Arthur1788:
inwiefern kann man dann überhaupt noch von "Mönchen" sprechen, wo doch die Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit - zumindest nach meinem Verständnis - das Grundmerkmal des Mönchtums ist?
Das ist grundsätzlich ein Übersetzungsproblem und es ist etwas eigenartig, dass gerade Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit (wobei ich mal vermute, dass Du hier speziell sexuelle Enthaltsamkeit meinst) "Grundmerkmal des Mönchtums" sein sollen. Schließlich trifft dieses "Grundmerkmal" in der größten christlichen Denomination, der katholischen Kirche, auch auf die sog. Weltgeistlichen zu - vor allem die Diözesanpriester. Nach katholischem Verständnis ist "Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit" zumindest kein exklusives "Grundmerkmal" für Mönche.
Grundsätzlich ist es problematisch, einen Begriff wie 'Mönch', dessen Bedeutungsraum eng mit Formen christlicher Religiosität verbunden ist, einfach auf Angehörige einer völlig anderen Religion zu übertragen. Ein nach dem Vinaya ordinierter Bhikshu / Bhikku etwa legt - neben vielen anderen - auch das Gelöbnis sexueller Enthaltsamkeit ab (streng genommen nicht jedoch das der Ehelosigkeit, des Zölibats). Er legt einige Gelübde ab, die grundsätzlich mit dem Armutsgelübde eines Mönchs vergleichbar sind - etwas, das dem Gehorsamsgelübde von Mönchen entspräche, gibt es jedoch nicht. Damit ist auch das "Grundmerkmal des Mönchtums" angesprochen. Es ist ein dreifaches Merkmal, nämlich die Verbindung von Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam - den sog. Evangelischen Räten. Wir haben also selbst bei ehelosen Bhikshus / Bhikkus lediglich (wohlwollend betrachtet) eine Zweidrittel-Übereinstimmung mit dem "Grundmerkmal" des Mönchtums. Was wiederum bedeutet, dass man den Begriff "Mönch" entweder nicht auf Angehörige nichtchristlicher Religionen anwenden sollte oder dass man ihn inhaltlich deutlich weiter definieren muss als im christlichen Ursprungskontext.
Der Irritation, die die Verwendung des Begriffs 'Mönch' für japanische buddhistische Kleriker, die häufig verheiratet sind, auslöst, wird vor allem im englischen Sprachraum dadurch Rechnung getragen, dass diese als 'priest' oder 'cleric' bezeichnet werden. Was sicher auch etwas damit zu tun hat, dass in Großbritannien und den USA der Katholizismus eine Minderheitenreligion ist und dort der (anglikanische, methodistische usw. usf.) 'Priester' in der Regel nicht dem Zölibatsgelübde unterworfen ist. Das ist auch insofern sinnvoll, als japanische buddhistische Kleriker in aller Regel keine Bhikshu (biku), also nicht nach dem Vinaya ordiniert sind. Vielmehr haben sie (je nach Denomination unterschiedliche) 'Sets' von Bodhisattva-Gelübden empfangen / abgelegt. Nun gibt es für diese Kleriker im Japanischen keine einheitliche Bezeichnung, sondern verschiedene - Sōryo, O-bōsan und Bōzu (aus dem das Lehnwort 'Bonze' entstand) sind die häufigsten. Etwas eingeschränkter in der Bedeutung sind Jūshoku (ein 'Priester', der einen Tempel leitet) bzw. Hōjō (wenn es ein Zen-Tempel ist).
Dazu ein kleiner geschichtlicher Abriss. In China und Korea wurden Bodhisattva-Gelübde (in der durch das Mahayana-Brahmajalasutra überlieferten Form) zunächst zusätzlich zu den Vinaya-Gelübden von Bhikshus, also Vinaya-Ordinierten, abgelegt. In Japan kam es mit der Gründung der Tendai-Shū zu einer grundsätzlichen Änderung, da deren Gründer Saichō die Ordination alleine auf den Bodhisattva-Gelübden beruhen und die Vinaya-Gelübde entfallen ließ. Im Jahr 822 (eine Woche nach Saichōs Tod) wurde diese Ordinationspraxis durch kaiserliches Edikt legalisiert und sie wurde nach und nach von allen japanischen Mahayana-Schulen übernommen - insbesondere natürlich von den in der Kamakura-Zeit (1184-1333) neu entstandenen Schulen: Hōnens Jōdō-Shū, Shinrans Jōdo-Shinshū (die jegliches religiöses Spezialistentum ablehnt) , Nichirens Nichiren-Shū und natürlich Zen - Dōgens Sōtō-Shū und Eisais Rinzai-Shū. Alle deren Gründer kamen ursprünglich aus Saichōs Tendai-Shū und übernahmen bzw. modifizierten deren Ordinationspraxis ohne Vinaya-Gelübde.
Am grundsätzlichen 'Zölibat' buddhistischer Kleriker änderte sich dadurch zunächst nicht viel; das war in den 'Klöstern' (Ausbildungsstätten für 'Priester') und in den örtlichen Tempeln nach wie vor die Regel, seit der Tokugawa-Ära sogar gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem gab es schon sehr früh (schon in der Heian-Zeit) verheiratete Priester. Dieser Trend verstärkte sich seit der Kamakura-Ära (vor allem in der Jōdo-Shinshū), so dass verheiratete Priester von der Bevölkerung nicht als etwas Ungewöhnliches wahrgenommen wurden.
Der große Umschwung kam dann während der Meiji-Zeit und hatte vor allem wirtschaftliche Gründe. Das hing mit der Abschaffung des danka-Systems zusammen. Ein danka war eine bestimmte Anzahl von Haushalten / Familien, die einem bestimmten Tempel zugeordnet waren und diesen zu finanzieren hatten. Die Tempel selbst erfüllten dafür auch staatliche Verwaltungsaufgaben als eine Art Einwohnermeldeämter. Die Meiji-Regierung löste die danka auf und 'privatisierte' die Tempel - was hieß, dass die Priester sich fortan selbst um eine wirtschaftliche Grundlage für ihre Tempel kümmern mussten.
Das hier:
Zitat
Schließlich wurde 1872 das Edikt 133 erlassen, das das Zölibat und das Fleischverbot für Mönche aufhob (nikujiku saitai 肉食妻帯) Dadurch wurden Mönche und Nonnen praktisch dazu genötigt zu heiraten, weil man davon ausging, dass familiäre Verpflichtungen sie an anderen Aktivitäten hindern würden und es ihren Sonderstatus untergrub.
ist natürlich Quatsch. Mit dem Nikujiku Saitai von 1872 verzichtete die Regierung auf jegliche Aufsichtsbefugnisse über den Lebenswandel von Priestern. "Genötigt" zu heiraten wurde damit niemand. Es war nur konsequente Trennung von Staat und Religion; die staatliche Aufsicht über die Priester leitete sich ja aus deren Funktion als staatliche 'Beamte' ab.
Statt fester Einkünfte war man nun also auf Spenden angewiesen, die natürlich deutlich geringer als die danka-Einkünfte ausfielen. Also war man in vielen Tempeln auf wirtschaftliche Aktivitäten angewiesen, um den Tempel weiter unterhalten zu können. Die entsprechende 'Marktlücke' war und ist das Bestattungswesen. Es erwies sich, dass sich solch ein Tempel unter den neuen Bedingungen am besten als Familienbetrieb führen ließ; ein traditionell japanisches Modell. Die sog. 'Tempel-Ehefrauen' haben wichtige Funktionen in der Gemeinde und mittlerweile (spät genug) werden Fragen wie etwa deren Altersversorgung, falls sie verwitwen, diskutiert. Den Tempel an einen Sohn oder Schwiegersohn weiter geben zu können ist wiederum eine Altersversorgung des Priesters - er kann dadurch im Tempel wohnen bleiben, wenn er für die Arbeit zu alt geworden ist. Das führte dazu, dass heute ca. 90% der buddhistischen Tempelpriester in Japan verheiratet sind. Umfragen haben übrigens gezeigt, dass die meisten buddhistischen Laien eine 'Tempelfamilie' der Leitung ihres Tempels durch einen unverheirateten Priester vorziehen - was vor allem etwas mit dem (sozialen und karitativen) Engagement der 'Tempel-Ehefrauen' etwas zu tun hat.
Arthur1788:
Ist das in den anderen Traditionen dieser Linie (Chan/Thien/Seon) auch so?
Wie hoffentlich deutlich wurde, hat das nicht speziell etwas mit Zen zu tun, sondern mit Buddhismus in Japan allgemein. Von dieser spezifisch japanischen Entwicklung war allerdings Korea durch die Annexion durch Japan von 1910 - 1945 stark mitbetroffen. Dort wurde das japanische Modell weitgehend übernommen, was dann allerdings später als Merkmal der Kolonisierung bezeichnet und bekämpft wurde - innerhalb des Sangha, wobei die (deutlich kleinere) zölibatäre Fraktion unter Führung von Yi Chǒngdam (1902 - 1971) sich mit dem Staat bzw. Präsident (und Diktator) Syngman Rhee (1948 - 1960) in der Kampagne der 'Reinigungs-Bewegung' (Chǒnghwa Undong) verbündete. Auftakt war die Anordnung Syngman Rhees vom 20.05.1954, alle verheirateten Kleriker hätten zurückzutreten und den Sangha zu verlassen, wobei er sie als Kollaborateure Japans denunzierte. Flankierend erklärte die zölibatäre Fraktion diese Angelegenheit zu einem "heiligen Dharma-Krieg" (Pǒpchǒn). Zu diesem Zeitpunkt gab es in Südkoreas Chogye-Orden (dem mit Abstand bedeutendsten koreanischen buddhistischen Orden) ca. 7.000 verheiratete buddhistische Priester und 600 unverheiratete, was prozentual ziemlich genau japanischen Verhältnissen entspricht. Die (z.T. blutigen) Auseinandersetzungen dauerten bis 1962 und die zölibatären Mönche setzten sich durch und übernahmen die Kontrolle des Ordens (konkret: der Klöster). Um den Preis der Unterwerfung unter die politische Kontrolle der Regierung und den der Abspaltung des Taego-Ordens, dem sowohl verheiratete wie zölibatär lebende Priester angehören. Dem Taego-Orden gehören heute ca. 8.000 Priester an, dem zölibatären Chogye-Orden ca. 10.000.
()