Werden Mantras im Zen verwendet?

  • Liebe Forumsmitglieder!


    Im Herzsutra wird gegen Ende das Mantra "gate gate paragate parasamgate bodhi svaha" gesprochen.


    1. Verwendet man in der Zen-Praxis Mantras?
    2. Wenn ja, welche Mantras werden verwendet?


    Vielen Dank! :)
    Schönen Abend!
    Wohlwollen :)

    Mögen alle Wesen frei sein von Gier, Hass und Verblendung.

  • Meines Wissens werden vorwiegend im koreanischen Zen Mantras verwendet (wenn man von denen, die in Rezitationen vorkommen, mal absieht - aber auch im koreanischen Zen scheinen es eher Namensrezitationen als Mantren zu sein).



    "Lauschen als Mantra-Praxis


    Es gibt eine Praxis des Lauschens, die in manchen spirituellen Traditionen Mantra-Praxis genannt wird. Ein Mantra ist ein Wort oder eine Folge von Worten, die man mit ganzem Körper-Geist spricht und dabei mit ganzem Körper-Geist lauscht. Es stehen viele Mantras zur Wahl. Es spielt keine Rolle, welches Sie neh­men. Zwei der häufiger verwendeten Mantras sind das Ave Maria und das Vaterunser. Ich habe von Leuten gehört, die Kinderlieder oder Kindergebete verwenden oder indianische Gesänge oder Kir­chenlieder. Wichtig ist, daß ein Mantra nicht soviel Bedeutung oder so viele Assoziationen hat, daß es seine Schlichtheit und Unmittelbarkeit verliert. Es gibt so viele Mantras mit so vielen Bedeutungen, aber sie zielen alle auf das gleiche: den Geist des Nicht-Werdens.
    Meister Seung Sahn sagt, wenn man »Coca-Cola« sagen und alles, was man ist, hineinlegen kann, dann wirkt es genauso wie etwas anderes, das als »heiliger« gilt. Einfach das Mantra spre­chen, das ist das einzige, worauf es ankommt. Bei der Mantra-Praxis wendest du dich nicht nach links und nicht nach rechts. Du gehst dem Mantra auch nicht voraus oder bleibst hinter ihm zurück. Sprich nur das Mantra, lass alles andere, und geh voll­ständig in das Mantra ein.
    Die Mantra-Praxis ist deshalb schwierig, weil sie dem Ehrgeiz Raum lässt. Man kann versuchen, mit dem Mantra etwas zu be­wirken, etwas eintreten zu lassen oder sonst wie die Intention des Ego durchzusetzen. Es kann die Neigung entstehen, mit der Mantra-Praxis auf einen künftigen idealen Geisteszustand hinzuar­beiten, anstatt das wahre Selbst von Augenblick zu Augenblick darin zum Ausdruck kommen zu lassen. Wenn beim Aufnehmen des Mantras das wahre Selbst zum Ausdruck kommen soll, muss man sich ihm vollkommen ausliefern, ohne Hoffnung auf ir­gendeinen Gewinn.
    Bei der Mantra-Praxis lauschst du der Stimme des Ewigen, der Stimme vor der Geburt deiner Mutter. Jedes Mantra ist der Laut, der allen Laut enthält. Jedes Mantra ist der Laut, der die ganze Welt umfängt, das gesamte Universum, das Jeweilige und das Absolute. Bei der Mantra-Praxis sammelt sich der Geist auf einen Punkt. Und indem der Geist diesen einen Punkt hält, wird er klar. Wenn der Geist klar ist, wird alles Handeln mitfühlendes Handeln.
    Hier einige der gebräuchlichsten Mantras der buddhistischen und christlichen Praxis:


    Gate gate paragate parasamgate bodhi svaha - Dies ist das Man­tra, das den Schluß des Herz-Sūtras bildet.


    Ji Jang Bosal - Der Name des Bodhisattvas der Kinder, aber auch der Sterbenden und Toten.


    Kwan Se Um Bosal - Der Bodhisattva des Erbarmens in seiner weiblichen Gestalt.


    Namu Amitabul - »Verehrung dem Buddha Amitābha«; mit dieser Formel strebt man das Einswerden mit dem Buddha des »grenzenlosen Lichts« an.


    Namu chilguji bul modae junje bosal - Gemeint ist das Eins­werden mit der Mutter aller Buddhas, Inbegriff des Heilens und des Erbarmens.


    Om nam - bedeutet soviel wie ursprüngliche Reinheit.


    Om mani padme hum - wörtlich »Om, Juwel im Lotos, hum«. Angesprochen ist hier das Einswerden von Gegensätzen, etwa des Männlichen und des Weiblichen.


    Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner oder
    einfach Herr Jesus Christus - das sogenannte Herzensgebet oder Jesusgebet.


    Jahwe - der alttestamentliche Name Gottes.


    Om - der universale Laut.




    In China lebte einmal ein Mädchen namens Sul, und sie hatte das große Glück, in dem Dorf aufzuwachsen, in dem auch Meister Ma Jo lebte. Sie besuchte Ma Jo jedesmal, wenn sie mit ihrem Vater zum Tempel kam. Ma Jo mochte Sul sehr, und er sah, daß sie eines Tages eine große Lehrerin sein würde.
    Bei einem dieser Besuche sagte Ma Jo zu dem Mädchen: »Du hast mich viele Jahre lang immer wieder besucht und jedes mal ein Geschenk mitgebracht. Manchmal ist es Obst, manchmal Kuchen. Ich habe dir die ganze Zeit über nichts geschenkt. Heute habe ich dafür ein ganz besonderes Geschenk für dich. Es steht für all die Geschenke, die ich dir in der Vergangenheit nicht gemacht habe. Bitte nimm dieses Geschenk an und halte es wert. Es ist der Name des Bodhisattvas der Barmherzigkeit, Kwan Se Um Bosal. Behalte diesen Namen stets bei dir und sprich ihn immer wieder.«
    Suls Augen leuchteten. Sie wußte, daß es ein ganz besonderes Geschenk war, denn sie hatte alles über Kwan Se Um Bosal von ihrem Vater erfahren. Sie dankte Ma Jo mit einer tiefen Verneigung, und von da an behielt sie den Namen Kwan Se Um Bosal in ihrem Dantian, dem Unterbauch (Hara), und auf ihrer Zunge. Was sie auch tat und wo sie auch war, stets lauschte sie ihrer in­neren Stimme, die »Kwan Se Um Bosal« sang. Wenn sie Wasser holte, sang sie den Namen laut, und abends in ihrem Bett, beim Einschlafen, sprach sie das Mantra innerlich, um ihre Familie nicht zu stören. Nach einigen Jahren kam sie in den Ruf, ein wenig seltsam zu sein. Die anderen Kinder spielten nicht mehr mit ihr, und Suls Eltern taten den Eltern dieser anderen Kinder leid. Sul bekümmerte all das nicht weiter. Sie sang ihr Mantra »Kwan Se Um Bosal« oder sprach es innerlich, Tag und Nacht, ununterbrochen. Einmal wusch sie Wäsche am Bach. Sie schlug, dir Wäschestücke mit einem Stock, als sie in der Ferne die Glocke von Ma Jos Tempel hörte. Plötzlich waren das Geräusch des Schlagens und der Klang der Glocke eins. Ihr Geist öffnete sich urplötzlich, und eine große Glückseligkeit erfüllte sie. Die ganze Welt war »Kwan Se Um Bosal«. Das Rauschen des Bachs, das Lachen der Kinder in einiger Entfernung, der Klang der Tempelglocke - alles war Kwan Se Um Bosals Stimme. Der Himmel, die Hügel und die Bäume waren Kwan Se Um Bosals Körper. Sie selbst war niemand anderes als Kwan Se Um Bosal; ihr Vater, ihre Mutter, Meister Ma Jo, die Kinder in der Nachbarschaft und wer auch immer ihr be­gegnete - sie alle waren Manifestationen Kwan Se Um Bosals. Von da an sang sie nie wieder »Kwan Se Um Bosal«.
    Während der nächsten Tage gerieten ihre Eltern in noch grö­ßere Sorge um sie. Sie wirkte verändert. Ihr Vater warf manchmal einen Blick in ihr Zimmer und sah sie beim Meditieren. Eines Tages sah er sie auf dem Lotos-Sutra sitzen. Zu der Zeit war es üblich, daß auf dem Hausaltar ein »Lotos-Sutra« lag. Der Vater war sehr aufgebracht. Er trat ins Zimmer und sagte: »Was tust du da? Dies ist ein heiliger Text. Hast du denn keine Ehrfurcht?«
    Sul blieb ganz ruhig. Sie lächelte nur und sagte: »Die Wahrheit ist nicht in Worten.«
    Verblüfft hielt der Vater einen Augenblick inne und fragte: »Wo ist sie dann?«
    »Wenn ich es dir sagte, würdest du es mir nicht glauben«, ant­wortete Sul. »Frag lieber Meister Ma Jo.«
    Der Vater ging zum Tempel und berichtete Meister Ma Jo von dem Vorfall. Verstört und bekümmert fragte der Vater: »Ist Sul jetzt verrückt geworden?«
    »Nein, Ihr habt Glück«, sagte Ma Jo. »Eure Tochter ist nicht ver­rückt. Ihr selbst seid in dieser Sache ein wenig verrückt.«
    Dann fertigte er eine große Kalligraphie für Sul an:


    Wenn du am Abend den hölzernen Hahn krähen hörst,
    kennst du das Land, in dem dein Geist geboren wurde.
    Vor meinem Haus, im Garten,
    ist die Weide grün, und die Blumen sind rot.


    »Bitte hängt das im Zimmer Eurer Tochter auf«, sagte er.
    Als Sul von der Schule nach Hause kam und das Gedicht sah, sagte sie: »Oh, Meister Ma Jo ist auch einfach nur so.« Sie legte das Sūtra auf den Altar zurück, zündete ein Räucherstäbchen an und saß lauschend da und beobachtete die endlosen Arabesken des aufsteigenden Rauchs.
    Sul blieb bei ihrer Übung des Lauschens, Tag und Nacht. Manchmal saß sie still vor dem Altar. Nachts in ihrem Bett lauschte sie dem Regen oder den Fröschen oder dem übrigen Nachtgetier. Auch bei den Verrichtungen des Tages setzte sie das Lauschen fort. Nie unterbrach sie ihr Lauschen, was sie auch tat. Einmal kam sie zu Meister Ma Jo zu Besuch, als sich gerade ein anderer Zen-Meister, Ho Am, bei ihm aufhielt.
    Ho Am wandte sich ihr zu und sagte: »Ich höre, daß du ein großes Erlebnis hattest. Laß uns sehen, was es damit auf sich hat. Im Sutra heißt es: „Der Berg Sumeru findet Platz in einem einzi­gen Senfkorn; jemand tritt ein, und der Berg zerspringt in zehn­tausend Stücke.“ Was bedeutet das?«
    Sul warf eine Teeschale an die Wand, daß sie in unzählige Stücke zersprang.
    Ma Jo freute sich über diese Antwort, sagte dann aber: »Jetzt werde ich dich prüfen. Im Buddhismus gebrauchen wir häufig das Wort „Karma“. Was bedeutet es?«
    Sul antwortete: »Bitte fragt mich noch einmal.«
    Ma Jo sagte: »Der Buddha bezieht sich in allen seinen Lehrre­den auf den Karma-Begriff. Was bedeutet Karma?«
    Sul verneigte sich und sagte: »Ich danke Euch.«
    Ma Jo lächelte und verneigte sich ebenfalls. Dann sahen sie einander wortlos und strahlend an.
    Sul wurde eine große Zen-Meisterin. Sie ließ sich nie ordinie­ren, sondern heiratete und bekam viele Kinder. Ihr Leben war nach außen ein ganz gewöhnliches, doch in dieser Gewöhnlich­keit war sie klar und tief. Viele Menschen kamen zu ihr, um Hilfe und Unterweisung zu erhalten.
    Als Sul sehr alt war, starb unerwartet eine ihrer Enkelinnen. Bei der Bestattung weinte und weinte Sul völlig hemmungslos. Die Leute sahen eine ganze Weile höflich darüber hinweg, aber all­mählich machte sich Unbehagen breit. Schließlich trat ein Mann an Sul heran und sagte: »Ihr seid eine große Zen-Meisterin. Ihr müsst also wissen, daß es kein Leben und keinen Tod gibt, und doch macht Ihr Euch mit Euren Tränen hier sogar zum Gespött der Leute. Wie soll man Euch da noch vertrauen? Was ist so schwer für Euch am Tod Eurer Enkelin?«
    Sul hörte augenblicklich auf zu weinen und sah dem Mann in die Augen. »Meine Tränen sind für alle Lebewesen. Wenn ich weine, hört meine Enkelin und hören alle weitergezogenen Lebe­wesen es. Und indem sie meinem Weinen lauschen, gehen sie ins Nirvana ein. Weinen ist besser als alle Sutras. Versteht Ihr?«
    In tiefer Demut verneigte sich der Mann und sagte: »Ich danke Euch für Eure Unterweisung.«
    Sul wandte sich den anderen Gästen zu, die still gelauscht hat­ten, und sagte lächelnd: »Ich danke euch allen für euer Kommen.«
    Einige Fragen, die sich aus dieser Geschichte ergeben: Was be­deuten Suls Tränen und worin unterscheiden sie sich von den Tränen anderer? Wie hilft ihr Weinen ihrer Enkelin und anderen Wesen? Wenn du den Mund zu einer Erklärung öffnest, verfehlst du das Wesentliche. Wenn du nicht antwortest, drückst du dich vor der Wahrheit. Was kannst du tun?
    Wir können mit Om mani padme hum üben oder mit Kwan Se Um Bosal, Kwan Se Um Bosal - aber wir üben stets unter dem Gesichtspunkt der Großen Frage: Wer spricht das Mantra?
    Om mani padme hum."


    Aus: Zen des Lauschens von Dae Gak.


    Eine andere Praxis, die manche mit Mantra verwechseln, ist das Nembutsu, was zumindest in der Obaku-Linie gepflegt wird. (Und es gibt auch Verbindungen zwischen Nembutsu und chinesischen Chan).

  • Namaste!


    In einigen Zen-Tempeln japanischer Traditionen wird das "Mantra des Lichts" [Kômyô Shingon] verwendet, dessen Anwendung der japanische Kegon- und Shingon-Meister Myôe verbreitete.


    Das Mantra lautet:
    auf Sanskrit: > oṃ amogha vairocana mahāmudrā maṇipadma jvāla pravarttaya hūṃ < und wird
    auf Japanisch: > On abokya beiroshanō makabodara mani handoma jimbara harabaritaya un < ausgesprochen.


    Das Mantra ruft den Segen Mahavairocanas, Amitabhas [Amidas] und Avalokiteshvaras hervor.


    In der Shingon Shu (japanischer Mantrayana) gehört das Mantra zur täglichen Praxis und ihm vorangestellt ist der Text:


    "Das Mantra des Lichts beinhaltet in seinen Silben, die vollkommene Macht des allgegenwärtigen höchsten Buddha [Mahavairocana]. Wenn wir das Mantra ernsthaft rezitieren, wird das Licht des Buddha uns umfassen. Illusionen werden plötzlich verschwinden, so wie der Mond erstrahlt, wenn sich der Nebel verzieht.


    Myôe führte auch die Praxis ein, Sand mit dem Mantra zu besprechen (zu segnen). Dieser Sand wird dann beispielsweise auf Verstorbene oder auf Gräber gestreut, um Geleit ins Reine Land des Buddha Amida zu gewähren.


    < gasshô >


    Benkei

    "Allmorgendlich beginne ich meinen Tag damit, den Spiegel zu polieren;
    Täglich türme ich neue Staubschichten auf;
    Allabendlich beende ich meinen Tag damit, weiter zu polieren;
    Und scheinbar wirbelt auch ein Schlafender noch Staub auf."
    HôShin


  • Vielen Dank für deine Antwort, Benkei! Davon hatte ich noch nie gehört oder gelesen.


    Liebe Grüße,
    Wohlwollen _()_

    Mögen alle Wesen frei sein von Gier, Hass und Verblendung.