Buddha war zu seiner Zeit im Nordosten Indiens nicht der einzige spirituelle Lehrer der Samana-Reform-Bewegung, der mit der Orthodoxie der Brahmanen in Konkurrenz stand. In den Überlieferungen aus jener Zeit begegnen uns sechs weitere berühmte Schulgründer. Samanas waren Asketen, Bettel- und Wandermönche. Noch heute werden wandernde Bettelmönche und Asketen in Indien „Samanas“ genannt. Mit deren Lehren musste Buddha sich immer wieder auseinandersetzen.
Expliziten Streitgesprächen scheint Buddha versucht zu haben, aus dem Weg zu gehen, aber manchmal ließen sich diese doch nicht völlig vermeiden. Das Samannaphala Sutta, Digha Nikaya 2, berichtet von dem Besucht des Königs Ajatasattu bei Buddha. Er befragt ihn zu den Lehren dieser sechs Samanas. Interessant sind die Beschreibungen der Positionen der sechs Samanas. Zweifellos wurden die Thesen der konkurrierenden Schulen von den Editoren des buddhistischen Pali-Kanons aus buddhistischer Sichtweise dargestellt. Aber dennoch erlauben sie uns einen Blick in die damalige indische Geisteswelt.
Die sechs Samanas waren: Purana Kassapa, Makkhali Gosala, Ajita Kesakambali, Pakudha Kaccayana, Nigantha Nataputta/Mahavira/Jiva, Sanjaya Belatthiputta. Im Folgenden sollen die philosophischen Positionen der sechs Samanas kurz dargestellt und kommentiert werden.
Digha Nikaya 2, Samannaphala Sutta – Die Lehrrede von der Frucht des Asketentums.
1. *Purana Kassapa*
"D2, 17.: „…Nichts Heilsames gibt es durch Geben, Bezähmung, Zügelung, Sagen der Wahrheit …“
Purana Kassapa lehrte „Amoralismus“: Weder gute noch böse Taten haben karmische Folgen. Ein Amoralismus findet unter anderem bei den Sophisten der griechischen Antike sowie bei Lao-tse.
2. *Makkhali Gosala*
D2, 20.: „… Alle Wesen, alle Lebewesen, alle Kreaturen, alle Lebenden haben keinen willentlichen Einfluss, haben keine Kraft, haben keine Tatkraft. Infolge von Schicksal und äußeren Umständen empfinden sie Wohl und Leid.“
Makkhali Gosala war ursprünglich ein Schüler von Nigantha Nataputta, dem Gründer des Jainismus. Er lehrte „Fatalismus“: Unser Leiden ist vorherbestimmt und wir sind in dieser Beziehung völlig machtlos. In der westlichen Geistesgeschichte finden wir den Fatalismus unter anderem in der Stoa. Bei ihr war der Fatalismus ein Kernbestandteil der Lehre. Die Stoiker glaubten, dass das gesamte Naturgeschehen und insbesondere das menschliche Leben einer von der Vorsehung verhängten Bestimmung unterliege.
3. *Ajita Kesakambali*
D2, 23.: „…Nicht gibt es … eine Frucht, ein Resultat von guten und schlechten Taten. … Nach dem Tode wird nichts mehr sein.“
Ajita Kesakambali lehrte einen „Materialismus“ und “Nihilismus“, in dem Sinne, dass Körper und Geist eine Einheit bilden und es also keine unveränderliche und ewige Seele gäbe. Hierin stimmte er mit Buddha überein. Im Gegensatz zu Buddha vertrat er aber die Sichtweise, dass es keine Frucht guter oder böser Taten gäbe. Man hat der von ihm gegründeten Schule später Hedonismus vorgeworfen, aber Ajita Kesakambali selbst hat ein sehr einfaches Leben geführt. Es gibt Parallelen zum Epikureismus. Auch ihm wurde wegen des missverstandenen epikureischen Lustbegriffs Hedonismus unterstellt.
4. *Pakudha Kaccayana*
D2, 26: „…Nicht gibt es einen Töter, nicht einen der zum Töten veranlasst, einen Hörer, einen der zum Hören veranlasst, einen Erkenner, einen der zum Erkennen veranlasst. Wenn einer mit einer scharfen Waffe den Kopf abtrennen würde, würde keiner keinem das Leben rauben …"
Pakudha Kaccāyana lehrte eine „Non-Dualität“: Es gibt nichts voneinander getrenntes, nichts als eine einzige Realität oder Wirklichkeit. Jede Trennung ist illusionär. Weshalb es auch keine moralischen oder a-moralischen Handlungen gibt. Letzteres Missverständnis kann man auch im Buddhismus begegnen.
5. *Niganṭha Nataputta*
D2, 29. „…Der Nigantha [ein „Nigantha“ ist der Anhänger einer asketischen Tradition] ist … allen Verboten gegenüber … verpflichtet.“
Nigantha Nataputta, auch Mahavira oder Jina genannt, begründete die Religion des Jainismus. Buddhismus und Jainismus teilten zahlreiche Vorstellungen miteinander, z.B. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, sexuelle Enthaltsamkeit, Nicht-Anhaften. Mahavira und Buddha standen in einem direkten Wettbewerb, wobei der buddhistische Weg bezüglich der geforderten Askese für die Mönche und Nonnen deutlich sanfter war. Grundlegende Unterschiede gab es im Verständnis des Wirkens von Kamma / Karma und im Befreiungsweg. Im Jainismus gibt es im Gegensatz zum Buddhismus eine Seele, wenngleich nicht das unveränderliche göttliche „atta“ / „atman“ der brahmanischen Vorstellungswelt. Diese Seele kann sich solange nicht aus dem Kreislauf der Wiedergeburten befreien, solange sie verunreinigt ist. Verunreinigungen der Seele geschehen auch durch unbewusste und ungewollte Aktionen, z.B. das unbewusste Töten einer Ameise unter unserer Schuhsohle. Ein jegliches menschliches Leben werde „karmisch schuldig“ und diese Schuld kann nur durch eigenes Leiden abgetragen werden. Infolgedessen wanderten die Jain-Mönche und -Nonnen nackt umher und praktizierten extreme Askese-Übungen, die teilweise auch zu einem bewussten Tod führten.
6. *Sanjaya Belatthiputta*
D2, 32: „Wenn du mich so fragen würdest: 'Gibt es eine andere Welt?', so würde ich, wenn ich der Ansicht wäre 'es gibt eine andere Welt', dir antworten 'es gibt eine andere Welt', aber das denke ich nicht. … Dass es irgendwie anders ist, denke ich auch nicht. Dass es nicht so ist, denke ich auch nicht. Dass es nicht nicht so ist, denke ich auch nicht."
Sañjaya Belaṭṭhiputta lehrte einen „Skeptizismus“ / „Agnostizismus“: Wir können überhaupt nichts wissen und überhaupt keine Aussage treffen"'. Im antiken Griechenland vertraten Pyrrhon von Elis ähnliche Gedanken. Hier würde die heutige Wissenschaftstheorie entgegnen, dass wir fast alles nichts absolut wissen können, d.h. zu 100 Prozent. Wir können aber recht valide Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen und Konfidenzintervalle angeben. Zu den wenigen Dingen, die wir zu 100 Prozent wissen, gehört die Tatsache, dass wir sterben werden.
Der Buddha begann nun mit König Ajatasattu einen sokratischen Dialog, in dem er die unmittelbar einsichtigen Vorteile seines Weges erläuterte. Einige Punkte der Lehren des Buddha im Kontrast zu den oben angeführten Lehren der sechs konkurrierenden Samanas sind: a) Körper und Geist bilden eine Einheit. b) Der Geist ist kein unveränderlich göttliches atta / atman, Seele, inhärentes Selbst, sondern ein veränderliches und kultivierbares Objekt. c) Karma ist primär die Auswirkung unseres Denkens, Redens und Handelns auf unseren Geist, der hierdurch geformt wird. d) Buddha selbst hat vermutlich nicht an eine Wiedergeburt geglaubt.