Beiträge von Sudhana

    accinca:
    Sudhana:

    Als Buddhas Weg ist es ein mittlerer Weg, jede Hin- und Abneigung vermeidender. Da verlieren dann große Worte wie "Erleuchtung" oder "Erwachen" jede Bedeutung - mehr als Worte sind das auch nicht.


    Dabei sollte aber bedacht werden, das es ohne Ziel
    auch keinen Weg gibt. Auch sollte klar sein, das der
    achtfache rechte Übungsweg normalerweise noch recht
    unbekannt ist. Seine Bedeutung über die Worte hinaus,
    erst auf dem Wege klarer wird.


    "Ziel" ist schlicht die Mitte des Weges, in der sich die Ursachen und Bedingungen wechselseitig bedingten Entstehens, von samudāya, wechselseitig neutralisieren. Es kann eine gewisse Strecke weit helfen, das mit einem Label zu versehen - aber man sollte irgendwann den Weg schon ohne eine solche Krücke ('Gehhilfe') gehen können.


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    mukti:

    Ein kultivierter Raucher hat mehr davon als ein Kettenraucher, er raucht genussvoll und unter weniger Zwang und leidet obendrein weniger unter Gesundheitsschäden.

    Wenn man sich seine Zwänge frei(!) aussuchen kann, verlieren sie ihren Zwangscharakter. Wenn mein Nachbar beim Zazen ein Raucher ist, dann rauche ich gewissermaßen unter dem Zwang dieser Nachbarschaft. Den Geruch, den er über seinen Atem und evt. auch seine Kleidung an die Luft des Raumes abgibt, den wir teilen, ist ein solcher Zwang; er ist mein Preis des gemeinsamen Zazen mit ihm. Und so teile ich achtsam und wach seinen Tabakgenuss - ohne mehr davon zu wollen. Ich will auch nicht weniger davon, aber ich halte diesen Genuss für verzichtbar und es würde mich für meinen Nachbarn freuen, wenn wenn er diese ungesunde Anhaftung lösen könnte. Aber das ist kein Anspruch von mir, den ich an ihn stelle - nur von meiner Seite fehlender "Willen zum Genießen" und Mitgefühl mit meinem Nachbarn.

    mukti:

    Besonders schlau ist demnach das Motto 'Genießen ohne Anhaften'.

    Das ist natürlich der klassische Selbstbetrug der Genießenden, oft genug bestenfalls "Sati ohne Sampajañña". Der Ansatzpunkt ist hier die Natur des "Genießens". Ist dies der letzlich leidhafte Versuch, einer Begierde nachzugehen bzw. ein Mangelgefühl zu ersticken (diesen Zusammenhang von Hin- und Abneigung bezeichnet man als "Sucht") oder ist das mittlerer Weg - Akzeptanz dessen, was ist, wie es ist, ohne Hin- und Abneigung?


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    Lucky:

    Unter anderem hat ein Forum auch seinen Zweck darin, seine Erfahrungen mit anderen auszutauschen. Wer nichts von sich Preis gibt, ist eventuell fehl am Platz.

    Diese "Kaffekränzchen-Funktion" des Forums ist mir durchaus bewusst. Da kommt zu den individuell unterschiedlichen Ausgangsbedingungen noch der Filter des digitalen Mediums als "Absonderndes" hinzu. Insofern ist ein solches Forum als praktizierte Weggefährtenschaft nur ein sehr armseliger Abklatsch einer Praxisgemeinschaft, Sangha. Aber besser als nichts - und Etliche hier haben sonst nichts.

    Lucky:

    Deswegen halte ich es für sinnvoll, auch über die Ausgangssituationen zu sprechen. Dadurch wird die Erfahrung ausgetauscht, und man kann eventuell einen Nutzen daraus ziehen.

    Sicher können "Ausgangssituationen" in dem einen oder anderen Aspekt vergleichbar sein und entsprechend kann man von Erfahrungen Anderer mit einer der eigenen aktuellen zumindest partiell vergleichbaren Ausgangssituation lernen. Deswegen hat Buddha nicht geschwiegen.


    Aber angesichts der Effektivität eines Internetforums in dieser Hinsicht (wobei die von mir erwähnte "Vertrauenswürdigkeit" der virtuellen Weggefährten das Hauptproblem ist) handelt es sich nach meiner Einschätzung doch überwiegend um das, was ich als "seine Muße in solchen Dingen zu haben" charakterisierte. Eben Kaffeekränzchen.


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    Holzklotz:
    Lucky:

    Die Frage ist, was ist die beste Ausgangssituation. Darüber habe ich viel nachgedacht und mich mit Leuten unterhalten.
    Ich bin der Meinung, eine stabile soziale Situation mit guter Shangha und rechten Lebenserwerb ist die beste Ausgangssituation. Alles andere bring irgend ein Ungleichgewicht.
    Schlussendlich ist auch die innere Haltung entscheidend.


    Und dann kann man es so wie Kal es beschrieben hat handhaben, Achtsam in der Gegenwart leben.


    Also ich glaube das hängt vom jeweiligen Weggefährten ab, wie das Umfeld beschaffen sein sollte, bzw. was sich als Hindernis entpuppt und was als Hilfe. Man darf aber wohl darauf vertrauen, dass man schon irgendwann merkt, wo wirklich was geändert werden muss oder wo man es sich nur einredet, weil man vielleicht Angst hat oder ungeduldig ist. Auf eine eindeutige Antwort aus einem Buch würd ich da jedenfalls nicht vertrauen.

    Weggefährten sind wichtig, für Viele sogar unentbehrlich. Möglicherweise für Alle, wenn der Weg nicht in eine Schieflage führen soll - Absonderung halte ich für so etwas. Unter den Weggefährten sollten idealerweise auch welche sein, die ein weiteres Erfahrungsspektrum haben als wir und uns anbieten, ihre Erfahrungen nachzuvollziehen - und die sich nach eingehender Prüfung als vertrauenswürdig erweisen.


    Über "Ausgangsbedingungen" - die eigenen und die Anderer - Überlegungen anzustellen, halte ich für müßig. Wobei nichts dagegen einzuwenden ist, seine Muße in solchen Dingen zu haben, aber der praktische Nutzen tendiert gegen Null. "Ausgangsbedingungen" sind immer die momentanen Bedingungen; an den vergangenen lässt sich nichts ändern. An den zukünftigen schon - und die Art und Weise, zu diesen als veränderten Ausgangsbedingungen zu gelangen, ist der Weg. Als Buddhas Weg ist es ein mittlerer Weg, jede Hin- und Abneigung vermeidender. Da verlieren dann große Worte wie "Erleuchtung" oder "Erwachen" jede Bedeutung - mehr als Worte sind das auch nicht.


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    mukti:

    Es erscheint mir schwierig, während des Genießens die nötige Achtsamkeit zu entwickeln.


    Das ist es auch. Der 'Trick' dabei ist, die nötige Achtsamkeit aufrecht zu erhalten, wenn man in das Genießen hinein geht. Der Begriff "genießen" ist hier insofern geeignet, als er sich teilweise mit dem Begriff des "Genusskörpers" der Trikaya-Doktrin deckt. Dieser hat zwei Aspekte - einen nach außen und einen nach innen gewandten Aspekt, tajuyū shin und jijuyū shin. Die Übung des "Genießens in nötiger Achtsamkeit" nennt Dōgen das Samādhi des nach Innen ausgerichteten Genusskörpers, jijuyū zammai. Dieses "Genießen" ist nichts anderes als Zazen.


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    fotost:

    Es geht letztlich in der Steigerung um die Überwindung des Gefühls.

    Meines Erachtens nicht nur. Es geht schon um eine "Überwindung" der upādānaskandhah insgesamt, nicht nur des vedanaskandha.

    fotost:

    Dabei hat bestimmt selbst ein Buddha noch Gefühle gehabt.

    Ich würde da -etwas vorsichtiger - sagen: etwas in der Art. Das leugnen ja auch die Therāvadin nicht, im Gegenteil. Man spricht hier von sopādadisesanibbāna, einem "nibbāna mit [skandha]Resten" im Unterschied zum anupādadisesanibbāna, dem auch von diesen skandha-Resten freien nibbāna. Der Übergang zwischen beidem ist das parinibbāna.


    Spekulationen über die Beschaffenheit dieser skandha-Reste halte ich für müßig. Nach dem Zeugnis des Palikanon tat dies auch Buddha Shakyamuni und als Kronzeuge dafür, dass dies auch im Mahāyāna nicht anders gesehen wird, kann man auf Nagārjuna verweisen (MMK XXV.15-18).


    Sicher hatte Buddha Shakyamuni nach seinem Erwachen ein "Schmerzempfinden"*, z.B. "wenn er bei seinen Wanderungen auf einen spitzen Stein getreten ist", also eine physiologische Reaktion des rupaskandha auf einen durch seine Intensität bei Andauern den rupaskandha schädigenden Reiz. Die Wahrnehmung alleine (vedanāskhandha) bewirkt ja noch keine aktive Änderung des gereizten Zustandes, also treten in irgendeiner Form auch noch die anderen skandhah hinzu. Ob nun das, was Buddha Shakyamuni als "Schmerz" empfand überhaupt noch vergleichbar ist mit dem, was ein unerwachtes Wesen als Schmerz empfindet, ist eine andere Frage. Das ist keine Frage nach dem Vorhandensein eines Reizes (visuell, auditiv, olfaktorisch, gustativ, taktil oder mental) und der physiologischen Reaktion darauf, sondern auf die psychologische. Der letztlich entscheidende Punkt ist, dass die "skandhah-Reste" des sopādadisesanibbāna keine "Nahrung" (āhāra im Sinne der vierfachen Nahrung des Sammāditthi Sutta MN I.9) mehr sind, weil der "Durst" tṛṣṇā / taṇhā versiegt ist.


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    *Konkret wird im Palikanon von massiven Rückenproblemen im fortgeschrittenen Alter berichtet.

    Ellviral:
    Sudhana:

    Wen juckt's? Interessanter ist doch die Frage: wie nennst du Dein Versagen, etwas zu sagen?


    ()

    Der Geist bewegt die Fahnen, fünf Pfund Flachs, der klang der Tasten.


    :D Wenn der Mann im Baum nicht antwortet, versagt er. Antwortet er, fällt er und verliert sein Leben. Was also soll er tun?


    Kyōgen ist ein Vollidiot
    Verspritzt tödliches Gift
    Das seinen Schülern das Maul stopft
    Und aus ihren toten Augen Tränen fließen lässt.


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    Ellviral:

    Meine gewissermaßen trotzige Frage ist: Warum dieser ganze wust von gezierten Worten?

    Ich scheine da tatsächlich in eine Trotzphase geraten zu sein. Das Prinzip der sachlichen Begründung einer Aussage ist Dir aber grundsätzlich schon vertraut, oder?

    Ellviral:

    Übersetze es doch selber

    Habe ich doch:

    Sudhana:

    Im Text steht saṃjñā (bzw. Chin. 想, 'Wahrnehmung', 'Ideenbildung')

    ... einschließlich Darlegung, warum ich Deine Übersetzung "Vorstellung" unzulänglich finde. Schließlich geht es hier um einen Sutrentext und nicht um Deine "gelebte Erfahrung".

    Ellviral:

    Erwartest Du von jedem der irgendwas übersetzt Grundlagenforschung?

    Wenn ich die Übersetzung ernst nehmen soll, schon.

    Ellviral:

    Hesse nannte sein Versagen etwas zu sagen, Überstudiert.

    Wen juckt's? Interessanter ist doch die Frage: wie nennst du Dein Versagen, etwas zu sagen?


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    Ellviral:
    cinnamon:

    Aus dem Diamant Sutra:
    „The image of self is not a characteristic; the image of a person, the image of a being, and the image of a liver of life are not characteristics.
    Why? Being detached from all images, they are called buddhas“


    Die Vorstellung eines Selbst ist keine Eigenschaft; die Vorstellung einer Person, die Vorstellung eines Sein und die Vorstellung eines das Leben Lebenden sind keine Eigenschaften.
    Warum? Das so Seiende ist abgetrennt von allen Vorstellungen

    "Vorstellung" trifft es nicht ganz. Im Text steht saṃjñā (bzw. Chin. 想, 'Wahrnehmung', 'Ideenbildung'). Das ist eine tieferliegende Stufe.


    Im Cheng weishi lun (成唯識論, T1585.31) wird dazu Folgendes erläutert: "Die Natur von saṃjñā ist es, Bilder [images, s. das engl. Zitat] von Objekten zu ergreifen und seine Funktion ist es, verschiedene Namen und Begriffe zuzuweisen. Wenn abgegrenzte Eigenschaften des Objekts geschaffen werden, dann werden entsprechend verschiedene Namen und Begriffe erzeugt."


    Es ist hier also zwischen 'Natur' und 'Funktion' zu unterscheiden. Natur von saṃjñā ist das Unterscheiden; Funktion des Unterscheidens ist das Erzeugen oder Entfalten der Vorstellung (prapañca, 戲論). Mit Vorstellungen wiederum sind wir bei der Natur des vijñāna. Buddhas Unterweisung im Diamantsutra setzt hier bei der Wahrnehmung (der "vier Bilder") an, nicht erst bei den durch sie bedingten Vorstellungen im Bewusstsein.


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    accinca:

    Was ich dazu noch kurz sagen wollte war das dort
    auf keinen Fall "Ursprung" und "Aufhebung" steht.
    Ich würde jedenfalls einen Unterschied sehen und von
    Entstehen (samudaya) und Vergehen (nirodhaṃ) reden.


    Richtig ist, dass im Original 'Lokasamudayaṃ' respektive 'Lokanirodhaṃ' steht und ich persönlich neige da auch eher zu @accincas Übersetzung. Richtig ist allerdings auch, dass das Referenzwerk (das Dictionary der Pali Text Society) für Samudaya als Übersetzung an erster Stelle 'rise, origin' (also Entstehen, Ursprung) angibt und für Nirodha sogar 'oppression, suppression; destruction' (Unterdrückung, Zerstörung) und 'cessation, annihilation' (Aufhören / Einstellen, Aufhebung).


    Entscheidend ist nicht, dass "das dort auf keinen Fall [...] steht". Das ist so nicht richtig. Man kann das, was da steht, durchaus so übersetzen. Ob das eine gute Übersetzung ist, muss man aus dem Kontext - was hier heisst, seinem persönlichen Verständnis der 2. und 3. der aryasatya 'Samudaya' und 'Nirodha' entscheiden.


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    cinnamon:
    mukti:


    Wo steht denn dass der Buddha das gesagt hat? Wenn er es gesagt hat dann würde mich wundern dass er es nicht deutlich als eine Metapher gekennzeichnet hat. Wenn man sowas dann ohne den Zusammenhang mitteilt dann ist das doch grob irreführend.


    Wie gesagt es ist vermutlich nur mein naives Vertrauen in die Darlegung von Buddhadasa der originalen Schriften, der sich meiner Meinung nach sehr weise mit den Schriften auseinandergesetzt hat. Was Buddha gesagt hat, wird ja immer von anderen Menschen dargelegt.
    Den Zusammenhang hatte ich,dachte ich zumindest, vorhin dargestellt. Aus welcher Schrift das stammt, weiß ich nicht. Anscheinend gibt es noch weitere frühbuddhistische Texte. Es ging mir auch mehr um den Sinngehalt.

    Natürlich "gibt es noch weitere frühbuddhistische Texte" und es ist erfreulich, wenn jemand wie Buddhadhasa da über den Tellerrand hinausblickt. Die mW älteste Quelle dieser Aussage (die im Chan gelegentlich aufgegriffen wurde) ist der Daśādhyāyavinaya (chin. Shisonglu 十誦律, T 23: 381b) oder 'Vinaya in zehn Abschnitten'. Es ist das wichtigste Buch des Vinaya Pitaka der Sarvāstivādin. Und natürlich wird diese Metapher dort von Buddha auch unmissverständlich erläutert:

    Zitat

    Jemand fragte: "Kann es einen Fall geben, in dem ein Bhikshu die Mutter tötet und großen Segen, nicht Vergeltung erlangt?" "Ja, das gibt es. Begierde wird die Mutter genannt. Wer sie tötet, gewinnt großen Segen, nicht Vergeltung." "Kann es einen Fall geben, in dem ein Bhikshu den Vater tötet und großen Segen, nicht Vergeltung erlangt?" "Ja, das gibt es. Der Ausfluss der Leidenschaften [āsrāva / āsava] wird der Vater genannt. Wer ihn tötet, gewinnt großen Segen, nicht Vergeltung."


    Anmerkung: mit 'Vergeltung' ist speziell das mit den pañcānantarya ('fünf Todsünden') verbundene ānantaryakarma gemeint - im Zusammenhang mit dessen Erörterung ist das Zitat zu verstehen.


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    Für einen gelungenen Scherz - auch einen satirisch gemeinten - ist das 17-seitige Vertragswerk doch ein wenig zu umfangreich ausgefallen. Die etwas unappetitliche spätpubertäre Detailversessenheit (die dem Leser auch Sexalpraktiken wie Sodomie, Koprophilie und Nekrophilie nicht erspart) macht es nicht besser. Trotzdem ist das durchaus nicht unkomisch. Worum es geht, hat Dzongsar Khyentse in seinen ebenfalls recht umfangreichen Ausführungen zum Fall Sogyal Lakar (die hier ja auch diskutiert wurden) allerdings fertiggebracht, in nur einem Satz zu formulieren:

    Dzongsar Khyentse:

    it’s a Vajrayana master’s duty to warn aspiring students repeatedly and in advance about what they are letting themselves in for. Students must be warned about what they are about to undertake—the full picture, not just the highlights.

    Für westliche (und insbesondere amerikanische) Vajrayana-Einsteiger ist die kulturell angemessene Form einer solchen Warnung sicherlich ein privatrechtlicher Vertrag, wobei der Entwurf der fiktiven Anwaltsfirma 'Bender and Boner Law' (schon der Name ist einer der erwähnten spätpubertären Scherze) sicher eine gangbare Richtung zeigt. Was allerdings noch fehlt, ist ein Abschnitt mit Konventionalstrafen bei Vertragsverletzungen (aka 'Bruch der samaya').


    Nur bedenklich, dass der Scherz nicht nur auf das Konto von Sogyal Lakar und Konsorten geht, sondern vor allem auf Kosten von deren Opfern. Es ist leicht, sich über Gimpel lustig zu machen. Ich für meinen Teil nehme mir die Freiheit, auf Kosten des Vajrayana amüsiert zu sein ...


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    jianwang:

    Und gerade beim Konditionalnexus gibt es starke Auslegungsunterschiede zw "kleinem und grossen Fahrzeug" ... bis heute

    Nicht nur da. "Rad der zwanghaften Wiedergeburt" habe ich gerade bei den Kollegen vom Dach der Welt gelesen. In Bezug auf das Aśokacakra, das wiederum mit seinen 24 Speichen den Konditionalnexus Pratītyasamutpāda (die 12 nidāna einmal 'vorwärts' und einmal 'rückwärts') symbolisiert. Mit anderen Worten: Pratītyasamutpāda = "zwanghafte Wiedergeburt". Das erscheint mir schon etwas fixiert - um nicht zu sagen, selbst ein wenig zwanghaft ...


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    Sherab Yönten:
    Sudhana:

    und in dieser Leere weder Entstehen noch Vergehen existieren.


    Könnte man hier Leere nicht mit dem Begriff Unendlichkeit verwechseln? In der Unendlichkeit oder im unendlichen Raum gibt es tatsächlich weder Entstehen noch vergehen.

    Zunächst: warum sollte man das verwechseln? Im Herzsutra ist da doch eindeutig von (Śūnyatā) die Rede und nicht von muhen bzw. kū muhen sho (ākāśânantyâyatana), dem 'Bereich der Unendlichkeit des Raumes'. Letzteres ist das erste der vier formlosen Samādhi und natürlich gibt es da Entstehen und Vergehen, weil lediglich der rūpaskandha aufgehoben ist, nicht jedoch die sonstigen skandhah.

    Sherab Yönten:

    Doch man muss beim Leerheits Begriff wissen, wie er gemeint ist. Denn Leerheit gibt es nur im Zusammenhang von "leer von irgendetwas" also von einer Eigennatur oder leer von inhärenter Existenz u.s.w..

    Geschenkt. Dass Śūnyatā eine Kurzform für Svabhavaśūnyatā und dies wiederum ein Wechselbegriff für Pratītyasamutpāda ist, weiss man auch im Zen. Nāgārjunas MMK wurden bereits Anfang des 5. Jahrhunderts von Kumārajīva ins Chinesische übersetzt (also eine ganze Weile, bevor man in Tibet von Nāgārjuna auch nur gehört hatte) und das darauf (sowie auf weitere Texte von ihm und Kanadeva / Aryadeva) aufbauende Sanlun (Jap. Sanron, Madhyamaka) ist eine der Wurzeln des Chan / Zen.

    Sherab Yönten:

    Und der Zusammenhang leer von inhärenter Existenz ist eigentlich der philosophische "Beweis" der Wiedergeburt, nämlich das kein Phänomen in der Zeit unveränderlich bleibt, sondern immer wieder neu entsteht (also "wieder" geboren wird). Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausdrücken können?

    Zunächst einmal - was verstehst Du eigentlich unter "inhärenter Existenz". Ich höre den aus der abendländischen Philosophie entlehnten Begriff "Inhärenz" in diesem Zusammenhang immer wieder - aber ich habe ein wenig den Eindruck, dass dass die Wenigsten, die diesen Begriff verwenden, eine halbwegs klare Vorstellung von dessen Bedeutung haben.


    Sodann: "dass kein Phänomen in der Zeit unveränderlich bleibt" ist das lakṣaṇa anitya und hat nur bedingt etwas mit Nāgārjunas Śūnyatā-Begriff etwas zu tun. Ein ""Beweis" der Wiedergeburt, nämlich dass kein Phänomen in der Zeit unveränderlich bleibt, sondern immer wieder neu entsteht (also "wieder" geboren wird)" ist das gewiss nicht. Es besagt lediglich, dass "kein Phänomen in der Zeit unveränderlich bleibt". Der Rest - dass ein Phänomen "immer wieder neu entsteht (also "wieder" geboren wird)"" entspringt nur Deiner Phantasie. Phänomene (dharmas) entstehen aus einem komplexen Muster von Ursachen und Bedingungen (hetupratyaya) - und dieser Konditionalnexus ist ebenso anitya wie die durch ihn bedingten dharmas. Genauer: die dharmas sind anitya, weil es der Konditionalnexus ist. Dieser Nexus ist dynamisch, nicht statisch. Dass es da eine "Wiederkehr" oder gar "Wiedergeburt" identischer dharmas gäbe, ist reine Spekulation. Zu der hinter dieser Spekulation stehenden Motivation habe ich mich ja bereits geäußert.


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    Sherab Yönten:

    Kann man das so pauschal sagen, dass "Wiedergeburt im Zen keine Rolle spielt"???

    Zumindest wird diese nervige obsessive Beschäftigung mit "Wiedergeburt" nicht ermutigt. Das ist Anhaften an Sichtweisen, mit denen sich die (Todes-)Ängstlichen trösten und beschwichtigen, die aber nicht wirklich hilfreich sind, weil sie nur Erscheinungsformen von Persönlichkeitssicht (身見, shinken, ātma-dṛṣṭi) sind. Diesen Hinweis findet man übrigens auch schon im Palikanon, z.B. MN 2, Sabbāsava Sutta.


    Es gibt einen Zustand in der Zeit, den wir Entstehen (shō) nennen und einen Zustand in der Zeit, den wir Vergehen (metsu) nennen. Wenn man genau hinschaut, was vergeht und was entsteht und wie Vergehen vergeht und Entstehen entsteht, dann zeigt sich, dass beides leer ist und in dieser Leere weder Entstehen noch Vergehen existieren. So steht es auch im Herzsutra: Sharishi ze sho hō kū sō fu shō fu metsu (iha śāriputra sarvadharmāḥ śūnyatālakṣaṇā anutpannā aniruddhā).


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    Sherab Yönten:

    Besonders im Tibetischen Buddhismus ist viel von Hingabe und Vertrauen die Rede.


    Ich habe manchmal Schwierigkeiten, diese Begriffe abzugrenzen.


    Was bedeuten für Euch Hingabe - Vertrauen - Glaube ?
    Wie würdet Ihr diese Begriffe definieren?

    Fangen wir mal mit "Vertrauen - Glaube" an. Im Kontext des Buddhadharma geht es da nicht um zwei verschiedene Dinge, sondern um eines: śraddhā (yid ches pa, mngon par dad pa). Weder 'Vertrauen' noch 'Glaube' sind da 100%ige Entsprechungen, wobei mE 'Vertrauen' das deutlich besser abdeckt als 'Glaube'. Ich habe zu dem Unterschied zwischen 'Glaube' und śraddhā schon wiederholt geschrieben und möchte mich hier nicht wiederholen. Die Wiedergabe mit 'Glaube' ist mE hauptsächlich einer ziemlich bemühten Analogie zur christlichen Religion geschuldet. Ob so etwas notwendig ist, um Menschen, die in einer durch das Christentum geprägten Kultur aufgewachsen sind, nahezubringen, was śraddhā bedeutet oder ob es sie (zumindest ein Stück weit) irreführt, lässt sich pauschal nicht beantworten - das hängt vom einzelnen Menschen ab. Jedenfalls sind christlicher 'Glaube' und śraddhā zwar beides Stiefel, aber doch unterschiedliche Paare. 'Vertrauen' ist, wie schon angedeutet, meines Erachtens etwas passender und vor allem erschwert es eine Verwechslung mit dem christlichen Glaubensbegriff.


    Grundsätzlich sind solche Übersetzungen nur Übergangslösungen, die an ein Verständnis von śraddhā heranführen können. Ein tatsächliches Verständnis von śraddhā entwickelt sich mit śraddhā selbst - durch das Gehen des achtfachen Pfades. Man spricht hier von śraddhābala (dad pa'istobs), der 'Kraft von śraddhā (mngon par dad pa)', die sich durch die Praxis des achtfachen Pfades entwickelt. Hinreichend durch Übung entfaltet ist śraddhā weder 'Glaube' noch 'Vertrauen' sondern 'Überzeugung' - und zwar eine auf Überprüfung durch eigene Erfahrung beruhende.


    Das hängt damit zusammen, dass śraddhābala zusammen mit vier weiteren 'Kräften' entwickelt wird: vīrya (brtson 'grus - das wiederum dürfte mit 'Hingabe' gemeint sein), smṛti (dran pa), samādhi (ting nge 'dzin) und prajñā (shes rab). Zusammengefasst nennt man dies die pañcabalāni. Die pañcabalāni sind ein grundlegendes buddhistisches Konzept, man findet beispielsweise hier etwas darüber. Speziell śraddhā ist in seiner entfalteten Form Kennzeichen des sotāpanna ('Stromeingetretenen'). Aus mir unerfindlichen Gründen hielt Wilhelm Geiger in seiner Übersetzung des Samyutta Nikaya den 6. Abschnitt des Mahāvagga für "entbehrlich". Daher hier nur eine englische Übersetzung. Im nördlichen Kanon ist die Parallelstelle Saṃyuktāgama 673ff. (mW nur in chinesischer Übersetzung überliefert).


    Eine Anmerkung noch zu vīrya: 'Hingabe' als Übersetzung vermittelt nach meinem Verständnis ein zu passives Bild. Es geht nicht um Hingabe an etwas getrennt vom Praktizierenden Existierendes, sondern um aktive, 'tatkräftige' und energische Praxis des achtfachen Pfades. Dazu möchte ich mir den Hinweis nicht verkneifen, dass dies mit Hingabe an einen Guru nur dann gleichgesetzt werden kann (nicht muss), wenn dessen Praxis des achtfachen Pfades wirklich perfekt ist. Das ist dann leider nur allzu häufig eine Sache, die dann wirklich nur auf 'Glauben' beruht.


    ()


    P.S.: da ich hier im tibetischen Unterforum schreibe, habe ich mich bemüht, auch entsprechende tibetische Begriffe zu den Sanskrit-Begriffen zu nennen. Da tibetischer Buddhismus nun nicht wirklich mein Beritt ist, kann ich da Irrtümer nicht ausschließen. Im Zweifelsfall gelten die Sanskritbegriffe. Ansonsten handelt es sich natürlich nicht um ein speziell 'tibetisches' Thema. Die Frage wäre passender im allgemeinen Forum gestellt worden. ()

    Gedanke:
    Sudhana:

    Dir ist aber schon klar, dass Buddha selbst verheiratet war und einen Sohn gezeugt hat?


    Aber nicht als Buddha (Erwachter), sondern in der Zeit davor.

    Wobei es ihm offensichtlich nicht geschadet oder ihn daran gehindert hat, noch im selben Leben zum Buddha zu werden. Was, nebenbei angemerkt, in Theravada-Diktion bedeutet, dass er als Anagamin (Nicht-Wiederkehrer) zur Welt kam. Die ja angeblich keinen Sex haben, wenn man Dir glauben soll.


    Wenn Dich das Thema so umtreibt, stelle es doch (wieder) mal im Allgemeinen Forum zur Diskussion. Das Zen-Forum ist jedenfalls nicht der geeignete Ort, um darüber zu diskutieren, was da nun angeblich in den Sutten des Palikanon stehen soll oder was man da so alles herausliest.


    ()

    void:

    Derzeit ist es so, dass die meisten die in Japan eine Zenausbildung machen, nicht solche sind, die Befreiung erstreben sondern junge Männer die den Familientempel übernehmen wolle, wo dann als Ritualdienstleister tätig sind.

    Daran stört sich nicht nur ein Shōdō Harada Roshi, das ist unter dem Schlagwort "Bestattungsbuddhismus" (soshiki bukkyo) seit den 60ern Gegenstand wachsender Kritik in Japan.

    void:

    Nach meinem Wissen hat er [...] dafür gesorgt, [...] dass die Ordinierten dort zölibatär leben.

    Das ist in den Klöstern völlig normal - sowohl für die auszubildenden Unsui wie auch für die Ausbilder. Letztere oft Leute, die (noch) keinen Tempel "erben" (und daher auch keine Familie ernähren) können und deswegen im Kloster bleiben und dort "Karriere" machen. Der Großteil der Ordinierten allerdings übernimmt nach der Ausbildung einen Tempel (idR erst einmal als Assistent). Viele davon üben dann nie wieder Zazen - Andere wiederum bieten in ihrem Tempel auch Laien Unterweisung in Zazen an. Nicht nur Bestattungen. Wobei sich auch da die Zeiten unaufhaltsam ändern. Wohin die Reise (evt.) geht, konnte man auf der Life Ending Industry EXPO 2017 in Tokyo sehen: http://video.dailymail.co.uk/v…4_1061671922732351357.mp4


    ()

    Arthur1788:

    Aus meiner Sicht macht es aber kein Sinn, warum beispielsweise Theravada-Mönche (deren Ordensregeln wohl am ehesten denen der Urgemeinde entsprechen dürften) derart rigorose Regeln für den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht auferlegt bekommen, wenn Sexualität grundsätzlich kein "Problem" darstellt.

    Dir ist aber schon klar, dass Buddha selbst verheiratet war und einen Sohn gezeugt hat? Das ist übrigens noch heute in Indien bei Hindus ein gängiges Verhalten - in die Hauslosigkeit geht man in der Regel erst, wenn man seine Verpflichtungen gegenüber der Familie erfüllt hat (wozu es - wie bei Buddha - gehört, eine neue Familiengeneration zu zeugen). Gerade bei vielen der Bhikkus der "Urgemeinde" dürfte genau dies ebenfalls so gewesen sein - häufig erfahren wir in den Sutten ja beispielsweise, welchen Beruf ein Bhikku in seinem "weltlichen" Leben ausgeübt hat. In Thailand z.B. ist das heute natürlich umgekehrt. Da lässt man sich als Adoleszenter (zumeist unter Druck der Eltern) zum Bhikku ordinieren und entrobt dann nach zwei oder drei Jahren wieder, um selbst eine Familie zu gründen ...


    Buddhas grundsätzliche Einstellung zur Sexualität kann man seinen diesbezüglichen Verhaltensempfehlungen für Haushälter entnehmen. Zeit- und kulturentsprechend geht es da vor allem um Respektierung rechtlicher Beziehungen. Wobei Frauen grundsätzlich unter der Vormundschaft eines Mannes standen. Dieses Vormundschaftsrecht war zu respektieren - d.h. Geschlechtsverkehr durfte ein Mann nur mit Frauen ausüben, deren Vormundschaft er übertragen bekommen hatte. Anders gesagt: in der Ehe. Ganz wesentlich geht es auch bei dieser Sila um ahimsa - das Nicht-Verletzen sozialer Beziehungen.


    Was nun den Mönchsorden angeht - das war ein Bettelorden und den Bhikkus war lediglich erlaubt, den eigenen Lebensunterhalt der Gemeinschaft der arbeitenden Menschen zur Last zu legen, um sich, von der Notwendigkeit zu arbeiten befreit, der Übung des achtfachen Pfades widmen zu können. Dieses Prinzip wäre durch die Notwendigkeit, darüber hinaus noch für Frauen und Kinder sorgen zu müssen, durchbrochen worden und hätte sich auch negativ auf die Akzeptanz des Bettelns ausgewirkt. Ansonsten: natürlich stellt Sexualität grundsätzlich ein "Problem" dar. Ob man sie nun ausübt oder ob man es sich verkneift. Mit beiden Arten dieses Problems kann man lernen, umzugehen. "Bei beiden lobe ich den guten Wandel, beim Hausvater und beim Hauslosen. Der Hausvater oder der Hauslose, wenn er einen guten Wandel führt, hat eben infolge seines guten Wandels Erfolg in der heilsamen Pfadlehre." (A.II.41)


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    Arthur1788:

    Ich habe ja prinzipiell gar nichts gegen das Heiraten und Kinderzeugen, aber dass man sich dann noch als "Mönch" darstelllt ist doch schon irgendwie Etikettenschwindel.

    Vielleicht definierst Du einfach mal den Begriff 'Mönch' - was genau Du darunter verstehst. Wie Festus schon anmerkte, gibt es da verschiedene mögliche Definitionen. Im Wikipedia-Artikel zu 'Mönchtum' findest Du z.B.: "Der Begriff Mönchtum bezeichnet die Gesamtheit der von Mönchen und Nonnen praktizierten geistlich geprägten Lebensformen. Das Mönchtum ist eine von asketischen Idealen bestimmte Lebensweise, um in Abkehr von der Welt den weltlichen Zielen zu entsagen und das eigene Leben einem spirituellen Ziel zu widmen. [...] Der Mönch oder die Nonne ist ein asketisch lebendes Mitglied einer Ordensgemeinschaft, das sich auf Lebenszeit oder auch für eine bestimmte Zeit in den Dienst seines Glaubens stellt." Ich für meinen Teil sehe da keinen Widerspruch zu der Lebensweise, zu der man im Zen mit der Ordination (shukke tokudo) Zuflucht nimmt. Damit ist man ein Sōryo oder genauer Zensō bzw. als Frau eine Nisō. Ob man das nun als Mönch / Nonne oder Priester / Priesterin übersetzen will, ist einzig und allein das Problem von Menschen einer christlich geprägten Kultur, die sich mit neuen Begriffen schwer tun. Die kleben aus purer Bequemlichkeit einer Sache, die sie gerade mal oberflächlich wahrgenommen haben, das Etikett von etwas auf, das sie schon kennen. Das ist "Etikettenschwindel".

    Arthur1788:

    Ich assoziiere das Mönchtum mit einer gewissen Weltabgewandtheit, um die obige Frage noch zu beantworten. Dazu gehört nach meinem Verständnis die Geringschätzung des Materiellen, auch des Fleischlichen.

    Ich assoziiere shukke tokudo nun gerade nicht als Weltabgewandtheit. Und ich hatte Gelegenheit, einen Franziskaner und einen Dominikaner (letzterer sogar ein Pater, kein einfacher Frater) näher kennen zu lernen, die sich selbst gewiss auch nicht als "weltabgewandte" Menschen verstanden haben - sondern im Gegenteil, als weltzugewandt. Da gibt es einen feinen Unterschied zwischen "weltabgewandt" und "weltlichen Zielen entsagen". Wobei Letzteres eben nur eine "Abkehr von der Welt" hinsichtlich solcher Ziele ist. "Weltabgewandt" kann man keine brahmavihara üben.


    Was "die Geringschätzung des Materiellen, auch des Fleischlichen" angeht, so geht es zumindest im Buddhismus nach meinem Verständnis nicht um Geringschätzung, sondern darum, solche Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind und nicht an ihnen anzuhaften. Das heisst, ohne Hass und ohne Begierde mit ihnen umzugehen. Das verstehe ich unter "Askese" im Sinn des Mittleren Weges. Was nun das "Fleischliche" angeht, das Dich dermaßen umtreibt, so gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, hier "Askese" zu üben. Die eine ist, dem Gelübde zu folgen, auf Sexualität gänzlich zu verzichten (fu in kai) - die andere, dem Gelübde zu folgen, auf unheilsame Sexualität gänzlich zu verzichten (fu ja in kai). Wobei die zweite Form durchaus der höhere Anspruch an die eigene Übung sein kann. Dass Sexualität per se unheilsam ist - das ist nun wiederum eine stark im Christentum wurzelnde Idee. Unheilsam ist die Verbindung von Sexualität mit Begierde und Anhaftung - dies voneinder zu trennen, mag für einen nicht zölibatär lebenden Menschen schwierig sein. Oftmals ist es aber umgekehrt für Zölibatäre noch schwieriger - und womöglich Auslöser eines neurotischen Verhaltensmusters. Es hängt von den persönlichen Ausgangsbedingungen ab, welche Form für einen selbst angemessener ist.


    In Japan - um auf das Thema im engeren Sinn zurück zu kommen - wird (nicht nur) begrifflich kein Unterschied zwischen zölibatär lebenden Sōryo und verheirateten Sōryo gemacht. Wenn Du deswegen die Übersetzung 'Mönch' für Sōryo für irreführend hältst, dann such Dir halt eine andere aus. Ich mag die Übersetzung auch nicht besonders und benutze - wenn es denn unbedingt eine Übersetzung sein muss - lieber 'Priester'. Wegen Leuten wie Dir :) . Das liegt nun aber nicht daran, dass ich da den Umgang mit Sexualität als ein entscheidendes Kriterium ansehe.

    Arthur1788:

    Mir ist schon klar dass das jetzt arg idealisiert klingen mag, aber meiner Meinung nach kann man eben ein Hausvater oder ein Mönch sein - nicht beides.

    Man kann Zaike ('Laie') oder Sōryo sein - shukke tokudo macht da den Unterschied. Aber das ist nur ein theoretischer Unterschied. Es gibt "Hausväter", die wie "Mönche" leben und es gibt "Mönche", die wie "Hausväter" leben.


    ()

    Arthur1788:

    inwiefern kann man dann überhaupt noch von "Mönchen" sprechen, wo doch die Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit - zumindest nach meinem Verständnis - das Grundmerkmal des Mönchtums ist?

    Das ist grundsätzlich ein Übersetzungsproblem und es ist etwas eigenartig, dass gerade Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit (wobei ich mal vermute, dass Du hier speziell sexuelle Enthaltsamkeit meinst) "Grundmerkmal des Mönchtums" sein sollen. Schließlich trifft dieses "Grundmerkmal" in der größten christlichen Denomination, der katholischen Kirche, auch auf die sog. Weltgeistlichen zu - vor allem die Diözesanpriester. Nach katholischem Verständnis ist "Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit" zumindest kein exklusives "Grundmerkmal" für Mönche.


    Grundsätzlich ist es problematisch, einen Begriff wie 'Mönch', dessen Bedeutungsraum eng mit Formen christlicher Religiosität verbunden ist, einfach auf Angehörige einer völlig anderen Religion zu übertragen. Ein nach dem Vinaya ordinierter Bhikshu / Bhikku etwa legt - neben vielen anderen - auch das Gelöbnis sexueller Enthaltsamkeit ab (streng genommen nicht jedoch das der Ehelosigkeit, des Zölibats). Er legt einige Gelübde ab, die grundsätzlich mit dem Armutsgelübde eines Mönchs vergleichbar sind - etwas, das dem Gehorsamsgelübde von Mönchen entspräche, gibt es jedoch nicht. Damit ist auch das "Grundmerkmal des Mönchtums" angesprochen. Es ist ein dreifaches Merkmal, nämlich die Verbindung von Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam - den sog. Evangelischen Räten. Wir haben also selbst bei ehelosen Bhikshus / Bhikkus lediglich (wohlwollend betrachtet) eine Zweidrittel-Übereinstimmung mit dem "Grundmerkmal" des Mönchtums. Was wiederum bedeutet, dass man den Begriff "Mönch" entweder nicht auf Angehörige nichtchristlicher Religionen anwenden sollte oder dass man ihn inhaltlich deutlich weiter definieren muss als im christlichen Ursprungskontext.


    Der Irritation, die die Verwendung des Begriffs 'Mönch' für japanische buddhistische Kleriker, die häufig verheiratet sind, auslöst, wird vor allem im englischen Sprachraum dadurch Rechnung getragen, dass diese als 'priest' oder 'cleric' bezeichnet werden. Was sicher auch etwas damit zu tun hat, dass in Großbritannien und den USA der Katholizismus eine Minderheitenreligion ist und dort der (anglikanische, methodistische usw. usf.) 'Priester' in der Regel nicht dem Zölibatsgelübde unterworfen ist. Das ist auch insofern sinnvoll, als japanische buddhistische Kleriker in aller Regel keine Bhikshu (biku), also nicht nach dem Vinaya ordiniert sind. Vielmehr haben sie (je nach Denomination unterschiedliche) 'Sets' von Bodhisattva-Gelübden empfangen / abgelegt. Nun gibt es für diese Kleriker im Japanischen keine einheitliche Bezeichnung, sondern verschiedene - Sōryo, O-bōsan und Bōzu (aus dem das Lehnwort 'Bonze' entstand) sind die häufigsten. Etwas eingeschränkter in der Bedeutung sind Jūshoku (ein 'Priester', der einen Tempel leitet) bzw. Hōjō (wenn es ein Zen-Tempel ist).


    Dazu ein kleiner geschichtlicher Abriss. In China und Korea wurden Bodhisattva-Gelübde (in der durch das Mahayana-Brahmajalasutra überlieferten Form) zunächst zusätzlich zu den Vinaya-Gelübden von Bhikshus, also Vinaya-Ordinierten, abgelegt. In Japan kam es mit der Gründung der Tendai-Shū zu einer grundsätzlichen Änderung, da deren Gründer Saichō die Ordination alleine auf den Bodhisattva-Gelübden beruhen und die Vinaya-Gelübde entfallen ließ. Im Jahr 822 (eine Woche nach Saichōs Tod) wurde diese Ordinationspraxis durch kaiserliches Edikt legalisiert und sie wurde nach und nach von allen japanischen Mahayana-Schulen übernommen - insbesondere natürlich von den in der Kamakura-Zeit (1184-1333) neu entstandenen Schulen: Hōnens Jōdō-Shū, Shinrans Jōdo-Shinshū (die jegliches religiöses Spezialistentum ablehnt) , Nichirens Nichiren-Shū und natürlich Zen - Dōgens Sōtō-Shū und Eisais Rinzai-Shū. Alle deren Gründer kamen ursprünglich aus Saichōs Tendai-Shū und übernahmen bzw. modifizierten deren Ordinationspraxis ohne Vinaya-Gelübde.


    Am grundsätzlichen 'Zölibat' buddhistischer Kleriker änderte sich dadurch zunächst nicht viel; das war in den 'Klöstern' (Ausbildungsstätten für 'Priester') und in den örtlichen Tempeln nach wie vor die Regel, seit der Tokugawa-Ära sogar gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem gab es schon sehr früh (schon in der Heian-Zeit) verheiratete Priester. Dieser Trend verstärkte sich seit der Kamakura-Ära (vor allem in der Jōdo-Shinshū), so dass verheiratete Priester von der Bevölkerung nicht als etwas Ungewöhnliches wahrgenommen wurden.


    Der große Umschwung kam dann während der Meiji-Zeit und hatte vor allem wirtschaftliche Gründe. Das hing mit der Abschaffung des danka-Systems zusammen. Ein danka war eine bestimmte Anzahl von Haushalten / Familien, die einem bestimmten Tempel zugeordnet waren und diesen zu finanzieren hatten. Die Tempel selbst erfüllten dafür auch staatliche Verwaltungsaufgaben als eine Art Einwohnermeldeämter. Die Meiji-Regierung löste die danka auf und 'privatisierte' die Tempel - was hieß, dass die Priester sich fortan selbst um eine wirtschaftliche Grundlage für ihre Tempel kümmern mussten.


    Das hier:

    Zitat

    Schließlich wurde 1872 das Edikt 133 erlassen, das das Zölibat und das Fleischverbot für Mönche aufhob (nikujiku saitai 肉食妻帯) Dadurch wurden Mönche und Nonnen praktisch dazu genötigt zu heiraten, weil man davon ausging, dass familiäre Verpflichtungen sie an anderen Aktivitäten hindern würden und es ihren Sonderstatus untergrub.

    ist natürlich Quatsch. Mit dem Nikujiku Saitai von 1872 verzichtete die Regierung auf jegliche Aufsichtsbefugnisse über den Lebenswandel von Priestern. "Genötigt" zu heiraten wurde damit niemand. Es war nur konsequente Trennung von Staat und Religion; die staatliche Aufsicht über die Priester leitete sich ja aus deren Funktion als staatliche 'Beamte' ab.


    Statt fester Einkünfte war man nun also auf Spenden angewiesen, die natürlich deutlich geringer als die danka-Einkünfte ausfielen. Also war man in vielen Tempeln auf wirtschaftliche Aktivitäten angewiesen, um den Tempel weiter unterhalten zu können. Die entsprechende 'Marktlücke' war und ist das Bestattungswesen. Es erwies sich, dass sich solch ein Tempel unter den neuen Bedingungen am besten als Familienbetrieb führen ließ; ein traditionell japanisches Modell. Die sog. 'Tempel-Ehefrauen' haben wichtige Funktionen in der Gemeinde und mittlerweile (spät genug) werden Fragen wie etwa deren Altersversorgung, falls sie verwitwen, diskutiert. Den Tempel an einen Sohn oder Schwiegersohn weiter geben zu können ist wiederum eine Altersversorgung des Priesters - er kann dadurch im Tempel wohnen bleiben, wenn er für die Arbeit zu alt geworden ist. Das führte dazu, dass heute ca. 90% der buddhistischen Tempelpriester in Japan verheiratet sind. Umfragen haben übrigens gezeigt, dass die meisten buddhistischen Laien eine 'Tempelfamilie' der Leitung ihres Tempels durch einen unverheirateten Priester vorziehen - was vor allem etwas mit dem (sozialen und karitativen) Engagement der 'Tempel-Ehefrauen' etwas zu tun hat.

    Arthur1788:

    Ist das in den anderen Traditionen dieser Linie (Chan/Thien/Seon) auch so?

    Wie hoffentlich deutlich wurde, hat das nicht speziell etwas mit Zen zu tun, sondern mit Buddhismus in Japan allgemein. Von dieser spezifisch japanischen Entwicklung war allerdings Korea durch die Annexion durch Japan von 1910 - 1945 stark mitbetroffen. Dort wurde das japanische Modell weitgehend übernommen, was dann allerdings später als Merkmal der Kolonisierung bezeichnet und bekämpft wurde - innerhalb des Sangha, wobei die (deutlich kleinere) zölibatäre Fraktion unter Führung von Yi Chǒngdam (1902 - 1971) sich mit dem Staat bzw. Präsident (und Diktator) Syngman Rhee (1948 - 1960) in der Kampagne der 'Reinigungs-Bewegung' (Chǒnghwa Undong) verbündete. Auftakt war die Anordnung Syngman Rhees vom 20.05.1954, alle verheirateten Kleriker hätten zurückzutreten und den Sangha zu verlassen, wobei er sie als Kollaborateure Japans denunzierte. Flankierend erklärte die zölibatäre Fraktion diese Angelegenheit zu einem "heiligen Dharma-Krieg" (Pǒpchǒn). Zu diesem Zeitpunkt gab es in Südkoreas Chogye-Orden (dem mit Abstand bedeutendsten koreanischen buddhistischen Orden) ca. 7.000 verheiratete buddhistische Priester und 600 unverheiratete, was prozentual ziemlich genau japanischen Verhältnissen entspricht. Die (z.T. blutigen) Auseinandersetzungen dauerten bis 1962 und die zölibatären Mönche setzten sich durch und übernahmen die Kontrolle des Ordens (konkret: der Klöster). Um den Preis der Unterwerfung unter die politische Kontrolle der Regierung und den der Abspaltung des Taego-Ordens, dem sowohl verheiratete wie zölibatär lebende Priester angehören. Dem Taego-Orden gehören heute ca. 8.000 Priester an, dem zölibatären Chogye-Orden ca. 10.000.


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    Ellviral:
    Sudhana:

    Welchen Nutzen soll es haben, seine Erfahrung in Worte zu fassen? Noch dazu in die eines Anderen?

    Es ist der Nutzen seine eigenen Worte zu sehen, die dann zu dem sprechen der sie geschrieben hat.

    Einverstanden. Man kann es als eine Überprüfung der eigenen Konzeptualisierung sehen - beobachten, wie sich Vorstellungen entfalten. Einen (etwas zweifelhaften) Nutzen hat das nur, wenn dies mit einem Wissen um die Natur der entfalteten Vorstellung verbunden ist. Dann kann kann man sie als geschicktes Mittel nutzen. Nur - Mittel wozu? Doch lediglich dazu, solche Mittel überflüssig zu machen. Da beisst sich Katze in den Schwanz ...


    Davon abgesehen - dieser Nutzen (wenn man denn einen darin sehen will) liegt, wie Du richtig schreibst, darin "seine eigenen Worte zu sehen". Warum sich dazu erst fremde Worte zu eigen machen? Um von der Katze auf den Hund zu kommen - da liegt er bei einer formalisierten Koan-Praxis begraben. Man eignet sich fremde Worte an, um sich seine Erfahrung bestätigen zu lassen. Dazu muss man die richtigen fremden Worte finden, die als Ausweis der Erfahrung gültig sein sollen. Und deswegen gibt es solche Spickzettel mit passenden, fremden Wörtern. Nach ishin denshin hört sich das für mich nicht an - nur nach vielen Worten.

    Ellviral:

    Ein Nutzen ohne Erklärungen und Ausdifferenzieren der geschriebenen Worte ist mühsam und zäh, wenn nicht beide davon getragen sind das es immer die fremden Worte sind.

    Wat dem eenen sin Uhl ... Mir zumindest fällt es leichter, meine eigenen Worte zu erklären und auszudifferenzieren (was sie wenigstens für mich verständlicher macht) :)

    Ellviral:

    Auch das jetzt ist dem Schreiber schon unbekannt, ihm entfremdet.

    Wenn der Schreiber zum Leser wird - gar mit "Erklärungen und Ausdifferenzieren" zum Exegeten - dann ist er dem Schreiber in der Tat entfremdet. Aber unbekannt? Hoffentlich nicht 8)


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