Ich würde gerne den in der Überschrift genannten Gedanken aus einer buddhistischen Perspektive genauer beleuchten. JoJu91 hat ihn folgendermaßen formuliert:
In einer freien Gesellschaft wissen die gewählten Volksverteter, dass sie die Probleme nicht lösen können, sondern dass die freien selbstverantwortlichen Bürger die Probleme lösen, indem jeder zunächst für sich selbst sorgt und damit seine Mitmenschen soweit möglich davon entlastet, ihm helfen zu müssen. Für Kinder, Greise, Schwerkranke und Menschen, die sich in Ausnahmesituationen selbst nicht helfen können, stellt die Gemeinschaft ein begrenztes Sicherheitsnetz zur Verfügung.
Adam Smith, einer der Begründer der modernen Volkswirtschaft, formuliert das so:
QuoteWenn daher jeder einzelne soviel wie nur möglich danach trachtet, sein Kapital zur Unterstützung der einheimischen Erwerbstätigkeit einzusetzen und dadurch dieses so lenkt, daß ihr Ertrag den höchsten Wertzuwachs erwarten läßt, dann bemüht sich auch jeder einzelne ganz zwangsläufig, daß das Volkseinkommen im Jahr so groß wie möglich werden wird. Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit, und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern.
Das wird manchmal auch vereinfacht zusammengefasst: Wenn jeder an sich denkt, ist am Ende an alle gedacht.
Nun ist die Frage, was es genau bedeuten soll, dass jeder zunächst für sich sorgt. Wenn ich meine Wirklichkeit betrachte, so fällt mir auf, dass ich nur für sehr wenig Dinge selbst sorgen kann. Die allermeisten Gegenstände, die ich besitze, habe ich nicht hergestellt, auch habe ich die Ressourcen dafür nicht zusammengetragen, in den allermeisten Fällen habe ich nicht einmal einen Plan, wie die Dinge, die ich nutze, hergestellt werden oder genau funktionieren. Die Waren, die ich kaufe, habe ich nicht transportiert, das Wasser, das ich trinke, weder gefunden noch kanalisiert noch aufbereitet. Die Luft, die ich atme, die Nahrung, die ich esse, die Kleidung, die ich trage, nichts davon habe ich hergestellt. Ich bin komplett abhängig davon, dass andere (Wesen) all das für mich übernehmen.
Das Denken und die Sprache, die Strukturen des Denkens, über die ich verfüge, habe ich ebenfalls nicht selbst erschaffen, ich habe von anderen gelernt, Lehrern, Autoren, Regisseuren, Künstlern, etc. Die Menge der Gedanken, die ICH aus mir selbst heraus, also ohne die Sorge von anderen für mich, gedacht hätte, ist verschwindend gering.
Letztlich bin ich nicht jemand, der für sich sorgt, sondern eher ein erfolgreicher Profiteur all der nützlichen Wesen (vom Bakterium bis zum Arzt) um mich herum, denn ich habe es geschafft, dass sie das allermeiste, das ich brauche, für mich bereitstellen und übernehmen. Im Gegenzug zahle ich "nur" mein erarbeitetes Geld, und selbst das auch nur von Zeit zu Zeit. Sorge ich also für mich selbst? Ebenso wie meine eigenen Gedanken in Relation zu den Gedanken, auf die ich zurückgreife, verschwindend wenige sind, sind auch meine Möglichkeiten, für mich selbst zu sorgen, in letzter Konsequenz extrem beschränkt. Das merke ich dann, wenn die zur Gewohnheit und unsichtbar gewordene Hilfe und Sorge anderer für mich mal ausfällt.
Dem größte und unsichtbarsten Supporter, den wir haben – das sind die natürlichen Ressourcen, auf die wir alle angewiesen sind – zahlen wir kein Geld und geben auch viel zu wenig Sorge zurück. Ökosysteme, Boden, Luft, Wasser. Im Gegenteil. Wir "sorgen" so gut für uns selbst (heißt: wir nehmen so viel weg von anderen und anderem, um für uns zu sorgen), dass in vielen Bereichen dieses Planeten, die Wesen und Menschen sich nicht mehr um sich sorgen können, weil ihre Lebensgrundlage wegbricht. Somit kommt auch deren gewohnte, unsichtbare, kostenlose Unterstützung für uns ins Wanken.
Ich würde den Satz also verändern: Wenn ich mich zunächst nur um mich sorge, ohne mich zugleich um andere zu sorgen, die für mich sorgen, fehlt irgendwann den meisten anderen, die Basis, für sich selbst zu sorgen, und so auch für mich.
Das führt zu der Frage, was denn diese Sorge ist? Vorwiegend bedeutet es ja: Ich sorge dafür, dass meine Grundbedürfnisse gedeckt sind, meine Wünsche – soweit erfüllbar – erfüllt, und dass mir möglichst wenig Unangenehmes begegnet. Diese Sorge kann dann auch schon sehr umfassend sein, mich, meine Familie, meine Erben, meine Freunde betreffen. Die Sorge kann auch bezüglich dessen, was sie alles abdeckt, sehr umfassend sein, sodass ich glaube, gut für mich zu sorgen, wenn ich mir möglichst viele Wünsche erfülle, möglichst abgesichert und komfortable lebe, möglichst wenig unliebsame Gefühle habe, u.s.w. Ich denke, das ist sehr menschlich.
Wenn ich aber dann diesen Satz von oben nochmal aufgreife, dass ich zunächst für mich sorge, bevor ich für andere (Wesen) sorge, wird schnell klar, dass dieses Konzept an seine (planetaren) Grenzen stößt, wenn wirklich alle, insbesondere Menschen, zunächst für sich sorgen, und zwar dann, wenn ein potenzielles Übermaß der Sorge für mich als Massenphänomen (z.B. in den Industrienationen) die Sorge anderer um sich (im globalen Süden, aber auch alle Wesen, deren Ökosysteme gefährdet sind) verunmöglicht.
Ich muss den Satz also wieder erweitern:
Wenn ich mich zunächst nur um mich sorge, ohne mich zugleich um andere zu sorgen, die für mich sorgen, fehlt irgendwann den meisten anderen die Basis, für sich selbst zu sorgen, und so auch für mich. Diese Basis verschwindet, wenn ein überhöhtes Maß der Selbstsorge als Massenphänomen, diese Basis einschränkt oder zerstört.