Beiträge von Keine Ahnung

    Ein dritter Zugang ist ein noch stärker psychologischer: Wir wissen aus den Neurowissenschaften, dass das Jetzt, das, was wir als Gegenwart bezeichnen, der gegenwärtige Augenblick, 2,7 Sekunden lang ist. Alle 2,7 Sekunden treten wir in ein neues Jetzt ein. Dieses ist durch das vergangene Jetzt bedingt und doch etwas neues. Wir befinden uns in einem ständigen Wiederwerden. Wir erinnern uns, wenn wir wach genug sind, an die vergangenen Jetzt. Je wacher wir diese erlebt haben, desto klarer sind die Erinnerungen an sie. An manche Jetzt erinnern wir uns nicht, weil wir eben nicht wach genug waren, sondern – wie meistens eigentlich – automatisch gehandelt haben.

    Wie kommt man auf die Zeit (2,7s)? Ist das eher die Zeit, die etwas braucht, ehe wir es wahrnehmen? Konsequenter weise finde ich, sollte man gar nicht von einem Jetzt sprechen, denn Wahrnehmung braucht Zeit (auch wenn sie kürzer sein mag als die 2,7s) und wenn ich etwas wahrnehme, ist es schon Vergangenheit. (Wenn ich mich recht erinnere gab es in einer buddh. Schule die Vorstellung, dass dharmas nur Bruchteile von Sekunden existieren und dann von neuen Dharmas ersetzt werden).
    Wach sein und automatisch (von selbst so, ziran, jinen, der Situation entsprechend) handeln ist für mich kein Widerspruch. Nur so ist man im Fluss. Wenn ich z.B. mit einem Behinderten spazieren gehe (was ich berufsmäßig öfters tue) muss ich wach sein, aber trotzdem automatisch handeln, falls er stolpert, um die Schäden zumindest zu minimieren.

    Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach die geringe Ambiguitätstoleranz, der fatale Wunsch nach Eindeutigkeit unter Buddhisten, vor allem unter westlichen Buddhisten. (In Asien ist es ja manchmal kein Problem, wenn man mehreren Glaubenssystemen folgt. Aber auch da haben sich verschiedene Ansätze des Buddhismus bekriegt). Es hängt meiner Meinung nach an einem Glauben an Wahrheiten.

    Ansonsten ist es interessant, dass es bei Erwachten egal welcher Couleur (abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen) oft verschiedene Phasen gibt. In der ersten erkennen sie, dass das Erwachen nicht mit Worten gelehrt werden kann. In der zweiten Phase lehren Sie es mit Worten, entwickeln Wege und Methoden, gründen eine Bewegung. Eine weitere Phase erfolgt dann oft nach ihrem Tod: ihre Lehren werden auf verschiedene Arten gedeutet. Es entstehen dadurch verschiedene Richtungen, die sich oft nicht mögen. Man bezeichnet die eigenen Ansätze als Wahrheiten, aber ich denke, sie sind eher Ressourcen, das Leben zu leben.


    Bei den wesentlichen Lehren des Buddhismus Vergänglichkeit, Nicht-Selbst, Leiden, Erwachen kommt Karma und Wiedergeburt nicht vor. Buddha nahm einfach Vorstellungen seiner Umwelt und interpretierte sie nach seinem System um (sprach aber meist von Geburt, manche Nutzer hier sprachen von Weitergeburt, was sicher mehr Sinn macht).
    Auch beginnt sein Weg interessanterweise mit rechtem Sehen (einer ersten Erfahrung/Entfahrung, dass es keinen Kern (Ich, Selbst) gibt), erst dann beginnt der Pfad.

    Buddha wurde einmal gefragt, ob er seine Lehre in einem Satz zusammenfassen könnte. Auch da nichts mit Karma und Wiedergeburt. An nichts, was es auch sei, sollte festgehalten werden, sprach er. Also kann man sich fragen, woran halte ich fest, an welchen Vorstellungen und Praktiken? Die meisten Streitpunkte sind doch oft weit von einer "offenen Weite, nichts heiliges" weit entfernt. Meist geht es um eine Suche nach mehr. Die Suche in die falsche Richtung?

    Es gibt den Bodymaß-Index, der Körpergröße und Körpergewicht in Beziehung setzt und von daher bestimmt, ab wann man untergewichtig und ab wann man übergewichtig ist. Sich so zu ernähren, dass man innerhalb dieser beiden Grenzen bleibt, ist meines Erachtens schon ein guter Maßstab.

    Es gibt noch den SBMI, der noch das Alter einbezieht.

    Zitat


    „In dem Bewusstsein, dass wahres Glück im Frieden, in der Solidität, in der Freiheit und im Mitgefühl verwurzelt ist und nicht im Reichtum oder Ruhm, sind wir entschlossen, nicht Ruhm, Gewinn, Reichtum oder sinnliche Freude zum Ziel unseres Lebens zumachen, noch Reichtum zu sammeln, während Millionen hungrig und leidend sind. Wir sind bestrebt, einfach zu leben und unsere Zeit, Energie und materiellen Ressourcen mit den Bedürftigen zu teilen. Wir werden achtsamen Konsum üben, keinen Alkohol, keine Drogen oder andere Produkte verwenden, die Giftstoffe in unseren eigenen und den kollektiven Körper und das Bewusstsein bringen.“

    Das soll von Thich Nath Hanh kommen.

    Immer diese Glückoholiker.

    Naja, er hat schon eine Bewegung formiert und hunderte Regeln aufgestellt (Vinaya).
    Glaubte also wohl schon, dass seine Lebensprobleme auch die Lebensprobleme von anderen seien. Und seine Lösung auch ein Weg für andere.
    Wie man das dann bezeichnen will, ist eine andere Frage.

    Ich hab schon den Eindruck, dass er Teil von verschiedenen religiösen Ansätzen war, den upanischadischen und denen der Jains, und es gab ja auch sehr früh schon Abspaltungen von seiner Bewegung, die auch Jahrhunderte währten (die Bewegung von Devadatta z.B.). Und auch schon früh verschiedene Deutungen seiner Lehre: z.B. die lange sehr bedeutsame (aber schon lange verschwundene) Pudgalavada-Schule.

    So gesehen ist so etwas wie die Säkulare-Buddhismus-Schule kein so neues Phänomen. Auch nicht, dass neue Schulen von den traditionellen Schulen kritisch beäugt (bis verfolgt) wurden (man beschäftige sich mal mit den Anfängen der amidabuddhistischen und nichirenbuddhistischen Schulen in Japan oder der Jonang-Schule in Tibet). Vieles sind sicher auch Zeitgeistphänomene (so spielt z.B. die in Asien sehr bedeutenden amida-buddhistischen Schulen oder auch Schulen wie Kegon, Tendai, Shingon im Westen kaum eine Rolle). Dafür spielen Sutren, die in Asien nie eine große Rolle gespielt haben (z.B. das Kalamer-Sutta) eine überragende Rolle.

    Dem kann ich nur zustimmen.
    Es sind aus meiner Sicht auch verschiedene Ebenen.

    Leben/Sterben ist die existentielle Ebene.
    Bedeutung ein Konzept des Denkens. Schönes Wort übrigens. Da steckt ja das Wort Deutung drin.

    Freiheit (so es so etwas gibt) ist für mich auch die Freiheit von Bedeutung (und Bedeutungslosigkeit).


    Zitat

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

    Silas sind IMHO so lange von Bedeutung, so lange ich Buddhist bin und an eine formale Ethik/Moral glaube.
    Ich folge dann Vorstellungen, was gut/schlecht ist.
    Eine andere Alternative wäre, eingestimmt in die Situation zu handeln, weder meinen noch den Vorstellungen eines Systems, sondern der Situation zu folgen.

    Zitat

    Zwischen "weltlich" und "heilig" zu unterscheiden,

    Erzeugt nur Verblendung über Verblendung;

    Wer ständig hin und her überlegt,

    Und nach der Wahrheit sucht, fällt von der Wirklichkeit ab.

    Niútóu Fǎróng, 594-657

    Gründer der Ochsenkopfschule des Zen
    Aus dem Xin Ming

    Seng-ts'an, der 3. Zen-Patriarch
    Aus dem Xin Xin Ming

    In der Tradition waren politische Bestrebungen aus der buddhistischen Ecke wohl eher rechts als links. (Beispiele findet man ja auch heute zu Hauf, sei es in Sri Lanka, Myanmar, Japan). Es gab aber auch Versuche Buddhismus und Marxismus zu verbinden. Jenseits des Diamantsweges ticken Buddhisten meiner Erfahrung nach eher links oder grün im Westen.

    Aus meiner Sicht beginnt der säkulare Buddhismus eine durchaus notwendige Dekunstruktion des Buddhismus. Nur bricht er sie irgendwo in der Hälfte ab. Da waren Leute in der Vergangenenheit - Nagarjuna, Farong, Wuzhu, Shinran z.B. - in ihrer je eigenen Weise durchaus radikaler.
    Die andere Frage ist, ob ein eher rationaler Buddhismus die Menschen erreicht. Georg Grimm hat ja mit seiner altbuddhistischen Gemeinde schon mal das Projekt gestartet, und hatte auf Dauer damit keinen Erfolg. Der Mensch ist nun mal nicht nur ein rationales Wesen.
    Außerdem glaub ich, müsste es viele verschiedene säkulare Buddhismen geben. Oder man könnte einige Gruppen wie die Independent Nichiren, Independent Shin, Graswurzel-Zengruppen als so etwas verstehen.

    Erleuchtung ist immer schon vorhanden,

    Es ist nicht nötig, sie zu kultivieren;

    Verblendung hat noch nie existiert,

    Es ist nicht nötig, sie auszuräumen.

    Niutou Farong - Xin Ming

    Sich nicht der Geburt fügend, unabhängig von Stille, ohne in samâdhi einzutreten, ohne in sitzender Meditation zu verweilen, ist da Nicht-Geburt und Nicht-Übung und der Geist kennt weder Verlust noch Gewinn.

    Wuzu