Die erste Wahrheit lehrt ja dass das Leben Leid ist. Ich nehme das Leben aber nicht als Leid wahr. Ist das ein Fehler?
Diese Gleichsetzung von Leben und Leid hört man oft in westlichen buddhistischen Kreisen. Ich halte sie aber für falsch. Wir Menschen erleben nicht nur Leid, sondern auch Glück - auch wenn dies vergänglich ist.
Aus der Lehrrede von den vier edlen Wahrheiten ergibt sich auch nicht, dass menschliches Leben und Leid gleichzusetzen ist. Dort heißt es bezüglich der Wahrheit von den Leiden:
"Dies nun, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden; vereint sein mit Unlieben ist Leiden, getrennt sein von Liebem ist Leiden; etwas, das man sich wünscht, nicht zu bekommen, ist Leiden; kurz: die fünf Anhaftungsgruppen sind Leiden."
(Übersetzung: Bhikkhu Bodhi, In den Worten des Buddha, Beyerlein & Steinschulte 2011, S.67)
Der Buddha nennt hier verschiedene Aspekte unseres menschlichen Leben, die er als Leiden charakteriesiert. Dass Glück, auch ein Aspekt des menschlichen Lebens, Leiden ist, sagt er nicht. Das zeigt schon, dass die Gleichsetzung von menschlichem Leben und Leide nicht angemessen ist.
Die nächste Frage wäre, warum sind Geburt, Krankheit, Altern usw. Leide? Das wird in dieser Lehrrede nicht beantwortet. Sie sind Leiden, weil wir sie immer wieder unfreiwillig durch die Macht von Karma und Klesas annehmen.