Beispiele fragwürdiger / falscher Übersetzungen

  • In diesem Thread habe ich die Frage gestellt, wie weit es überhaupt möglich ist, alte Chan-Texte sinnvoll zu übersetzten.


    Hier ein paar spontane Bespiele für Koans / Geschichten, die mir schon immer merkwürdig vorkamen und zu denen ich später sinnvollere Erklärungen gefunden habe:


    Beispiel 1

    Frage: "Was braucht es, um einen Mönch zu machen?"

    Antwort: "Einen Sack Senfkörner".

    Brad Warner hat sich darüber mal irgendwo ausgelassen, ich glaube in einem Buch. Der Punkt ist, dass Dogen einen langen philosophischen Text über die Bedeutung der der Senfkörner verfasst hat, aber dabei wohl selbst auf einen Übersetzungsfehler reingefallen ist. Die ursprüngliche chinesische Antwort lautet "Ein Pfund Hanf", was die Menge an Hanf war, die man brauchte, um eine Robe oder ein Kesa zu produzieren. Oder anders ausgedrückt: Es braucht nichts weiter, als sich eine Robe zu machen. Wer das Gewand anzieht und sich auf den Weg begibt, ist Mönch. Keine Prüfung, kein Sutra-Lernen, nichts weiter.
    Also einfach eine Feststellung und nichts, um tiefgründige, philosophische Spekulationen anzustellen.


    Beispiel 2

    Koan: "Warum kam Boddhidharma aus dem Westen?"

    Da kann man lange rumknobeln, aber tatsächlich ist es m.W. einfach eine gängige buddhistische Redewendung, die soviel besagt wie "Frag nicht so dumm", ähnlich unserem "Warum ist die Banane krumm?"


    Beispiel 3:

    Die Geschichte mit dem Mönch, der Zazen macht und auf die Frage, warum er das tut, antwortet, "um Erleuchtung zu erlangen". Der Meister fängt daraufhin an, einen Ziegel zu reiben. Auf die Frage des Mönchs, warum er das tue, antwortet er "Um einen Spiegel zu machen." Der Mönch fragt: "Wie kann man aus einem Ziegel einen Spiegel machen?". Der Meister fragt zurück: "Wie kann man durch Zazen erleuchtet werden?"


    Wir denken, wenn wir das hören, an einen Ziegelstein und irgendwie macht diese Geschichte keinen Sinn. Also ein tiefes Koan? Aber in China waren die Dachziegel verglast und haben gespiegelt. Wenn man das berücksichtigt, dann sagt der Meister nichts anderes als: "Der Ziegel spiegelt eigentlich schon, also warum muss man ihn noch polieren?" Das ist sehr ähnlich Dogens Aussage, wir seien schon von Natur aus erwacht, aber haben es noch nicht realisiert. Das ist zwar immer noch etwas zum Nachdenken, aber im Gegensatz zu einem Ziegel deutscher Art macht die Geschichte mit einem spiegelnden Glasziegel im Zen-Kontext durchaus Sinn.

    Edited once, last by lubob ().

  • Davon könnte ich noch ein paar liefern, aber ich werde mich nicht mehr den Angriffen und dem "das hat Buddha oder XY nicht gesagt" aussetzen.

  • Aber warum kam er denn nun aus dem Westen?


    Traditionell bedeutet diese Frage ja, was ist die Essenz des Zen? Worum geht es?


    Koans sollen sich nicht logisch ergeben. Zu versuchen, sie irgendwie ins lächerliche zu ziehen, ist der erste Schritt in die falsche Richtung. Das ist es nicht.

  • Zwei Übersetzungen ins Deutsche der selben Textstelle, einmal aus der chinesischen Übersetzung des Sanskrit-Texts (nach Geldsetzer)

    Zitat

    Zwischen Nirvana und Welt gibt es nicht den geringsten Unterschied

    Und zwischen der Welt und Nirvana gibt es auch nicht den geringsten Unterschied


    [Von der tatsächlichen Grenze von Nirvana bis bis zur Grenze der Welt

    wären die beiden (überhaupt) so begrenzt, gibt es nicht den haarfeinsten Spalt]


    Nagarjuna Die Lehre von der Mitte in der Übersetzung von Geldsetzer (Kapitel 25, Vers 19ff) erschienen im Meiner Verlag


    und die selbe Stelle aus dem Sanskrit übersetzt nach Weber-Brosamer/Back - Die Philosophie der Leere. Wiesbaden 2005, S. 100


    Zitat

    Es gibt nichts, was das Samsara vom Nirwana und das Nirwana vom Samsara unterscheidet. Die Grenze des Nirwana ist zugleich die Grenze des Samsara. Zwischen diesen beiden wird auch nicht der feinste Unterschied gefunden.


    Es ist schon spannend wie Texte sich auf ihren Reisen durch die Sprachen verformen und doch auch Form behalten.



    PS: Das Spiel "Stille post" was man auf Kindergeburtstagen spielt (man flüstert sich ein Wort ins jeweils rechte Ohr was man an den Nachbarn weiterflüstert, bis einen am Ende einer Runde üblicherweise ein anderes Wort erreicht heißt auf Englisch traditionell "chinese whispers".

  • Zitat

    Die Grenze des Nirwana ist zugleich die Grenze des Samsara. Zwischen diesen beiden wird auch nicht der feinste Unterschied gefunden.

    Kein Unterschied kann gefunden werden und doch ist Nirwana nicht Samsara. Eine Grenze, doch nicht getrennt, aneinander, doch nicht verbunden.

    Kein Festhalten und der mittlere Weg ist da.

  • Ah mein

    Das sollte eigentlich in den anderen Faden. Habe keine Indizien auf eine fragwürdige Übersetzung. Ich sehe da einfach Beispiele für übliche Varianz durch Übersetzungen

  • Traditionell bedeutet diese Frage ja, was ist die Essenz des Zen? Worum geht es?

    Tja, nur hat es im Chinesischen eine ganz andere Konotation. "Westen" steht im Chinesischen auch für "unwohl", "schlimmes", "finsteres". Ich erspare dir jetzt hier die tieferen Ausführungen meines Jüngsten, aber die Kurzfassung ist, dass in der Historie aus dem Westen mehrmals Tod, Zerstörung, Barbaren kamen. Der "Westen" steht also auch synonym für Feinde aus den fernen Landen.


    Das heißt, eine inhaltlich korrekte Übersetzung wäre eher "Warum kam Boddidharma aus den finsteren Landen?" oder "Warum kam Boddidharma aus den Ländern unserer Feinde?"


    Und das wäre eben inhaltlich schon ein ganz anderes Koan als einfach "Warum kam Boddidharma aus dem Westen?" im Sinne von Himmelsrichtung.

  • Das sollte eigentlich in den anderen Faden. Habe keine Indizien auf eine fragwürdige Übersetzung. Ich sehe da einfach Beispiele für übliche Varianz durch Übersetzungen

    Ja, manchmal ist es auch sehr interessant, wie der gleiche Inhalt in verschiedenen Worten transportiert werden kann.

    Manchmal ergibt sich inhaltliche Ähnlichkeit aber auch, weil die neueren Arbeiten natürlich schon die alten Übersetzungen in die Vorbereitung einbezogen haben.

    Wie du im anderen Faden schreibst, es braucht eben oft viele Köpfe, bis sich eine allgemein für gut befundene Fassung herauskristallisiert.

    Edited once, last by lubob ().

  • Der Sinn ist, was ist die Essenz des Zen. So wird die Frage verstanden. Wie du die Frage verstehen willst, ist natürlich deine Sache. Im Zen sehen wir es eben so.

  • Im Zen


    Also mir kommt das merkwürdig vor, zu sagen, man meint die Essenz des Zen, fragt aber mach Boddidharma und dem Westen.


    Eigentlich könnte man doch gleich die Frage stellen, um die es geht. Die wahre Essenz des Zen ist ja auch nicht in Worte zu fassen.

    Sagt man aber, die Frage muss eben so gestellt werden, wie sie gestellt wird,

    dann spielt der ursprüngliche Kontext, die ursprüngliche Bedeutung eben doch eine wichtige Rolle und ihr stellt sie vielleicht falsch. Kann ja sein...


    Wenn ihr aber sagt, "nein, nein, der Kontext spielt gar keine Rolle", dann könnte man es auch lassen und die Frage durch eine beliebige andere Frage ersetzen. Etwa: "Warum ist es Nachts kälter als draussen?" Da kann man den Übenden dann auch erklären, dass es weder um Nacht noch um Kälte geht, sondern um die Essenz des Zen.

    Mann muss nicht an alten Zöpfen festhalten. Schon vor Jahrzehnten wurde das Koan mit dem Aufhalten des Stiers in Japan modernisiert und wurde zur Frage, wie man mit einer Faust den Shinkanzen aufhalten könne...


    Wie ist es nun, stellt ihr die Frage, ohne den Kontext zu beachten, weil die Worte nichts bedeuten und ihr etwas ganz anderes meint? Oder ist genau diese Formulierung doch wichtig und wenn ja, warum ignoriert ihr dann möglicherweise wichtigen Kontext und benutzt eine inhaltlich evtl unvollständige Übersetzung?


    Ich sage nicht, dass ich die richtige Übersetzung kenne, aber der Verdacht liegt m.E. nahe, dass die übliche Übersetzung so zu kurz greift.

  • Eigentlich könnte man doch gleich die Frage stellen, um die es geht. Die wahre Essenz des Zen ist ja auch nicht in Worte zu fassen.

    Meistens geht es dabei um die eine Sache:

    „Nicht zwei und nicht Eins“…

    Alles ist „Eins“ und doch unabhängig von einander…


    Rein gedanklich schwer zu begreifen, weil das Gehirn dabei anfängt JoJo zu spielen…


    Und man das bei der Umsetzung im Alltag eben nicht durch Denken sondern durch Loslassen (nicht mehr Anhaften, Hingabe zu jedem neuen Augenblick ohne Denken an Gewinn und Verlust zB) nur praktizieren/umsetzen kann…


    Sicherlich führen unterschiedliche (unbekannte) Kulturen und Sprachen erst mal zu Missverständnissen, möchte man Etwas einer andern Kultur vermitteln. Dann sind zusätzliche Erläuterungen oft notwendig. Bzw. fremde Gewohnheiten einer Kultur müssen einem erst mal vertraut werden.


    Wir leben zwar alle auf einer Erde, aber wir sind nicht alle mit derselben Sprache und Kultur und auch Natur! aufgewachsen…


    (Mir fällt dazu spontan „Tarzan in New York“ ein)


    S.Suzuki macht die unterschiedliche Bedeutung eines einzelnen! Wortes je nach Konzext zB in seiner Erläuterung zum Sandokai deutlich. Manchmal findet er auch keine genauen passenden westlichen Worte und muss versuchen den Sinn zu umschreiben.

    Und das kann eigentlich nur jemand der beide Sprache und Kulturen einigermaßen gut kennt.


    lubob:


    Vielen Dank für die Hinweise bezüglich Hanf und Ziegelsteinen…

    Das macht noch einmal deutlich in wie weit Fehlübersetzungen oder Übersetzungen ohne zusätzliche Kommentare und Erläuterungen zu zusätzlichen Missverständnissen führen kann.


    In unserem westlichen Alltag ist es doch auch oft genauso, selbst wenn wir dieselbe Sprache sprechen und am selben Ort aufgewachsen sind:


    Manchmal braucht man immer noch mehrere Sätze bis der eine den anderen besser versteht, oder um eine Sache zu erklären bis der andere sie versteht.


    Das ist einfach ganz natürlich…


    Wir Menschen sind einfach zu kompliziert geworden, haben uns zu sehr von unserer ursprünglichsten Natur entfernt. Wir wollen lieber immer alles Mögliche immer Wissen, können schlecht unserer Intuition und Natur vertrauen…


    Haben deshalb auch viele Ängste…


    Wie Dogen mal beschrieb:


    Ein Vogel fliegt ganz einfach weil er von Natur aus fliegen kann…

    Er muss dafür erst nicht den „ganzen Himmel kennen“…

  • Es geht um den Eingang in die Praxis bei solchen Koans. Kannst du ihn finden?


    Ein echter Meister wird sich nicht mit der Antwort, "weil er die Lehre verbreiten wollte" zufrieden geben. Eventuell kannst du irgendwann artgerecht auf diese Frage antworten, eventuell indem du einen Schrei abgibst, oder dir die Sandalen auf den Kopf setzt. Bis dahin kann ich dir nur sagen, dass die Dekontextualisierung von solchen Geschichten, der Geschichte des Zen nicht gerecht kommt. Warum sollte man solchen Geschichten einen solchen Wert beisetzen und warum stehen sie in Koan-Sammlungen? Du müsstest doch wissen, welchen Wert die alten Meister Koans zugeschrieben haben und wie sie sie darstellten. Hätten sie es so gemeint, wie du es nun versuchst darzustellen, hätten sie es auch so formuliert...


    Wenn es dir zu kompliziert ist, kannst du die Frage auch besser erstmal so beantworten: er kam aus dem Westen, um die Lehre zu verbreiten. Warum? Weil er sie für eine gute Sache hielt, weil er so seinen Lebensweg beschreiten wollte, es also auch quasi seine Arbeit war, als Meister zu agieren.


    Was aber die Lehre ist, lässt sich so nicht beantworten. Obwohl natürlich, auch diese logische Antwort, ein Meister als valide einstufen könnte, je nach dem, ob er es dir abkauft, eventuell müsste er noch ein paar Fragen stellen.

  • Ich weiß es nicht. Könnte ich ihn doch fragen.

  • Neulich bin ich beim Umschalten im TV in eine Predigt von Bobby Shuller (?) auf Bibel-TV geraten:


    "Republicans und Democrats können sich nicht verstehen ..."


    Republicans und Democrats übersetzen die gemeinsam empfangenen Bilder und Worte in verschiedene - teilweise völlig konträre - Geschichten über die Welt, sie leben in parallelen Welten ...


    :cry: