Beiträge von Karnataka

    zum Dalai Lama aus meiner Sicht, zu "meinem Dalai Lama" :)


    ich beziehe mich auf "Die Essenz der Lehre Buddhas" - so der deutschsprachige Titel. Wirklich beurteilen kann ich den Buddhismus des DL allerdings nicht, da ich hauptsächlich seine säkulare Ethik kenne.


    Der DL unterscheidet hinsichtlich der Wirklichkeit vier buddhistische Schulen, zwei davon rechnet er dem Theravada zu. Die Nur-Geist-Schule ist eine des Mahayana, er vertritt zweitere.


    Sobald ich mein e-book finde, könnte ich das näher referieren.


    Zentral ist jedenfalls der Gedanke der Leerheit für diese philosophischen Ansichten, die im Prinzip alle denkbaren Positionen spiegeln und von daher eine Ähnlichkeit zur westlichen Philosophie zeigen, scheint mir. Ebenso zentral ist natürlich immer die buddhistische Ethik des Mitgefühls.


    Entscheidend scheint mir jedoch: Der DL sieht sich nicht als Magier und er vertritt in der Hauptsache auch keinen magischen Buddhismus. Als Essenz des Buddhismus gibt es in diesem Werk keine sprechenden Geister, keine Dämonen und keine Geheimlehren, nach meiner Erinnerung nicht mal nebenbei oder als Randbemerkungen. Sein Buddhismus gehört ins Regal der Religionsphilosophie, nicht in jenes der Esoterik.


    Die Natur des Geistes als ein klares Licht würde ich als eine Glaubenswahrheit betrachten. Andere Vorstellungen, die so ein bisschen in eine psychodelische Richtung gehen, müsste man anhand spezieller Bücher des DL genau in der Darstellung untersuchen. Sicher würde der DL solche Themen nie abwürdigen oder für Unsinn erklären, sondern eine plausible und tiefere Wahrheit hervorheben.


    Vergleichsweise gibt es auch höchste katholische Würdenträger, die an Marienerscheinungen glauben. Gefragt, was die Essenz der christlichen Lehre ist, würden viele jedoch anders antworten und diese Mystik als private Offenbarung verstehen, könnte ich mir denken.

    Was für mich ein wichtiger Aspekt ist, ist die Unterscheidung zwischen einer Person und dem, was die Person tut. Ich betrachte keinen Menschen als "böse", aber Menschen tun böses, und damit muss man umgehen. Für mich ist die buddhistische Umgangsweise, so schwer sie auch zu halten ist, dass man das Verhalten sanktioniert, aber dem Menschen deswegen nicht böse ist und man schon gar nicht Hass o.ä. empfinden sollte. Also: handeln, aber ohne Hass oder Zorn, vllt schafft man sogar, es mit Mitgefühl zu tun. Das ist eine Übung, an der man sich täglich messen kann.


    Ich habe das mal beim Dalai Lama gelesen, leider weiss ich nicht mehr wo, als er gefragt wurde, worauf die "zornvollen Gottheiten" den zornig seien, da Zorn ja als Störgefühl gelte. Er sagte sinngemäß, dass der Zorn sich als zerstörerische Energie auf das Verhalten richte, aber niemals auf den Menschen selbst. Es gebiete das Mitgefühl dem Schützer, dem Menschen zu helfen, sein zerstörerisches Verhalten aufzugeben. Da er sich ja auch selbst damit schadet. Das war für mich einleuchtend und etwas, an dem ich immer versuche, mich zu orientieren.

    Ich beziehe mich auf einen Dialog mit Howard C. Cutler. Folgende Gründe nennt der DL dafür, den Begriff des Bösen nicht zu verwenden:


    • Gefahr der Manipulation: Politische oder religiöse Führungspersönlichkeiten können mittels Schwarzweißmalerei Menschen aufwiegeln, sodass es zur Dämonisierung einer Person oder Gruppe und schlussendlich zu deren Entmenschlichung kommt.
    • Sehen wir die Natur eines Menschen als dauerhaft und unabänderlich böse an, so scheint dessen Beseitigung die einzige Lösung. Doch gibt es Gründe und Bedingungen, die dazu führen, dass sich ein Mensch destruktiv verhält. Daher kann destruktives Verhalten vorübergehender Natur sein. Das eröffnet die Möglichkeit für Veränderungen.
    • Das Etikett hindert uns daran, die wirklichen Wurzeln und Ursachen eines Verhaltens ausfindig zu machen. Das kann dazu führen, dass man das eigentliche Problem absichtlich anzugehen vermeidet.

    Ich hab über das Böse viel nachgedacht. Zu Beginn muss man aber sicher schreiben, dass das Böse ein gefährlicher Begriff ist, der zum Missbrauch einlädt. Der DL hat die Gründe gut dargestellt.


    Die Frage bleibt dennoch, ob sich das Böse auf innere Eigenschaften, Persönlichkeitsstrukturen anwenden lässt. Wenn man die buddhistische Trias Gier, Hass, Verblendung benutzen möchte, dann kann man die Verblendung gut mit dem Narzissmus in Verbindung setzen, scheint mir. Der bekannte Psychoanalytiker Kernberg hat dazu eine fortschreitende Kette vom harmlosen Narzissten bis zum bösartigen Narzissten gezeichnet und im Detail in Hinsicht auf forensische Psychiatrie beschrieben.


    Das bedeutet überhaupt nicht, dass alles Destruktive in der Welt auf den Narzissmus zurückzuführen wäre! Beispielsweise zeigten schon in den 60ern Tests, wie manipulierbar Menschen sind, andere zu quälen. Dies wurde im Zuge des Eichmann Prozesses zum Ziel psychologischer Forschung.

    Es geht doch um das Phänomen Bewusstsein, das in der Metaphysik von Mahayana eine zentrale Rolle spielt, wenn von einem „Bewusstseinskontinuum“ (oder einem Sehr Subtilen Geist) die Rede ist.


    In der Naturwissenschaft wird dieses Phänomen in Zusammenhang mit Gehirnvorgängen thematisiert. Sonst ist es m.E. kein Thema, da ja nicht mal klar ist, wovon man überhaupt spricht hinsichtlich von sowas wie „Bewusstsein“.


    Damit entsteht die Ansicht: Draußen ist die beobachtbare Welt, „drinnen“ mein Bewusstsein: Die Eindrücke treten in mein Auge, von dort gelangen sie ins Hirn und werden verarbeitet.


    Dass wir eine Wahrnehmung besitzen, ist schon Thema in der Neurologie, soweit ich beurteilen kann. Mit der Annahme, diese finde auf materieller Basis statt, werden die Erklärungen immer komplizierter und mühsamer zu verfolgen. Dass ich etwas wahrnehme und dass da Vorgänge im Gehirn stattfinden bildet jedoch eine prinzipielle Differenz.


    Doch gleich, wie komplex dieses Theorien auch sein mögen, können sie das grundlegende Problem nicht beseitigen. Denn zwischen dem, was ein Computerbild an Erkenntnisse über Gehirnaktivitäten liefert, und dem, was ein Lebewesen möglicherweise empfindet, liegen im wahrsten Sinn des Wortes Welten. Wir können Empfindungen einfach nicht nur quantitativ, mechanisch und messbar denken.


    Wenn beispielsweise ein Hund knurrt oder eine Mutterkuh schreit, weil das Kalb weggenommen wird, dafür gibt es sicher jede Menge Erklärungen. Dennoch verstehen wir den beteiligten Zorn nur, weil wir die beteiligte Bedeutung kennen und phänomenologisch einbauen: Wie wäre es, ein Hund oder eine Kuh zu sein?


    Dass die Wirklichkeit eine „Bewusstseinsqualität“ besitzt, ist damit keine naturwissenschaftliche Sichtweise. Zwar gibt es die Differenz – so sie nicht wegerklärt wird –, doch keine Möglichkeit, etwas so Obskures wie ein Bewusstsein außerhalb unseres Kopfes zu erforschen. Es bleibt eine Angelegenheit philosophischer Spekulation.

    Anmerkung: Bewusstseinskontinuum meint keine bloß statische Qualität der Wirklichkeit, wie sie ein subtiles 5-Farben-Licht darstellen könnte.


    Dies ist in Hinsicht auf Karma bedeutsam. So schreibt der DL:


    Zusätzlich zum vorangehenden Bewusstseinskontinuum, das die substantielle Ursache für das spätere Bewusstsein ist, können sich auch latente Neigungen in Bewusstsein verwandeln; es gibt also zwei Arten substantieller Ursachen für die Entstehung des Bewusstseins.

    Zu beachten ist auch, dass das klare, unsterbliche Licht als ein Bewusstseinskontinuum argumentiert wurde, weil ein Übergang von Materie zu Bewusstsein eben nicht möglich sei. Nun wird jedoch von sehr subtiler Energie gesprochen, die sich in Materie umwandeln kann.

    Das klärt sich ja auf der Grundlage, dass letztlich die Natur von sehr subtiler, subtiler und grober Energie / Bewusstsein usw. gleich ist bzw. als gleich angenommen wird. Es wird also nicht "Energie zu Materie" in einem dualistischen Sinn, weil diese Unterscheidung in der Form gar nicht erst getroffen wird. Es ist nur eine Umwandlung von Zuständen wie man es sich - als Analogie - bei dem Übergang von Luftfeuchtigkeit zu Wolken zu Regen vorstellen kann.


    Sehen wir die Argumentation genau an!


    Im Beitrag 6 geht es um Ursache und Wirkung. Welche Kriterien müssen für Ursache und Wirkung gelten? Dies wird nicht zufällig erörtert, sondern es wird sodann argumentiert, dass körperliche und geistige Phänomene zu unterschiedlich sind, um auseinander hervorzugehen.


    Beitrag 7: Daher besagt das philosophische Argument, dass es ein Bewusstseinskontinuum geben muss, damit Bewusstsein im Neugeborenen neu entstehen kann. Es heißt:


    Die Sutrayana-Sicht geht allgemein davon aus, dass es ein Kontinuum des Bewusstseins geben muss: Bewusstsein erzeugt Bewusstsein. Es muss eine Übereinstimmung zwischen Ursache und Wirkung geben, wenn sich eins ins andere umwandeln soll, und aus diesem Grund muss es ein vorangehendes Bewusstseinskontinuum geben, das der Anstoß für den ersten Bewusstseinsmoment nach der Empfängnis ist.


    Damit zu Beitrag 2, wo es heißt, dass die Verbindung zwischen dem Sehr Subtilen Geist (= Bewusstseinskontinuum) und dem Körper durch etwas gewährleistet wird: Das sehr subtile energieerhaltende fünf-farbige Licht. Dieses Licht bringe letztlich die 5 Elemente hervor.


    Hier findet sich der mögliche Widerspruch in der Argumentation, auf den ich hingewiesen habe. Denn nun zählt das Argument einer Übereinstimmung von Ursache und Wirkung nicht mehr. Es gibt eine Form von Energie, die diese Übereinstimmung von Bewusstsein und Körper eben doch bewerkstelligt. Ja, diese sehr subtile Energie bringe letztlich die Körper hervor, heißt es.


    Warum sollte dann aber diese sehr subtile Energie nicht ebenso das neue Bewusstsein des Neugeborenen hervorbringen? Damit fällt doch das Argument, dass ein Bewusstseinskontinuum überhaupt notwendig wäre.


    Hoffe, ich konnte mich verständlich machen.

    Du meinst zweideutig, weil er nicht ausdrücklich sagt: "Sie sind wörtlich zu nehmen"?

    Ja. Müsste man wohl überprüfen, was er da im Originalton gesagt hat und mit anderen Aussagen vergleichen.


    (Anm.: hab die weiteren Beiträge nach # 23 noch nicht gelesen)

    ich glaube auch, dass sich der DL mitunter in einer nicht ganz einfachen Situation befindet, da er sehr authentisch ist und dennoch manchmal diplomatisch sein muss. Da zeigt dann die genaue Wortwahl, ob er eine Position mit Überzeugung vertritt oder aber eher referiert, könnte ich mir vorstellen.


    Dazu ein Beispiel. Er schreibt: An dieser Stelle sprechen wir von dem "sehr subtilen energieerhaltenden fünf-farbigen Licht". Damit wird nahegelegt, daß diese sehr subtile Energie ausgestattet ist mit dem Potential, letztlich die fünf Elemente hervorzubringen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum.


    Wird von „5 Elementen“ gesprochen, dann handelt es sich um eine traditionelle Lehre, die als solche referiert werden kann. „Damit wird nahegelegt“ ist aus meiner Sicht insofern eine schöne Formulierung, die einer forschenden Haltung gerecht wird.


    Zu beachten ist auch, dass das klare, unsterbliche Licht als ein Bewusstseinskontinuum argumentiert wurde, weil ein Übergang von Materie zu Bewusstsein eben nicht möglich sei. Nun wird jedoch von sehr subtiler Energie gesprochen, die sich in Materie umwandeln kann.


    Selbstverständlich ist ein solcher Zusammenhang denkbar. Es ist aus meiner Sicht eine Überlegung, die nahegelegt wird.

    danke!


    :rose:


    und was heißt "Ding-an-sich" ?

    Kants Ding an sich steht einmal für die Skepsis, über die letztendliche Wirklichkeit Bescheid zu wissen. Ich finde, diese prinzipielle Skepsis sollte beim Gebrauch des Begriffs mitgedacht werden. Kant würde sich sonst maßlos ärgern :P


    In Hinblick auf Mahayana Philosophie müsste man aber vielleicht fragen, ob Kants Philosophie vom "Ding an sich" nicht schon implizit ein inhärentes Sein unterstellt. Nach dem Motto: Wir können zwar nicht wissen, was es ist, aber es existiert.


    Schon Hegel hat die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt in Hinblick auf das Erkennen irgendwei kritisiert und zum "Ding an sich" ein "Für sich" genommen.

    Subjektiv erinnert mich Hegel übrigens sehr an Nagarjuna: ich versteh sie beide nicht. :grinsen:

    Ich finde Karma ist meisten gut definiert, aber es gibt verschiedene Definitionen und verschiedene Kontexte (Modelle). Ich glaube das Problem beim Karmabegriff ist eher, dass die Kontexte und Definitionen vertauscht werden und dann in das falsche System übertragen werden. Eine "willentliche Handlung" (also bud. "Karma") ist beobachtbar und nicht metaphysisch, andere Definitionen von "Karma" schon, was geistiges ausschweifen macht.

    Vielleicht ist der Begriff Definition missverständlich. Vergleichsweise definieren Physiker für das Universum dunkle Materie und dunkle Energie, die sich nicht beobachten lassen, um bestimmte beobachtbare Zusammenhänge kräftemäßig erklären zu können. Das scheint mir eine ernsthafte Schlussfolgerung oder Erklärung.


    Dagegen würde ich behaupten, dass Karma eine Glaubensangelegenheit ist. Schließlich betrifft es die mögliche Rückwirkung von Handlungen, Gedanken, Gefühlen . Wie betreffen diese Dinge über den individuellen Tod hinaus unser Sein?


    Wir können nicht wissen, wie die Welt inklusive der geistigen Welt ihrem Sein nach beschaffen ist. Daher führt der Versuch, eine solche Gesetzmäßigkeit, wie sie als Karma behauptet wird, schlüssig erklären zu wollen, entweder zu nichtssagenden oder zu widerlegbaren Aussagen, würde ich meinen.


    Dies spricht aber nicht gegen den Glauben und gegen private Erfahrungen, die diesen Glauben bestätigen. Besonders in Zusammenhang mit dem Wissen um unsere Sterblichkeit scheinen mir Formen des Glaubens beinahe als Notwendigkeit.

    Spock:

    Danke für deine Antwort.


    Jetzt gehts mir wie Aravind, ich stehe etwas auf dem Schlauch. :)

    Karnataka:


    Ich bin bemüht, aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was du meinst. Welche "ungefähren Inhalte" meinst du?


    Ungefährer Glaubensinhalt:



    Meine Überlegung meint, dass ein Glaubensinhalt wie beispielsweise Karma für viele Menschen nur ungefähr bestimmt ist. Sie besitzen keine exakte Definition, was das ist, und sagen zu sich: Diese Definition ist so überzeugend, daher werde ich sie in Zukunft glauben. Ihr Glaubensinhalt ist demnach nur ungefähr bestimmt, wobei sie ihren Glauben oftmals aber dennoch mit wohltuender Gewissheit empfinden.


    Damit möchte ich philosophische und begründete Überlegungen nicht kleinreden. Wenn ein Mensch den ungefähren Glaubensinhalt Gott teilt, liest er vielleicht religiöse Bücher, Bibel oder Koran, wodurch viele andere Überzeugungen hinzutreten können. Was die Ethik betrifft, kann und soll man über diese Dinge des Zusammenlebens diskutieren. Da reicht es nicht, dass irgendwann irgendwas geschrieben wurde.

    Spock:
    Karnataka:


    Dazu würde ich den Wunsch nach Leiderlösung, der im Mahayana als altruistischer Wunsch gefördert wird, sowie das Ideal des Bodhisattvas nennen. Es geht offenbar nicht mehr so sehr darum, aus eigener Kraft und durch Entsagung zur Verwirklichung zu gelangen, sondern um das Mitgefühl eines Verwirklichten.


    Wenn das zu persönlich ist, dann musst du nicht antworten: wie war das zu Beginn deiner Praxis? Ging es dir da nicht um dein persönliches Leiden, worauf hin du dann buddhistische Antworten bekamst, die mit Nichtich, Bedingtem Entstehen, dem 8fachen (incl. Ethik), usw. zu tun hatten?


    Sicher wollte ich mein persönliches Leiden überwinden, doch scheiterten meine damaligen Meditationsversuche kläglich und führten bloß zu Verspannungen und Problemen der Konzentration. Heute sehe ich es so, dass wir ein sehr soziales Gehirn besitzen und geistiges Wohlbefinden daher in unmittelbarem Zusammenhang mit einer sozialen Einstellung, Motivation steht. Es tut mir gut, ein wenig von meiner Egozentrik abzurücken und beispielsweise Mitfreude mit der Freude anderer zu empfinden.


    Zu den buddhistischen Antworten aus persönlicher Sicht: dies sind ja teilweise philosophische Antworten. Wir müssen uns solche Überzeugungen ins Gedächtnis rufen und uns von deren Stimmigkeit überzeugen. Auch wollen wir sie mit anderen diskutieren. Sicher sind philosophische Argumentationen sehr wichtig, damit unter dem Mäntelchen der Religion nicht irgendein Schwachsinn verzapft wird.


    Doch scheint mir eine gewisse Diskrepanz zu dem, was wir unter „Glaube“ verstehen. Dieser meint doch eher eine sichere Überzeugung zu einem höchst ungefähren Inhalt, ohne dass man etwas ganz genau erklären könnte. Oder wie siehst du das? Aus meiner Sicht ist es nämlich so, dass ich von etwas stark profitiere, das ich als meinen persönlichen Glauben bezeichnen würde, scheint mir.

    Spock:
    Karnataka:


    Dazu würde ich den Wunsch nach Leiderlösung, der im Mahayana als altruistischer Wunsch gefördert wird, sowie das Ideal des Bodhisattvas nennen. Es geht offenbar nicht mehr so sehr darum, aus eigener Kraft und durch Entsagung zur Verwirklichung zu gelangen, sondern um das Mitgefühl eines Verwirklichten.


    Wenn das zu persönlich ist, dann musst du nicht antworten: wie war das zu Beginn deiner Praxis? Ging es dir da nicht um dein persönliches Leiden, worauf hin du dann buddhistische Antworten bekamst, die mit Nichtich, Bedingtem Entstehen, dem 8fachen (incl. Ethik), usw. zu tun hatten?


    Vielen Dank für dein Interesse! Da antworte ich sehr gerne. Entweder heute in der Nacht oder morgen! :)

    Spock:
    Karnataka:

    Also meine These wäre, dass Mitgefühl und Liebevolle Güte erst im Mahayana diese zentrale Bedeutung erlangen.


    Kannst du einen Beleg zeigen für diese Annahme, die keine Denunzierung ist und sich auf Theravadaquellen bezieht?


    Dazu würde ich den Wunsch nach Leiderlösung, der im Mahayana als altruistischer Wunsch gefördert wird, sowie das Ideal des Bodhisattvas nennen. Es geht offenbar nicht mehr so sehr darum, aus eigener Kraft und durch Entsagung zur Verwirklichung zu gelangen, sondern um das Mitgefühl eines Verwirklichten.

    Also meine These wäre, dass Mitgefühl und Liebevolle Güte erst im Mahayana diese zentrale Bedeutung erlangen. Darin sehe ich eine mit der zeitnahen Entstehung des Christentums vergleichbare Entwicklung.


    Auch in den Büchern Mose hat Nächstenliebe längst nicht die zentrale Bedeutung, die ihr dann über Jesus und die christliche Ethik zukommt. Jesus antwortet auf eine Diskussion im damaligen Judentum, was das wichtigste Gebot sei.


    Was drückt sich in dieser historischen Entwicklung möglicherweise aus?


    Säkular gesprochen erlangt für das Zusammenleben die innere Motivation gegenüber äußeren Regeln mehr Gewicht.


    Christlich gesprochen ändert sich die Vorstellung von Gott. Wenn Thomas von Aquin die Liebe dem Tugendkatalog des Aristoteles beifügt, die sich dort noch nicht findet, so meint das: Die Gottesliebe realisiert sich in der Liebe zum Mitmenschen.

    Tychiades:

    Noch ne Statistik von der WHO
    https://www.welt.de/gesundheit…t-sich-ein-Mensch-um.html


    Wenn man nun zwei Größen nimmt und deren Korrelation misst, dann hängt es ganz entscheidend von den theoretischen Annahmen ab - nämlich hier der Einfluss der Religion - und da habe ich nun meine Zweifel.
    Vielmehr vermute ich, dass die Zugehörigkeit und Qualität einer Gemeinschaft dafür mit entscheidet, ob Gruppenmitglieder Suizid begehen.
    Und deshalb sollte man generell das Gemeinschaftsleben an sich untersuchen. Es gibt ja auch Gemeinschaften - auch religiöse - die Selbsttötung praktiziert haben.


    Welche Rolle spielen Glaubensinhalte? Die Schweizer Beobachtung eines Unterschieds scheint für die Gruppe tatsächlich religiöser, häufig älterer Menschen zu gelten. Auch der Welt-Suizid-Report zeigt hohe Raten in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wo vermutlich Konfessionslose dominieren.


    Allgemein glaube ich auch, dass das Erklärungsmodell Religion nur begrenzt hilfreich ist und ökonomische, gesellschaftliche, soziale Hintergründe wesentlich Konkreteres aussagen. Wenn beispielsweise Religion an Bedeutung verliert, kann dies zugleich ein Faktor sein, der die Entfremdung der Menschen untereinander verstärkt, weil das unkomplizierte Zusammenkommen in der Kirche nicht mehr stattfindet.


    Allerdings bietet Deutschland für diese Annahmen keinen Beleg. Deutschland wird ja regional von Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen dominiert, wobei die Lebensbedingungen sehr ähnlich sind. Die lokalen Selbsttötungsraten zeigen keine Auffälligkeit, würde ich sagen. Die alleinige Zugehörigkeit zu einer oder keiner Konfession scheint hier eher bedeutungslos.


    https://de.statista.com/statis…slaendern-und-geschlecht/


    Was hingegen mehr als deutlich wird, ist immer und überall die ungleich höhere Bereitschaft von Männern zur Selbsttötung. Im Artikel heißt es:


    Auffällig ist, dass in einkommensstarken Ländern wie Deutschland etwa dreimal so viele Männer Suizid begehen wie Frauen. In eher einkommensschwachen Ländern hingegen ist die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen geringer - dort kommen auf eine Frau, die sich das Leben nimmt, statistisch gesehen nur anderthalb Männer.

    void:

    Die Uni Bern hat mal nachgezählt, inweiweit Suizid mit Religionszugehörigkeit gekoppelt ist::


      Bei Personen ohne Religionszugehörigkeit wurden auf 100’000 Einwohner 39 Selbsttötungen registriert, bei Protestantinnen und Protestanten 29. Unter den Anhängerinnen und Anhängern des römisch-katholischen Glaubens wurden 20 Suizide festgestellt.http://www.unibe.ch/aktuell/me…ion_suizid/index_ger.html


    Interessant. Apropos Statistik, auch wenns OT ist:


    Anhand des World Health Report bringt Harari globale Zahlen zum Suizid, die mich verblüfften, nämlich im Vergleich zu Krieg, Gewalt, Verkehr.
    In Kriegshandlungen kommen relativ wenig Menschen ums Leben, wesentlich mehr jedoch an deren Folgen. Harari beziffert:
    Im Jahr 2000 kamen zum Beispiel 310 000 Menschen in Folge von Kriegseinwirkungen ums Leben, und weitere 520 000 durch Gewaltverbrechen. Gemeinsam sind diese 830 000 etwa 1,5 Prozent der weltweit 56 Millionen Verstorbenen. Im gleichen Zeitraum beging etwa die gleiche Zahl (815 000) Selbstmord.
    (Verkehrstote: 1.260 000 oder 2,25 Prozent)
    Getötete 2002: 172 000 durch Kriegsfolgen, 569 000 durch Gewalt, 873 000 Selbstmord


    Sorry, falls meine Gedanken dazu jetzt ein bisschen OT sind.
    Als Kind war ich mit Gewalt konfrontiert und mehr noch mit Angst vor Gewalt, die ich empfand – allerdings nie mit sexuellem Missbrauch. Ich weiß, dass dies beträchtliche Auswirkungen haben kann. Schließlich entwickelt sich unser Gehirn besonders in der Kindheit.


    Soweit ich den Buddhismus verstehe, bietet er einmal den Gedanken, dass diese Welt ein Ort voll Leid ist, wo man nicht anhaften soll. Andererseits glaube ich auch an eine graduelle Befreiung, wodurch sich Freude vergrößert und Leid verringert.


    Die Sache mit dem Feminismus sehe ich eher so, dass persönliche Erfahrungen sensibilisieren können, etwa für patriarchale Gewalt oder ungute Anmache. Letztlich geht es aber um gesellschaftliche Zustände und Überzeugungen, wie diese zu verbessern wären.

    void:

    Man kann die Menschen über Einsicht ein Stück weit motivieren. Man kann sie etwas im Strassenvekehr dazu anhalten, rücksichtsvoller zu fahren, in dem man an ihre Vernunft appeliert. Das funktioniert nicht bei allen. Es gibt einige die bringt man dadurch dazu langsamer zu fahren, dass man ihnen Strafen androht und grimmige Polizisten strategisch plaziert. Und bei wieder anderen helfen die Autobahn-Warnplakte mit heulenden Kindern, wo den Leuten drastisch vor Augen geführt wird, was passieren kann, wenn man nicht aufpasst.


    Weil es hilft, Menschenleben zu retten, wird neben Vernunft auch Strafe und "Propaganda" eingesetzt. Natürlich könnte man sich darauf einigen, ein paar Tote zusätzlich in Kauf zu nehmen und nur auf Aufklärung und Vernunft zu setzten. Aber das ist ja ein herbes Opfer, das niemand bringen will.


    Und so opfert vielleicht auch Buddha die nicht, die nicht so einsichtsfähig sind. Und motiviert sie mit drastischen "Autobahn-Warnschildern" Gier und Hass runterzubremsen.


    feines Beispiel :like:

    kilaya:

    Noreply ich glaube Du hast mich falsch verstanden. Solange Mitgefühl vorhanden ist, ist es mir egal wo es herkommt. Ich meine damit aber immer echtes Mitgefühl. Wenn es aus Konzepten heraus passiert, also sozusagen gespielt wird weil man es "sein soll", würde ich das nicht als Mitgefühl sondern als Moral bezeichnen. Oder so in der Art...


    Kleines off Topic. Hoffe es stört nicht. Gedanken zur Unterscheidung von Ethik und Moral. Überlegungen zum Sprachgebrauch.


    Im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch hat der Begriff Moral einen schalen Beigeschmack. Moral ist so wie in den sauren Apfel beißen müssen. Darf ich als Katholik Oralsex ausüben? Oder Moral als Moralisieren, wo aufgrund von Empörung keine sachliche Auseinandersetzung möglich ist. Auch Kants Pflichtfetischismus hat wohl Spuren hinterlassen. Ethik klingt dagegen frischer, nach Umweltschutz und so.


    Fachlich versteht man unter Ethik das Nachdenken über Moral, also Moralphilosophie. Ich halte es für sehr fraglich, ob diese Unterscheidung so klar ist, wie sie zunächst klingt. Ich bin nicht sicher, ob im Englischen überhaupt unterschieden wird.

    Jürgen Habermas versteht unter Ethik die Kunst des persönlich guten Lebens und unter Moral öffentliche, gesellschaftliche Normen. Diese Unterscheidung finde ich praktikabel. Demnach lässt sich das Bemühen um innere Werte wie beispielsweise Mitgefühl als Ethik, hingegen die Eigenschaft, wie eine Gesellschaft etwa mit Korruption umgeht, als jeweilige Moral bezeichnen. So gesehen hat dann auch die Mafia eine spezifische Moral. In diesem Sinn verstehe ich auch Kilayas Bemerkung über ein bloß geheucheltes Mitgefühl.


    Aber natürlich zählt der allgemeine Sprachgebrauch. Ethisch = um Gutes bemüht, Moralisch = überkritisch, verklemmt, streitsüchtig usw.


    Kants Gehirnschaden: gut möglich, dass ich die Idee zu der früher geposteten Satire einem deiner Beiträge verdanke... (:
    sehr bekannte Untersuchungen: https://de.wikipedia.org/wiki/…mente_zur_Willensfreiheit

    Vielen Dank für die Beiträge! Meiner wird jetzt recht lange. Er ist aber geordnet und man kann vieles gut überspringen - meine Kritik an Kant folgt dann am Ende.


    Zunächst zur „Glückseligkeit“ bei Aristoteles:


    Aristoteles sieht spezifisch menschliches Glück im Gebrauch der Vernunft, welche die Formung des Charakters bestimmt. Dementsprechend ordnet er in seinem berühmten Tugendkatalog fünf Verstandestugenden und elf Charaktertugenden, nämlich Tapferkeit, Besonnenheit, Freigiebigkeit, Großherzigkeit, Ehrbewusstsein, Seelengröße, Sanftmut, Freundlichkeit, Gewandtheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Seine umfangreichste Untersuchung gilt der letzten Tugend, der Gerechtigkeit. Die Tugenden Freigiebigkeit und Großherzigkeit betreffen den Umgang mit Geld und dessen rechte Mitte, sie sind keine Tugenden des Herzens. Überhaupt geht es bei allen Bestimmungen darum, das rechte, vernünftige Maß zu finden, Extreme zu vermeiden. Daher ist die wesentliche Eigenschaft der aristotelischen Ethik, emotional-kognitive Eigenschaften für das Leben in der Gemeinschaft zu ordnen und vernunftvoll zu regeln, zugleich unser Denken als das höchste, ja göttliche Glück zu empfehlen. Göttlich ist das Unbewegte, das sich ewig selbst denkt, der Mensch nimmt Anteil daran, so die metaphysische Lehre des Aristoteles.


    Zur Aufnahme in die christliche Ethik:


    Im Unterschied zur platonischen gerät die aristotelische Philosophie für lange Strecken in Vergessenheit; erst im späten Mittelalter kehrt sie aus dem arabischen Raum ins abendländische Denken zurück und wird sodann besonders von Thomas von Aquin (1224-1274) aufgegriffen. Dessen Umformulierung des aristotelischen Tugendkatalogs bringt aber zu Tage, was längst zum allumfassenden Prinzip geworden ist und sich schon Jahrhundert zuvor bei Augustinus (354-430) findet: Philosophie ist die Schau Gottes und die Liebe zu Gott, der Philosoph ist der Liebhaber Gottes, doch vollzieht sich diese Liebe in der reinen Liebe des Menschen zum Menschen. Auch handelte es sich längst nicht mehr um eine kleine Denkschule irgendwo in Griechenland, sondern um eine Religion, die sich in ganz Europa ausgebreitet hat. Die Bestimmungen, mit denen Thomas den Tugendkatalog erweitert, sind dann vor allem Liebe (caritas), Hoffnung (auf ein ewiges Leben) und Glaube an Gott.


    Neuzeit:


    Die Tugendethik als früher moralphilosophischer Ansatz prägt in ihrer christlichen Ausrichtung das Mittelalter. In der Neuzeit gerät sie jedoch für die Philosophie weitgehend in Vergessenheit. Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass ihr metaphysischer Kontext fragwürdig wird. Auch wenn die Göttlichkeit des Menschen vielleicht schon in der Antike angezweifelt wurde, es fortan für Ethik galt, den Menschen zu verbessern, so wird nun die Göttlichkeit des Ganzen zum Gegenstand der Skepsis. Die Ethik der Aufklärung bildet die Opposition zur Theologie. Damit verwirft sie die Angelegenheit der Charakterbildung und der eigenen Glückseligkeit.


    Besonders Immanuel Kant, der Aufklärungsphilosoph schlechthin, bestimmt die Frage nach dem moralisch gerechten Urteil als alleinigen Gegenstand der Ethik. Dafür aber taugt die eigene Glückseligkeit als Urteilsinstanz nicht. Diese Verengung und Spezialisierung hin zu einer normativen Ethik gilt ebenso für den Gegenspieler der kantischen Ethik, den Utilitarismus. Auch der Utilitarismus verfolgt keinen tugendethischen Ansatz, sondern argumentiert eine nur andere These zum moralischen Urteil. Der Gegenstand der Glückseligkeit aus Nächstenliebe verschwindet damit nicht nur aus dem ethischen Diskurs, sondern aus der Philosophie überhaupt, erscheint er doch als viel zu eng an metaphysische Spekulationen geknüpft. Erst in jüngster Zeit erfährt zumindest die Tugendethik eine Renaissance. Dennoch wird man in Lehrbüchern der philosophischen Ethik die Begriffe Mitgefühl und Liebe nicht leicht finden.


    Immanuel Kant:


    Was sind die Gründe, weshalb Kant das bislang dominante Prinzip Glückseligkeit aus der Ethik ausschließt? Kant verwendet sprachlich wunderbare und komplexe Argumentationen, die Semestervorlesungen füllen können. Doch lassen sich seine Gedanken durchaus auch verkürzt darstellen.


    Kants Ethik versteht sich als Pflichtethik, als Selbstverpflichtung auf ein Testverfahren zum moralischen Urteil, den Kategorischen Imperativ. Dieser besagt, dass die Intention (Maxime), die wir mit einer Handlung verknüpfen, verallgemeinerbar sein muss. Diese Verallgemeinerung meint, dass sie ein allgemeines Gesetz abgeben können muss. Tut sie das nicht, ist unser Handeln unmoralisch.


    Beispiel: Ich möchte Geld aus der Firmenkassa stehlen. Meine allgemeine Intention würde demnach lauten: Immer, wenn ich in Geldnot bin, entwende ich Geld aus der Firmenkassa, wo ich beschäftigt bin. Auf ein Gesetz verallgemeinert bedeutet dies: Das Bestehlen der eigenen Firma ist Menschen, die in Geldnot sind, erlaubt. Hier sagt die Vernunft jedoch, dass ein solches Verhalten der Wirtschaft schweren Schaden zufügen würde. Das System der Wirtschaft würde aufgrund mangelnder Integrität und Korruption kaum funktionieren, übermäßige Ressourcen müssten in Schutzmaßnahmen fließen, allgemeines Misstrauen, hohe Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Damit würde sich die Not erst recht vergrößern. Das Testverfahren des Kategorischen Imperativs weist meine Absicht daher als unmoralisch aus. Wörtlich lautet es u.a.: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. (Kants zweiter Grundgedanke betrifft den unveräußerlichen Wert des Menschen)


    Kant möchte kein neues Verständnis dessen, was ethisch korrektes Handeln ist, postulieren. Sondern er möchte den Menschen über das, was sein eigenes Moralverständnis ist, aufklären. Wir wissen immer schon irgendwie, dass anderen die gleichen Rechte und Pflichten zukommen wie uns selbst. Kant gibt diesem Wissen einen Grundsatz, eine Formel; die Formel der Verallgemeinerung. Diese Aufgabe hat Kant freilich genial ausgearbeitet und sie bietet bis in die heutige Zeit einen hauptsächlichen Ansatzpunkt für Ethik. Denn egal, was zur philosophischen Ethik gesagt wird, die Auseinandersetzung mit Kant findet sich praktisch immer.


    Kants Ausschluss der Glückseligkeit


    Hier soll es also um die Argumente, weshalb Kant die eigene Glückseligkeit für eine Begründung von Ethik verwirft, gehen. Seine Argumente lauten:


    * Der Kategorische Imperativ ist bewusst nur die reine Verallgemeinerung oder Gesetzesform und besagt nichts Konkretes. Vergleichbar wäre die Goldene Regel: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst. Auch hier wird nichts Konkretes genannt, sondern ein allgemeines Gesetz. Kant findet seine Regel allerdings besser, denn für sich kann man alles Mögliche wollen, aber als Gesetz? Eigene Glückseligkeit schließlich kann tatsächlich alles Mögliche präferieren. Daher ist sie als moralische Regel nicht zu brauchen, meint Kant.
    * Eigene Glückseligkeit kann mit selbstsüchtiger Absicht zu tun haben: Ob das so ist, kann allein die Vernunft klären. Daher gilt ein unbedingter Vorrang für die Vernunft. Ethik darf nicht hinter das als gültig erkannte Prinzip, den Kategorischen Imperativ, zurückgehen.


    Kritik an Kants Ausschluss der Glückseligkeit


    Die Rezeption der Ethik Kants beinhaltet zu allen Zeiten viel Kritik. Meine Skepsis basiert auf folgenden Überlegungen:


    * Kants Ethik sagt grundsätzlich nur, wie zu urteilen ist. Die Frage, was uns dazu motivieren soll, bleibt unbeantwortet. Jene wechselseitige Begründung von Freiheit, Vernunft und Moralität, mit der Kant eine Vorstellung von der Zukunft der Menschheit geben will, vermag nur nach intensiver Beschäftigung mit seiner Philosophie zu berühren.
    * Damit wird ein moralisches Selbst, also die Bereitschaft, moralisch zu urteilen, von normativer Ethik immer schon vorausgesetzt. Dagegen stellt sich Tugendethik gerade dieser Frage. Dabei erklärt sie einen Ansporn zur Entwicklung innerer Werte, der mit eigenem Glück zu tun hat, und vermag derart Orientierung zu leisten.
    * Dadurch, dass die eigene Glückseligkeit von Kant eben doch fortwährend in Zusammenhang mit Eigennutz und Selbstliebe gestellt wird, versperrt seine Ethik den Weg, eine andere Glückseligkeit zu erforschen.
    * Das moralische Urteil verengt den Blickwinkel auf das Kognitive. Die Gestaltung liebevoller und fürsorglicher Beziehungen tritt in den Hintergrund, wird nicht genügend als moralische Qualität wahrgenommen.
    * Kaum ein Mensch bestimmt sein Handeln nur aus Prinzipien. Wenn wir etwa vor der Frage stehen, ob wir fremdgehen sollen, bedenken wir diese Angelegenheit doch sehr konkret, denken an unsere Partnerin etc. Auch ist nicht jedes Fremdgehen im gleichen Maß unmoralisch, da Beziehungen sehr unterschiedlich sind.
    * Die Gesetzesformel sagt uns nur das, was wir ohnehin wissen. Für ein moralisches Dilemma ist der Kategorische Imperativ aber nicht zu gebrauchen. Damit sind solche Situationen gemeint, wo sich Vor- und Nachteile von Menschen in ähnlichem Ausmaß gegenüberstehen.

    Endlich eine Gelegenheit, meine literarischen Ergüsse zu veröffentlichen! :oops:


    Immanuel Kant und die Glückseligkeit


    Kant konnte sich nicht und nicht entscheiden. Etwa morgens beim Bäcker: Sollt ich nur ein Brötchen nehmen oder vielleicht doch zwei? Nähme ich zwei, dann hätte eines mehr. Aber andererseits… Die Schlange Wartender, die sich hinter ihm bildete, wurde immer ungeduldiger, deren Murren immer lauter: Wieso geht da nichts weiter? WIESO DAUERT DAS SO LANGE?


    Regelmäßig kam Kant dann ohne Brötchen heim und musste sich fragen, was er eigentlich den ganzen Tag gemacht hatte. Er hatte doch bloß vernünftig sein wollen! Irgendwie dämmerte es ihm, dass seine Herangehensweise vielleicht doch nicht das Wahre sei und so schrieb er eines Tages die Kritik der reinen Vernunft, wobei er sich auf diverse Diskussionen im Bäckerladen bezog. Hatte die feiste Dame nicht gemeint, er könne sich seine ganze Logik sonst wohin stecken und solle stattdessen das verfluchte Ding endlich kaufen? Diesem Ding an sich, wie Kant, der mächtig Kohldampf hatte, es nun nannte, war also mit Logik nicht beizukommen. Und überhaupt, diese fürchterliche Ungeduld seiner Mitmenschen! So ein Aufstand wegen ein bisschen Warterei! Offenbar erleben wir die Dauer der Zeit sehr subjektiv, folgerte Kant. Schließlich stellte er auch noch den Raum in Frage. War die Bäckerei wirklich der richtige Ort, um erst dort über das Ding zu entscheiden? Hungrig und verzweifelt stierte er in seine Einkaufstüte, aber da war nichts…


    Erst Jahrhunderte später gelang es der Hirnforschung, aufzuzeigen, mit welch schwerem Schicksal Kant zu kämpfen hatte. Dies wurde den Wissenschaftlern am Verhalten eines Patienten deutlich, der, gefragt, ob er lieber zu dem einen oder dem anderen Termin zur Untersuchung kommen wolle, eine halbe Stunde lang Argumente für beide Möglichkeiten aufzählte, ohne zu einem Entschluss zu finden. Erst nach der Entwicklung neuer Testmethoden fiel auf, was die Behinderung dieses Patienten ausmachte: Seine Fähigkeit, Gefühle zu empfinden, war weitgehend zerstört worden. Statt nun besonders rationale Entscheidungen zu treffen, konnten der arme Mensch sich gar nicht mehr entscheiden.


    Armer Immanuel Kant! Ohne Brötchen schien er immer mehr zu schrumpfen – dabei maß er ohnehin nur schlappe 1,40. Wie hätte er in seiner Emotionslosigkeit mit der aristotelischen Ethik der Glückseligkeit etwas anfangen können? Sosehr er auch nach solcher Glückseligkeit in sich forschte, er konnte sie nicht entdecken. Dank seines Gehirnschadens war da so wenig Gefühl vorhanden, dass er nicht mal in der Lage war, Wichtiges von Unwichtigen zu unterscheiden. So stand er nun jahrein, jahraus an seinem Schreibpult und kaute immer verzweifelter an der Feder: Was soll ich nur tun? Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Wer bin ich überhaupt? Wie die anderen Rationalisten füllte auch Kant ganze Bücher mit seinem Grübeln, wie man sich denn nun entscheiden solle.


    Bis dann irgendwann doch der Groschen fiel. Kant erkannte die Lösung für sein Entscheidungsproblem und in einem genialen Wurf formulierte er seinen berühmten Kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens einem allgemeinen Gesetz entspricht. Oder einfacher: Wenn du nicht weißt, was du willst, dann tu einfach das, was alle tun!


    Die Deutschen, die bekanntlich zu jenem rationalistischen Hirnschaden neigen, waren begeistert und begannen sofort, die neue Lehre an allen Anstalten zu verschreiben. Ein anderer Patient, Schopenhauer, bemerkte zwar, dass beim Kategorischen Imperativ nie was rauskommt, was man nicht ohnehin wüsste. Allerdings litt er noch mehr darunter, dass die ganze Welt anscheinend einen Willen hatte, bloß er nicht. Insbesondere war er seinem Pudel Fiffi geradezu hörig und ließ sich oft stundenlang am Halsband durch die Gegend schleifen. Sofern ihm Fiffi das Nachdenken erlaubte, hielt sich Schopenhauer jedenfalls lieber an den Buddhismus: Wenn du nicht weißt, was du willst, so ist es das Beste, gar nichts zu wollen. Doch die meisten Hirnis fanden Kants Lösung besser.


    Was jedoch ist außerhalb der Anstalt mit Kants Ethik anzufangen? Eine breite Umfrage unter 1000 deutschen Philosophen brachte folgendes aufschlussreiche Resultat. Auf die Frage, ob sie das Testverfahren des Kategorischen Imperativs in ihrem tatsächlichen Leben schon angewandt hätten, lautete das Gesamtergebnis exakt: Zwei hatten schon mal. Nachforschungen beförderten ans Licht, dass es sich dabei einmal um einen jungen Studenten handelte, der Kant mit einer Wurstsorte verwechselt hatte, welche nicht besonders gemundet hatte. Im anderen Fall war‘s ein Lehrbeauftragter, der trotz mehrfachen Nachfragens bloß über Metaphysik dozierte, statt die Frage zu beantworten. Offenbar war er auch Lehrbeauftragter für Neurolinguistisches Programmieren, oder er war einfach nur blöd.


    Es ist sehr kompliziert, diese Missachtung der kantischen Ethik zu erklären. Nämlich Kantianern zu erklären. Ansonsten lässt sich leicht Antwort geben: Kant brachte das aristotelische Glück ausschließlich mit Eigennutz und Selbstliebe in Zusammenhang, denn er hatte, wie gesagt, keine Ahnung von Glück. Also strich er es aus der Ethik. Denn natürlich hat Eigennutz nichts mit Ethik zu tun. Mit dem Streichen der Glückseligkeit verschwand für die Menschen jedoch jede Motivation, sich mit der Sache zu beschäftigen. Und für die Ethik verbaute sich der Weg, jenes andere, gemeinsame Glück zu erforschen.

    Sudhana:
    Karnataka:

    Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln.


    Ist das denn ein Widerspruch? Ist es wirklich "besser", zum Vorteil der Mehrheit eine Minderheit nicht zu schützen? Ist das wirklich ein "Vorteil" für die Mehrheit - denn wie sich eine Mehrheit konstituiert, ist ja immer abhängig von einer ganz konkreten Fragestellung. Wer im Sinne einer Fragestellung - sagen wir mal beispielhaft: der Pigmentierung seiner Haut - zur Mehrheit gehört, kann sich schnell im Sinne einer anderen Fragestellung - etwa der Religionszugehörigkeit - in einer Minderheit wiederfinden. Da ist dann die Nichtberücksichtigung eines Minderheitenschutzes plötzlich nicht mehr so vorteilhaft.


    Mein Beispiel bezog sich ja auf die Frage, ob es einen Grundsatz für vernünftiges Handeln gibt. Darüber wurde Jahrhunderte gestritten. Die Kontrahenten waren wesentlich die (deutschen) Kantianer und die (englischen) Utilitaristen.


    Sehen wir folgende Diskrepanz: Der utilitaristische Grundsatz, die größtmögliche Menge an Glück für die größte Zahl zu befördern, lässt schon mal das einzelne Individuum über die Klinge springen (würde ich behaupten). Anders der Kategorische Imperativ: Jeder Mensch ist ein Zweck für sich, behandle ihn nie als bloßes Mittel.


    Darauf bezog ich mich mit dem Beispiel von Minderheit und Mehrheit. Vielleicht lässt dieses Beispiel erkennen, dass wir uns nicht nach einer „Ideologie“ richten können, um der Vielfalt möglicher Situationen gerecht zu werden.

    Grundsätze dienen wohl dazu, schnell urteilen zu können. In schwierigen Situationen, so genannten Zwickmühlen, können sie die Last der Entscheidung jedoch kaum mildern, würde ich sagen.

    Sudhana:

    Ich vermute mal, dass Dir nicht wirklich klar ist, was "reine Vernunft" eigentlich bedeutet - z.B. bei Kant, dem Aufklärer par excellence. Sie ist per definitionem "immer und überall" "gültig" - allerdings ist sie eben gerade nicht auf die "reale Welt" bezogen, insofern man darunter sinnlich Erfahrbares versteht. Die Formulierung eines "Grundsatzes", wie Kants kategorischer Imperativ einer ist, der wiederum das Fundament von Kants aufklärerischer Ethik ist, beruht daher auf dem, was Kant im Gegensatz zur reinen Vernunft als praktische Vernunft bezeichnet.


    ()


    Ha, ha, ich vermute mal, dass dir nicht wirklich klar ist, was „reine Vernunft“ eigentlich bedeutet! Kant formuliert seinen Kategorischen Imperativ ja ohne Rückgriff auf sinnliche Erfahrung. Daher spricht er auch hinsichtlich seiner praktischen Vernunft von einer reinen Vernunft.


    Spekulative oder praktische Vernunft – am Ende gibt es für Kant nur eine und dieselbe Vernunft, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muss.
    http://www.textlog.de/33219.html


    Grundsätzlich stimme ich zu: Die Religionskritik der Aufklärung war und ist natürlich sehr notwendig.


    Allerdings habe ich auch Kritik an der Kritik der Aufklärung. :)
    Denn es gibt keinen Grundsatz für eine reine Vernunft, der immer und überall in der realen Welt gültig wäre. Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln. Es braucht also nicht nur Vernunft, sondern eine mitfühlende Vernunft.


    Besonders scheint es mir falsch, die „Glückseligkeit“ aus der Ethik zu verdrängen, wie Kant das tut. Wir sind so beschaffen, dass es uns um Eigennutz geht. Daher ist die philosophische Ethik eine Sache für Hörsäle. Der Zusammenhang von Mitgefühl und Glück scheint mir dagegen zentral.


    Zum Dalai Lama Zitat möchte ich anmerken:


    Wohin man auch blickt, wird die Rolle der Motivation deutlich. Siehe Buddhaland: Egal wie differenziert die Regeln auch sind oder wie gekonnt sie jeweils angepasst werden, wird es immer die Möglichkeit geben, zwar regelkonform, dennoch aber destruktiv zu agieren. Restlos geht die Sache in die Hose, wenn die Verantwortlichen nicht integer sind und eigennützige Absichten verfolgen. Natürlich trifft das auf Buddhaland nicht zu, es kann aber sehr wohl auf Gesellschaft und Politik zutreffen.


    Deutlicher noch wird das Gewicht der inneren Motivation bei Nahverhältnissen. Gerade gestern hatte ich eine Diskussion darüber, wie wichtig es sei, dem eigenen Kleinkind „Grenzen zu setzen“. Ich denke, dass viele Dinge in der Erziehung einfach „von Herz zu Herz“ passieren. Statt über Erziehungsregeln fürs eigene Kind allzu sehr nachzudenken, sollte die liebevolle Beziehung im Vordergrund stehen. Kindererziehung ist jetzt nur ein Beispiel.


    So verstehe ich den DL, wenn er meint, aus der richtigen Motivation würden automatisch die richtigen Handlungen folgen.