kāma-taṇhā, bhava-taṇhā und vibhava-taṇhā - Verlangen nach sinnlichen Vergnügen, Verlangen nach ewigem Dasein und Verlangen nach Vernichtung mit dem Tode. Diese drei Arten von Verlangen sind zu überwinden.
Dann lass uns einmal über "Verlangen nach sinnlichem Vergnügen" gemeinsam nachdenken:
Zum "sinnlichen Vergnügen" kann nahezu alles gehören, was Menschen machen:
- beim Spazierengehen die Natur bewundern
- Musizieren oder Musik hören
- ein Kunstmuseum besuchen
- ein gutes Buch lesen
- Fahrrad fahren oder schwimmen gehen
- ins Theater gehen
- einen Freund umarmen
- sich massieren lassen
- den Geschmack von guten Speisen bewusst wahrnehmen
- liebevollen Sex mit einer Partnerin/einem Partner
oder auch:
- Rauchen
- Horrorfilme sehen oder sich am TV berieseln lassen
- Pornos konsumieren
- Fastfood essen
- liebloser Sex mit ständig wechselnden Partnerinnen/Partnern
- etc. etc.
Die meisten Menschen (und auch viele Buddhisten) würden nun sagen:
Die zuerst aufgezählten Vergnügen sind heilsam und nützlich. Sie machen das aus, was man Lebensfreude nennt. Eine Freude, die mit Sinneskontakt zu tun hat.
Die zuletzt aufgezählten Vergnügen sind nach Auffassung vieler Menschen unheilsam und in der Regel mit einem suchtartigen Verlangen (Gier) verbunden.
Die erstgenannten dagegen sind in der Regel nicht mit einem suchtartigen Verlangen verbunden. Es entsteht dabei meistens keine Gier.
Wenn ich Dich richtig verstehe, macht der Buddha Deiner Meinung nach zwischen den beiden Arten von Vergnügen keinen wesentlichen Unterschied. Beide Arten müssen auf dem Weg der Befreiung überwunden werden. Und wer nicht in der Lage ist, sämtliche sinnliche Vergnügen zu überwinden, sollte Laie werden. Als Laie muss er dann nur die 5 Silas einhalten und dann macht es - gemäß der Buddhalehre in Deiner Interpretation - auch keinen Unterschied, ob er sich mehr an der zweiten Liste von sinnlichem Vergnügen orientiert oder an der ersten.
Jedenfalls hast Du bisher meinen Vorschlag abgelehnt, wenigstens für Laien stärker zu differenzieren, welche Vergnügen heilsamer sind als andere.
Mir erscheint das wenig förderlich für die Entwicklung von Menschen.
Eine Schule des Buddhismus, die so wenig differenziert, hilft doch 99,9 Prozent aller Praktizierenden nicht, ein gutes Leben zu führen und sich weiterzuentwickeln.
Sie hilft nicht einmal der übergroßen Mehrheit der Ordinierten, denn eine totale Entsagung von sinnlichem Vergnügen (auch der ersten Art) setzt - und da waren wir uns einig - eine derart intensive und ununterbrochene Jhana- und Achtsamkeitspraxis voraus, dass permanent ein Zustand von "wunschlos glücklich" erreicht wird.
Das möchte ich als utopisches Projekt bezeichnen, jedenfalls sind in der Gegenwart auch die fleißigsten Mönche weit davon entfernt. Und etwas, was nicht realisierbar ist, betrachte ich nicht als sinnvolles Ziel.
Doch selbst dann, wenn es einem Mönch gelänge, eine solche Praxis einzuhalten, würde er beispielsweise auf einem Spaziergang bevorzugen, die schöne Natur zu bewundern, statt stumpf auf den Boden zu starren.
Und er bevorzugt die gut schmeckenden Speisen gegenüber den schlecht schmeckenden, wenn er nicht gerade die Übung macht, alles in seiner Schale zusammenzurühren.
Ist eine Entsagung von allem sinnlichen Vergnügen überhaupt Befreiung?
Oder nicht doch "lediglich" die Überwindung von Gier - was die Möglichkeit einschließt, weiterhin an manchem Schönen Vergnügen zu finden?
Verstehe mich bitte nicht falsch: Ich schätze Deine konsequente Lesart des Kanons.
Allerdings halte ich sie für zu rigoros, für utopisch im Hinblick auf die Realisierbarkeit und für wenig hilfreich bei der Entwicklung von Menschen.
An der Art und Weise wie beispielsweise Thich Nhat Hanh mit seinen Mönchen und Nonnen musiziert hat, steckt keine Anhaftung. Das ist ein Vergnügen, das ohne Gefahr genossen werden kann.
Ganz gleich, was im Pali-Kanon darüber steht, wie der Buddha angeblich das Musizieren beurteilt hat.
Ebensowenig ist "wohlmeinender Körperkontakt" ein Hindernis.