Große und Kleine Tradition im Buddhismus

  • Eine für mich wichtige Unterteilung des Buddhismus ist in einen Buddhismus der Großen Tradition und einen der Kleinen Tradition. Für Kleine Tradition verwende ich auch den Begriff anthropologischer Buddhismus. Ausgang für mein Verständnis dieser Begriffe ist The Great Tradition and the Little in the Perspective of Sinhalese Buddhism von Obeyesekere (1963):


    Zitat

    Thai or Sinhalese Buddhism is the little tradition – that is, the religion of the masses (little community) in these countries, whereas the great tradition of Theravada Buddhism is really the religion of the greater community of monks, intellectuals, and scholars. Such a conceptual separation has its utility, for it follows from this line of thinking that the religions of the masses in these countries may be vastly different from each other, whereas the great tradition they all share (Theravada Buddhism) is the same. {Obeyesekere 1963 #2540D: 142}


    Ich nehme jedoch in meinem Gebrauch den Menschen komplett aus der Großen Tradition heraus und verkürze sie zu einer "Buchreligion". Für mich erhöht dies noch die "utility". Obiges Beispiel nimmt den Theravada als Ausgangsposition - was zur Frage führt, was sind die Bücher, die den Theravada konstituieren? -, aber der Ansatz ist nicht darauf beschränkt. Siehe zum Beispiel: der Lamaismus als Große Tradition und der tibetische, bhutanische, mongolische Buddhismus jeweils als eigener Ausdruck der Kleinen Tradition. Anthropologischer Buddhismus habe ich in Buddhismen und ihre Begriffsbestimmung wie folgt definiert:


    Zitat

    Hiermit bezeichne ich den Buddhismus der Menschen (ánthrōpos). Auf diese Weise ist der anthropologische Buddhismus im Kern individualistisch. Es geht um die Praxis und das Lehrverständnis eines Einzelnen im Kontext des Buddhismus.


    Jedoch kann eine Zusammenfassung einzelner Menschen zu einem Aggregat vorgenommen werden. Mit einer Zunahme der Aggregatsgröße nimmt die Homogenität der Gruppe ab. Als ein Beispiel soll ein Schüler von Ajahn Brahmvamso dienen. Dieser Schüler hat seine eigene Praxis und Lehrverständnis, welches sich von Ajahn Brahm selber unterscheidet. Auf dieser ersten Ebene sieht er sich als zugehörig zur Schülergruppe rund um Ajahn Brahm. Die nachfolgenden Gruppenzugehörigkeiten könnten sein: Gemeinschaft von Ajahn Chah, thailändische Waldtradition, thailändischer Buddhismus.


    Diese sozialen Gruppen sind gelebter Ausdruck des Buddhismus. Gleichzeitig sind sie mehr oder weniger authentische Repräsentationen des Theravada, hier als Buchreligion und Maßstab für Orthodoxie und Orthopraxie.


    Verwandte Begriffe sind realexistierender Buddhismus, Kulturbuddhismus.


    Ein Beispiel für die Ungleichheit beider Traditionen will ich an einem christlichen Beispiel erklären. Der Begriff Transsubstantiation bezeichnet in der römisch-katholischen Theologie die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der heiligen Messe. In einer Umfrage von Pew Research gaben 69% der befragten US-amerikanische Katholiken an, dies nicht zu glauben. Daher kann es zu falschen Schlüssen kommen, wenn man von einem Gläubigen rückschließen will auf den Glauben. Kein Gläubiger wird die Große Tradition 1:1 glauben und leben, geschweige denn in vollem Umfang Erleben in Form des jeweiligen diesseitigen Heilsziels. Dies fängt bereits beim Verstehen der Texte an und setzt sich dann in der Übung fort. Ich denke, dies erklärt auch wie Differenzen im Verständnis zwischen den verschiedenen Traditionen entstehen. Der auf sich selbst verkrümmte Mensch kann Botschaft, Philosophie und Praxis des Theravada, Zen usw. nicht vollumfänglich realisieren, aber sich mit anderen zusammenschließen.


    dass die Traditionen selbst keine Lehre in sich tragen, sondern sich nur um die Praxis kümmern. Also nur das "Wie" regeln und nicht das "Was". Das kann aber (natürlich) nicht sein, da sonst auch keine Differenzen im Verständnis zwischen den verschiedenen Traditionen vorhanden wären.


    Die Kleinen Traditionen selbst tragen schon eine Lehre in sich. Wie Obeyesekere sagt, der burmesische, srilankische, thailändische Buddhismus usw. sind unterschiedlich, obwohl sie von der selben Großen Tradition abstammen. Die kleinen Traditionen sind "messy" und weil letztendlich individualistisch in ihrer Gesamtheit nicht zu erfassen. Daher macht es Sinn, sie zu aggregieren auch wenn dies zu Trennunschärfe führt. Was aber noch zu viel mehr Unschärfe führt ist das Verwechseln dieser beiden Traditionen. Wenn der eine Theravadin Coca-Cola trinkt und der andere Pepsi, der eine vipassana macht und der andere samatha, dann ist dies kein Anzeichen von Dissens im Theravada der Großen Tradition. Letztendlich hat der Buddha gelehrt, nur ein Weg für zum Heilsziel. Aber dieser eine Weg wird unterschiedlich gegangen.

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  • Vielen Dank für die Erläuterung.


    Den Begriff des "Antrophologischen Buddhismus" hatte ich gestern als Religionsanthropologie mit Fokus auf den Buddhismus verstanden. Deine Erklärung bringt da klarheit rein.


    Praktizierst du selbst, oder siehst du dich generell nur als eine Art Beobachter / Forscher?

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  • Das eigentliche Problem bei den Traditionen sehen und erfahre ich in der "Gemeinschaft in der Lehre zu sein" Forderung, obwohl jede Tradition von jeweils einem Individuum initiiert wurde.

    Es wird oder soll nicht mehr erkannt werden, dass Buddha zu aller erst ein Individuum war, immer geblieben ist.

    Die seine Lehre verstanden hatten, machten aus sich, den Verstehenden, eine Gruppe die dieses Verständnis weiter festigten.

    Zuerst um eine Art Blase zu schaffen, in der sich jemand von Dukkha befreien konnte, um als Individuum das befreit ist von Dukkha leben zu können, aber es kamen immer mehr an die Führung, die die Lehre nur verstanden hatten. So entstand das Bedürfnis nach einer Sammlung der Reden des Buddha. Durch die aufgeschriebenen Lehren bekam die verstehende Führung eine Limitation zur Gründung der ersten Schule. Dort wird die Lehre gelehrt, so wie Buddha sie gesagt hat. Buddha als Mensch wird zu einem Buddha des Geistes, der Sprache, der Schrift.

    Damit gibt es aber keine Chance das ein Buddha in der Buddhistischen Gemeinschaft erscheinen kann, denn dieser Buddha kann niemals der Schrift entsprechen. Und ein Buddha außerhalb der buddhistischen Gemeinschaft kann kein Buddha sein, denn er ist ja kein Buddhist.

    OT Das Christentum erwartet das Wiedererscheinen des Jesus, aber kein Christ würde Jesus erkennen, weil er eine Vorstellung von Jesus hat und diese ein erscheinender Jesus nie entsprechen kann. OT

  • Moin Ellviral,

    Es wird oder soll nicht mehr erkannt werden, dass Buddha zu aller erst ein Individuum war, immer geblieben ist.

    Buddha als Mensch wird zu einem Buddha des Geistes, der Sprache, der Schrift.

    Hab ich nie so empfunden. Aber wird sicher so gesehen.

    Damit gibt es aber keine Chance das ein Buddha in der Buddhistischen Gemeinschaft erscheinen kann, denn dieser Buddha kann niemals der Schrift entsprechen. Und ein Buddha außerhalb der buddhistischen Gemeinschaft kann kein Buddha sein, denn er ist ja kein Buddhist.

    Im tibetischen Buddhismus und im Zen ist es doch so, dass Lehrer auch zu Buddhas werden können, oder nicht?

    OT Das Christentum erwartet das Wiedererscheinen des Jesus, aber kein Christ würde Jesus erkennen, weil er eine Vorstellung von Jesus hat und diese ein erscheinender Jesus nie entsprechen kann. OT

    Stimmt. Genau das denke ich seit mindestens 45 Jahren.

    Das Bild, das sich die Religion von dem Menschen Jesus gemacht hat, ist voller Illusionen. Das fängt schon - auch bei Buddha - mit der Ab-Bildung - also auf Gemälden etc. - an.


    Wenn wir erfahren könnten, dass diese beiden Männer als abgerissene, womöglich hässliche und übel riechende Obdachlose gelebt haben, dann wäre es schon viel schwieriger, sich diesen Religionen anzuschließen. Aber ein schöner Buddha, genauso wie ein schöner Christus erwärmt das Herz.


    Deshalb ist es ja auch so wichtig, die Aussagen beider unter die Lupe zu nehmen und sich von allen (typischen) Ritualen zu befreien.

    _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Praktizierst du selbst, oder siehst du dich generell nur als eine Art Beobachter / Forscher?


    Ich bin Praktiker durch und durch. Nur rede ich in der Regel nicht darüber. Einmal in der geschlossenen Theravada-Gruppe habe ich über das Fundament meiner Buddhismus-Auseinandersetzung gesprochen: mit Anfang 20 bin ich für ca. 3 Monaten nach Burma gegangen, um Meditation zu lernen und Mönch zu sein. Ich habe aber das Bedürfnis, meine eigene Praxis auch theoretisch zu hinterfragen. Sonst könnte ich ja sonst etwas praktizieren, ohne ggf. zu wissen, ob dies noch im Einklang mit Buddhas Weisung steht oder ich schon in der Anomalie drinstecke.