Nagarjuna: Die Lehre von der Mitte

  • Das war heute im Briefkasten:


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    Ich bin gespannt und freue mich auf die Lektüre, bei der ich wohl noch Kommentare zu Rate ziehen werde. Vielleicht finde ich mit diesem Buch ja die Mitte oder verstehe sogar die Leerheit. Oder wie sagte Alexander Kluge - oder war es Oskar Negt? - einmal: "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod." (:

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod."

    Das war natürlich der Buddha. Meine Güte! ;)

    Drunter geht gar nicht. Aber fragen wir doch mal wiki über google:

    Zitat

    Alexander Kluge sagte über den Titel: „Den Titel des Films fanden wir als Graffito im Keller eines der besetzten Häuser.“[1] So zeigt es die erste Einstellung des Films. Die Kamera nähert sich langsam einer Zimmertür, auf der mit der Hand geschrieben steht: „In Gefahr und größter Noth bringt der Mittelweg den Tod.“ Das ist jedoch nichts anderes als das geringfügig abgewandelte Epigramm (Sinngedicht) „Der Mittel-Weg“ des schlesischen Dichters Friedrich von Logau: „In Gefahr und grosser Noth // Bringt der Mittel-Weg den Tod.“ (siehe dazu Wikiquote).


    Friedrich von Logau? nie gehört.

    :zen:

  • Friedrich von Logau? nie gehört.

    Barockdichter sind auch nicht mehr so in heutzutage, oder? :)



    Zum Buch lese ich übrigens den Kommentar von Tsongkhapa "Ocean of Reasoning"

    Und hier ein interessantes Interview mit Jay Garfield.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Die Widmung einmal in Englisch und in Deutsch. Sie gibt den Inhalt (und den Zweck) der Schrift wieder.


    I prostrate to the perfect Buddha,

    The best of all teachers, who taught that

    That which is dependent origination is

    Without cessation, without arising;

    Without annihilation, without permanence;

    Without coming; without going;

    Without distinction, without identity

    And peaceful—free from fabrication.


    Widmung an den Buddha


    "Derjenige, welcher im Stande war zu erklären, daß weder Entstehen noch Vergehen, weder Beständigkeit (Kontinuität) noch Endlichkeit (Diskontinuität), weder Einheit (Identität) noch Unterschiedlichkeit (Nicht-Identität), weder Herkommen (Vergangenheit) noch Fortgehen (Zukunft) formale Ursachen (yin yuan/hetu) sind und dadurch elegant alle Folgerungen daraus (xi lun/prapanca) widerlegte, vor ihm, dem Buddha neige ich mein Haupt in Verehrung, dem Begründer der Lehrer von der Mitte"

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Aber mal was zu Sache - das Buch aus dem Meiner-Verlag ist leider nicht empfehlenswert. Schau dir mal die Rezensionen dazu auf amazon an. Der Kommentar von Geldsetzer ist fragwürdig und die Übersetzung aus dem Chinesischen ist eigentlich unsinnig, da man ja die Sanskrit-Version hat.


    Empfehlenswert ist hingegen die Ausgabe von Weber-Brosamer, die aus dem Sanskrit-Text übersetzt.

    Die Philosophie der Leere: Nagarjunas Mulamadhyamaka-Karikas. Übersetzung des buddhistischen Basistextes mit kommentierenden Einführungen (Beiträge zur Indologie, Band 28)
    Kaum ein anderer indischer Philosoph hat größeren Einfluß und weitere Ausstrahlung erreicht als der buddhistische Mönch Nagarjuna (2.-3. Jhdt. n. Chr.). Sein…
    www.amazon.de

    :zen:

  • Empfehlenswert ist hingegen die Ausgabe von Weber-Brosamer, die aus dem Sanskrit-Text übersetzt.

    Die war mir ein bisschen zu teuer. Aber ich lese ja den Kommentar dazu, dem eine andere Übersetzung zugrunde liegt. Ich finde es ganz spannend, dass Geldsetzer eine Verbindung zu Aristoteles herstellt. Wie fundiert das jetzt ist, habe ich keine Ahnung.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Tipp: Auf der Homepage von Geshe Kelsang Wangmo gibt es einen Online-Kurs zu dem Mulamadhyamaka mit mehreren aufgezeichneten Online-Vorträgen und Texten.

    Goingon | Geshe Kelsang Wangmo

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Mal interessehalber - schreibt Geldsetzer etwas zur ersten deutschen Übersetzung des Zhong lun von Max Walleser? Offen gesagt hätte ich eine deutsche Übersetzung Nāgārjunas Dvādaśanikāya-śāstra / Shiermen lun für ein größeres Desiderat gehalten als noch eine MMK-Übersetzung ... Okay, Übersetzung mit chinesischem Originaltext ist ein Alleinstellungsmerkmal - aber wer kann damit wirklich etwas anfangen?

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Übersetzung.


    "Nagarjuna ist die wichtigste philosophische Figur in der buddhistischen Welt nach dem historischen Buddha selbst.


    [...]


    [Mulamadhyamakakarika] ist ein sehr schwer zu lesender und zu interpretierender Text. Moderne Interpreten sind sich genauso wenig einig, was die Lesarten des Textes betrifft, wie kanonische Interpreten. Nagarjuna wurde als ein Idealist (Murti 1960), ein Nihilist (Wood 1994), ein Skeptiker (Garfield 1995), ein Pragmatist (Kalipahana 1986), und als ein Mystiker (Streng 1967) gelesen. Er wurde als ein Kritiker der Logik (Inada 1970), als ein Verteidiger der klassischen Logik (Hayes 1994) und als ein Pionier der parakonsistenten Logik (Garfield and Priest 2003) betrachtet.


    [...]


    Nagarjuna argumentiert, dass diese Doktrin der Leerheit ein mittlerer Pfad zwischen zwei Extremen ist: Verdinglichung und Nihilismus. Phänomene zu verdinglichen bedeutet sie als Phänomene mit Essenz, als unabhängig existierend zu betrachten. Nihilistisch zu sein bedeutet, den Fakt, dass Phänomene keine Essenz haben und bloß abhängig existieren, so zu verstehen, dass sie nicht existieren. also die empirische Realität komplett als falsch zu betrachten."


    Nagarjuna scheint ein wichtiger, wenn nicht der zentrale, Autor für den Mahayana Buddhismus zu sein. Gleichzeitig scheint er schwer einzuordnen zu sein und es gibt vielleicht gerade deswegen viele unterschiedliche Lesarten seiner Philosophie.

    Bei den beiden Extremen Verdinglichung und Nihilismus musste ich sofort an den marxistischen Begriff der Verdinglichung denken wie er von Lukacs geprägt wurde. Ich bin da vorsichtig mit voreiligen Interpretationen, aber vielleicht ist ja der Warenfetisch von Marx ein Paradebeispiel für eine solche Verdinglichung.

    Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.

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  • Mal interessehalber - schreibt Geldsetzer etwas zur ersten deutschen Übersetzung des Zhong lun von Max Walleser? Offen gesagt hätte ich eine deutsche Übersetzung Nāgārjunas Dvādaśanikāya-śāstra / Shiermen lun für ein größeres Desiderat gehalten als noch eine MMK-Übersetzung ... Okay, Übersetzung mit chinesischem Originaltext ist ein Alleinstellungsmerkmal - aber wer kann damit wirklich etwas anfangen?

    Er schreibt in der Einleitung, dass Walleser sich, wie Bocking auch, bei der Übersetzung am Sanskrittext und der tibetischen Version orientierten, um dem "originalen" Sinn möglichst nahe zu kommen. Geldsetzer sieht die chinesische Version dagegen als selbständige "originäre" Quelle an.

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    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Hier zwei interessante Videos, in denen gert scobel über nagarjuna und den catuscoti ein paar einleitende Worte verliert.


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    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Tipp: Auf der Homepage von Geshe Kelsang Wangmo gibt es einen Online-Kurs zu dem Mulamadhyamaka mit mehreren aufgezeichneten Online-Vorträgen und Texten.

    https://kelsangwangmo.com/goingon/

    Gerne würde ich mich zu dem Online-Kurs austauschen in diesem Thread. Ich habe bis jetzt die ersten beiden Online-Aufzeichnungen angeschaut. Die Vorträge gibt es auf Youtube als Playlist (link). Vorsicht die Vorträge werden bei mir in umgekehrter Reihenfolge angezeigt. Man muss auf das Datum im Titel achten. Geshema Kelsang Wangom erklärt in den beiden Vorträgen (auf Englisch) sehr grundlegend und niedrigschwellig worum es in dem Mulamadhyamaka geht und was Leerheit und abhängiges Entstehen bedeuten. Dazu gibt es auch ein Handout von ihr. Das man hier (link) findet.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • In dem dritten Online-Vortrag erörtert Geshema Kelsang Wangmo die verschiedenen Aspekte des abhängigen Entstehens:


    1) Abhängigkeit von Ursachen und Bedingungen

    2) Abhängigkeit von Teilen

    3) Abhängigkeit von Bezeichnung durch Name und Gedanke


    Zu 1) führt sie das Beispiel eines Sprösslings an. Sie merkt an, dass es keinen kleinsten Moment in der Zeit gibt, in dem man sagen könnte, dass genau dann der Sprössling entsteht. Daher könne er nicht intrinsisch aus sich heraus existieren. Man könne in dem zeitlichen Kontinuum immer weitere kleinere Momente finden bis ins Unendliche.


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    Das klingt für mich ähnlich wie das Paradox von Achilles und der Schildkröte, in dem behauptet wird, Achilles, der schnelle Läufer, könne die Schildkröte nicht einholen.


    In einer Vorwegnahme der modernen Maßtheorie argumentierte Aristoteles, dass eine Unendlichkeit von Unterteilungen einer Strecke, die endlich ist, nicht die Möglichkeit ausschließt, diese Strecke durchzulaufen, da die Unterteilungen nicht wirklich existieren, es sei denn, man tut etwas mit ihnen, in diesem Fall das Anhalten an ihnen.

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    2 Mal editiert, zuletzt von Mabli ()

  • Ich kann mir das so erklären, dass es zwischen der Ursache des Samens und der Wirkung, dem Sprössling, einen fließenden Übergang gibt und man daher nicht klar unterscheiden kann zwischen Ursache und Wirkung. Der Sprössling kann nicht klar von den Bedingungen und den Ursachen getrennt betrachtet werden.

    Die Kontinuität des Übergangs vom Zustand als Samen zum Zustand als Sprössling kann natürlich in unendlich viele kleine Schritte unterteilt werden. Die Frage ist wie aus dem Zustand A der Zustand B hervor geht. Nun könnte man auch argumentieren, dass der Sprössling in dem Samen angelegt ist und der Übergang zu Zustand B eine Entfaltung seines Wesens darstellt. (Vorsicht: Wenn man von Wesen spricht, begibt man sich hier auf dünnes Eis.)

    Mich erinnert das auch an eine Stelle in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes von Hegel. Dort vergleicht er die Entwicklung der Wahrheit in philosophischen Systemen mit den verschiedenen Zuständen einer Pflanze.

    So wird auch durch die Bestimmung des Verhältnisses, das ein philosophisches Werk zu andern Bestrebungen über denselben Gegenstand zu haben glaubt, ein fremdartiges Interesse hereingezogen, und das, worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt, verdunkelt. So fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so pflegt sie auch entweder Beistimmung oder Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System zu erwarten, und in einer Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andre zu sehen. Sie begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht. Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird, ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus. Aber der Widerspruch gegen ein philosophisches System pflegt teils sich selbst nicht auf diese Weise zu begreifen, teils auch weiß das auffassende Bewußtsein gemeinhin nicht, ihn von seiner Einseitigkeit zu befreien oder frei zu erhalten, und in der Gestalt des streitend und sich zuwider Scheinenden gegenseitig notwendige Momente zu erkennen.

    Hegel geht hier von einer organischen Einheit aus, die widersprüchliche Momente der Entwicklung in sich enthält. Damit wird auch der Übergang von Knospe zu Blüte und zur Frucht als ein zusammenhängendes Ganzes mit notwendigen Momenten aufgefasst.

    Das scheint mir zu der Auffassung von dem abhängigen Entstehen doch teilweise eine Parallele zu sein, die sich jedoch in der Gretchenfrage des Bezugs zu dem "organischen Ganzen" der einzelnen Momente doch wesentlich unterscheidet.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Die Kontinuität des Übergangs vom Zustand als Samen zum Zustand als Sprössling kann natürlich in unendlich viele kleine Schritte unterteilt werden. Die Frage ist wie aus dem Zustand A der Zustand B hervor geht.

    Dieses Unterteilen und Zerlegen führt dazu, dass man nie eine Ursache für eine Wirkung finden kann. Das hat die moderne Naturwissenschaft auch versucht, und wo ist sie gelandet? Bei der „Erklärung“ das letztlich alles Energie ist und Energie kann niemand erklären und jeder Erklärung für Energie führt zu einer neuen Ursache.


    Da ist ein Same und aus unbestimmbarem Grund erscheint, in den notwendigen Bedingungen, ein Spross. Man kann nur das jetzige Ergebnis erkennen, nichts vorher und nichts nachher. Die Suche nach einer Ursache für eine Wirkung nennt man anhaften am Suchen, oder ganz einfach großer Zweifel.


    Das personale Selbst will nicht erkennen wollen, dass es keine Ursache finden kann. Es muss eine Ursache sein, es kann nicht nur bedingtes Entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen sein.

  • Dieses Unterteilen und Zerlegen führt dazu, dass man nie eine Ursache für eine Wirkung finden kann. Das hat die moderne Naturwissenschaft auch versucht, und wo ist sie gelandet? Bei der „Erklärung“ das letztlich alles Energie ist und Energie kann niemand erklären und jeder Erklärung für Energie führt zu einer neuen Ursache.

    Soweit ich Kelsang Wangmo verstanden habe, führt sie diese Möglichkeit das Kontinuum in unendliche viele kleine Momente zu zerteilen an, um damit zu zeigen, dass nichts aus sich selbst heraus existiert, also nichts eine inhärente / intrinsische Existenz hat.

    In dem Beispiel von dem Samen und der Pflanze ist allerdings von vorneherein eine gewisse Entwicklung vorgegeben, die im Samen angelegt ist. Der Samen und die Pflanze sind gewissermaßen eins, teilen eine Identität. Das ist es auch worauf mMn das Bild von Hegel bei der organischen Entwicklung der Wahrheit abhebt. Daher ist es sehr schwierig Ursache und Wirkung analytisch eindeutig getrennt zu betrachten. Wobei der Zustand Samen und der Zustand Pflanze auf den ersten Blick komplett verschieden erscheinen. Es gibt aber eine im Samen angelegte teleologische Entwicklung, die unter günstigen Bedingungen statt findet. Daher finde ich es problematisch hier von Ursache und Wirkung (im klassischen naturwissenschaftlichen Sinn) zu sprechen.

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  • In dem Beispiel von dem Samen und der Pflanze ist allerdings von vorneherein eine gewisse Entwicklung vorgegeben, die im Samen angelegt ist. Der Samen und die Pflanze sind gewissermaßen eins, teilen eine Identität.

    Die gewisse „Entwicklung“ ist aber nur eine Vorgestellte. Zu jedem Zeitpunkt ist die Individualität getrennt vom vergangenen, gegenwärtigen und einem möglichen zukünftigen Sein.

    Die gewisse „Entwicklung“ gibt es nicht, es ist immer, bei jeder Beobachtung nur eine Individualität, eine primäre An-Sicht vorhanden.

    Wenn eine Entwicklung erkannt wird, ist diese getrennt von der jetzt Erscheinung und eine Vorstellung des an Entwicklung glaubenden Persönlichkeit.

  • Die gewisse „Entwicklung“ ist aber nur eine Vorgestellte. Zu jedem Zeitpunkt ist die Individualität getrennt vom vergangenen, gegenwärtigen und einem möglichen zukünftigen Sein.

    Aus einer konventionellen Sicht ist die Entwicklung von Samen zu Pflanze zu Blüte zu Frucht und zu Samen und dann wieder von vorne als ein zyklischer Kreislauf gegeben. Da ist nichts Hergestelltes oder vom Menschen Hinzugefügtes notwendig. Das ist im Grunde einfach die natürliche Fortpflanzung der Pflanzen. Interessant ist daran ja, dass die Pflanze aus dem Samen entsteht und wieder einen Samen hervorbringt, der sich als Teil von ihr löslöst und eine neue Pflanze hervorbringt.


    Später greift Kelsang Wangmo das Argument mit dem unendlich teilbaren zeitlichen Kontinuum für das Beispiel des Autos wieder auf. Das Autos als vergangenes Auto, gegenwärtiges Auto und zukünftiges Auto sei aufgrund dieses unendlich teilbaren Kontinuums nicht vorhanden. Es gebe kein gegenwärtiges Auto aufgrund dieser unendlichen Teilbarkeit. Ich muss sagen, das leuchtet mir nicht ein.

    Ich kann dem Gedanken der abhängigen Entstehung durchaus einiges abgewinnen und das erscheint mir auch logisch und einleuchtend, aber mit der Argumentation und den Beispielen habe ich so meine Probleme.

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  • Zu 2) Abhängigkeit von Teilen


    Das Beispiel ist hier ein Auto. Also im Gegensatz zu der Pflanze ein technisches Produkt, dessen Fertigung hochspezialisiertes Wissen und Fertigkeiten erfordert. Die zentrale Frage ist, ob das Auto eine inhärente Existenz als Auto hat.


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    Die Argumentation geht hier davon aus, man könne die inhärente Existenz des Autos in einer Zerlegung in die einzelnen Teile finden. Das erscheint mir zunächst einmal sehr naiv. Würde ich doch davon ausgehen, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und wenn überhaupt das Auto als inhärentes Wesen in seiner technischen Funktionsweise und seinem Gebrauch im Alltag suchen. Das wird in dem Text jedoch nicht erwähnt. Stattdessen kommt auch hier das Argument mit der potentiell unendlichen Zerlegung in immer kleinere Teile in der Zeit, welches mir immer noch nicht so ganz einleuchten will.

    So ein Auto könnte kein einzelner Mensch in seiner Lebenszeit erfinden und bauen, da dort so viele technische Erfindungen und Produktionsinnovationen in die Herstellung des Autos eingegangen sind. Die Fertigung der einzelnen Teile und Herstellung der Materialien ist ebenso so komplex,


    Zu 3) Abhängigkeit von Bezeichnung durch Name und Gedanke


    Für den Punkt werden die Beispiele einer Blume und eines Geldscheins benutzt. Zwei sehr unterschiedliche Gegenstände. Der Geldschein ist ein komplexes Ding, das auf sozialer Konvention und Interaktionen des Warenausatuschs beruht. Die Entstehung von Zahlungsmitteln ist mit sozialen Praktiken aufs Engste verknüpft. Der Geldschein wird gewissermaßen in diesen sozialen Praktiken performativ "erschaffen". Das Beispiel ist schon sehr nah an dem Warenfetisch, den ich oben als Beispiel für Verdinglichung erwähnt habe.

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  • Es wird vergessen, verblendet, verdrängt, dass das nur geschickte Mittel sind, die klarmachen soll, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, ein Ich, Selbst, Person als Ein Ding anzusehen, das vollkommen einheitlich und stabil ist, wo doch alles andere zerlegbar ist. Das der Glaube an ein „Ich“ nur eine Illusion sein kann.


    Das müsste eigentlich bewusst werden, wenn man sich mit Psychologie beschäftigt, da ist kein „Ich“ zu finden, das „normal“ ist, nur ein vielleicht durchschnittliches Ich. Auch da ist jedes einzelne Ich aus Konzepten und Vorstellungen zusammengesetzt.


    Der gesamte Buddhismus hat nur ein Ziel: Menschen vom Glauben an ein unabänderliches, immer sich selbst gleiches Ich zu befreien.


    Wenn das nicht im Ansatz erkannt wird, ist eine Beschäftigung mit Nagarjuna nur eines: Frustration pur.

  • Es wird vergessen, verblendet, verdrängt, dass das nur geschickte Mittel sind, die klarmachen soll, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, ein Ich, Selbst, Person als Ein Ding anzusehen, das vollkommen einheitlich und stabil ist, wo doch alles andere zerlegbar ist. Das der Glaube an ein „Ich“ nur eine Illusion sein kann.

    Ich verstehe es so: Das ist ein Versuch, das Prinzip des abhängigen Entstehens und das Prinzip der Leerheit und den Zusammenhang von beidem durch Beispiele zu verdeutlichen. Dass das kein einfaches Unterfangen ist, ist klar. Insofern sehe ich die Erklärungen auch als vorläufige Mittel, die einen Einstieg in eine Auseinandersetzung mit dem Thema darstellen können. Nach meinem vorläufigen Verständnis geht es bei der Leerheit um die Leerheit von allem, nicht nur des Selbst. Und beim abhängigen Entstehen darum wie alles miteinander zusammenhängt und sich (wechselseitig) bedingt.

    Der gesamte Buddhismus hat nur ein Ziel: Menschen vom Glauben an ein unabänderliches, immer sich selbst gleiches Ich zu befreien.

    Ich würde da fragen, wer glaubt denn an sowas? Also an ein unabänderliches und immer sich selbst gleiches Ich. Das hieße ja zu glauben, dass keine Entwicklung möglich ist, dass ich mich nicht verändern kann.


    Oder mit Bert Brecht:


    »Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹ ›Oh!‹ sagte Herr K. und erbleichte.«

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