Historisch-kritische Textexegese

  • Ich lese gerade ein schon etwas älteres Buch des Indologen Oldenberg über Buddha und habe auch mal bei dem Soziologen Max Weber über Hinduismus und Buddhismus nachgelesen. Was ich mich dann gefragt habe: Gibt es in der Geschichte des Buddhismus etwas zu der historisch-kritischen Methode in der christlichen Theologie vergleichbares, also eine Methode, die buddhistische Texte in ihren sozialen und historischen Kontext einordnet und versteht. So können biblische Texte des neuen Testaments durch eine Einordnung in die damalige historische Situation der römischen Besatzung und der damals bestehenden Unterdrückung ja einen ganz anderen "turn" bekommen. Gibt es im Buddhismus eine vergleichbare Exegese, die Buddhas Wirken in den sozialhistorischen Kontext einordnet und erklärt? Wenn ja, wo gibt es solche Ansätze? Wenn nein, warum gibt es die nicht?

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Vielleicht noch zwei kleine Textauszüge, um zu verdeutlichen, was ich meine. Max Weber sagt über die indische Geistesgeschichte, dass sie durch die gesellschaftliche Struktur des Kastensystems keinen universellen Maßstab für alle Menschen anerkennen konnte. Dies führt auch zu Konsequenzen die religiösen Heilslehren betreffend.


    In Indien wurde umgekehrt [gegenüber der Entwicklung in Griechenland] durch die sozial verankerte Unerschütterlichkeit gewisser metaphysischer Voraussetzungen alle Philosophie in die Bahnen individuellen Erlösungsstrebens gedrängt. Das wirkte als Schranke sowohl für die Fachwissenschaften wie für die Fragestellungen des Denkens überhaupt. Die konsequent »organische« Gesellschaftslehre des Hinduismus konnte das Dharma jedes »Berufes«, in Ermangelung anderer Maßstäbe, nur den Eigengesetzlichkeiten seiner Technik entnehmen und schuf daher überall nur technische Kunstlehren für Spezialberufe und Sondersphären des Lebens, von der Bautechnik bis zur Logik als Kunstlehre des Beweisens und Disputierens und bis zur Kunstlehre der Erotik

    Oldenberg schildert einen Wandel des religiösen Vorstellungen im Zuge der Völkerwanderung der Arier aus dem Westen in den Osten Indiens.

    H.Oldenberg: Buddha. Sein Leben, Seine Lehre, Seine Gemeinde. S.73f.:

    Die Bewegung, die im Westen [Indiens] ihren Anfang genommen, verliert hier [im Osten Indiens] viel von dem, was in ihr phantastisch abstrus war; es kann sein, daß sie auch etwas von der kühnen und rücksichtslosen Großartigkeit der Ideen verliert. Dafür gewinnt sie an populärer Kraft; Fragen, die um Westen vor allem die Schulen und die geistige Aristokratie der Nation berührt hatten, dringen im Osten in das Leben des Volkes ein. Um das mystische All-Eine der brahmanischen Spekulation kümmert man sich hier wenig; desto bestimmter treten die Vorstellungen vom Leiden alles Daseins, vom Reinwerden des Geistes, von der Erlösung in den Vordergrund.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.Gesundheit, Medizin


    Die Ethnomedizin als Bereich zwischen Völkerkunde und Medizin verbindet.


    So geht man bis heute von Karmischen Zusammenhängen aus.

    Nicht nur in verschiedenen indischen Regionen.

    Verschiedene asketische Praktiken,

    wie sexuelle Enthaltsamkeit und das rezitieren von heiligen Texten zum abmildern der Zusammenhänge werden dabei bis heute zum läutern gewählt.


    In Metta🙏

  • Gibt es in der Geschichte des Buddhismus etwas zu der historisch-kritischen Methode in der christlichen Theologie vergleichbares, also eine Methode, die buddhistische Texte in ihren sozialen und historischen Kontext einordnet und versteht.

    Das ist heute in der akademischen Buddhologie eigentlich tägliches Brot. Speziell im Bereich Chan / Zen waren da Yanagida und seine (häufig auch 'westlichen') Schüler wegweisend. Bestimmte Ideen und damit verbundene Texte werden da nicht nur ideengeschichtlich untersucht, sondern auch als historisch, mithin sozial und politisch bedingt, verstanden.


    Eine solch 'generalisierende' Darstellung, wie sie Oldenberg (den ich sehr schätze) geleistet hat, ist freilich etwas aus der Mode gekommen - man kümmert sich da eher um Detailfragen. Wodurch dann andrerseits auch die schriftliche Überlieferung deutlich tiefer erschlossen wird.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Das ist heute in der akademischen Buddhologie eigentlich tägliches Brot.

    Und wirkt sich deiner Erfahrung nach auch im Alltag der Zen-Praktizierenden aus? Oder besteht da eine Kluft zwischen der akademischen Theorie und der Praxis?

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Oder besteht da eine Kluft zwischen der akademischen Theorie und der Praxis?

    Ich nehme da keine wahr.Wobei das natürlich unterschiedlich sein kann; es gibt sicher Menschen, die die 'Mythen' zur Inspiration ihrer Praxis hilfreich finden - die werden dann eher keine 'akademische' Literatur lesen. Wenn man diese 'Inspiration zur Praxis' in sich selbst findet, braucht man weder die Mythen noch ihre Dekonstruktion. Die Dekonstruktion kann allerdings mE dabei hilfreich sein, zu dieser Haltung zu kommen.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Zitat

    Gibt es in der Geschichte des Buddhismus etwas zu der historisch-kritischen Methode in der christlichen Theologie vergleichbares, also eine Methode, die buddhistische Texte in ihren sozialen und historischen Kontext einordnet und versteht.
    [...]
    Gibt es im Buddhismus eine vergleichbare Exegese, die Buddhas Wirken in den sozialhistorischen Kontext einordnet und erklärt? Wenn ja, wo gibt es solche Ansätze? [...]


    Ich lese gerade "Greek Buddha" von Christopher I. Beckwith, eine interessante Lektüre, die wohl wirklich "historisch-kritisch" genannt werden kann. Es sei gleich hinzugefügt, dass Beckwith nun keine Binnensicht aus dem Buddhismus präsentiert sondern letztlich ideengeschichtlich und mit dem Mittel von Quervergleichen versucht den frühen Buddhismus zu charakterisieren, bzw. zumindest das, was mit entsprechend frühen Quellen belegbar ist, dabei zieht er eben auch griechische Berichte heran und frühe Literatur aus dem Daoismus. Hauptthema ist auch eigentlich der Pyrrhon von Elis, ein griechischer Philosoph und die Frage ob er den frühen Buddhismus aus indien nach Griechenland importiert hatte.


    Ob das alles so stimmt was Beckwith sagt ist wohl eine Andere Frage. Ich denke er benennt sicherlich ganz 'akkurat' brüchige Quellenlagen, aber ist wiederum sehr frei wenn er selbst neue Bezüge / Zusammenhänge herstellt. Trotz allem eine interessante Lektüre wenn man offen ist. https://press.princeton.edu/bo…780691176321/greek-buddha


    Jedenfalls - und das ist der Bezug zu deiner Frage - findet Beckwith wohl die aktuelle Buddhismus-Forschung für zu unkritisch was die Frühphase des Buddhismus vor der Verschriftlichung angeht.


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    Greek Buddha
    How a Greek philosopher's encounters with Buddhism in Central Asia influenced Western philosophy
    press.princeton.edu