Anatta und Wiedergeburt

  • Auch ich kann mich hier nur anschließen. Ajahn Buddhadasa auch bekannt unter Buddhadasa Bhikkhu ist einer der Autoren die uns den Buddhismus am nächsten bringen.

  • Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, den Text von Ajahn Buddhadasa zusammen zu fassen:


    Anatta und Wiedergeburt


    Die Vorstellung des Selbst im Hinduismus


    Das Gefühl man sei ein Selbst, entsteht ganz natürlich und instinktiv. Aufgrund dieses Gefühls sprechen die Menschen von einem "Selbst" (atta). Dann lehren sie, daß es ein höheres Selbst gibt, eines, das besonders bedeutsam oder tiefgründig ist. So entwickelt sich das Selbst-Gefühl, durch einen Lern- und Erziehungsprozeß, zu einem Glauben an ein höchstes Selbst, eine ewige Seele. Dieser Glaube und diese Lehre, stammt aus dem Hinduismus, und war zur Zeit Buddhas weit verbreitet. Buddha jedoch lehrte das Gegenteil, nämlich daß alle Dinge Anatta (Pali) bzw. Anatman (Sanskrit), Nicht-Selbst sind.


    Die Menschen, die vor langer Zeit in Wäldern und Höhlen lebten, glaubten an ein Selbst. Sie glaubten auch an Geister, "Kräfte" und Gespenster, die als Wesen mit einem Selbst angesehen wurden. Diese weitverbreiteten Vorstellungen entstehen leicht im menschlichen Geist. Gibt es erst einmal die Lehre von einem Selbst, dann dauert es nicht lange und es entstehen Zeremonien, Riten und Rituale, die sich auf Geister, Engel, Dämonen und andere "Wesenheiten" beziehen. Mit fortschreitender Zivilisation, entwickelten sich sowohl der Glaube an ein Selbst und an Geister, als auch die zugehörigen Zeremonien und Rituale, weiter.


    Die höchste, am weitesten entwickelte Version dieses Glaubens trat in Indien in der Zeit der Upanishaden (die heiligen Schriften der Hindus, es wird angenommen, dass die Upanishaden zwischen 700 v. Christus und 200 v. Christus entstanden) auf. Diese lehrten ein atta, ein Selbst, wie jenes an das man heutzutage glaubt: es gibt ein Selbst - eine grundlegende Basis oder Realität - in den lebenden Wesen, welches sich aufeinanderfolgend reinkarniert. Es wird durch diese lange Abfolge von Geburten langsam gereinigt, bis es in der Ewigkeit endet. Dies ist die höchstentwickelte Theorie des hinduistischen Glaubens an ein Selbst.


    Buddhas Lehre vom Nicht-Selbst


    Das war also die Situation, bevor der Buddha erschien. Die Lehre des höchsten Selbst wurde als die höchste, neueste und hervorragendste Lehre angesehen. Der Buddha jedoch dachte auf eine neue Weise. Er sah, daß diese Lehre vom Selbst nicht der Wahrheit entsprach. Erstens, existiert das, worüber sie sprachen (Reinkarnation?) eigentlich nicht. Zweitens, ist dieser Glaube an ein Selbst, an die Lehre, daß das Selbst existiert, die Ursache von dukkha (Leid). Er wies darauf hin, daß alles Leid auf dem basiert, was wir "Selbst" nennen. Der Buddha lehrte das Nicht-Selbst aus diesen zwei Gründen: 1. das Selbst ist nicht wahr und 2. es ist die Ursache von Leid. So entstand die Lehre von anatta (Nicht-Selbst).


    Wie entsteht in uns das Gefühl von einem Selbst?


    Nun wollen wir uns damit befassen, wie dieses Gefühl, daß es ein Selbst gibt, entsteht. Dieses Gefühl tritt auf, weil die Instinkte fühlen oder erspüren, daß es ein Selbst im Leben gibt. Das geschieht von alleine und ist ein Überlebensmechanismus, den wir in allen Organismen finden können. Bitte versteht, daß instinktives Wissen, obgleich natürlich, nicht korrekt sein muß. Es ist noch ohne richtiges Wissen und wird avijja - (Unwissenheit) genannt. Deshalb sind Erlebnisse die sich ausschließlich auf die Instinkte stützen, als unwissend zu betrachten. Sie verursachen in uns das Gefühl, die wichtigste Wahrnehmung in lebenden Wesen, daß es ein Selbst gibt. Wir können erkennen, daß dieses instinktiv hervorgebrachte Gefühl für das Überleben des Organismus notwendig ist, obwohl es spirituell nicht korrekt ist.


    Auf der zweiten Stufe der Entwicklung des Selbst, nimmt die Unwissenheit zu, und das Selbst-Gefühl baut sich weiter auf. Der Säugling wird mit einer grundlegenden Selbstempfindung geboren - ein natürliches, instinktgebundenes Gefühl. Aber dann ist der Säugling von lauter Dingen umgeben, die von ihm als gut und schlecht, angenehm und unangenehm, positiv und negativ empfunden werden. Während es in zunehmendem Maße zur Erfahrung von Freude und Schmerz kommt, wird der instinktive Eindruck eines Selbst verstärkt und Vorlieben entwickeln sich. Da das Kind nicht genügend Verständnis besitzt, um es besser zu wissen, nimmt die Unwissenheit zu und das Selbst-Gefühl wird bestätigt und gefestigt. Dieses Selbst ist gestärkt von Unwissenheit.


    Auf der dritten Stufe dieser Entwicklung der Selbstvorstellung, wird uns beigebracht fest daran zu glauben. Durch die kulturelle Belehrung, das Wissen, das von Eltern und Lehrern weitergegeben wird: "es gibt ein Selbst", "wir haben ein Selbst"; wird unser Glaube daran vertieft und gefestigt. Dies ist die kulturelle Konditionierung, die jedes Kind während des Heranwachsens in zunehmendem Maße von den Eltern, Lehrern und anderen kulturtragenden Elementen erhält. In jedem Heim, allen Familien, allen Religionen, in den Schulen, den Tempeln, den Synagogen und den Kirchen, überall wird dieser Glauben an ein Selbst und eine Seele in den Geist des Kindes hineingetrieben und sehr fest darin verankert. Wenn die jeweilige Religion eines Kulturkreises annimmt, daß es ein Selbst gibt, verbreitet sich diese Lehre mehr und mehr. Durch all dieser Belehrungen verstärkt sich in dem Kind der Glauben an ein Selbst, bis er zu einer tiefen Überzeugung wird. Das Gefühl, daß es ein Selbst gibt, ist deshalb eine feste Grundlage in jedem von uns.


    Was ist Anatta?


    Nun kommen wir zu der Frage, was ist anatta? Was sind das für Dinge, die Nicht-Selbst sind? Das erste ist der Körper-Geist-Komplex. Der Körper ist ein physisches Ding, das seine verschiedenen Funktionen erfüllt. Er kann alle lebensnotwendigen Funktionen ausführen, ohne eines Selbst, eine Seele, zu bedürfen. Wenn wir ein Selbst oder eine Seele in den Körper hineinprojizieren und denken, daß es ein Selbst gibt, ist das ein Mißverständnis. Tatsächlich ist es nur der Körper, der in allen dem Körper angemessenen Weisen funktioniert. Er ist Reizen gegenüber empfindlich, so wie es einem mit einem Nervensystem ausgestatteten Körper entspricht. Auch der Geist kann alle Geistespflichten erfüllen, ohne ein ein Selbst, eine Seele oder ein atman (Sanskrit: individuelles Selbst, Seele) zu brauchen. Körper und Geist funktionieren wunderbar aus sich selbst heraus. Es besteht kein Bedarf für ein Ding, das die Menschen Selbst (Seele) nennen - das den Körper-Geist vermeintlich in Besitz nimmt und kontrolliert. Deshalb sind der Körper und der Geist nicht Selbst, sie sind anatta.


    Die 5 Daseinsgruppen


    Man unterscheidet die menschliche Persönlichkeit in folgende 5 Daseinsgruppen:


    1. die Körperlichkeitsgruppe (der materielle Körper)
    2. die Wahrnehmungsgruppe (die Wahrnehmung durch die Sinne)
    3. die Gefühlsgruppe (die Empfindungen, die durch die Wahrnehmungen ausgelöst werden)
    4. die Geistformationsgruppe (die Interpretation der Wahrnehmungen durch den Geist)
    5. die Bewusstseinsgruppe (die Handlungen, die durch das Bewusstsein veranlasst werden).


    Buddha unterscheidet zwischen dem Körper und dem Geist und sagt, dass sowohl der Körper als auch der Geist Nicht-Selbst sind und kein Selbst (keine Seele) erfordern.


    Wir wollen noch einmal dieses wichtige Etwas, das "Geist" genannt wird, aufgreifen. Bezüglich des Geistes können wir beobachten, daß sich die Bedeutung von allem was wir empfinden und wahrnehmen auf den Geist zurückführen läßt. Jeglicher Sinn und jeglicher Wert liegt im Geist. Alle Dinge müssen durch den Geist erfahren werden. Wegen dieser zentralen Stellung des Geistes, des Bewußtseins, gibt es jene, die behaupten, daß dieser Geist das Selbst sei. Da er Dinge tun kann und Dinge fühlen kann und wegen seiner vielen anderen oben beschriebenen Funktionen, wird der Geist oft mit dem Selbst gleichgesetzt. Der Geist ist zu all dieser Bewußtheit, zum Erfüllen all seiner Funktionen fähig, denn so ist der Geist aufgebaut. Obwohl er so viele Dinge tun kann, sind alle diese Funktionen "nur so", sie sind nur was sie sind, Funktionen. Es ist kein Selbst in einer Daseinsebene von ihnen zu finden, folglich ist der Geist als Oberbegriff der einzelnen Funktionen auch Nicht-Selbst.


    Erlaubt uns ein Beispiel dafür zu geben, wie materielle Dinge aus sich selbst heraus, mittels ihres eigenen Nervensystems, fühlen können. Eine bestimmte Mimosenart, die ihr wahrscheinlich gesehen habt (sie wächst hier überall), breitet, wenn sie sich öffnet, ihre Blättchen voll aus wie die Finger einer offenen Hand. Berühre sie mit deiner Hand, und die Blättchen schließen sich, falten sich zusammen wie die Seiten eines Buches. Diese grasähnliche Pflanze kann sich von ganz alleine schließen. Obwohl sie völlig materiell ist, hat sie doch einen Mechanismus, der auf Berührung reagieren kann. Sie schließt sich ganz so als ob sie fühlen könnte. Diejenigen die an ein Selbst glauben, glauben, daß ein Selbst (eine Seele) in dieser Pflanze ist. Der Buddhismus jedoch behauptet, daß sich darin kein Selbst befindet, daß sie Nicht-Selbst ist. Sie hat lediglich eine Wirksamkeit in sich, die ihr erlaubt, sich auf die ihr eigene Weise zu verhalten. In diesem physischen System gibt es ein Nervensystem, das es der Pflanze ermöglicht, Dinge zu tun, ganz so, als ob sie ein Selbst oder eine Seele hätte. So ist es auf jeder Ebene vom der niedrigsten materiellen Lebensform bis zur höchsten, keine muß ein Selbst haben um ihre Funktion erfüllen zu können. Glaubt man an die Existenz von Selbst in irgendeiner Form in irgend etwas Seiendem, dann kann man nicht mehr von Buddhismus sprechen.


    Der Geist denkt und als Ergebnis dieses Denkens kommt es zu einer Handlung: eine physische, verbale oder mentale Tat findet statt. Der Geist, der denkt ist kein Selbst, der Körper, der sich bewegt ist kein Selbst, der Mund, der spricht ist kein Selbst, also sind auch diese Handlungen durch kein Selbst verursacht. Die Aktion findet wirklich statt, aber ohne ein handelndes Selbst.


    Gibt es im Buddhismus eine Wiedergeburt?


    Nun kommen wir zu der Frage: "Wenn es kein Selbst gibt, wer oder was wird dann wiedergeboren?" Im Buddhismus ergibt es keinen Sinn, so etwas zu fragen. Es gibt im Buddhismus keinen Platz dafür. Wenn ihr fragt was wiedergeboren wird, ist das die verrückteste und blödsinnigste Frage die es gibt. Wenn es hier und jetzt keine Seele, keine Person, kein Selbst gibt, wie könnte es dann irgendein "wer" oder einen "jemand" geben, der wiedergeboren wird? Also ist es unmöglich zu fragen, "wer wird wiedergeboren?". Deshalb kommt die Wiedergeburt der selben Person, eines "Ich's" oder "Du's" (und darum geht es bei der Reinkarnation) in Wirklichkeit nicht vor. Aber die Geburt von verschiedenen Dingen (Körper und Geist) findet die ganze Zeit statt. Sie geschieht andauernd, jede Sekunde neu, aber Wiedergeburt oder Reinkarnation findet nicht statt. Wenn alles Nicht-Selbst ist, gibt es nichts, was wiedergeboren werden könnte. Es gibt immer nur, in jedem Moment des Lebens, Geburt, Geburt, Geburt. Geburt findet die ganze Zeit statt, aber es ist nie die selbe Person, die ein zweites Mal geboren wird. Jede Geburt ist neu. Es gibt also Geburt, endlos, dauernd, aber wir werden sie nicht Wieder-geburt oder Re-inkarnation nennen.


    Es gibt Menschen die glauben, daß es ein Selbst, eine Seele gibt, die als eine bestimmte Person geboren wird. Wenn der Körper stirbt, stirbt diese Seele nicht sondern wird erneut geboren. Für die meisten Menschen ist das die Grundlage ihres Glaubens. Die upanishadischen (hinduistischen) Texte behaupteten dies. Im Buddhismus jedoch gibt es diese Vorstellung nicht. Der Buddhismus glaubt nicht, daß es ein Selbst oder eine Seele gibt, die verschiedene Geburten und Tode durchläuft. Die Wiedergeburt dieser oder jener Person findet nicht statt, weil ein Selbst nie existiert hat.


    Den Hauptprinzipien zufolge gibt es kein Selbst, keine Seele. Also kann man nach dem Tod nicht von einer körperlichen Geburt als Wiedergeburt sprechen. Von der geistigen Geburt kann man ebenfalls nicht als Wiedergeburt sprechen, weil es die Geburt eines neuen Geistes ist. Hundert Geburten, tausend, zehntausend, eine Million Geburten finden statt, aber nie von der selben Person. Nie von dem selben Selbst. Das ist die Nicht-Existenz der Wiedergeburt.


    Nun kommen wir zum wichtigsten Aspekt bei diesem Thema. Der Buddha sagte: "Ich lehre nur eines: Leid und das Erlöschen von Leid". Darum handelt es sich bei all den Lehren: Leid und das Erlöschen von Leid. Buddha sprach nicht von anderen Dingen. Ob es Wiedergeburt gibt oder nicht, ist nicht die entscheidende Frage. Ist man erst einmal hier und jetzt geboren ist man mit leid konfrontiert, und das muß gelöscht werden. Sogar wenn du wiedergeboren würdest, ist Leid vorhanden, und muß dementsprechend gelöscht werden. Sprecht darüber, wie Leid entsteht und wie Leid gelöscht wird. Das ist genug. Diskussionen darüber, ob es Wiedergeburt gibt oder nicht, sind Zeitverschwendung.


    Anatta und Wiedergeburt

  • Peter Fender:

    Buddhaghosa hat der Lehre des Buddha großen Schaden zugefügt.


    du meinst allen Ernstes man kann der Lehre Buddhas schaden?
    wie soll das bitte gehen?

  • Peter Fender:

    BUDDHA SELBST hat dies übrigens ananda vorausgesagt: Nur einige hundert Jahre oh Ananda wird mein Lehre Bestabnd haben...


    ...und du willst das "retten" was es, laut deinem Zitat ja eigentlich, nicht mehr gibt? hab ich es richtig verstanden?

  • sumedha:
    Peter Fender:

    Buddhaghosa hat der Lehre des Buddha großen Schaden zugefügt.

    du meinst allen Ernstes man kann der Lehre Buddhas schaden? wie soll das bitte gehen?


    Hallo Sumadha, natürlich kann man Ewigen Gesetzen nicht schaden.


    Aber wenn Menschen mit großen Einfluß die Lehre unvollständig weitergeben,
    kann man das als leidenschaftlich Unerleuchteter vielleicht als "Schaden zufügen" wahrnehmen.


    mit Metta,
    Mirco