Anlass dieses Threads ist das folgende Zitat aus dem tib. Subforum, und da es sich um eines von allgemeinem Interesse handelt, habe ich es hierher kopiert.
Zunächst im Zusammenhang, darunter gehe ich auf einzelne Punkte ein:
Eine grundsätzliche Sturheit besteht zum Beispiel darin, sich mitHilfe von Vorstellungen über Erdelement, Wasserelement undsoweiter (also in unserem westlichen Verständnis: solche und solche Moleküle, die sich dann so und so zusammensetzen) eine Bewertung über den letzten Wahrheitsgehalt der Lehre (ewige Verkettung) erlauben zu wollen.
Es liegt doch SO ! auf der Hand, dass sich gerade mit dem (Fehl-)Verständnis einer objektiven, von einem selbst abgetrennten Realität, "in der" sich die Wesen befänden, also dem grundsätzlichen Verständnis der Naturwissenschaften, nur zeigen lässt, dass "Karma" im besten Fall etwas wäre, was sich lediglich zwischen den Wesen "fortsetzt", eine Art "Energie" wäre, die relativ zufällig durch die Wesen hindurchwirkt.
Das ist die allgemeine Perspektive, die schließlich auch den Zufall ermöglicht, während es sich für den Erfahrenden manchmal nur zu wahr und zu richtig anfühlt. Genau an diesem Ort genau das.
Es ist mir absolut unverständlich, wie angesichts schon der ersten Lehrrede der Mittleren Sammlung diese Perspektive der Betrachtung
(Annahme einer von einem Selbst abgetrennten Realität, "in der" sich die anderen Wesen befänden. Und weiterhin die Annahme, dass aufgrund dieser nicht wertend!: kognitiv ignoranten Sicht irgendwie die Aussagen des Buddhas ernstlich angegriffen werden könnten.)
aufrechterhalten werden kann.
Was muss man sich eine Mühe machen heutzutage, um die Leute dazu zu bringen, sich vielleicht ernstlicher damit auseinanderzusetzen, es ist unglaublich, wie verbohrt und verhaft da geschaut wird.
Es braucht diesen grundsätzlichen Perspektivenwechsel. Anders wird man es nicht verstehen.
Vielleicht auch nicht verstehen wollen.
Wobei ... wollte man es wirklich ernstlich verstehen, würde man schließlich draufkommen irgendwann. Dass es keine ""allgemeine Realität" gibt.
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Da hier von "dem (Fehl-)Verständnis einer objektiven, von einem selbst abgetrennten Realität, "in der" sich die Wesen befänden, also dem grundsätzlichen Verständnis der Naturwissenschaften" die Rede ist, würde ich gern die anwesenden Naturwissenschaftler fragen, ob das denn wirklich ihr Verständnis ist, oder ob sich nicht eher um ein Missverständnis handelt, das sich zwar in Kreisen außerhalb der Naturwissenschaft eingebürgert hat, aber mit der Wissenschaftswirklichkeit kaum etwas zu tun hat.
Selbst Naturwissenschaftler, lange in universitärer Forschung und Lehre tätig, zunächst meine Sicht der Dinge, die sich allerdings wesentlich auf die Zeit vor der durchgängigen Einführung von Bachelor/Master-Studiengänge auch in Naturwissenschaften beschränkt:
Jeder Student der Naturwissenschaften muss schon im Grundstudium begreifen, dass er mit dem Versuchsobjekt interagiert, was zwingend bedeutet, dass er es eben nicht mit etwas Abgetrennten zu tun hat, sonst könnte er die Untersuchung überhaupt nicht durchführen und dass er in dieser Interaktion auch das zu untersuchende System beeinflusst. Die Art und Weise der Beeinflussung ist bei jedem Experiment unverzichtbar zu diskutieren, das beginnt schon bei der Planung, setzt sich über die Protokollierung bei Durchführung und noch einmal bei der Auswertung und Publikation fort. Und ist dann regelmäßig Ausgangspunkt von Kritik und Diskussion durch die Community - was ein wesentlicher Teil des Prozesses "Wissenschaft" ist, wie wesentlich, merkt man eigentlich erst, falls und wenn man nach dem Studium selbst Teil davon wird.
Jede gute Vorlesung und jedes gute Seminar schon im Grundlagenstudium kann gar nicht anders, die jeweilige Thematik zum guten Teil auch wissenschaftshistorisch darzustellen, also auch mit ihren Irrungen und Wirrungen, und die Gründe dafür deutlich zu machen. Wissenschaft basiert eben nicht nur darauf, das iwer immer wieder neue Fragen aufwirft und neue Untersuchungsmethoden dafür vorschlägt und realisiert, sondern auch darauf, dass die vorherigen Generationen immer wieder Fehler gemacht und/oder nicht zu Ende gedacht hatten.
Das wird im Fachstudium noch einmal vertieft, man muss es als praktische Fähigkeit in eigener experimenteller Arbeit nachweisen können, für diejenigen, die später überwiegen "theoretisch" arbeiten wollen, müssen nicht nur in der Lage sein, die Ergebnisse der Kollegen von der experimentellen Seite zu deuten, sondern auch die Bedeutung, Grenzen und Interpretierbarkeit der von ihnen verwendeten Methoden aus den formalen Wissenschaften (Mathematik und abgeleitete Disziplinen) beachten.
In diesem Sinne ist Naturwissenschaft immer ein zutiefst praktisches Unterfangen, ihre Ergebnisse sind praktischer Natur, nicht "objektiver" Natur.
Was bedeutet "praktischer Natur"? Daß die Ergebnisse unter Beachtung der definierten Randbedingungen, also nur innerhalb eines definierten Gültigkeitsbereiches (also nicht etwa "absolut", nicht unter jeden Umständen) beliebig wiederholbar sind. Erst dann können sie auch in den Ingenieurwissenschaften verwendet werden, worauf es letztlich immer hinausläuft. Alles was aktuell nicht in dieser praktischen Weise verwertet werden kann, bleibt, soweit aussichtsvoll, im Diskussionsprozess, manches geht aber auch aussortiert auf Halde, vllt für alle Ewigkeit, oder wird später unter einem neuen Blickwinkel wieder herausgekramt.
Von "Objektivität" und Ähnlichem ist immer erst dann die Rede, wenn sich entweder Philosophen oder schlimmer, Ideologen, oder philosophierende und/oder sich ihrer Weltanschauung verschriebene Naturwissenschafter artfremd zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen äußern. Und in ihrem Gefolge dann die Medien usw.. Aber das ist ein Prozess außerhalb der Naturwissenschaften von Leuten, die entweder nie selbst Naturwissenschaft betrieben haben, oder sich mit ihren philosophisch-weltanschaulichen Ideen aus dem unmittelbaren Betrieb der Naturwissenschaften verabschiedet haben.
Es ist wichtig zu verstehen, dass dies unterschiedliche Prozesse sind, die zwar Berührungspunkte aufweisen, die sich unter bestimmten Bedingungen auch gegenseitig befruchten können, dabei allerdings ihren jeweils eigentümlichen Bewegungsmustern folgen.
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(mit ...) dem grundsätzlichen Verständnis der Naturwissenschaften, nur zeigen lässt, dass "Karma" im besten Fall etwas wäre, was sich lediglich zwischen den Wesen "fortsetzt", eine Art "Energie" wäre, die relativ zufällig durch die Wesen hindurchwirkt.
"Karma" ist nicht Gegenstand von Naturwissenschaft, und wer da seine Hausaufgaben gemacht hat, kommt auch nicht auf die Idee, darauf andere Denkmuster als philosophische oder religiöse oder solche aus den historischen oder linguistischen Wissenschaften anzuwenden.
"Zufall" ist auch keine naturwissenschaftliche Kategorie, schon ganz einfach deshalb, weil Naturwissenschaft axiomatisch voraussetzt, dass nichts ohne Bedingung ist, und eine dieser Bedingungen ist, wie oben ausgeführt, der Untersuchende selbst.
Wenn also die Frage aufkommt, was "Karma" (als Begriff) bedeutet und wie das wirkt, was er beschreibt, dann kann man die Frage nur im Rahmen des religiösen u/o philosophischen Systems beantworten, in dem der Begriff geprägt, abgewandelter oder fortgeschriebener Bestandteil ist.
Hier also zunächst unterschiedlich in buddhistischen, jainistischen, und brahmanistischen Systemen. Dann unter dem Gesichtspunkt, dass jeder Begriff auch immer eine historische Dimension hat und man nicht davon ausgehen kann, dass er zu allen Zeiten und Orten die gleichen Inhalt repräsentiert.
Deshalb ist es unerläßlich den Bezugspunkt anzugeben unter dem man diese Betrachtung durchführt, z.B. "Suttapitaka X##", oder "Abhidhamma (Schule XYZ)" , "Mahayana-Sutra 'iwas'", "Belehrung/Kommentar von .... im Rahmen von..."
Man wird da Übereinstimmungen und Unterschiede erkennen, man wird womöglich eine historische Entwicklung feststellen können, vielleicht findet man auch Gründe unterschiedlicher Natur für diese Begriffsentwicklung.
Klar sollte dabei sein, und das ist nun ganz und gar "Buddhadharma"-Sicht, dass es sich zunächst nur um eine Begriff handelt, der modellhaft einen Ausschnitt (etwas gedanklich Isoliertes) der Wirklichkeit beschreibt, also nichts "an sich", das auch genau so isoliert in Wirklichkeit existiert. Wenn diesem oder einem anderen Begriff irgendeine "Wahrheit" (besser: "Gültigkeit") zugeschrieben werden kann, dann ist diese rein konventioneller Natur, zu dem auch ein konventionell definierter Gültigkeitsbereich gehört, man könnte sagen, je nach Güte der Abbildung von Wirklichkeit auch praktischer Natur, aber weder "objektiver" noch "absoluter" Natur.
Hm, also an dieser Stelle fällt nun auf, dass es gewisse Parallelen zwischen naturwissenschaftlichem und "buddhistischem" Denken gibt, sie betreffen das praktische Denken, das immer ein Denken in Konventionen ist (außerhalb von Konventionen gibt es überhaupt kein denken) , aber zugleich (hoffentlich) vollkommen bewußt, dass es sich dabei um Konventionen handelt, die jeweils nur bestimmte Gültigkeitsbereiche haben.
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Es ist mir absolut unverständlich, wie angesichts schon der ersten Lehrrede der Mittleren Sammlung diese Perspektive der Betrachtung
(Annahme einer von einem Selbst abgetrennten Realität, "in der" sich die anderen Wesen befänden. Und weiterhin die Annahme, dass aufgrund dieser nicht wertend!: kognitiv ignoranten Sicht irgendwie die Aussagen des Buddhas ernstlich angegriffen werden könnten.)
aufrechterhalten werden kann.
"Wesen" ist auch nur ein begriffliches Modell für wandelnde Sack mit einem Haufen Gebein, Gedärmen und anhängender Organen, darauf angewiesen, sich Stoffe mit verwertbarem Energiegehalt reinzuschaufeln, und Nichtverwertetes wieder auszuscheiden, nichtstoffliche Signale von der Außenwelt zu rezipieren und zu verarbeiten, auch diese in verarbeiteter Form unterschiedlicher Güte wieder auszuscheiden - was dann "Denken" und "Kommunizieren" genannt wird. All das ist für diese Art lebensnotwendig, funktioniert aber nur prinzipiell und keineswegs optimal, was Ausgangspunkt unzähliger Missverständnisse dieser Wesen über ihre eigene Natur und über ihrer Beziehungen zur Welt ausserhalb ihrer Sackhaut führt. Und diese Diskrepanz empfinden sie als schmerzlich, was sie dann "Leiden" nennen.
Anders gesagt, mit so einer Sackhaut, aber jeweils mit verschiedenem Dekor ausgestattet oder hinzugefügt, wähnt man sich abgeschieden, isoliert und getrennt, ist aber tatsächlich abhängig und verbunden, durch und durch. Das wäre dann der Unterschied in den Betrachtungsweisen von "Wesen" und der daraus folgenden unterschiedlichen Handlungen, je nach Einsichtsgrad entweder als "Unkundiger", "Geschulter", "Arahant" oder "Tathāgata", wie in M1 dargelegt.
Deshalb ist auch auch sofort evident, dass wenn der Begriff "Karma" überhaupt sinnvoll angewendet werden soll, man nicht umhinkommt klarzustellen, was er in Hinblick auf dieses nichtisolierte Dasein der Wesen bedeutet.
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Es braucht diesen grundsätzlichen Perspektivenwechsel.
Sicher, nicht nur das, sondern auch andere Handlungen praktischer Natur, wie sie nur aus einer Perspektive erwachsen können, die selbst praktischer Natur ist.