Immer wieder treffend und prägnant:
Lama Anagarika Govinda:
"Buddhistische Reflektionen" (Fischer 1990).
Fragmente aus dem Aufsatz: "Liebe und Anhaften".
"Aber Anhänglichkeit im Sinne von innerer Verbundenheit und Treue ist himmelweit verschieden von Verhaftung (tanha)" (110)
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"Buddhistische Autoren der Vergangenheit haben immer wieder gezögert, das Wort metta oder maitri mit "Liebe" zu übersetzen, und wählten, vermutlich aus ihrer Gehemmtheit, Begriffe wie "Güte", "Freundschaft" und so weiter. Eine Mutter ist zwar auch "gütig" zu ihrem Kind, in erster Linie aber liebt sie es. Die Ablehnung des Wortes "Liebe" für metta oder maitri ist daher in keiner Weise gerechtfertigt, zumal das Wort vielleicht die höchstmögliche menschliche Befähigung zum Ausdruck bringt. "(111)
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"Hängt sich ein Mensch mit leidenschaftlichem, besitzergreifenden Anhaften an Dinge oder Wesen, wird er Leid und damit das Unheilsame seines Tuns erfahren. Ist er aber in innerer Freiheit Dingen und Wesen mit liebevollen Empfindungen zugeneigt, so ist dies heilsames Tun." (111)
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"Hier muss man fragen: Ist Leiden nicht ein geringer Preis für das Privileg, dass wir lieben dürfen? Ich für meinen Teil würde es vorziehen, das aus der Liebe zu anderen Wesen entstandene Leid auf mich zu nehmen, als zur Liebe unfähig zu sein. Denn nur aus dieser Grundeinstellung kann uns die Befähigung des Mitleidens und Mitempfindens mit anderen Wesen erwachsen. Und wenn es tatsächlich so etwas gäbe, wie den Zustand einer sogenannten Vollkommenheit, in dem die, die ihn erreicht haben, unberührt bleiben von all dem Leid, das um sie herum geschieht, dann will ich frei bekennen, dass mich diese Art sogenannter "Heiligkeit" kalt lässt und ich nach ihr kein Verlangen habe." (113)
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"Ein Mensch, der keine Zuneigungen (attachments) dieser Art hat, der keine von Liebe getragenen persönlichen Beziehungen zu irgendjemandem entwickelte, ist, so empfinde ich, selbst wenn er ein "vollkommener Heiliger" wäre, der niemanden verletzt und nie üble Taten begeht, ein kaltes, monströses Wesen ohne menschliche Züge. Ich ziehe deshalb den weinenden Ananda all jenen kaltblütgen Arahats vor, die - nach dem Bericht des Parinibbana-sutta - mit steinernen, unbewegten Gesichtern um den sterbenden Buddha herumsaßen, eingehüllt in ihre eigene Heiligkeit und Vollkommenheit. Ich würde all diese erstarrten Arahats für eine Träne Anandas hergeben, denn er war der einzige, der menschlich geblieben war, der seine menschlichen Eigenschaften ungeachtet seines tiefen Verständnisses der Buddhalehre bewahrt hatte. Er war der einzige, der den Buddha liebte und der sich des ungeheuren Verlustes dessen bewusst war, was die so wesentliche persönlich-körperliche Gegenwart des Buddha im bedeutete - etwas, das ihm wertvoller war als alle Lehrdarlegungen. (...)
Ist aber ein Mensch, der zu niemandem Zuneigung empfindet, überhaupt noch ein lebendiger Mensch? Mir scheint, dass ein solcher ein perfekter menschlicher Egoist ist - jemand der geistig tot und deshalb zu jedem weiteren Wachsen unfähig ist. Vielleicht ist er "vollkommen", aber er ist in eine Sackgasse geraten und wurde ein "vollkommenes Fossil". "(114)
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"...Liebe nur deshalb nicht zuzulassen, um dem Leiden zu entgehen, ist in der Tat nichts als eine extreme Form der Selbstsucht, die der Selbstsucht des Besitzergreifens in keiner Weise nachsteht. Das Leiden zu vermeiden, indem man nicht liebt, ist eine Flucht in die Geichgültigkeit, was vielleicht ein stoisches, nicht aber ein buddhistisches Ideal ist"
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"Ohne karuna, das Mitfühlen und Mit-Leiden mit anderen, ist der Buddhismus undenkbar. Jeder Buddhist, der Maitri und Karuna nicht zur zentralen Kraft seines Lebens macht, verrät das Wesen des Dharmas." 117