Hallo Shankar,
weißt du ich bin wirklich alles andere als realisiert oder "erwacht". Jedoch beschäftige ich mich schon ne weile intensiv mit der buddhistischen Kernlehre. Das heißt sowohl was die Konzepte als auch was die direkte Wahrnehmung betrifft habe ich einige Erfahrungen. Du wirst feststellen, dass nur wenige bereit sind offen über ihre Erfahrungen zu sprechen (was ich sehr schade finde). Anatta ist eine gewaltige Kopfnuss sowohl für "frische" Buddhisten als auch für Leute die sich schon länger mit dem Buddhismus beschäftigen. Selbst sehr realisierte Menschen die denken sie würden sich auf dem buddhistischen Pfad befinden misinterpretieren unglaublich oft dieses Daseinsmerkmal. Ihre Einsichten sind oftmals absolut legitim jedoch vedantisch. Es ist nicht leicht Leute zu finden die eine definitive Realisation in Bezug auf Anatta haben.
Wie gesagt habe ich selbst keine bleibende Einsicht, jedoch einen temporären Einblick der in der Vergangenheit liegt. Ich arbeite jedoch immer noch daran
Was ich dir mit einer 100 % Sicherheit sagen kann ist, dass Anatta definitv keine Phantasie ist.
Du kennst sicher das Konzept des bedingten Entstehens. Es passiert manchmal, dass die richtigen Bedingungen und Wirkungen zusammentreffen und als Metapher gesprochen sich am bewölkten Himmel eine Stelle frei tut und man zum ersten mal den blauen Himmel sehen kann. Man könnte sagen, dass der 8fache Pfad dafür designt ist damit am Ende unter anderem Anatta realisiert werden kann. D.h. Rechte Ansicht, Achtsamkeit, Konzentration usw. sind alle wichtig um die richtigen Bedingungen zu schaffen. Nirvana ist nicht etwas das erschafft wird. Jedoch spielen alle diese Faktoren eine wichtige Rolle darin den Prozess des befleckten bedingten Entstehens zu beenden, Nicht-Wissen zu beenden.
Wenn man zunächst dieses Wort Nicht-Selbst hört ist es irgenwie befremdlich. Denn wenn wir uns unsere momentane Erfahrung ansehen scheinen wir wirklich zu sein. Real zu existieren. Zwar verstehen wir, dass es uns mal nicht gegeben hat und es uns irgendwann nicht mehr geben wird, jedoch scheinen wir in dieser Zwischenphase fest und solide in diesem Körper zu stecken, durch diese Augen zu sehen. Wir sehen um uns herum Dinge in einer äußeren Welt die wir zu teilen scheinen und orientieren uns daran. Gleichzeitig erleben wir eine innere Welt die privat erscheint. Was ist es was uns, also unser innerstes Ich auszumachen scheint? Keine Beschreibungen wie ich bin faul, ich bin ein generell zorniger Mensch, sondern was verleit uns den Eindruck zu sein? Ich würde sagen Wissen. Wissen nicht im Sinne von wo Paris ist. Ich meine damit, dass keine Dunkelheit herrscht. Das Lüfter-Geräusch des PCs, der Druck des Hinterns auf dem Stuhl, das grelle Licht des Bildschirms. All diese Dinge. Wir wissen ohne nachdenken zu müssen was gerade los ist. Und dieses Wissen scheint konstant zu sein. Irgendwie verstehen wir das alles impermanent ist, aber gleichzeit erleben wir inmitten all dieser Vergägnlichkeit eine bleibende Permanenz. Auf der subtilsten Ebene scheinen wir der Erfahrende/der Wissende zu sein, das bleibende Zentrum das alle Erfahrungen erlebt.
Wenn wir uns auf dem vedantischen Pfad bewegen wird es heißen: ,,Genau, ganz genau! Du musst herausfinden was dich wirklich ausmacht, dein wahres Selbst. Deine unsterbliche Seele. Was ist es was während deiner Kindheit gleich war, was jetzt unverändert ist und was nicht altern wird selbst wenn du ein Greis bist? Da ist doch etwas was sich wirklich nicht verändert. All diese sich veränderenden Erfahrungen sind illusorisch. Das was echt ist bist du. Sieh hin, dieser Körper wird gesehen, diese physischen Empfindungen werden gesehen, diese Gefühle werden gesehen, diese geistigen Regungen werden gesehen, diese Gedanken werden gesehen. Neti, neti. Alles was du sehen kannst, kannst du nicht sein. Finde dich selbst und ignoriere diese illusorischen Erfahrungen."
Und ich garantiere dir, diesen Atman, dieses permanent existierende "wahre Selbst" kann man wirklich erleben. Deine direkte wortlose Erfahrung wird das bestätigen und du wirst den Eindruck haben Nirvana gefunden zu haben. Jedoch, was ist das? Und spricht der Buddha nicht vom Nicht-Selbst? Sind Vedanta und Buddhismus letztendlich dasselbe? Das eine positiv, das andere negativ ausgedrückt?
Der nächste Schritt auf dem vedischen Pfad sieht dann so aus, dass sich das wahre Selbst Atman mit der Welt (alle gesehenen Erfahrungen) verschmilzt so wie zwei ineinander gehaltende Kerzen. Atman ist ein Synonym für Wissen oder Bewusstsein. Das Licht, das alles möglich macht. Das kleine Ego-Selbst wird zu nicht mehr als einer winzigen Welle im Meer deines wahren Selbst, deines Bewusstseins. Es ist wie ein Spiegel. Die Reflektionen brauchen einen Spiegel, jedoch braucht der Spiegel keine Reflektionen. Wie sieht der Spiegel, also dieses Bewusstsein ohne Reflektionen bzw. Inhalte aus? Vedantins würden sagen wie volles Bewusstsein im Tiefschlaf. Verstehst du, laut ihrer Ansicht gibt es einen Grund des Seins. Würdest du das Gesehene, das Gehörte, das Gedachte, das Gespürte usw. all diese Erfahrungen wegnehmen, würde da etwas bleiben. Nämlich das was du wirklich bist.
Das sind legitime Realisationen. Aus der vedischen sicht ist das Moksha, also Erleuchtung. Diese Einsicht wird auch als One-Mind bezeichnet. Die Non-Dualität zwischen Subjekt und Objekt. Dieser Pfad wird auch teilweise von manchen Zen Leuten gegangen. Zum Beispiel sind Koans wie: Wer war ich bevor meine Eltern geboren waren? oder Wer zieht diese Leiche hinter sich her? dazu da um zunächst dieses wahre Selbst zu finden.
Jedenfalls, das alles existierte schon lange bevor Siddharta Gautama geboren wurde. Und dann kam er, sah und realisierte das die da oben auf dem Holzweg sind. Sie haben es geschafft einen rostigen Käfig gegen einen goldenen Käfig auzutauschen. Ganz klar wenn du dein Leben lang in einem Knast in Saudi-Arabien gesteckt hast und du dann plötzlich in ein Gefängnis in Norwegen versetzt wirst, wirst du dir wie im Paradies vorkommen. Du wirst den Eindruck haben das ist das höchste, darüber hinaus kann es nichts geben, was natürlich Unsinn ist. So toll es auch sein mag, mit warher Freiheit hat das immer noch nichts zu tun.
Die Hinduisten haben durch den Aspekt der Klarheit in der Tat etwas unglaubliches entdeckt, was selbst heute nur vergleichsweise wenigen Menschen zugänglich ist. Jedoch ging der Buddha weiter als das. Wenn du alle Weisheitstraditionen der Welt miteinander vergleichst (Advaita Vedanta, christliche Mystik, Sufitum, Kashmir Schawaismus, Kabbalah, Schamanen,...) sie alle sind darauf ausgelegt diese wahre für alle Zeiten unveränderliche Gott-Essenz zu finden. Ich bin fest davon überzeugt das der Ursprung jedes Gott-Glaubens auf diesen Erfahrungen beruht.
Buddha penetrierte unsere Realität wie es keiner vor oder nach ihm vermochte. Er realisierte einen noch entscheideneren Aspekt dieser Realität der selbst die subtilsten Formen des Leids (die es selbst in einem super-duper tollen vergoldeten Gefängnis gibt) beendet und damit auch aus dem Kreislauf des Seins austritt. Für so einen Menschen wird es keinen Tod mehr geben (was nicht heißt das er unsterblich wird!). Was realisierte er und wie unterscheidet es sich von dem dort oben?
Anatta und bedingtes Entstehen/ Leerheit
Oftmals stellen Leute die Frage wer ist es denn der Nicht-Selbst realisiert? Das Problem ist, dass diese Frage auf Basis eines konzeptuellen Rahmens erfolgt der von Grund auf dual ist. Wenn ich nach einem Wer, Wo oder Wann Frage wird sich das Ergebnis immer innerhalb dieses Rahmens befinden. Die entscheidende Sache ist, dass wir nicht nur dual wahrnehmen (uns als Wissenden der durch den Akt des Sehens äußere Objekte sieht) sondern auch inhärent. Der Rahmen gibt uns vor Dinge entweder als wirklich Existent oder als wirklich Nicht-Existent wahrzunehmen. Und das was existiert, sei es dieser Pc an dem ich schreibe, ich als Person (also Ego-Ich) oder ich als transzendentes unsterbliches wahres Ich-Bewusstsein, ist wirklich das was es zu sein scheint. Etwas bleibendes. Etwas substanzielles. Viele Vedantins benutzen sehr gerne das Wort Leerheit. So wie sie es verwenden hat es aber mit der buddhistischen Leerheit nichts zu tun. Sie erleben sich als eine Art ichloses Ich. Ein raumgleiches,formloses Bewusstsein (aka Leerheit die nicht leer von sich selbst ist). Jedoch existiert für sie diese Formlosigkeit wirklich aus sich selbst heraus und verändert sich nicht.
Im Buddhismus wird dagegen ständig von Impermanenz gesprochen. Was stimmt da nicht zwischen diesen beiden Arten der Leerheit?
Leerheit im Dharma ist kein formloses etwas wie im Advaita Vedanta. Es ist auch kein Nichts im Sinne vom Nihilismus. Wir fragen uns nicht ob die Dinge existieren, sondern wie sie existieren. Wie existieren sie?
Bedingt entstehend. Weil dies ist, ist das. Wenn dies aufhört zu sein, hört auch das auf. Was bedeutet es im Bezug zu einem Ding, das bedingt ensteht? Es bedeut, dass dieses Ding nicht aus sich selbst heraus existiert, mit anderen Worten, dass es leer ist. Das erscheinen dieses Dings ist absolut illusionär - es erscheint nicht wirklich. Und trotzdem ist es glasklar wie eine Fatamorgana. Das betrifft nicht nur scheinbare Objekte (Abhängigkeit von Objekt, Auge und Sehbewusstsein) sondern auch uns als Akteur. Es gibt keinen Akteur, ein inhärentes kontrolle ausübendes Zentrum das wirklich existiert. Geräusche werden nicht von einem Dir gehört, Gedanken werden nicht von einem Dir gedacht. Sie ploppen plötzlich auf und zwar bedingt.
Der Eindruck eines sich ich Hintergrund befindenen Auges, das wir sind, das alles sieht nur sich selbst nicht ist das Grundproblem. Und später dann der Eindruck, dass jede Erfahrung an dieser einen unveränderlichen Singularität klebt. Wenn wir uns über den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und wahrgenommenen Objekten bzw. Erfahrungen auseinandersetzen, müssen wir feststellen, dass es ein solches sehendes Bewusstsein, das Objekte sieht gar nicht gibt. Bewusstsein ist kein sich nicht verändernder Hintergrund. Bewusstsein ist der sich ständig verändernde Vordergrund. Bewusstsein ist exakt das Gesehene, das Gehörte, das Gedachte, das Empfundene. Der Begriff Bewusstsein ist jedoch immer noch irreführend. Wenn du aus dem Fenster nach oben schaust siehst du das Wetter. Aber was genau davon soll Wetter sein? Die Wolke da, der Regen dort hinten oder der Wind hier? Da ist absolut nichts von dem du behaupten kannst: Genau das hier ist das Wetter und dieses Wetter verändert sich nicht.
Da ist kein sich veränderndes Ding, da ist nur Veränderung (Dogen sagte Impermanenz sei Buddha-Natur)
Es gibt also keinen Spiegel der unabhängig von den Reflektionen ist. Die Reflektionen sind der Spiegel (Der Spiegel muss nicht vom Staub befreit werden, der Staub ist der Spiegel)
Wenn Nicht-Selbst unmittelbar und direkt erkannt wird, stellt sich die Frage nach einem Wer einfach nicht. Kein Wer, kein Hier und kein Jetzt. Aber auch kein Nichts. Aber auch kein etwas. Der Gedanke denkt, das Geräusch hört, die Farbe sieht. Aber nichts existiert aus sich selbst heraus oder ist permanent. Wie Seifenblasen ohne Zentrum sind die Erfahrungen. Sie sind selbst-klar. Brauchen keinen externen Scheinwerfer.
2 Wahrheiten
Im Buddhismus sagt man nicht das Konzepte ein hinderliches Problem sind und wir einfach in einem gedankenfreien Zustand verweilen sollen (den Spiegel vom Staub befreien). Jedoch besteht trotzdem die Möglichkeit, dass man all diese Dinge eben wie z.B. Quantenphysik nur durch den Kopf sieht. Trotzdem ist es wichtig und entscheidend die Rechte Ansicht zu haben, sie steht nicht umsonst an erster Stelle im 8fachen Pfad. Sie wird zunächst konzeptuell und damit provisorisch sein. Es liegt an dir die definitve Sichtweise auf dem Meditationskissen zu realisieren. Man muss die 2 Wahrheiten im Buddhismus verstehen um zu erkennen warum Konzepte im Buddhismus (im Gegensatz zum Advaita Vedanta) kein zu vermeidendes Übel darstellen. Du musst verstehen, dass selbst wenn du Anatta realsiert hast und erkannt hast, dass ein wirklich existentes persönliches Du gar nicht gibt, es keinen Grund dafür gibt das Wort "Ich" oder "Du" zu vermeiden. Oder jedes andere Wort. Diese Wort sind konventionell und spiegeln unseren ganz normalen Alltag wieder. Selbst wenn ich nicht wirklich bin, so habe ich nichtsdestotrotz meine persönlichen Erfahrungen und Einsichten und Du hast deine. Das ist die relative Wahrheit. Die absolute Wahrheit ist kein verborgenes transzendentes Nirvana, sondern die Leerheit des relativen bzw. das auf Grund des bedingten Entstehens nicht wirkliche Erscheinen des relativen.
Leerheit ist leer von sich selbst. Das bedeutet das alles nur relativ sein kann. Also absolut illusionär. Und trotzdem geht das Leben weiter jeder hat so seine Pflichten. Einkaufen, essen machen, usw...
Man muss verstehen, das eine Realisation keine sofortige Transformation auslöst. Im Buddhismus spielt Karma eine unheimlich wichtige Rolle. Selbst wenn wir diese Erfahrungen haben ist das Momentum der Ignoranz immer noch sehr mächtig. Konditionierungen und Tendenzen aus der Vergangenheit die uns dazu bringen, das was wir Realität nennen dual und inhärent wahrzunehmen sorgen dafür, dass es ein ganzes Stück harte arbeit ist der Ignoranz mit Weisheit zu begegnen. Wieder und wieder und wieder erkennen wie unsere verzerrte Sichtweise die dafür sorgt, dass jede Art von Ignoranz, Aversion und Festhalten zu Leid führt (Jede Form des Festhaltens, auch das Festhalten an ein unveränderliches reines Bewusstsein).
Durch Anatta wird alles mühelos und unheimlich klar. Es wird gesehen, dass da nie jemand geboren wurde und damit auch niemand wirklich sterben wird. Nichts ist oder war jemals persönlich, es ist alles traumgleiche Natur. Furcht und Hoffnung verschwinden. Man sieht, dass durch das bedingte Enstehen alles von allem abhängig ist und nichts isoliert ist. Dadurch entsteht wahres Mitgefühl.
Woooa, das war jetzt viel mehr als ich geplant hab. Ich denke nur, dass es wirklich sinnvoll ist den Advaita Weg zu verstehen um nicht darin stecken zu bleiben und damit den wahren Dharma zu verpassen. Das passiert wirklich vielen Leuten ohne, dass diese es wissen. Denn die Advaita Ansicht steht näher zu unserer gewöhnlichen dualistischen Sehweise als die Anatta-Perspektive.