Das Elend der Welt. Ja, ja. Das Elend der Welt.
Ich persönlich liebe die Welt, sie war schon immer meine Geliebte, und da so manchem Scholastiker des Theravada und auch anderen Buddhisten ein Dorn im Auge sein könnte, das als ein Ergebnis der Lehre zu bezeichnen, behaupte ich erst gar nicht, das sei irgendwie buddhistisch. Allerdings ist mir das letztlich auch egal.
Ich habe die Welt genossen bisher, all die Farben und Töne, Gerüche und Geschmäcke, all das Tast- und Denkbare, und tue es noch und bin nie satt daran geworden – und je länger ich praktiziere, desto intensiver wird mir die Schönheit von allem, was mich umgibt, bewusst. Seltsam: je weniger ich behalten oder besitzen will, was diese meine Geliebte mir gibt oder nicht gibt, desto mehr an unerwarteter und unvermuteter Schönheit entdecke ich in und an ihr. Schönheit ist nicht Glück und nicht Leid.
Ich frage mich, warum ich meiner Geliebten das Leiden vorwerfen sollte, das ich erlebe. Ich weiß, auf was ich mich eingelassen habe. Oder warum ich mich enttäuscht abwenden sollte, weil das Glück, das ich von ihr erfahre, nicht beständig ist. Ich erwarte das ja auch gar nicht. Es ist so, als würde ich vorgeben, meine Geliebte zu lieben, und würde von ihr dann die Erfüllung all meiner Bedürfnisse erwarten. Was für eine Liebe kann das schon sein? Ich selbst bin für meine Bedürfnisse und meine Bedürftigkeit verantwortlich, nicht die Welt. Eine Liebe, die das Gegenüber einzig als notwendige und notdürftige Milderung des eigenen Mangels begreift, und dann sich enttäuscht abwendet, wenn die Geliebte nicht den Erwartungen entspricht, ist Ausdruck von erbärmlicher Armut.
Je länger ich praktiziere, desto reicher fühle ich mich – ganz unverdient... Ich brauche immer weniger von der Welt, um mich froh zu fühlen, aber ich habe sehr gern, was da ist. Klar, es kommen Alter, Krankheit und Tod. Alles wird vergehen, alles. Aber so ist meine Geliebte nun mal. Ich liebe sie genau deshalb: Sie ist wild und wankelmütig, unendlich kreativ, grausam, langweilig und gütig, ständig im Fließen begriffenes Werden und Vergehen, flirrendes Licht im Schatten – oder nichts von alledem. Es ist schön, sich von der Meeresbrandung wie ein Streichholz umherwirbeln zu lassen. Ich werde ihr das nicht zum Vorwurf machen, auch wenn mir einmal unter Wasser die Luft ausbleiben sollte. Ich liebe sie eben darum.
In der Stille kommt zutage, dass alles schon da ist, was ich brauche, dass dem nichts hinzuzufügen ist. Und weil alles schon da ist, muss ich meine Geliebte nicht mehr anbetteln: bitte, bitte gib mir dies oder das, damit ich endlich glücklich sein kann. Der Mangel selbst nimmt langsam ab mit der Praxis. Und darum brauche ich die Welt nicht mehr so sehr wie früher und liebe sie darum umso mehr. Wenn ich langsam freier und freier von meiner tief sitzenden Bedürftigkeit werde, von Gier, Abneigung und Vorurteilen, kann ich meiner Geliebten umso offener gegenübertreten. Ich bin am Ende vielleicht auch nicht mehr so wichtig, immer weniger wichtig. Um so mehr kann sie voller Bewunderung betrachten und mich an ihre erfreuen. Auch mein Leiden und Sterben ist eine ihrer Facetten: Es gab schon Leiden und Frustration, es wird Leiden und Frustration geben, Angst, Verlust und Schmerz und am Ende wird sie mich auslöschen. Und weil ich aus ihr hervorgegangen bin, ist nichts verloren, wenn ich mich darin auch wieder verliere. Ich bedauere es nicht.