Ein etwas länger, aber sehr lesenswerter Text von Paul Debes aus seinem Buch Das Dasein und seine Meisterung nach der Lehre des Buddha (S. 326 im PDF). Er macht ein paar grundlegende Konstanten individueller und kultureller Entwicklung sehr deutlich und setzt sie in Bezug zur buddhistischen Lehre:
QuoteDisplay MoreWenn das Tun des Menschen in Gedanken, Worten und Taten gelenkt und bewegt wird von der Grundtendenz des Wohlwollens und Helfens, dann wird auch seine Umwelt langsam, aber unausbleiblich zu unmittelbaren und mittelbaren Reaktionen in Richtung auf zunehmendes Wohlwollen und Helfen beeinflusst, sodass zuletzt das von dem Täter Ausgegangene auch wieder auf ihn zurückkommt und ihn noch mehr bestärkt in seinem hilfreichen Tun. Von daher nimmt auch die Umwelt noch weiterhin zu in dieser das Leben erhellenden Tendenz des Wohlwollens, der Rücksicht und Liebe.
Wenn dagegen das Tun und Lassen des Menschen in Gedanken, Worten und Taten gelenkt und bewegt wird von der Grundtendenz der Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen des Mitmenschen oder gar von Übelwollen, dann wird auch seine Umwelt langsam, aber unausbleiblich unmittelbar und mittelbar zu Reaktionen in Richtung auf zunehmende Gleichgültigkeit und zunehmendes Übelwollen beeinflusst, sodass zuletzt das von dem Täter Ausgegangene auch wieder auf ihn zurückkommt und diese Begegnungen ihn noch mehr bestärken in seinem gleichgültigen und übelwollenden Tun. Von daher nimmt auch die Mitwelt noch weiterhin zu in dieser das Leben verdunkelnden Tendenz des Übelwollens, der Rücksichtslosigkeit, des Misstrauens und Streites.
Der Mensch sieht, wie alle Notzeiten und Leidenszeiten immer solche Zeiten sind, in welchen die Menschen in ihrem Tun und Lassen, in Gedanken, Worten und Werken hauptsächlich bewegt werden von den Grundzügen starken, vielfältigen Verlangens und Begehrens und dadurch bedingter starker Rücksichtslosigkeit. Er sieht, wie aus solchem rücksichtslosen Verweigern und Entreißen die zwischenmenschlichen Beziehungen und Bindungen bis in die engste Familienbindung hinein sich lösen und verfallen und an ihre Stelle mehr und mehr die Strukturlosigkeit eines Gegeneinander aller gegen alle tritt mit Misstrauen, Zank und Streit, mit Kriegen, Wüten und Blutvergießen bis zum Untergang von Menschen und Völkern. Er sieht, wie in solchen Notzeiten das Denken und Suchen der Menschen mit unwiderstehlicher Macht auf die Frage nach den Wegen zu besseren Verhältnissen, zu Sicherheit, Frieden und Eintracht gelenkt wird. Und er sieht, dass dieses Suchen immer nur zwei Antworten finden kann und dass es von der Wahl zwischen diesen beiden Antworten abhängt, ob man wieder zu Ordnung, Wohlfahrt, Frieden und Sicherheit zurückkehrt oder das Elend und Chaos vollendet: Man kommt auf die Frage nach der Überwindung der gegenwärtigen Not entweder zu der Auffassung, dass diese allgemeine Rücksichtslosigkeit und Brutalität die Ursache des Elendes sei und dass das Elend nur durch echtes gegenseitiges Wohlwollen und durch Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit überwunden werden könne, oder man kommt zu der entgegengesetzten Auffassung, dass man in der allgemeinen Rücksichtslosigkeit nur dadurch sich am Leben und „obenauf“ halten könne, wenn man noch rücksichtsloser für sich sorge.
Die letztere Auffassung führt zu einer Zunahme der Rücksichtslosigkeit und Brutalität mit dem Ergebnis einer allgemeinen Vergrößerung der Not, Angst und Dunkelheit bis zum Entsetzen, und diese Dunkelheit, Kälte und Elendigkeit muss gesetzmäßig so lange andauern, durch alle menschlichen und untermenschlichen Qualen hindurch so lange andauern – bis endlich doch die einzig richtige Einsicht erwächst, dass nur Wohlwollen, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit zu Wohlfahrt, zu Frieden und Sicherheit führen können, und bis aus dieser Einsicht ein dementsprechender Wandel hervorgeht, der wieder zu Wohlfahrt, Frieden und Sicherheit führt.
Aber ebenso wie die aus übler innerer Art der Menschen hervorgehende Not bereits die Bedingung enthält für die Wandlung der Menschen zu guter Art und damit zu Wohlfahrt und Frieden – ebenso zeigt die Rückerinnerung, dass die aus guter Art der Menschen hervorgehenden besseren Verhältnisse, dass Friede und Sicherheit, Wohlfahrt und Reichtum bereits den Keim enthalten für die Wandlung der Wesen zu übler Art und damit wiederum zur Auflösung von Ordnung, Frieden und Sicherheit, zur Entwicklung von Streit und Feindschaft und Blutvergießen. Denn ganz ebenso, wie die Wesen im Erlebnis von Not und Entsetzen zu dem Fragen und Suchen nach einem Ausgang aus dieser Not gezwungen werden – weil eben Not und Leiden dasjenige ist, was alle Wesen meiden und fliehen – ganz ebenso müssen die Wesen im Erlebnis der Wohlfahrt und des Glückes allmählich immer mehr die Hinwendung zu Wohlfahrt und Glück vergrößern, d. h., zum verstärkten Genießen der Freude kommen – weil eben Freude oder Glück oder Friede dasjenige ist, was alle Wesen lieben und begehren.
Aber ganz ebenso, wie das in Verzweiflung und Leiden notwendig aufkommende Fragen nach dem Ausweg irgendwann zu tugendhafter Gesinnung und Tat führt – ebenso führt das in Glück und Freude und Wohlfahrt notwendig aufkommende, auf den Genuss der tausend Annehmlichkeiten gerichtete Dichten und Trachten allmählich, aber stetig zu wachsender Genusssucht und zunehmender Bedürftigkeit. Und ganz ebenso, wie die Wesen in dem durch Not und Verzweiflung bedingten Suchen die Wege zu Wohlfahrt und Sicherheit, eben die Tugend gefunden hatten, so müssen sie in dem durch freudiges Genießen und gedankenloses Leben bedingten Nicht-mehr-Suchen nach den Wegen zu Wohlfahrt und Sicherheit diese Wege auch wieder vergessen. Sobald sie aber vergessen haben, dass die Tugend die Bedingung war und ist für ihr Wohlleben, müssen sie diese tugendhafte Gesinnung und Art im Laufe der Zeit mit zunehmender Gewöhnung an den Genuss zwangsläufig auch wieder verlieren. Der Verlust der tugendhaften Gesinnung und Art aber bedeutet die allmähliche Zunahme von Verweigern und Entreißen, von Rücksichtslosigkeit und Unehrlichkeit, woraus wieder Not und Elend hervorgehen und wodurch die Wesen wieder zu der Frage nach dem Ausweg kommen und auf ihrer Suche wieder zwischen Irrtum und Wahrheit stehen.