Sudhana:
Der Unbuddhist:
Wenn man an dem Punktangelangt ist, an dem sogar eine Fundamentalkritik der Fundamentalkritik denkbar wird, was soll man dann tun?
Nun - wenn man schon dahin gelangt ist, sollte man eine solche Kritik auch leisten.
Wurde und wird sie ja vielfach. Das Problem scheint mir doch eher, dass viele sie nicht wollen. Man verwechselt sie regelmässig mit Ablehnung von irgendwas. Abgelehnt wird aber von Seiten der Kritik lediglich das Naiv-Unkritische, das einfach so Gegebenes akzeptiert und womöglich noch, wenn mit dem Segen eines Heiligen aufgeblasen, diesem wie dem goldenen Kalb frönt.
Sudhana:
Der Unbuddhist:
Die Hände in den Schoß legen und seufzen?
Das interpretiere ich jetzt mal als Metapher für Resignation. Wobei das Versagen von Fundamentalkritik, das Problem der Leidhaftigkeit der Existenz des Kritikers zu lösen, ja nicht unbedingt in eine fundamentale Resignation führen muss, sondern lediglich in eine hinsichtlich der begrenzten Tauglichkeit von Kritik.
Ja Resignation. Wobei vielleicht eine aufgeklärte "fundamentale" Resignation nicht die schlechteste Möglichkeit ist. Wobei die intellektuelle Fundamentalkritik allein, wie sie jetzt in diesem Thread angeklungen ist, nicht zu einem Ende von dukkha führen kann. Nicht jedenfalls in einem ernsthaft buddhistischem Sinn. Ein solches Ende steht aber hier nicht zur Diskussion, jedenfalls nicht meinerseits.
Sudhana:
Der Unbuddhist:
Eine halbe Stunde die Wand ansehen?
Auch dies ist eine Metapher (jedenfalls habe ich sie in diesem Sinn eingeführt). Sie steht für ein zeitweiliges Einstellen diskursiven Denkens, das an seine Grenzen gestoßen ist. Das wiederum ist nun keine Resignation, sondern ein anderer Modus mentaler Aktivität. Dazu muss man nun nicht einmal unbedingt auf wu nian / mushin (無念) oder fei si liang / hishiryō (非思量) verweisen, man kann hier auch etwa auf Sartres nicht-thetisches Bewusstsein zurückgreifen. Wobei Sartres "conscience (de) soi" sich natürlich von beispielsweise Dōgens hishiryō insofern unterscheidet, als er dieses nur als Komplement thetischen Bewusstseins, genauer: dessen Existenzweise (mode d'existence) begriff. Schlicht, weil ihm die Möglichkeit einer Reduktion des Bewusstseins auf das präreflexive Cogito des nicht-thetischen Bewusstseins bzw. das dazu führende mentale Training nicht bekannt war.
Heikles Terrain hier. Ich würde zustimmen wenn du sagst, es gibt Möglichkeiten zur Ruhe zu kommen. Völlig entspannt und völlig wach. Und ich würde auch sagen, dass es sich dabei um eine Art Aufhebung des Urteilens, Bewertens, Folgerns usw. handelt. Dass es sich dabei um eine 'gereinigte' Form der Beobachtung handelt, in der vielleicht sogar die die Dichotomie zwischen Wahrgenommenen und Wahrnehmenden zusammen bricht.
In wie weit jedoch das nicht-thetisch ist, prä-reflexiv, vor-sprachlich, evtl. sogar unverwässertes und reines Bewusstsein und dergleichen mehr ist, das ist die Frage. Das Begriffspaar reflexiv/prä-reflexiv wirft z.B. Probleme auf. Man muss zunächst "reflexiv" genau beschreiben. Nehmen wir reflexiv als Nachdenken über das Nachdenken – als das Philosophische überhaupt –, als Nachdenken überhaupt über Fragen wie: was macht mein Denken aus, was bestimmt es, welche Voraussetzungen hat es usw.? Das Prä, das Vor also, würde dann das bedeuten, um was es gerade diesem Denken geht: seine eigenen Grundlagen zu bestimmen. Wie aber weiter oben anklang, führt das in einen endlosen Regress – in eine wichtige Erkenntnis also.
Wenn das Präreflexiv aber die Ruhe sein soll, die diesen endlosen Regress unterbricht, um auf ihm auf einer Art Floss sich treiben zu lassen, dann ist es, wenn man vom Reflexiven her kommt, nur eine Art künstliche (wenn auch evtl. hilfreiche) Position.
Man könnte auch einwenden, dass man individuell nicht weiss, was eigentlich an kognitiven Prozessen dieser scheinbaren präreflexiven Haltung vorausgeht. Wir wissen nämlich – und Yogacaradenker hatten da auch schon Einwände in der Richtung –, dass unseren bewussten Kognitionen unbewusste vorausgehen müssen. Ein so einfacher Prozess wie das Aufwachen, macht das klar. Was sorgt dafür, dass, nach Tiefschlaf und Traumphase, sich unser übliches Tagesbewusstsein wieder konfiguriert? Das passiert gewiss nicht, indem wie uns bewusst darum bemühen.
Man muss also skeptisch sein beim Präreflektiven. Auch wenn es, wie auch immer man es versteht, hilfreich sein mag – davon abgesehen, dass ich mich mit ihm auch in eine Art Stupor bewegen kann, in dem ich stundenlang halbbewusst vor mich hin meditiere. Soll's ja auch geben.
Sudhana:
Der Unbuddhist:
Solche Kritik zum Firlefanz erklären?
Das ist sie sicher nicht. Sie ist notwendig im Hinblick auf ihre Funktion der Desillusionierung.
Da wären wir uns also einig.
Sudhana:
Der Unbuddhist:
Der Einfachheit halber eine Erleuchtung postulieren, die schlicht jenseits allen menschlichen Denkens liegt?
Nun - bevor man dies tut, sollte man sich zunächst einmal klar sein, was man da eigentlich postuliert. Was also "Erleuchtung" ist. Im Kontext buddhistischen Denkens ist dies nur eines, nämlich der Status, in dem das existentielle Problem der Leidhaftigkeit bewältigt ist. Dieses Postulat verweist auf eine Bewusstseinsebene, die thetisches Bewusstsein ("menschliches Denken") und damit auch die personale Ebene transzendiert. Insofern ist es ein Remedium gegen das, was ich oben im Zusammenhang mit dem Scheitern des (kritischen) Denkens an seinen Grenzen "fundamentale Resignation" genannt habe und was Du selbst in Deinem vorletzten Posting ja auch angesprochen hattest. Mehr würde zumindest ich da nicht hineingeheimnissen....
Da stimme ich dir wieder zu. Ich meinte damit aber die Haltung, die eine übermenschliches, jenseitiges, transzendentes Bewusstsein postuliert. Eines jenseits allen menschlichen Denkens, wie es, so oder so ähnlich, in diesem Thread genant wurde. Im buddhistischen Kontext aber, den wir vermutlich meinen, ist "der Status, in dem das existentielle Problem der Leidhaftigkeit bewältigt ist" nicht übermenschlich. Er ist gerade, würde ich sagen, die Erkenntnis zu der wir fähig sind, weil wir Menschen sind und denken können. Er bedeutet eben nicht eine, wie auch immer geartete, Abkehr vom, wie auch immer gedachten, Menschlichen.
Die Probleme die der Vajrayana z.T. hat, die die dir wir gerade sehen, kommen aus einer Verübermenschlichung des Gedankens des Erwachens. Oder anders ausgedrückt: Es wird nicht verstanden was die Grundlage des Mahayana ausmacht, dass Bedingtes Entstehen, Leerheit und sprachliche Konvention alles ist was Existenz ausmacht (MMK 24:18) und nicht etwa verdinglichte, essentialisierte Phantasmen.
Sudhana:
Der kapitalistische Weltuntergang ist mE nicht aufzuhalten. […] Trotzdem sollte man nicht darauf verzichten, eine Kerze zu entzünden, um wenigstens die Ecke der Welt, in der man steht, ein wenig zu erhellen. Wem es hilft, der mag sich im Sinne Hölderlins ("Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch") mit Hoffnung behelfen - wenn man denn nicht Nietzsches Diagnose zustimmt, Hoffnung sei "in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert". […] Ansonsten - so wild wird das mit dem Weltuntergang schon nicht werden. Zumindest die Kakerlaken werden ihn als Spezies überleben.
Begriffe wie Weltuntergang, Katastrophe etc. sind mir da zu viel. Es ist aber gewiss, wenn man sich z.B. die Zahlen zum CO2-Ausstoß anschaut: Eine Änderung ist nicht in Sicht und ein Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe bis 2050 oder so ist eine idiotische, politisch motivierte Infantilität.
Ich denke, dass grosse Veränderungen auf uns zu kommen. Dass aber gleichzeitig der Kapitalismus in der einen oder anderen Form global weiter bestehen wird. Es wird immer mehr Verteilungskämpfe geben. Die so genante strukturelle Gewalt wird zunehmen usw. Der Begriff Katastrophe ist für das aber mAn nicht zutreffend. Das wäre ein plötzlicher Schlag. Meteorit, Atombomben, Magnetsturm ungeheuren Ausmasses, Vulkan etc. Alles möglich. Das Zuschlittern auf die physischen Grenzen des Planeten im Kapitalismus ist eher Evolution, die zwar im Vergleich rasant verläuft, den Planeten und seine Biossphäre aber schlussendlich nicht umbringen wird.
Im Zusammenhang diese Threads hätte ich da aber noch zwei Punkte.
Erstens wie verhält man sich, welche Position nimmt man ein, wenn man sich als ernsthafter Buddhist begreift? D.h. wenn man vom Mahayana à la Nagarjuna ff. ausgeht? (Für die Älteren kann ich nicht sprechen.) Zum einen ist da nämlich diese in Bezug auf den Buddhismus völlig neue Situation, die angesprochene der globalen Miesere. Zum anderen ist da die klare ethische Haltung, die sich auf MMK 24:18 gründet (beziehe mich auf Jay Garfield). Welche politische Haltung kann man daraus ableiten, wenn überhaupt eine – inklusive derjenigen, die dem Staat und dem Politischen mit Nichtbeachtung begegnet?
Zweitens, und das steht im Zusammenhang mit dem Glauben an das Original (egal ob das Wort des Buddha oder original schweizer Käse): Bei vielen Menschen, die Natur schützen wollen, gibt es den Gedanken von der Natur als einer vom Menschen getrennten Spähre, die irgendwie in einen originalen Zustand (zurück)versetzt werden müsse. Dabei muss man sich aber klar machen, dass Natur als der Begriff wie wir ihn heute verwenden, so auch erst in der Neuzeit entstanden ist. In Abgrenzung vom Menschen und seiner Welt ist er ein Kunstbegriff in den vieles hinein projiziert wird – z.B. ein Heilsversprechen, dass z.B. suggeriert der Klimawandel sei noch aufzuhalten, das Artensterben sei noch einzudämmen, der Kipppunkt des Säurebasen-Verhältnisses in den Ozeanen sei noch zu vermeiden, das Plastik sei aus den Ozeanen wieder rauszukriegen, der CO2-Gehalt in der Atmosphäre, den wir seit nur Mitte des 19. Jdht verursachen, hätte keine Auswirkungen über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg. Der Naturbegriff suggeriert, dass das alles nicht so schlimm sein wird, da doch die Natur, wenn sie nur wieder zu ihrem Recht käme, schon alles regeln würde. Das ist ein schöner Glaube. Tatsächlich, wenn schon "Natur" sind wir Teil einer im christlichen Sinne gnadenlosen Natur, die sich, um das mal so zu sagen, in uns ausprobiert, und die sich, wenn die evolutionäre Sackgasse offensichtliche Wirkungen zeitigt, sich unserer Machenschaften auch wieder entledigen wird. Für Umkehr, Rettung, radikale Aktion sowieso, ist es längst zu spät.
Wobei das aber, mit Hölderlin, gerade der Witz an der Sache sein könnte: das Rettende ist nicht das Zurück, es ist das Hindurch. Da muss man hindurch. Und was wird, wird sich zeigen. Ein Licht zu sein, in seinem lokalen Umfeld, kann man dabei allemal versuchen.
Sudhana:
Der Unbuddhist:
Die Frage ist auch, ob der infinite Regress, wirklich ein solcher ist, oder ob dieser nicht vielleicht auf einer kulturspezifischen Syntax des Denkens aufbaut? Vielleicht hat diese Syntax sogar mit dem zu tun was Magaret Thatcher mal sagte, und was alle Kapitalisten heute sowieso sagen: There is no alternative?! Ach wirklich?
Nun - die "Syntax des Denkens" ist die Logik, und die wiederum halte ich nicht für "kulturspezifisch" (wenn man auch nichtklassische logische Systeme einbezieht), sondern für eine evolutionär stabile Strategie der Gattung Homo - also gattungsspezifisch...
Einspruch Euer Ehren. Man muss da wieder auf z.B. die Foucault'sche Episteme zurück... aber für heute ist's genug.
Auf ein ander Mal.