Über die Vergänglichkeit des Lebens.

  • Es ist auch eine Verblendung, wenn geglaubt wird, dass wir Besucher in diesem Körper sind.

    Natürlich klammert der moderne Mensch in der Konsumgesellschaft an seinem eigenen Körper. Doch was geboren ist, ist dazu verdammt zu sterben. Das ist der Lauf der Natur – sei es ein kleines Insekt, ich selbst oder sogar der Buddha höchstpersönlich. Dukkha direkt zu erkennen, dem Tod ins entsetzliche Antlitz zu blicken, erfordert Mut und innere Entschlossenheit.

    Ajahn Chah, den ich sehr schätze, fragte die Menschen oft: "Kannst du es ertragen?" Dukkha zu ertragen, das Alter, Krankheit und Tod anzunehmen – man kann diese Tatsachen nur verdrängen, aber ihnen nicht entfliehen. Wie Mettiko Bhikkhu treffend bemerkt, geht es oft um einen Wellness-Buddhismus, jedoch nicht um den echten, im Sinne eines existenziellen, innigen Zugangs, der nicht aus Büchern stammt, nicht aus dem Studieren, sondern aus dem Erleben und dem Erfahren des Dukkha am eigenen Leib.


    Für dich, Qualia :


    "

    Wenn der Körper geboren ist, gehört er niemandem. Es ist wie mit unserer

    Meditationshalle. Nachdem sie gebaut ist, kommen Spinnen, um darin zu

    bleiben. Eidechsen wohnen darin. Alle Arten von Insekten und Kriechtieren

    kommen, um darin zu bleiben. Schlangen leben darin. Alles Mögliche

    kann kommen, um darin zu leben. Es ist nicht unsere Halle; die Halle

    gehört allen.

    So sind auch diese Körper. Sie sind nicht unsere. Die Menschen kommen,

    um in ihnen zu bleiben und sind abhängig davon. Krankheit, Schmerz und

    Altern kommen ebenfalls, um in ihnen zu wohnen und wir leben dort

    bloß mit ihnen zusammen. Wenn diese Körper das Ende von Schmerz und

    Krankheit erreichen und sich schließlich auflösen und sterben, dann ist

    das nicht unser Tod. Also haltet euch an nichts fest. Stattdessen müsst

    ihr diese Tatsache kontemplieren und dann wird sich euer Ergreifen nach

    und nach erschöpfen. Wenn ihr es richtig seht, endet die falsche Ansicht."

    96


    Die Quelle:


    Die gesammelten Lehren von Ajahn Chah


    https://dhammapala.ch/wp-content/uploads/2021/05/gesammelten-lehren-2021-01-21.pdf

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Ich wollte nur meine eigenen Gedanken zum Thema zum Ausdruck bringen. Der sogenannte normale Mensch reagiert meistens auf eine ernste, bedrohliche oder sogar tödliche Krankheit mit Angst, Wut und Verdrängung. Er schießt sozusagen den zweiten Pfeil auf sich selbst, aber der erste Pfeil ist das Leben, wie es ist, und alles, was dazugehört.

    Meinen Geist habe ich die Möglichkeit so zu üben, dass ich akzeptiere, also innerlich, dass alles vergänglich ist. Ich kann wie jeder jeden Augenblick sterben; dann setze ich andere Prioritäten und Werte. Was ist wirklich wichtig in diesem Leben? Unter dem Blickwinkel der Vergänglichkeit, man kann auch sagen im Licht der Ewigkeit, betrachtet man alles anders.

    Ich hatte vor einigen Tagen mit einer Pflegeschwester gesprochen. Ich sagte ihr: "Angenommen, ich bekomme Krebs im Endstadium, habe entsetzliche Schmerzen – lohnt es sich, in diesem Zustand zu leben, wenn der Tod dir mit leeren, pechschwarzen Augenhöhlen ins Gesicht grinst?" Aber sie entgegnete: "Was redest du da? Man sollte das Leben genießen."

    Da das Wort "Genießen" als die Wurzel von Samsara dient, also dem unersättlichen Durst, den man niemals stillen kann, wäre es schon genug, A. Schopenhauer zu zitieren. Aber ich antwortete nicht. Es macht keinen Sinn.

    Der Tod kann so real wie möglich aus dem öffentlichen Leben verbannt werden. Aber Serien auf Netflix wie "Achtsam morden", "Hannibal" usw. präsentieren den Tod als Show. Es bereitet den meisten Menschen ein angenehmes Nervenkitzeln, im Sinne von: jemand anderer stirbt, aber bei mir ist alles im grünen Bereich. Man kann auch an "Léon – Der Profi" erinnern, der so viele Preise gewonnen hat, oder den Film "Sieben" – das sollte reichen.

    Hier kann man die Projektion oder die Verschiebung der eigenen Angst sehen, die in diesen Streifen ein Ventil findet. Aber dann frage ich mich: Ist es nicht so, dass wir alle so ticken, es aber nur nicht bemerken? :?

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Vielleicht ticken wir alle mehr oder weniger so, Igor, aber desto länger wir ernsthaft praktizieren, desto einfacher ist es zu durchschauen. So wie Du es ja auch tust.


    Und es fällt immer leichter, sich davon zu distanzieren.


    Heute habe ich daran gedacht, wie schwer es doch fällt, die Erfahrungen und gemachten Einsichten immer wieder neu umzusetzen, weil wie im Kaleidoskop die Szenerie wechselt.


    Obwohl wir wissen "WIE".


    Denn es geht immer um dieselbe Übung - gegen Gier und Hass.

    Im Grunde geht es nur noch um das aufsteigende Gefühl. Es geht nicht darum, es unhinterfragt zu ignorieren, sondern um das Wissen, dass das Gefühl das Problem ist, nicht der äußere Reiz als Auslöser für Leiden.


    Die Konditionierung ist das Leiden. Und die können wir ändern.


    Ich wünsche Dir ein gutes Jahr - und allen anderen Usern auch.

    _()_Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Sein Leben genießen ist etwas anderes, als nach Genuss zu verlangen.

    Keinem körperlichen oder körperlosen Wesen bin ich verpflichtet,

    mein Handeln zu rechtfertigen oder zu begründen,

    auch nicht mir, diesem Körper oder mich, diesem Ich.

  • Es ist auch eine Verblendung, wenn geglaubt wird, dass wir Besucher in diesem Körper sind. Das mag sogar wahr sein, doch dann kommen die Leiden an den Vorstellungen, woher der Besucher kommt, und die Frage ist nicht zu beantworten. Also warum nicht diesen Körper als Zuhause annehmen?

    Weil es darauf hinauslaufen könnte, dass man dann stark mit dem Körper identifiziert ist: "Mein" Körper als "mein" Zuhause - und wenn jetzt irreparable Schäden an "meinem" Zuhause entstehen/entstanden sind ? => Dukkha !

    (Zumindest bei Nicht vollständig-Erwachten...)


    Ajahn Chah's Sicht ermöglicht m.E. größere Distanz zu diesem vergänglichen "Elementehaufen"...


    Wer unmittelbar in die entsetzliche Fratze des Todes ....


    ... wenn der Tod dir mit leeren, pechschwarzen Augenhöhlen ins Gesicht grinst?"


    Lieber Igor07 ,


    es fällt schon auf, dass du den Tod - in diesem Thread - mehrfach als bedrohlich und grauenerregend schilderst, ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob das - angesichts der allgemein zunehmenden Lebensangst und Todesfurcht - so viel Sinn macht..


    Es ist eine Sache, sich der Vergänglichkeit des Lebens bewusst zu sein - diese wahrzunehmen gibt es jeden Tag mannigfaltige Gelegenheiten - eine andere ist es, sich andauernd die grausamen Seiten des Todes vor Augen zu führen, sie noch gedanklich üppig und anschaulich auszuschmücken.


    Den Tod abzulehnen, was man aber zwangsläufig tut, wenn man ihn nur

    als schauderhaft und schreckenerregend betrachtet, halte ich für nicht zielführend.

    Letztlich müssen wir akzeptieren, dass wir vergängliche, verletzbare und sterbliche Wesen sind, die dem unumgänglichen Tod entgegengehen.


    Das fällt umso leichter, wenn der Tod als natürlich und auch als Ende allen Leide(n)s gesehen wird. Sogar als "guten Freund", der "einen abholt, wenn das Leben zu mühsam/unerträglich geworden ist" könnte man ihn auffassen.

    Oder als "Transformation", wie Thich Nhat Hanh...


    Meiner ("persönlichen") Meinung nach sind der Tod und das Sterben die besten Lehrer.

    Das verbindet uns alle, egal ob König oder Bettler, Mörder oder Heiliger.

    Leider hat diese Erkenntnis noch nicht dazu geführt, dass sich Menschen automatisch mit allen fühlenden Wesen in dieser Hinsicht verbunden wissen und entsprechendes Mitgefühl, sowie Solidarität, entwickeln.

    Wahrscheinlich liegt das wiederum an der Tatsache, dass viele Menschen jegliche Gedanken an den Tod (zumindest den eigenen und den der Nächsten) - so lange wie möglich - verdrängen.



    Liebe Grüße, Anna _()_ :heart: :)

    "Fähigkeit ruhiger Erwägung - Anfang aller Weisheit, Quell aller Güte."

    (Marie von Ebner-Eschenbach)


    "...In der Aufhebung des Begehrens (tanha) besteht die Aufhebung des Leidens.

    Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..."

    (AN.VI.63)

  • es fällt schon auf, dass du den Tod - in diesem Thread - mehrfach als bedrohlich und grauenerregend schilderst, ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob das - angesichts der allgemein zunehmenden Lebensangst und Todesfurcht - so viel Sinn macht..

    Anna Panna-Sati .


    Klar, es ergibt Sinn, denn auch Ananda konnte es nicht akzeptieren und weinte, als der Buddha im Sterben lag. Der Buddha sagte ihm jedoch, dass die Lehre wichtiger sei und dass alles, was bedingt ist, vergehen muss.

    Ich habe selbst gesehen, wie Menschen sterben – viele Male. Und ich war sehr jung. Das hat sich tief in mir eingeprägt.

    Damit will ich sagen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit dem Tod auseinanderzusetzen. Denn absolut alles, was uns lieb ist, werden wir eines Tages verlieren. Den Tod als Bedrohung zu sehen, ist menschlich.

    Nur der Erwachte, ein Arahat, hat keine innere Identifikation mehr. Ich bin das noch nicht – das war ein Scherz, oder?

    Im alten Indien waren die Menschen tief davon überzeugt, dass der Körper nichts weiter als ein Vehikel ist. Deshalb sollte er nach dem Tod im Fluss verbrannt werden. Hier im Westen gibt es hingegen eine ganze Bestattungsindustrie, die aus dem Tod ein gutes Geschäft macht.LG.


    P.S. An anderer Stelle habe ich ein Zitat aus dem Visuddhi-Magga eingeführt("Über den Tod"), um den Fokus hier auf das Wesentliche zu lenken.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

    Edited once, last by Igor07 ().

  • Wahrscheinlich liegt das wiederum an der Tatsache, dass viele Menschen jegliche Gedanken an den Tod (zumindest den eigenen und den der Nächsten) - so lange wie möglich - verdrängen.

    Ich melde mich hier kurz zurück. Genau darum geht es. Auch Irvin Yalom behandelt in der "Existenziellen Psychotherapie" diese Frage sehr ausführlich.

    Der Buddhismus geht weiter. Bhikkhu Anālayo empfiehlt, sich alle möglichen Veränderungen bei der Verwesung eines Leichnams sehr bildlich vorzustellen, ebenso den Moment, als ob er der letzte wäre.

    Wenn ich mich richtig erinnere, erzählte er in einem Interview, dass bei ihm eine tödliche Krankheit diagnostiziert wurde; dann hat er alles an sich selbst ausprobiert (bei meinem Chaos kann ich momentan den Artikel nicht finden), und er berichtet, wie diese Technik ihm persönlich geholfen hat.

    In seinem praktischen Ratgeber zu Satipatthāna erweitert er die gesamte Technik; leider ist das Buch nur auf Englisch verfügbar.

    Aber du, liebe Anna Panna-Sati , hast natürlich recht: Es ist nicht für jeden geeignet.

    In einem Video des Muttodaya-Klosters erzählt auch ein Mönch über seine eigenen Erfahrungen, wie er in der Leichenhalle sehr lange meditiert hat, und für uns, die darüber hinwegsehen, klingt das eher morbide und obskur.

    Aber es ist der Kern des Theravada; man kann es drehen und wenden, aber die Vergänglichkeit kann man nicht aus Büchern studieren, sondern nur durch unmittelbare Erfahrung verstehen.

    Am Ende zitiere ich dazu eine Stelle aus dem Pali-Kanon:


    "

    "Diejenigen, ihr Mönche, die die Betrachtung über den Tod üben, indem sie denken: 'Ach, daß es mir doch vergönnt sei, einen Tag und eine Nacht am Leben zu bleiben - noch einen Tag - einen halben Tag - solange wie ein Almosenmahl dauert - solange wie ein halbes Almosenmahl dauert - solange wie das Zusammenballen und Hinunterschlucken von vier oder fünf Bissen dauert! Ich möchte des Erhabenen Weisung noch überdenken. Viel, wahrlich, könnte ich dann noch erwirken!' - von diesen Mönchen, ihr Mönche, sagt man, daß sie nachlässig leben und auf langsame Weise die Betrachtung über den Tod üben, um der Triebe Versiegung zu erreichen.

    Von demjenigen Mönche aber, der die Betrachtung über den Tod übt, indem er denkt: 'Ach, daß es mir doch vergönnt sei, solange am Leben zu bleiben, wie das Zusammenballen und Hinunterschlucken von einem einzigen Bissen Reis dauert! Ich möchte des Erhabenen Weisung noch überdenken. Viel, wahrlich, könnte ich dann noch erwirken!'

    -Oder der denkt: 'Ach, daß es mir doch vergönnt sei, noch während der Zeitspanne am Leben zu bleiben, die zwischen einer Ein- und Ausatmung oder einer Aus- und Einatmung liegt! Ich möchte des Erhabenen Weisung noch überdenken. Viel, wahrlich, könnte ich dann noch erwirken!'-

    Von einem solchen Mönche sagt man, ihr Mönche, daß er vollen Ernstes lebt und eifrig die Betrachtung über den Tod übt, um der Triebe Versiegung zu erreichen.

    Darum, ihr Mönche, habt ihr danach zu streben: 'Vollen Ernstes wollen wir leben und eifrig die Betrachtung über den Tod üben, um der Triebe Versiegung zu erreichen!' Das, ihr Mönche, sei euer Streben!"


    A.VIII.73 Die Betrachtung über den Tod I - 3. Paṭhama-maraṇassati Sutta

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • In den 80/90er Jahren gab es Dokus über Elisabeth Kübler-Ross, die Sterbende begleitete und erforschte.


    Diejenigen, die sich schwertaten mit dem Loslassen waren diejenigen, die "unerledigte Geschäfte" hatten. Sie hatten nicht realisiert, dass der Tod sie betraf bzw. wie wichtig es ist, sich rechtzeitig damit zu beschäftigen und "aufzuräumen".


    Das hat mich damals dazu bewogen, mich mit meinen Brüdern zu versöhnen, vorallem zunächst im Geiste, später auch persönlich.


    Ich habe ihnen nie wieder gegrollt, ganz im Gegenteil, es tat mir sehr leid, so viel Zeit verloren zu haben.


    So ging es weiter, ich räumte und räume ich bis heute auf. Deshalb habe ich auch keine Angst vorm Sterben.


    _()_Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Mein „Aufräumen“ ist so weit gelungen, dass ich Menschen als Freunde erkenne. Benehmen Menschen sich als Personen, die aus ihren persönlich geglaubten Beziehungen zu mir Ansprüche an mich als selbstverständlich ableiten, lasse ich sie auf ihrem Weg und gehe meinen.


    Ich erwarte nicht mehr von Menschen und sie können nicht mehr von mir erwarten. Menschen haben Worte, um zu sagen, was sie wollen, und können von mir nicht mehr erwarten, dass ich ihre Gedanken lese und mich nach ihren mir unbekannten Wünschen richte. Mein Handeln wird von ihren gesagten Wünschen geleitet und nicht mehr von meinen zweifelnden Vermutungen, was sie zufrieden machen könnte.


    Wünsche sind das Vergänglichste überhaupt.

    Keinem körperlichen oder körperlosen Wesen bin ich verpflichtet,

    mein Handeln zu rechtfertigen oder zu begründen,

    auch nicht mir, diesem Körper oder mich, diesem Ich.