurteile.


    Es geht in diesem Beispiel übrigens darum, den Jäger davor zu bewahren eine solche Torheit zu begehen: ein anderes Wesen zu töten.



    :star:

  • Das stimmt wohl, immerhin sieht man jedoch anhand solcher Erwägungen, dass es für uns nicht wirklich abzusehen ist, ob eine Handlung am Ende 'gut' oder 'schlecht' ist. Sich bemühen zu verstehen, sich nicht zu viel oder zu wenig einzubringen und den gesunden Menschenverstand einsetzen - besser können wir es halt nicht machen.


    (Hoffe, das passt noch, Ihr seid ja schon länger dabei)

    das sehe ich auch so und das ist eben grade das Problem dass man ohne Weisheit auch nicht richtig mitfühlend sein kann. Ich glaube DJKR spricht sich deswegen so aus, dass sich weniger einzubringen gut ist und man sich auf das Verwirklichen der Leerheit konzentrieren soll. Wenn nämlich die Weisheit der höchsten Ebene anwächst, dann wächst auch die Weisheit die man anwenden kann wenn es um das schlichte Verständnis der Vorgänge in der relativen Welt geht.