Beiträge von nabnab

    Klarstellungen:


    Es geht mir weniger um die buddhistische Ideengeschichte(n) als um die Evolution religiöser Vorstellungen überhaupt - um die ganz große "Linie" also!


    Ich glaube in diesem Zusammenhang über die Weltreligionen hinweg eine Entwicklung auszumachen, die in Richtung bedingungsloser Erlösung für alle geht. Diese Bedingungslosigkeit ist im Amidismus noch nicht vollständig entwickelt - persönlich hoffe ich aber, dass sie sich in Zukunft als begründbare Idee und sinnvolle Überzeugung erweist.


    Ob das dann noch Buddhismus ist? Ist das wichtig? Wäre es nicht sogar schön, wenn in diesem Punkt verschiedene "Linien" konvergierten?


    Spekulation, ich weiß! Man könnte es aber auch Arbeitshypothese nennen...

    1 Die Diskussion ist spannend geworden!


    2 Natürlich hat kilaya Recht, wenn er betont, dass gemäß der Lehre nicht Amida uns erlöst, sondern wir selbst uns im Reinen Land unter idealen Bedingungen die Erlösung erarbeiten. Würde man es anders beschreiben, würde man an dieser Stelle vermutlich den klassisch-buddhistischen Rahmen sprengen...


    Andererseits: Einmal im Reinen Land, wird unsere Erlösung ja quasi zum Selbstläufer: Wir können dann ja gar nicht mehr scheitern! Wer aber holt uns ins Reine Land? Ist es also nicht doch Amida, der uns erlöst?


    Darüber ließe sich trefflich streiten. Entscheidend erscheint mir allerdings nicht, wer Erlösung bewirkt, sondern dass sie stattfindet!


    3 Was mich persönlich sehr interessiert, ist die Einordnung des Amida-Narrativs in der Geschichte religiöser Ideen insgesamt. Ich würde diese "Erzählung" gern als markanten Schritt auf dem Weg zu einer Vorstellung sehen, die eine bedingungslose Erlösung für alle propagiert. (Womit ich mich als jemand oute, der auch im Bereich religiöser Vorstellungen an Evolution glaubt und eine Trennung von Religion und Ethik/Moral als konsequent und sinnvoll erachtet.)

    Es entspricht keineswegs nur meiner eigenen Beobachtung, dass der Amida-Buddhismus, etwa in der Ausprägung Shinrans (Wahre Schule vom Reinen Land), hier im Forum wie im Westen überhaupt bisher eher wenig rezipiert wurde. Überraschen mag daher auch, dass "Reine Land-Schulen" in Japan zahlenmäßig die größte buddhistische Gruppe darstellen - noch deutlich vor dem bei uns so bekannten Zen.


    Nun kann man seriöserweise die Größe der Anhängerschaft nicht als Beweis für die Authentizität einer Lehre heranziehen. Ich gestatte mir aber, ihren "Erfolg" in Japan immerhin als Argument für eine nähere Beschäftigung mit ihr zu verwenden. Siehe dazu https://shinbuddhismus.wordpress.com/textbox3/


    Sollte beim Studium dieser Texte im ersten Moment der Eindruck entstehen, dies sei kein Buddhismus mehr und würde Gautamas Lehre geradezu auf den Kopf stellen: Buddha Gautama hat in seinen Reden auf die "Reine Land-Lehre" Bezug genommen und sie als "leichten Weg" für diejenigen empfohlen, die sich den "schweren Weg" (Erlösung aus eigener Kraft) aus unterschiedlichen Gründen nicht zutrauen. (Ich ordne mich - wie es Shinran selbst auch tat - durchaus hier zu.)


    "Leichter Weg" im Sinne Shinrans bedeutet: Man vertraut nicht mehr auf die eigene Kraft, sondern gänzlich auf die erlösende Kraft Amidas, der einem für diesen Fall die Hingeburt im "Reinen Land" zusichert. - In Teilbereichen nimmt diese Lehre damit übrigens den lutherischen "Sola fide-Gedanken" vorweg.


    Im "Reinen Land" herrschen schließlich so ideale Bedingungen, dass jeder ohne weitere Wiedergeburt die Erlösung verwirklicht.


    Ich bin mir bewusst, dass obiger Abriss diese von Mitgefühl und Barmherzigkeit durchdrungene Lehre nur recht oberflächlich wiedergibt. Einer eigenen tiefergehenden Auseinandersetzung steht aber nichts im Wege...

    mkha':

    Dein Erfolg basierte also auf Deinem eisernen Willen, Deiner Unbeirrbarkeit, und vielen kleinen, immer gleichen Schritten: hinfallen, wieder aufrichten, weitermachen; …


    … und ebenso, wie Du nun, (nachdem Du schon so lange aufrecht gehen kannst), nicht mehr auf allen Vieren zu irgendetwas krabbeln musst, an dem Du Dich hochziehst und aufrichtest, um dann bewusst loszulassen und einen Schritt vor den anderen zu setzen, …


    … wirst Du eines Tages in der Lage sein, all die Dinge, die Du Dir im Hier und Jetzt jeden Tag vornimmst, ebenso selbstverständlich und daher völlig mühelos umsetzen, wie das einst mühsam erlernte Aufrichten und Laufen.



    Ich will hier wirklich nicht stänkern und mich schon gar nicht über aufrichtiges Bemühen lustig machen! Dennoch ein - wie mir scheint - nicht ganz unwesentlicher Einwand:


    Obiges Zitat schildert das Problem aus der Perspektive der bereits erfolgten Zielerreichung. Aus dieser Perspektive ist klar, dass das Ziel aus eigener Kraft erreichbar war. Könnt ihr euch aber die Nöte eines Menschen vorstellen, dem diese Gewissheit fehlt? Der vielleicht vom genauen Gegenteil überzeugt ist? Weil er eventuell in irgendeiner Weise behindert ist und nach menschlichem Ermessen nie aus eigener Kraft auf eigenen Beinen stehen wird? Dem also nur ein "Wunder von außen" (z. B. eine Operation) helfen kann?


    Und selbst dann, wenn jemand zur Zielerreichung mehr tun könnte als er tut und es wird ihm von außen großzügige Hilfe angeboten: Darf er sie nicht annehmen? Wäre das unehrenhaft?

    jianwang:

    Diese "harten" Worte kommen aus meinem tiefen Mit-fühlen.
    Ein Sangha 300km entfernt, na und?
    Das ist nur der, den Du im Internet gefunden hast! Schon Kontakt aufgenommen und gefragt? Schon mal an einem WE hin oder im Urlaub?
    Ich glaube Dir Deine Suche, doch bist Du zu schnell dabei, aufzugeben.


    Die Morsekönner, die seinerzeit so mit mir gesprochen haben, verachten mich ob meines Scheiterns noch heute: Auch einer, dem der Kurzwellenzugang "geschenkt" wurde! Ein Leistungsverweigerer - pfui Teufel!*


    Nein, kein Leistungsverweigerer, sondern einer, für den dieser Weg nicht der richtige war... :)


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    *Ausspruch eines weltbekannten Funkkollegen: "Funkamateure, die nicht morsen können, sind Krüppel!"

    Tychiades:

    Und Vincent VanGogh schrieb mal: Je mehr einer liebt, umso tätiger ist er.
    Denn in der Liebe ist diese Kluft von Denken und Tun überbrückt.


    Ich stimme zu! Meine Erfahrung: Je tiefer mein Vertrauen, desto leichter wurde vieles. Plötzlich "machte" sich manches quasi "von selbst"...

    Tychiades:

    Und wenn das nicht so richtig in die Gänge kommt, dann solltest du einen Gang zu legen und anstatt einmal täglich, zweimal täglich sitzen.


    Ich denke, das kann in bestimmten Fällen die richtige Vorgangsweise sein.


    Ich erinnere mich allerdings auch an eine eigene Lebenssituation, in der sich dieses "Mehr desselben" (Paul Watzlawick) als durchaus kontraproduktiv erwies: Ich wollte morsen lernen (Funkamateure mussten das damals für den Kurzwellenfunk beherrschen), kam und kam aber trotz aller Bemühungen einfach nicht auf ein prüfungstaugliches Tempo. "Mehr üben! Jeder kann das", wurde mir von den Könnern geraten, "du musst einfach mehr üben!"


    Ich verdoppelte, vervierfachte, vervielfachte meine Anstrengungen - besser wurde es nicht! Stattdessen holte ich mir eine derartigen Abneigung, dass ich irgendwann gar nicht mehr üben konnte und gezwungen war, mir meine Morse-Unfähigkeit einzugestehen. Und wie ich heute weiß: Es ging vielen so - nur gab es fast niemand öffentlich zu. (Inzwischen ist übrigens der zwangsweise Nachweis von Morsekenntnissen für Kurzwelle längst gefallen: Ich darf auch ohne Morseprüfung auf Kurzwelle funken - es wurde mir quasi "geschenkt"!)


    Dieses Scheitern bzw. Zurückbleiben hinter den eigenen Ansprüchen ist etwas sehr Menschliches. Es kommt in praktisch allen Lebensbereichen vor, auch im Bereich der Ethik: Man sollte immer noch mehr Heilsames tun und Unheilsames unterlassen. Man sollte, man müsste... Man weiß es - und scheitert trotzdem: Nicht jeder von uns ist ein Willensakrobat!


    Damit befinden wir uns allerdings in bester Gesellschaft: Shinran Shonin, der spätere "Begründer" der Jodo Shin Shu, gestand sich nach langen Jahren eifrigen Bemühens als buddhistischer Mönch ein, dass er gänzlich unfähig war, die angestrebte Erleuchtung aus eigener Kraft zu erreichen. Statt immer noch "mehr desselben" zu praktizieren, gab er sein Mönchdasein auf, heiratete, bekam viele Kinder, vertraute fortan ganz auf die Kraft und das Erlösungsversprechen des Buddha Amida - und bekam das "Reine Land" geschenkt!


    Vielleicht auch ein Weg für dich, Son...

    Als Anhänger der "Wahren Schule vom Reinen Land" (Shinran) - und wahrscheinlich auch entsprechend geprägt durch meine christliche religiöse Primärsozialisation und meine evolutionsfreundliche Grundeinstellung - pflege ich einen sehr persönlichen und vertrauensvollen Umgang mit Buddha Amida. Ob das im strengen Sinn der Lehre "richtig" ist, kann ich nicht sagen - ich weiß nur, dass es mir hilft.


    Eine gewisse Legitimation für meinen Ansatz leite ich aus der Evolution religiöser Vorstellungen ab: Ich sehe hier eine Entwicklung von einer völlig unberechenbaren, unnahbaren und pure Angst verbreitenden Allmacht über ein kalkulierbar richtendes (gerechtes), mit kalter Buchhaltermentalität ausgestattetes Wirkprinzip zu einem bedingungslos liebenden, mitfühlenden und sich meiner Unfähigkeit erbarmenden "Gegenüber", dem ich mich in allen meinen Ängsten und Nöten anvertrauen kann.


    Ob dieses "Gegenüber" nun eine "Person" ist? Ich weiß es nicht. Ist es wichtig?

    "Weg zur Erleuchtung" ist der Titel dieses Threads.


    M. E. gibt es 2 grundsätzliche Wege zur Erleuchtung:


      den Weg des Vertrauens auf die eigener Kraft (schwieriger Weg, Weg der Selbsterlösung durch "gute Werke")


      den Weg des Vertrauens auf die rettende Kraft des Buddha Amida (leichter Weg, "Glaubensweg").


    Im Westen wie auch hier im Forum ist der 2. Weg eindeutig unterrepräsentiert.

    Zurück zur eigentlichen Frage, ob die "Erleuchtungsrate" über die Zeit hinweg konstant ist. Im Shin-Buddhismus wird diese Frage zumindest für die Zeit des Mappo (also des Niedergangs der Lehre) verneint: In Mappo-Zeiten soll es ziemlich schwierig sein, Erwachen durch eigene Kraft (jiriki) zu erreichen. Als Ausweg propagiert der Shin-Buddhismus das Vertrauen auf die Fremdkraft (tariki) des Buddha Amida.

    void:

    Ich habe das so verstanden, dass Shrinran davon ausging, daß wir uns in einer Zeit des Niedergangs des Dharmas ( Mappô ) befinden, in dem alle anderen buddhistischen Methoden nicht mehr praktikabel sind: Weder macht es noch Sinn sich an den Sutras zu orientieren, noch macht es Sinn zu meditieren und auch die tantrischen Methoden sind wertlos. Einzig allein das Vertrauen zu Amida Buddha bietet noch einen Weg zur Befreiung. Weswegen es schon seit 1000 oder 1600 Jahren keine Befreiten mehr geben soll.


    Fasst man dies wortwörtlich auf, macht dies den Dialog zwischen den Gruppen sehr schwierig, weil es ja leicht auf ein "Alle anderen sind auf dem falschen Dampfer" hinausläuft. Dies muss aber nicht der Fall sein, da wenn man über ein naives Verständnis hinausgeht die Unterscheidung was "fremde Kraft" und was "eigene Kraft" ist, sehr subtil werden kann.



    Ich sehe es so: Amida (andere Kraft) ruft mich. Mein eigener "Beitrag" (Eigenkraft) besteht allenfalls darin, mich diesem Ruf vertrauensvoll zu öffnen oder eben nicht. Den "Rest" erledigt im Falle meines Vertrauens (das mir aber im Grunde ebenfalls von Amida geschenkt wird) wiederum Buddha Amida.


    Shinrans teilweise provokante (pädagogische?) Aussagen sollten natürlich auch im Kontext seiner eigenen Lebensgeschichte bzw. der damaligen Zeit (Mappo) verstanden werden. Ich frage mich allerdings, ob unsere heutigen Zeiten so viel besser sind ...


    Was mir an Shinrans Aussagen wirklich imponiert, ist die "Gleichsetzung" von Amida mit bedingungsloser Barmherzigkeit. Wer sich davon nicht angerührt fühlt, ist m. E. keineswegs auf dem falschen Dampfer - aber eben nicht auf meinem.


    Und noch etwas: Shinran entkoppelt das für mich zentrale religiöse Element "Vertrauen" sehr klar von Ethik/Moral. Meines Wissens passiert das nirgendwo sonst in dieser Konsequenz - am ehesten vielleicht noch bei Luther (sola fide).



    Meine Vermutung dürfte richtig sein: Der "leichte Weg" ist anscheinend unter westlichen Buddhisten wenig bekannt. Es handelt sich dabei um den "Reines Land-Buddhismus" - wobei ich mich vor allem auf die Auslegung von Shinran Shonin beziehe.


    "Effektivität" wurde im Text erläutert und bezieht sich darauf, dass eine effektive buddhistische Praxis ein Erwachen in diesem Leben - also "zeitnah" - ermöglichen sollte - und das nicht nur theoretisch sondern tatsächlich! Aus meiner Sicht hat das nichts mit Betriebswirtschaftslehre zu tun, sondern mit viel Hoffnung für schwache Menschen (wie mich), die eben keine Willensakrobaten sind und ein "Langzeitprojekt" nicht so leicht durchstehen.


    "Selbstbefreiungspraxis" meint Befreiung aus eigener Kraft durch entsprechende buddhistische Praxis bzw. ethisch-moralisch einwandfreien Lebenswandel.


    "Buddhafern" habe ich in meinem Eröffnungstext nicht zufällig unter Anführungszeichen gesetzt; ich meinte damit nicht die Abwesenheit der Buddhanatur in uns, sondern die zeitliche Ferne von uns heute lebenden Menschen von der ursprünglichen Verkündigung der Lehre durch Gautama Buddha.



    Was ist im Übrigen schlecht daran, Erleuchtung zeitnah und ohne eigene Gegenleistung zu bekommen - also als Geschenk? Ich will und kann mich nicht mit der Idee abfinden, dass Erleuchtung womöglich über Kalpas hinweg hart erarbeitet werden muss! Das gleicht für mich einer "Buchhaltermentalität". (Sorry, ich meine das überhaupt nicht respektlos; persönlich begegne ich einer derartigen religiösen Einstellung allerdings skeptisch.)

    Ich misstraue grundsätzlich meiner Fähigkeit zur Selbstbefreiung = Befreiung aus eigener Kraft (jiriki). Vielmehr vertraue ich voll und ganz der anderen Kraft (tariki), die auch ohne mein sonstiges Zutun (fleißige buddhistische Praxis, gute Werke) alles zum Guten wendet - spätestens am Ende meines derzeitigen Lebens.


    Vor allem frage ich mich, warum so viele Buddhisten eher nach dem Motto "Warum einfach, wenn's kompliziert auch geht?" leben. Buddha hat doch auch diesen "leichten Weg" verkündet. Warum stürzen sich dennoch fast alle auf den "schwierigen Weg" (Langzeitprojekt)? Warum nehmen sie das Geschenk des "leichten Weges" nicht an? Wissen sie am Ende nicht um seine Existenz?

    Während zu Buddhas Lebzeiten das Erwachen von Anhängern seiner Lehre ein relativ häufiges Ereignis darstellte, ist es mittlerweile anscheinend recht selten geworden: Oder kennt ihr jemanden in eurem buddhistischen Umfeld, der für sich in Anspruch nehmen darf, in vollem Umfang erwacht zu sein?


    Ich frage mich: Sind die verschiedenen Methoden buddhistischer Praxis, die auf Selbstbefreiung abzielen, heute überhaupt noch ein Erfolg versprechender und einigermaßen effektiver Weg - effektiv in dem Sinn, dass sie die realistische Hoffnung auf ein zeitnahes Erwachen (in diesem Leben) nähren? Oder ist Erwachen in der Praxis ohnehin längst zu einem "Langzeitprojekt" geworden?

    Ein mögliches allerdings überkonfessionelles Modell der Krisenintervention orientiert sich an der Buchstabenfolge BASIS:


    B: Beziehung aufnehmen, Bindung schaffen
    A: Assessment: Abschätzen der Handlungsfähigkeit, Explorieren der Bedürfnisse
    S: Struktur schaffen
    I: Informationen geben
    S: Soziales Sicherheitsnetz spannen


    Dies kann bei zeitnaher Anwendung Akute Belastungsreaktionen bei Betroffenen mildern bzw. Posttraumatischen Belastungsstörungen vorbeugen...

    Jede Entwicklungsstufe bekommt m. E. die "Lehre", die sie "geistig" fassen kann. Schlimm wird es, wenn sich die "Raupe" an der Lehre für den "Schmetterling" versucht - und umgekehrt!