Achtsamkeit Gedankenkreisen

  • Hallo miteinander! :)


    Ich bin neu hier und habe eine Frage bezüglich Achtsamkeit im Alltag.

    Vorerst aber etwas zu mir: ich bin von Hause aus ein eher nachdenklicher Mensch, mit starkem Hang zur Logik und zur Naturwissenschaft.

    Vor etwa einem 3/4 Jahr begann ich mich häufiger mit Meditation zu beschäftigen, da ich bewusster in meinem Kopf bzw in der Welt sein wollte, anstatt mich fast rund um die Uhr nur mit Gedanken zu beschäftigen.

    Am Anfang habe ich sehr gute und positive Fortschritte erzielt, ich nahm nach und nach meine Umwelt immer bewusster war, Farben wurden kräftiger, Töne klarer und ich kam immer mehr im Hier und Jetzt an, was zunächst durchwegs positiv war.

    Inzwischen bin ich an einem Punkt, an dem ich praktisch durchgehend im jetzigen Moment bin. Das Problem an der Sache dass ich inzwischen einen großen Teil meiner ursprüngliche Lockerheit/Spontanität und spaßigen Haltung dem Leben gegenüber verloren habe. Speziell im Bezug zur Achtsamkeit macht mir das zu schaffen. Zum Beispiel wenn ich ein Glas umwerfe oder ähnliches, kommt immer direkt ganz automatisch der Gedanke "wäre ich nur vorsichtiger/achtsamer gewesen". Früher hätte ich mit den Schultern gezuckt und einfach die Scherben aufgeräumt. Inzwischen löst sowas jedes Mal eine kleine sinnkrise aus.


    Verstärkt wird das ganze noch mit einem sehr unwohlem Gefühl, dass ich aber nicht genau erklären kann. Und zwar geht es darum dass ich das Gefühl habe mein ganzes Leben schon tausende Male gelebt zu haben, und immer wieder die selben kleinen Fehler mache. Der Witz ist es handelt sich dabei immer um kleine Bagatellen wie sich die Hand anschlagen, essen verkleckert etc, also wirklich nichts worüber ich mir früher überhaupt Sorgen gemacht hätte. Inzwischen ist es so dass der Gedanke auftaucht "Mist, mir ist das schon hunderte male passiert, wenn ich nur achtsam gewesen wäre müsste ich nicht die selben Fehler wie in meinen früheren Leben wiederholen."

    Versteht das bitte richtig, es ist wirklich etwas was mich derzeit sehr quält und mich davon abhält entspannt im hier und jetzt zu leben und das Leben zu genießen, weil gefühlt alles zu einer Achtsamkeitspflicht geworden ist, selbst essen zu kochen oder mal spazieren zu gehen. Ich habe schon versucht meine Gedanken wieder zu entspannen nach dem Motto "komm runter, entspann dich nimm das nicht so ernst", aber diese Gedanken zwängen sich trotzdem immer wieder auf und nehmen mir so langsam die Freude am Leben.


    Ich hoffe irgendwer hat Erfahrungen mit sowas und kann mir hier weiterhelfen, scheinbar bin ich in einer Art Achtsamkeitsfalle getappt.


    Viele liebe Grüße! SolarFall

  • Hallo und herzlich willkommen Solarfall,

    was Du beschreibst kenne ich auch. Allerdings wenn ich mich z.B. stoße, dann bedanke ich mich, weil das für mich der Hinweis ist, achtsamer zu sein.


    Ich denke, Du erwartest von Dir Perfektion. Darum geht es nicht.

    Es geht doch nur darum, sich bewusst zu werden, was um Dich herum und mit Dir geschieht. Es geht nicht darum, keine Fehler zu machen, sondern darum, Dich und die Ursache für das Leiden zu erforschen, Dich wirklich kennenzulernen.


    Du lernst Dich kennen, wie ungeduldig Du mit Dir (anderen?) bist. Wer weiß, was da noch zutage kommt. Das ist der Sinn.

    Die Ursachen für Leiden sind Gier (ich will was), Hass (ich lehne ab) und Unwissenheit. Das zu erkennen und zu beenden ist das Ziel.

    Wenn Du also so schnell im Lernen bist (innerhalb eines 3/4 Jahres schon so erfolgreich), dann kann das zu vielen Hindernissen führen wie Stolz, Leistungsdruck u.a. und verstärkt sogar all das, was Du "loswerden" willst. Das ist kontraproduktiv.


    Dies ist kein Wettbewerb, ganz im Gegenteil im Grunde geht es um Vernichtung.


    Ich wünsche Dir die Kraft, Deinen inneren Sklaventreiber zu verabschieden.

    _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Wenn man merkt, dass einem etwas nicht gut tut, sollte man es vielleicht hinterfragen.
    Aus meiner Sicht ist es wichtiger, sich dem Leben anzuvertrauen, loszulassen, einfach so zu sitzen.
    Letztlich hat hier jemand geschrieben (war es Schneelöwin?): Wenn eine Saite zu sehr gespannt ist klingt sie nicht gut, ebenso wenn sie zu lasch gespannt ist.
    Je älter ich werde, so mehr lass ich meine Vorstellungen los, und um so mehr folge ich den Situationen, und schau, was in ihnen stimmig ist. Ich würde das eher als Resonanz als als Achtsamkeit beschreiben. Ansonsten hilft mir, über mich zu schmunzeln und mich nicht allzu wichtig zu nehmen. Auch einen eher lauschenden und einen geschehenlassen könnenden Zugang fand ich stimmig. Probier einfach verschiedenes aus.
    Beim Tai-Chi und in der Musik erleb ich es so: durchaus ein wenig Achtsamkeit haben, aber das wesentlichere ist geschehen zulassen, eher ein fließen, als ein Tun meinerseits. Auch beim Sitzen (und beim Stehen) geht es mir so.
    Und H. D. Thoreau war für mich eine gute Richtschnur.

    Zitat

    Unser Leben

    wird von tausend Einzelheiten

    aufgezehrt …

    Vereinfacht, vereinfacht!

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

    2 Mal editiert, zuletzt von Keine Ahnung ()

  • Herzlich willkommen, SolarFall!


    Herzlichen Glückwunsch! Du hast selbst herausgefunden, warum man in den meisten buddhistischen Richtungen nicht nur Achtsamkeit praktiziert, sondern auch Liebende Güte (Metta) für sich selbst und andere.


    Um meinen Lehrer zu zitieren:

    With awareness we see, with love we accept.


    Metta ist das Gegenmittel, wenn man Achtsamkeit überkritisch einsetzt (was nicht ungewöhnlich ist).


    Liebe Grüße, Aravind.

  • Sorry, war zu faul zu recherchieren.

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

  • Der Witz ist es handelt sich dabei immer um kleine Bagatellen wie sich die Hand anschlagen, essen verkleckert etc, also wirklich nichts worüber ich mir früher überhaupt Sorgen gemacht hätte. Inzwischen ist es so dass der Gedanke auftaucht "Mist, mir ist das schon hunderte male passiert, wenn ich nur achtsam gewesen wäre müsste ich nicht die selben Fehler wie in meinen früheren Leben wiederholen."

    Herzlich willkommen

    Solche kleinen Mißgeschicke kommen mir seeehr bekannt vor, liegt vielleicht einfach am Ältwerden. :)

    Ich tue einfach so, als hätte ich es nicht bemerkt. ;)

    Ich weiß nicht, was ich bin; ich bin nicht, was ich weiß: Ein Ding und doch kein Ding, ein Pünktchen und ein Kreis. (Angelus Silesius)

  • Danke für eure Antworten! Haben mir sehr geholfen.

    Was ich aber noch nicht so ganz verstehe ist wieso ich plötzlich so ernst mit dem Leben umgehe, während es früher alles eher spielerisch war.

    Und ist es auch üblich dass man an einem gewissen Punkt in sich so eine tiefe "Einsamkeit" spürt? Vor allem beim Schlafen gehen wenn die Gedanken zur Ruhe kommen merke ich dass da irgendeine tiefe Sehnsucht in mir steckt (so ein komisches Gefühl etwa auf Höhe des bauchnabels).


    Schon einmal vielen Dank! :)


    Grüße

  • Das finde ich interessant, dass Du bemerkst, wo sich der"Schmerz" befindet. Da erleb ich ihn auch, am Solarplexus.


    Ich glaube aber nicht, dass es üblich ist, Sehnsucht zu empfinden, sobald man die Praxis der Achtsamkeit übt. Allerdings kenne ich undefinierbare Trauer.

    Und ja, es ist ernst, wird aber wieder leichter bis hin zu großer Entspannung und Freude. So meine Erfahrung.


    Und Einsamkeit kann auch empfunden werden, denn selbst unter Gleichgesinnten gibt es viele unterschiedliche Stufen, so dass gerade ein Fortgeschrittener ziemlich missverstanden wird.

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Ob das normal ist weiß ich auch nicht. Aber bei mir war das schon mehrmals so. Das letzte Mal vor etwa 10 Jahren, jetzt wieder seit drei Monaten.


    Monika, ich und andere empfehlen an der Stelle auch gerne Pema Chödrön, "Geh an die Orte, die du fürchtest". Bei ihr gibt es sowohl Erklärungen als auch Praxisansätze.


    Liebe Grüße, Aravind.

  • Was ist normal?

    Nach meiner Erfahrung ist es so, daß wir im Leben stets auf's neue vor genau die Aufgaben gestellt werden, die für uns gerade wichtig sind.

    Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder lassen wir uns darauf ein, sind achtsam, nehmen sie an, schauen, wohin sie uns führen und in der Regel lösen wir sie auf diese Weise und/oder verstehen irgendwann den dahinterstehenden Sinn.

    Oder wir stemmen uns dagegen, weigern uns vielleicht sie anzuschauen und anzugehen - weichen also aus. Manchmal kann man so entkommen aber ich habe im Verlauf meines Leben immer wieder erfahren - manchmal leidvoll erfahren müssen - daß die gleiche Aufgabe früher oder später mit noch größerem Nachdruck wiederkehrt.

    Welche Vorgehensweise ist die klügere?

    Ich weiß nicht, was ich bin; ich bin nicht, was ich weiß: Ein Ding und doch kein Ding, ein Pünktchen und ein Kreis. (Angelus Silesius)

  • Ich würde es anders sagen: Folge den Situationen oder folge Vorstellungen. (Bei ersteren hast du aber keinen dahinterstehenden Sinn, das fällt in die Vorstellungen).
    Oder anders gesagt: Vertraue dich dem Leben an (diesen Ansatz seh ich in frühen Zen-Texten vertreten (Der höchste Weg ist nicht schwer, nur ohne Wahl)) oder nicht (darunter fallen aus meiner Sicht auch Versuche, das Leben (aka Samsara) überwinden zu wollen). Achtsamkeit kann also in verschiedene Richtungen benutzt werden.
    Zudem es verschiedene Konzepte von Achtsamkeit gibt.
    Brad Warner wies (bezug nehmend auf Nishijima Roshi) darauf hin, dass "für manche Achtsamkeit bedeutet, sich immer mehr in den eigenen Kopf zu verbohren, und dass das hat nichts mit Buddhismus zu tun". Im Buddhismus geht ja der Achtsamkeit auch das Rechte Sehen voraus, die Basis ist also eine "Erfahrung" des Wegfalls des Ich-Gefühls. "Sei achtsam" als Appell an das Ich macht aus meiner Sicht genauso wenig Sinn wie ein "Sei spontan" aus daoistischer Ecke.
    Naja Brad Warner scheint ja manchen Achtsamkeitsübungen kritisch gegenüberzustehen. Er schrieb einmal in seinen Blog :

    Zitat

    Ich glaube, ich habe schon mal darüber gelästert. Aber ich lebe in einem Meditationszentrum, wo verschiedene Lehrer unterrichten, und ich kann dir nicht sagen, wie oft ich schon in meinem Zimmer war und hörte, wie jemand über Achtsamkeit plapperte. Wenn ich dann, nachdem die Gruppe gegangen ist, aus meinem Zimmer komme, finde ich folgendes vor: die Tür ist unverschlossen, die Fenster weit offen und die Stühle überall kreuz und quer verteilt … Was zur Hölle lernen sie dort für eine Art von Achtsamkeit?

    :

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

  • Das Umstoßen eines Glases ist nicht mangelnde Achtsamkeit, sondern mangelnde Aufmerksamkeit.


    Achtsamkeit wird oft so geübt, dass sie sich auf den Versuch ausrichtet alles wahrzunehmen, um solche Aktionen zu vermeiden oder nicht geschehen zu lassen. Das Problem mit der Achtsamkeit, das sehr quälend ist, das die Aufmerksamkeit darunter leidet.


    Nur Achtsamkeit zu erlangen ist ein Extrem, das vermieden werden sollte, denn es verhindert Konzentration auf etwas.

    Konzentration, Aufmerksamkeit erlangen ist das andere Extrem, es vermindert die Achtsamkeit, die Umsicht auf die Umwelt.


    Gewahrsein ist der Weg, das Achtsam und Aufmerksam sein gleichzeitig, dann lebt man ganz eigenartig.


    Das kennt jeder, bemerkt es aber kaum: Wenn ich an einer Fußgängerampel stehe und auf "grün" er-warte, dann geschieht es. Die Aufmerksamkeit ist auf die Ampel gerichtet und die Achtsamkeit auf die Umwelt. Dann ist da kein nerviges Warten, weil es einfach nicht grün werden will und auch kein, nicht wahrnehmen das es grün ist.

    Ich kann einfach losgehen, weil meine Achtsamkeit schon meinen Weg berechnet hat und meine Aufmerksamkeit auf dem Weg liegt, den ich gehe.


    Gewahrsein geht tatsächlich immer, wird auch nur kurz von Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit unterbrochen.

    Übe Gewahrsein: Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zu deiner Umwelt.

    Und glaub mir, deine Spontanität wird schnell wiederkommen, denn du musst ja nicht mehr dauerhaft achtsam sein und auch nicht dauerhaft Konzentriert, aufmerksam.

  • Nochmals danke, ihr seid mega!


    Jetzt bin ich eigentlich wieder recht entspannt, hat wirklich gut geholfen diese Idee mit der Ampel.


    Kann jetzt auch meine Gedanken recht klar erkennen und sehe auch wo mein Problem lag, nämlich dass ich zu verbissen "aus Gedanken heraus" gehandelt habe, anstatt einfach nur präsent zu sein und wahrzunehmen was so alles passiert.


    Nun vielleicht die letzte Frage: Ist es normal dass man so verrückte Gedankenspielereien bekommt wenn man einfach nur dasitzt zum Beispiel? Hab das Gefühl dass meine Gedanken aus Langeweile irgendwelche Gespräche miteinander anfangen. Ist zwar unterhaltsam aber wie schaffe ich es dass die Gedanken still sind wenn ich ruhe?

    Bei Konzentration wie zum Beispiel beim schreiben dieses Textes habe ich das Problem nicht dass die Gedanken durchdrehen, nur wenn ich ziellos einfach nur dasitze oder stehe. Also sozusagen "meditiere".


    Schon mal vielen lieben Dank und noch ein schönes Wochenende euch! :)

  • Meditieren ist erst erreicht, wenn die Gedanken nicht mehr auffallen.

    Wenn die Ampel geholfen hat, dann weißt du auch, was ein Meditationsobjekt ist. Konzentriert deine Gedanken, Aufmerksamkeit, darauf und beachte mit der Achtsamkeit die Umwelt, auch deine Gedanken und all das Zeug das um dich ist, aber kehre mit deiner Aufmerksamkeit immer wieder ohne Zwang zum Objekt zurück.

    Konzentriere dich auf Eines und betrachte das viele.

    Wenn Buddha im Dschungel allein gesessen hat, glaubst du, der konnte sich das leisten bei all dem Getier um sich herum, das ihm was antun konnte, die Umwelt bei seiner Konzentration aus den Augen lassen?

    Alles wahrnehmen und sich auf Eines konzentrieren. Das geht immer und überall, üb es und bald wird das ganz normal.

  • Ja, aber es ist auch normal, Selbstgespräche zu führen.

    Und gerade wenn man anfängt, besonders achtsam zu sein, fällt es ja erst auf.

    Das ist der Sinn der Selbsterforschung. Wir haben keine Kontrolle über Gedanken.


    Das nennt sich auch Affengeist.

    Im Zen wird empfohlen, "die Kuh immer wieder aus dem Beet zu holen". Es ist also ein allgemein bekanntes Problem.


    Lass Deine Gedanken einfach vorbeiziehen wie die Wolken, dann beruhigt sich das "System".


    Einen schönen Sonntag

    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Ich habe auch meine Gedanken-Psychosen durchgemacht😁.

    Gehört bei Einigen auch dazu, wie ich so in Retreats mitbekommen habe.

    Also, ganz normal, einfach weitermachen.

    🙏

  • wie schaffe ich es dass die Gedanken still sind wenn ich ruhe?

    Nach der Zen-Lehre ist es tatsächlich so, dass die große Befreiung ganz von selber eintritt und sich entfaltet, sobald du von deinem begrifflichen Denken (und deiner Anhgaftung an bedingte Wahrnehmungen) ablässt. Allerdings hören deine Gedanken ebensowenig auf, von Augenblick zu Augenblick Vorstellungen zu erzeugen wie deine Sinnesorgane nicht aufhören, von Augenblick zu Augenblick Formen, Farben, Geräusche, Gerüche, Geschmack und Gefühle wahrzunehmen.


    Das Problem besteht vor allem darin, dass wir uns mit unseren Gedanken und Wahrnehmungen identifizieren, dass wir uns in ihnen und dem von uns dabei erzeugten Selbst- und Weltbild verlieren und so kaum jemals im Genau-Jetzt, dem Augenblick des Erwachens ankommen. Streng genommen befinden wir uns natürlich immer im Genau-Jetzt. Aber der Gedanke, den ich genau jetzt habe, verstellt gewissermaßen den Blick auf das, was genau jetzt passiert. Dabei macht es qualitativ überhaupt keinen Unterschied, ob sich dieser jetzige Gedanke mit etwas beschäftigt, was irgendwann mal passiert ist oder mit dem Missgeschick, das mir gerade eben unterlaufen ist. Es ist genau dieser Gedanke, der zwischen mir und dem unbegreiflichen Erleben des genau jetzigen Erwachens steht.


    Diese Anhaftung an unsere Gedanken und Wahrnehmungen aufzulösen, ist im Grunde der Kern jeder buddhistischen Technik und Praxismethode. Da du "Zen" als buddhistische Richtung angibst, erlaube ich mir, auf die folgende Methode hinzuweisen:


    Die Zen-Meisterin Doris Zölls drückt es in einem ihrer Kommentare zum Mumonkan so aus:

    "Das unmittelbare Erkennen eines Gedanken nimmt ihm die Macht. Er tritt aus unserem Bewusstsein in den Hintergrund. Als Same ist er zwar immer da, wird er jedoch nicht gegossen, kann er nicht sprießen." (Mumonkan, Kapitel: Leere, Ein Mann von großer Kraft).


    Sich genau jetzt bewusst zu sein, dass da ein bestimmter Gedanke ist, kann zu einer Art Schnittpunkt werden, an dem du statt weiter dem Gedankengang zu folgen, dir desjenigen gewahr wirst/bleibst, das da gerade dieses Erfahrung macht. Das wird dich aber nicht davor schützen, dass sich schon im nächsten Augenblick die nächste gedankliche Vorstellung in dir entfaltet. Doch auch dies kannst du wieder zum Anlass nehmen, auf dasjenige zu schauen, das da denkt, fühlt, wahrnimmt und erkennt. Diese Praxis entspricht dem "Was ist dies?"-Koan. Unter Achtsamkeit versteht man in diesem Kontext, diesen Schnittpunkt nicht aus den Augen zu verlieren und sich in der Koanfrage dessen gewahr zu sein, das sich gewahr ist.


    _()_

  • entspannt im hier und jetzt zu leben und das Leben zu genießen ... und nehmen mir so langsam die Freude am Leben.


    Bist du dir denn überhaupt sicher, ob buddhistische Achtsamkeit für dich das richtige ist? Ich meine, es gibt Achtsamkeit ja auch in nicht-buddhistischen Kontexten.


    Die buddhistische Achtsamkeit (satipaṭṭhāna) ist Teil des Edlen Achtpfades und der ist Teil der Edlen Wahrheiten vom Leiden und Leidensauflösung. Buddha lehrt nun, dass das Leben Leiden ist und das Genießen der Sinne ein Genießen des Leidens ist. Satipaṭṭhāna hat nicht zum Ziel, entspannt im Hier und Jetzt zu leben. In letzter Konsequenz wird das Leiden durch das Überwinden eines weiteren Lebens überwunden.


    Das langsame Verlieren der Freude am Leben kann heilsam - Fortschritt auf Buddhas Pfad - oder unheilsam - in Form von Depression - sein. Virāga ist das Ausbleichen der Welt, das Verblassen von Farben durch das Erkennen ihrer Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit. Gananath Obeyesekere hat darauf hingewiesen, dass beide Wege sich ähnlich ausdrücken können. Willst du das nicht - Freude am Leben verlieren - und macht es dir Angst und fühlt sich hoffnungslos an, dann solltest du etwas ändern. Teil dieser Veränderung könnte sein, die Achtsamkeit nicht in einem buddhistischen Kontext zu praktizieren.


    Auch wenn Zen lebensbejahender ist als der Frühbuddhismus, geht es doch auch im Zen nicht darum "das Leben zu genießen".

  • Hallo nochmal,


    an die leuchtende Birke. Also nach einer Depression fühlt es sich nicht an, viel mehr danach dass das Leben mit all seinen Reizen eine innerliche Sehnsucht in mir nicht befriedigen kann.


    An die anderen: Heute ist mir etwas interessantes beim Meditieren passiert. Ich habe eine Walnussschale welche im Gras gelegen ist als Meditationsobjekt genommen. Interessant dabei war, wie sich mein sehen verändert hatte. Zu Beginn hab ich alles noch regulär gesehen, aber von Zeit zu Zeit wurde das gesehene irgendwie wesentllich heller und gleichzeitig irgendwie kantiger. So als hätte man viele kleine leuchtende Pixel vor Augen. Gleichzeitig stelle sich eine Art von Entspannung ein, die ich bisher so nicht kannte. Als würde man irgendwie wacher werden aber gleichzeitig weniger aktiv sein sondern es passieren lassen.


    Ich frage mich nun ist das ein "Fortschritt", oder lediglich eine Imagination meines Verstands (es fühlte sich aber ganz anders an als ein Tagtraum oder ähnliches, eher wie ein "entspanntes wachwerden")

  • Ich frage mich nun ist das ein "Fortschritt", oder lediglich eine Imagination meines Verstands (es fühlte sich aber ganz anders an als ein Tagtraum oder ähnliches, eher wie ein "entspanntes wachwerden")

    Eventuell beides. Deine Konzentration klappt, und Deinem Gehirn ist langweilig.



    Liebe Grüße, Aravind.

  • Genau das meine ich mit Gewahrsein: Die Konzentration ist auf einem Objekt, ohne die Umwelt zu verblenden. Es ist für mich immer wieder überraschend wie ich klar und deutlich, mit einer Form von "glück“ dieses Leuchten der Stillen Welt erlebe. Still, weil alle Geräusche eben nur von der Achtsamkeit wahrgenommen werden und nicht ganz die Konzentration erreichen. Aber weh da macht ein Vogel seine Töne dann leuchten auch die.