MN72: Mit Vacchagotta über das Feuer (Aggivacchasutta)

  • Anmerkung für die Mods: Sabbamitta, deren Übersetzung ich hier eingestellt habe, hat ihre Übersetzungen Creative-Commons 0 lizensiert, also nach meinem Verständnis quasi gemeinfrei gestellt, somit sollte lizenzrechtlich / copyright technisch nichts gegen ein Posting des Textes sprechen.

    Spielregel für diesen Faden

    Wer hier mitreden will, kommentiert, zitiert, antwortet sollte die Sutta einmal konzentriert gelesen haben (oder angehört). Erst Lesen, dann schreiben. Für offtopic Anmerkungen einfach lieber einen separaten Faden aufmachen.


    Die folgende Sutta aus der Majjhima Nikaya (Sammlung der mittellangen Abhandlungen), darin im mittleren Teil (Majjhimapaṇṇāsa). In der Übersetzung von Sabbamitta (Buddhaworte habe ich kursiv gesetzt).

    SuttaCentral
    Early Buddhist texts from the Tipitaka (Tripitaka). Suttas (sutras) with the Buddha's teachings on mindfulness, insight, wisdom, and meditation.
    suttacentral.net

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    Oben rechts gibts ein kleines Lautsprechersymbol, da kann man wohl auch eine eingesprochene Fassung der Sutta anhören.

  • Ich finde an der Sutta interessant wie der Buddha bemüht ist sich nicht unnötig festzulegen. Hätte man nur diese Sutta als einziges Zeugnis über Buddha Gotama, so würde man ihn vielleicht als klaren Vertreter einer (philosophischen) Skepsis einsortieren.


    Man sieht dass der catuskoti (das Tetralemma) schon im Pali Kanon in Verwendung ist.

  • Na ja, danke sehr, pano .


    Es gibt auch die Übersetzung von Thanissaro Bhikkhu, die ebenfalls auf Deutsch verfügbar ist.

    Dabei fällt sofort auf, dass der Buddha versucht zu erklären, dass – ganz gleich, welche innere Kommunikation man pflegt, sei es in Bezug auf die fünf Khandha, auf Ansichten oder auf gängige Überzeugungen – diese Kategorien letztlich nicht anwendbar sind.

    Dann thematisiert er das bedingte Entstehen anhand des Gleichnisses vom Feuer.

    Im Grunde genommen zieht er einem den Boden unter den Füßen weg – das kann jeden verwirren.

    Das ganze Wirrwarr an Ansichten vermag es nicht, die Befreiung so widerzuspiegeln, wie sie wirklich ist – nämlich korrekt und angemessen.

    Oder anders gesagt:

    Die reine Lehre des Erwachten passt in keine mentale Landkarte, in keine gedankliche Schablone.

    Das ist doch im Kern genau das, was Zen ausmacht.

    Deshalb wollte sich der Gesprächspartner sofort ordinieren lassen.


    Das fällt mir noch ein:


    Wenn wir uns bemühen, eine Lehre – egal welche – zu definieren, dann verpassen wir nicht nur die Lehre selbst.

    Wir machen sozusagen aus der schönen, lebendigen Blume auf der Wiese ein getrocknetes Herbarium.

    Aber die Blume ist tot.

    Anders ausgedrückt:

    Wir klammern uns an das Floß, aber es ist nicht mehr als ein Vehikel – ein Mittel.

    Mehr ist es nicht. Und wenn wir daran festhalten, wird es nutzlos.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Auch wie der Buddha hier widerspricht. Nicht mit "Das ist falsch" oder "Das ist nicht richtig." Lediglich "Das ist nicht meine Ansicht." Wenn ich daran denke mit welcher vehemenz wir in Forenbeiträgen oft argumentieren in diesem Forum.


    Es gibt diesen flapsigen Spruch mit dem wir uns an der Uni vor mündlichen Prüfungen und Präsentationen Mut zugesprochen haben: "Sicheres auftreten bei kompletter Ahnungslosigkeit" (War für uns ein bisschen wie "Hals und Beinbruch" für Theaterleute denke ich). Nunja, der Buddha kehrt das auf den Kopf, "Vorsichtiges auftreten, aufgrund tieferer Einsicht".

    Naja, das sind erstmal meine Gedanken. Bin gespannt auf eure Reaktionen.

  • Es gibt auch die Übersetzung von Thanissaro Bhikkhu, die ebenfalls auf Deutsch verfügbar ist.

    Sabbamitta ist soweit ich das richtig erinnere an Bikkhu Sujato angelehnt bei der Übersetzung (sie schaut auch auf das Pali). Bikkhu Sujato und Thanissaro Bhikkhu unterscheiden sich im Übersetzungsansatz etwas.


    Auf Sutta Central finden sich noch die Übersetzungen von Mettiko Bhikku (Kay Zumwinkel): https://suttacentral.net/mn72/…ence=none&highlight=false und die englische Übersetzung von Thanissaro Bhikkhu https://suttacentral.net/mn72/…ence=none&highlight=false sowie die von Bhikkhu Sujato https://suttacentral.net/mn72/en/sujato?lang=en&layout=plain&reference=none&WCF_AMPERSAND¬es=asterisk&highlight=false&script=latin Die Übersetzung nach Neumann (?) gibts noch hier https://www.palikanon.com/majjhima/m072n.htm . Ayya Khema motivierte Kay Zumwinkel damals die MN zu übersetzen, da die Übersetzung von Neumann aus ihrer Sicht so fehlerhaft war.

  • Ein Klargewordener ist vom Rechnen in Begriffen der Form befreit. Er ist tief, unermesslich und schwer zu ergründen wie das Weltmeer. ‚Er wird wiedergeboren‘, ‚er wird nicht wiedergeboren‘, ‚er wird wiedergeboren und auch nicht wiedergeboren‘, ‚er wird weder wiedergeboren, noch wird er nicht wiedergeboren‘ – keine dieser Aussagen trifft zu.

    Jedes Gefühl, mit dem ein Klargewordener beschrieben werden könnte … jede Wahrnehmung … alle Willensbildungsprozesse … oder jedes Bewusstsein, mit dem ein Klargewordener beschrieben werden könnte, wurde aufgegeben, an der Wurzel abgeschnitten, wurde wie der Stumpf einer Palme, wurde ausgelöscht und kann sich in Zukunft nicht mehr erheben. Ein Klargewordener ist vom Rechnen in Begriffen des Bewusstseins befreit. Er ist tief, unermesslich und schwer zu ergründen wie das Weltmeer.



    Mir reicht das vollkommen aus. Mehr brauche ich als Buddhas zeigen in diesem Sutra nicht. Wenn das nicht gefühlt und verstanden wird, ist da kein Klargewordener.




    Ein Klargewordener ist vom Bedenken in Begriffen jeder Form befreit. Er ist tief, unermesslich und schwer zu ergründen wie das Weltmeer. ‚Er wird wiedergeboren‘, ‚er wird nicht wiedergeboren‘, ‚er wird wiedergeboren und auch nicht wiedergeboren‘, ‚er wird weder wiedergeboren, noch wird er nicht wiedergeboren‘ – keine dieser Aussagen trifft zu.

    Jedes Gefühl, mit dem ein Klargewordener beschrieben werden könnte … jede Wahrnehmung … alle Willensbildungsprozesse … oder jedes Ichbewusstsein, mit dem ein Klargewordener beschrieben werden könnte, wurde aufgegeben, an der Wurzel abgeschnitten, wurde wie der Stumpf einer Palme, wurde ausgelöscht und kann sich in Zukunft nicht mehr erheben. Ein Klargewordener ist vom Rechnen in Begriffen der Form befreit. Er ist tief, unermesslich und schwer zu ergründen wie das Weltmeer.

  • Perfekt Qualia, Danke ❤️

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Ein kleiner Scherz, aber kein OT.


    Das war schon in diesem Forum – und zwar vor 14 Jahren.


    Damals waren echte Profis im Spiel, denke ich.


    Lesenswert!


    Lauscher

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Ich finde an der Sutta interessant wie der Buddha bemüht ist sich nicht unnötig festzulegen. Hätte man nur diese Sutta als einziges Zeugnis über Buddha Gotama, so würde man ihn vielleicht als klaren Vertreter einer (philosophischen) Skepsis einsortieren.

    Buddha legt sich ja aus einem bestimmten Grund hier nicht fest. Es sind die bekannten Antimonien, die Vacchagotta dem Buddha als Fragen vorlegt. Wenn man jedoch zur Einsicht gekommen ist, dass alles zusammen gesetzt und bedingt entstanden ist, dann sind Antworten auf diese Fragen nur über den Tetralemma sinnvoll.

    Buddha ist bezeichnet als "Klargewordener" - bei Zumwinkel ist es mit "Tathagatha" übersetzt. Er hat also auch so was wie (philosophische) Skepsis beiseite gelegt.


    In AN 1-27 wird aber auch zwischen rechter und falscher Ansicht unterschieden. Diese falschen Ansichten sind in DN 1 aufgezählt.

    :zen:



  • Ich finde an der Sutta interessant wie der Buddha bemüht ist sich nicht unnötig festzulegen. Hätte man nur diese Sutta als einziges Zeugnis über Buddha Gotama, so würde man ihn vielleicht als klaren Vertreter einer (philosophischen) Skepsis einsortieren.

    Buddha legt sich ja aus einem bestimmten Grund hier nicht fest. Es sind die bekannten Antimonien, die Vacchagotta dem Buddha als Fragen vorlegt. Wenn man jedoch zur Einsicht gekommen ist, dass alles zusammen gesetzt und bedingt entstanden ist, dann sind Antworten auf diese Fragen nur über den Tetralemma sinnvoll.

    Buddha ist bezeichnet als "Klargewordener" - bei Zumwinkel ist es mit "Tathagatha" übersetzt. Er hat also auch so was wie (philosophische) Skepsis beiseite gelegt.


    In AN 1-27 wird aber auch zwischen rechter und falscher Ansicht unterschieden. Diese falschen Ansichten sind in DN 1 aufgezählt.

    Magst du das mal etwas naeher erlautern, Leonie?

  • Ich persoenlich denke, dass der Lehrtext "eventuell" einen fiktiven Dialog darstellt, der vielleicht nie in der Realitaet stattgefunden hat. Eben ein "Lehrstueck"


    Und zwar aus folgendem Grund:


    Es werden Sachen angesprochen - in dem Fragen aufgeworfen werden, die dadurch automatisch ins Bewusstsein des Hoerers/Lesers gelangen. Es ist also "zwingend" notwendig, dass sich der Leser mit diesen Fragen beschaeftigen "muss".

    Und im Endeffekt wird er vor "keine" Loesung gestellt.


    Deshalb denke ich, es ist nichts weiter ausser "dem Traning der grauen Zellen". Und schon das alleine fuehrt wohl den Leser/Hoerer weiter.


    PS:

    Ich denke, letzlich besteht die einzige "Loesung" im "Tun". Also das darueber Nachdenken als Selbstzweck. Das sehe ich als "Loesung" der Tetralemma'.


    Die Loesung ist wohl:


    "Tut es, denkt. Und solange ihr das tut, habt ihr es geloest. Hoert ihr aber auf, darueber nachzudenken, habt ihr die Loesung verloren."

    Edited once, last by nuk ().

  • Magst du das mal etwas naeher erlautern, Leonie?

    nuk:


    Siehe hier:


    Zitat

    Hier sind mit 'falscher Ansicht' (micchā-ditthi) die in D.1 aufgezählten 62 Ansichten gemeint. Diese lassen sich in drei Kategorien einteilen:

    1. Spiritualismus oder Ewigkeits-Ansicht (sassata-ditthi); d.i. der Glaube an eine unabhängig vom Körper bestehende und nach dem Tode fortdauernde Ichheit oder Seele. 2. Materialismus oder Vernichtungs-Ansicht (uccheda-ditthi), d.i. der Glaube an eine nach dem Tode der Vernichtung anheimfallende Ichheit oder Persönlichkeit.

    3. Fatalismus oder der Glaube an die Ursachlosigkeit (adhicca-samuppanna) des Daseins, wie sie z.B. von Makkhali-Gosāla (s. Text 30) u. Anm.) gelehrt wurde. Weiteres über falsche Ansichten s. Wtb:
    ditthi.


    Die Fußnote zu A.I.27. Rechte Erkenntnis und falsche Ansicht (XVI,2. 1-8)

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Tschuldigung, Igor07 , ich sehe den Zusammenhang nicht , wie diese von dir angefuehrten Fussnoten meine Frage hinreichend beantowrten koennte. Was ich fett und rot uterstrich, ist ja eine "Wenn -> dann..." Aussage. Also anders gesagt:


    Zitat

    "Wenn (A), dann folgt dareus (logisch zwingend) (B)". (WP:Semanitsche Implikation)


    herzlich

  • schuldigung, Igor07 , ich sehe den Zusammenhang nicht , wie diese von dir angefuehrten Fussnoten meine Frage hinreichend beantowrten koennte. Was ich fett und rot uterstrich, ist ja eine "Wenn -> dann..." Aussage. Also anders gesagt:

    nuk


    Du hattest gefragt, was Leonie geschrieben hat. Es ging um das Tetralemma. Was bedeutet das?

    Das Tetralemma beschreibt vier mögliche Positionen, die der Buddha allesamt verneint:

    1. Etwas ist (so).

    2. Etwas ist nicht (so).

    3. Etwas ist sowohl (so) als auch nicht (so).

    4. Etwas ist weder (so) noch nicht (so).

    Wenn man die Sutras aufmerksam liest, so wird ersichtlich, dass der Buddha all diese Positionen abstreitet.

    Weil alles abhängig entstanden ist, ist es nicht möglich, den Erwachten festzulegen.

    Er passt in keine Schublade – er ist unermesslich.

    Besser kann ich es nicht erklären.


    PS: Beitrag 12 – rot markiert.


    Sieh dir den Artikel über Nāgārjuna auf Wikipedia an. LG.


    So Leonie :


    Zitat

    Wenn man jedoch zur Einsicht gekommen ist, dass alles zusammen gesetzt und bedingt entstanden ist, dann sind Antworten auf diese Fragen nur über den Tetralemma sinnvoll.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Nee, Igor07 , ich fragte nicht nicht nach dem Tetralemma, sondern nach dem Bezug des "Wenn" zum "dann". Also nach dem:

    Zitat

    WARUM dies, wenn DAS?


    Also um mich noch mal praezise auszudruecken:


    Zitat

    WIESO sind aus der Einsicht, dass 'alles zusammengesetzt' und bedingt entstanden ist '(zwangsweise) nur gueltige Antworten ueber das Tetralemma sinnvoll?


    Ach, ich erwarte eigentlich gar keine praezise Antwort (mehr). Ich verstehe nicht einmal, wie etwas 'zusammengesetzt' sein kann, wenn anatta gilt. Also nichts 'in sich selbst besteht'. Wenn nichts in sich sich selbst besteht, dann kann man auch keine Einzelteile 'zusammensetzen'. Sondern es gaebe nur so etwas wie ein 'fluides Alles',


    Soweit meine Gedanken. Ich weiss nicht, ob ich mich jetzt praezise genug ausgedrueckt habe.


    herzlich,

    nuk



    PS:

    Ich will noch anmerken, dass auch ein Tetralemma eindeutig im Sinne der klassischen zweiwertigen Logik eindeutig 'wahr' oder 'falsch' sein kann. Und zwar in dem es - als Ganzes - in dieses klassische duale Logiksystem eingebettet sein koennte.

    Edited 3 times, last by nuk ().

  • Ich verstehe nicht einmal, wie etwas 'zusammengesetzt' sein kann, wenn anatta gilt. Also nichts 'in sich selbst besteht'. Wenn nichts in sich sich selbst besteht, dann kann man auch keine Einzelteile 'zusammensetzen'. Sondern es gaebe nur so etwas wie ein 'fluides Alles',

    Da gibt es kein" Fluidum". Der Begriff „Anatta“ bezieht sich auf die vergänglichen und „zusammengesetzten“, abhängig entstanden-e--n Khandha-s, die eine Person ausmachen. Doch diese ist letztlich nicht auffindbar – also: „Nicht-Selbst“ oder „Nicht-Ich“. Das steht alles im Sutra. Alles Gute!

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates