Hallo Matthias
Das Nichtbewerten empfinde ich auch manchmal als sehr schwierig, und zwar dann, wenn man selbst davon betroffen ist. Andere weisen Dich oft darauf hin: "du sollst nicht bewerten“ aber es ist nicht so einfach, wenn einem die Hutschnur hochgeht oder man wirkliches Leid durch andere erfährt.
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Ich übe mich täglich und an den ganz kleinen Dingen im Nichtbewerten.
Zum Beispiel versuche ich mich nicht mehr (auch im Stillen) in verbalen Bewertungen zu ergehen wie z.B „dieser selbstgerechte Fratzke“,(ich mäßige mich hier gerade, jeder kennt genügend Schimpfwörter, die wir in der Wut sagen) sondern bemühe mich deren Verhalten als interessant zu sehen. Das erlaubt mir schon einmal eine gewisse emotionale Distanz von der Situation. Auch im Umgang erlaube ich es mir nicht, das Gesagte/Geschriebene von anderen zu bewerten, wie Unsinn, Gequake, sondern es einfach mal so zuzulassen, und meinen Standpunkt anders darzustellen, ohne über den Mund der anderen zu fahren.
Und dann gelingt es auch, irgendwie nach und nach, Bewertungen anderer wesentlich schlimmerer Situationen zu vermeiden.
Und wie immer in kleinen Schritten:
Keine Beschreibung, (Personalisierung) finden für jene, die mir Leid zufügen.
Ich bemühe mich den Sachverhalt an sich erst mal zu akzeptieren „es ist so wie es ist“ und zwar in diesem Moment.
Dann beleuchte ich den Hintergrund, versuche mich nicht in Polemiken und Angst zu ergehen oder eine Schuldzuweisung, wobei ich aber die Fakten nicht außer Acht lasse…denn…er/sie hat/haben es ja gesagt/getan.
Dann erkenne ich mein zugefügtes Leid und akzeptiere es, versuche den Schmerz und die Trauer zu analysieren indem ich es als einen Lebensprozess sehe, und mich niemals zu fragen: warum? Es ist so, wie es ist, in diesem Moment
Somit habe ich einen Grossteil der Emotionen abgebaut und gelingt es mir entsprechend zu reagieren und zu handeln.
Ich kann nichts entschuldigen, denn ich bin der Meinung, dass Schuld gerichtet ist. Es ist geschehen/gesagt, man muss mit den Konsequenzen leben, auch jene, die die Ursache dessen sind.
Ich kann auch nicht vergeben, weil ich es ja akzeptiert habe.
Ich kann Verständnis aufbringen, wenn ich die Gründe des Sagens/Handelns kenne, aber was hilft das? Es ändert nichts an der Situation an sich, es ist geschehen was geschehen ist, es ist gesagt worden, was gesagt wurde. Man kann ja so auch vorsätzlichen Mord wie auch alles andere verstehen. Verständnis kann aber helfen, sich selbst vor der Ausführung solcher Handlungen zu schützen.
Ich denke nicht, dass man alles hinnehmen muss und soll, nicht wie ein Schäfchen zum Schlachter geführt werden sollte, es ist unser Recht und unsere Pflicht, unser Leben zu leben und unsere Lebensbedingungen zu wahren, solange wir es nicht vorsätzlich zu Lasten anderer ausleben. Aber wir sollten uns stets gewahr sein, was es denn gilt zu verteidigen, ohne uns in eine Scheinwelt der Verdrängung (so empfinde ich jedenfalls manchmal, wenn es in Diskussionen um Bemerkungen der Selbstaufgabe des eigenen Seins geht) zu flüchten.
Es geschieht sicher, dass auch unsere eigenen Handlungen den anderen Leid zufügen, und durch das Achtsamkeit-Trainig können wir das meisste verhindern.
Ich empfinde das Nicht-Bewerten als einen enormen Schutzmechanismus für uns selbst,
als eine Möglichkeit, ohne Zorn und Verzweiflung den Widrigkeiten unseres Lebens zu begegnen und in der Konsequenz auch nicht negativ zu reflektieren aufgrund unserer eigenen Emotionen.
Und somit jeden Tag auf’s Neue zu versuchen, ein besserer Mensch zu sein, Schritt für Schritt, bevor man versucht die Buddha-Natur anzustreben...