Nagarjunas Aussagen zu Ursache und Wirkung beziehen sich
auf zwei Ebenen von Wirklichkeiten:
1.) Auf der Ebene der relativen, konventionellen
oder weltlichen Ebene, geht er mit den kanonischen Texten konform. Er leugnet
die Dinge nicht, weist aber darauf hin, dass sie wesenlos und leer sind.
2.) Auf der
Ebene der absoluten Wirklichkeit dagegen vertritt und begründet Nagarjuna die radikale These,
dass in Wahrheit alle kausalen und bedingten Entitäten der Welt nicht möglich
sind. Sie können einfach nicht existieren.
Dies stellt die Position Nagarjunas nicht korrekt war. Mit dieser Darstellung wird behauptet, Nagarjuna würde einen Gegensatz zwischen den beiden Wahrheitsebenen vertreten. Außerdem würde die Ebene der absoluten Wahrheit, wie sie hier dargestellt wird, bedeuten, dass es die konventionelle Ebene nicht geben kann. Wenn Phänomene oder Entitäten einfach nicht existieren, dann kann es auch die relative, konventionelle Ebene nicht geben, da sie an die Existenz der Phänomene gebunden ist.
Nagarjuna sagt in Mulamadhyamakakarika vielmehr, dass die beiden Ebenen sich zwar unterscheiden, aber einander bedingen und nicht im Widerspruch zueinander stehen:
"Die Dharma-Lehren der Buddhas
beruhen auf den zwei Wahrheiten:
konventionelle Wahrheit der Welt
und die letztendliche Wahrheit.
Ohne sich auf Konventionelles zu stützen
kann das Letztendliche nicht gelehrt werden.
Ohne die Erkenntnis des Letztendlichen
ist Nirvana nicht zu erreichen."
(Mulamadhyamakakarika, 24.Kapitel, Verse 8 und 10) (1)
In Mulamadhyamakakarika geht es Nagarjuna nicht darum, auf der letztendlichen Ebene die Nichtexistenz der Phänomene oder Entitäten nachzuweisen. Sein Thema ist ein anderes. Er setzt sich in seinem Werk mit Buddhisten seiner Zeit auseinander, die aus dem abhängigen Entstehen schlussfolgerten, dass die abhängigen Phänomene nur existieren können, wenn sie inhärente Existenz aufgrund eigener Merkmale besitzen.
Diese Sichtweise hat Nagarjuna kritisiert und negiert. Sonst nichts. Wenn er in seinem Werk sagt, dass dieses oder jenes nicht existiert, dann bedeutet dies eben nur, dass er negiert, dass die Phänomene inhärent existieren. Das Wort inhärent taucht dabei in seinem Werk kaum auf, weil es in dem Kontext der damaligen Auseinandersetzung klar war, um was es ging. Aus heutiger Sicht sind ist Mulamadhyamakakarika eben ein Werk, das an vielen Stellen interpretiert werden muss und nicht nur wortwörtlich genommen werden kann.
Gruß Helmut
(1) Das Zitat ist nicht aus Brosamer-Weber/Beck, sondern aus Seminarunterlagen zum Mulamadhyamakakarika.