Zitat
Dass man Kindesmisshandlung im mittelalterlichen Japan anders gehandhabt hat, ist dabei natürlich kein Kriterium.
Ich will hier erst mal etwas wiederholen und deutlich machen: Damals waren diese Knabenlieben KEIN Kindesmissbrauch - den gab es sicher auch, aber nicht, wenn sich Personen zusammenfanden, die beiderseits Interesse bekundeten. Das ist heute per Definition schon anders, weil es Schutzaltersgrenzen gibt. Später sprichst Du von "Macht" - also damals waren diejenigen, die an der Macht waren, nicht daran interessiert, das zu bestrafen, wohl weil die Gesellschaft es tolerierte. Ein "Machtgefälle" zwischen Samurai und Zögling wurde aber hingenommen. Ich finde es wesentlich, sich ganz klar zu machen, dass unsere heutigen Standards schon bald nicht mehr gelten können und nicht immer gegolten haben.
Hat Bhagwan (Osho) nicht offen seinen Sex-Kult betrieben? Und ich muss zugeben, auf der Pfanne hatte der auch was. Dann aber auch wiederum diesen Besitzeifer (die Autos z.B.). Bei mir ist es dann so, wenn ich zufällig auf so einen wie den Sadhguru auf Youtube stoße und höre, was der zuweilen für einen Scheiß erzählt, da interessiert mich schon kein Buch mehr von ihm, egal, ob der besitzlos ist und monogam lebt etc. Also ich entscheide rein nach dem, was ich als Erkenntnistiefe empfinde, und darum hab ich mir früher mal zwei Bücher von Osho gegönnt, obwohl ich ihn da bereits für einen Verirrten hielt - der aber eben auch etwas Wesentliches erkannt hatte. Wir sagen ja, dass Genie und Wahnsinn oft nah beieinander liegen, und er war m.E. ein Beispiel dafür.
Ein Vorbild habe ich nicht gebraucht, ich hatte einen guten Vater. Was dann noch? Aber das kann nicht jeder von sich behaupten, und dann muss womöglich ein anderer her. Nach meiner Erfahrung wird man früher oder später irgendwelche menschlichen Schwächen bei jedem entdecken, und sogar, um genauer zu sein, man wird feststellen, dass man dies und jenes auch anders sieht, anders als der weise Lehrer. Für mich ist es wichtiger, Suchenden diese Illusion gleich von vornherein zu nehmen. Meines Erachtens hat die Nachfolge im Zen auch nie zum Ziel gehabt, große Vorbilder hervorzubringen, sondern Erwachte. Heutzutage gerät dieser Aspekt vor allem durch den Einfluss der Dogen-Adepten in den Hintergrund, da ist das Sitzen wesentlich und um Erwachen bzw. - so würde ich das lieber nennen - Erkenntnis macht man einen Bogen (oder man sagt, von der Erkenntnis müsse man auch noch lassen, lässt aber natürlich niemals vom Zazen ...). Vorbilder sind die, die lange und unbeweglich sitzen können. Also die, die entsprechend lange "trainiert" (geübt) haben. Früher schien mir zwar das Erwachen mit einer Weisheit einherzugehen, die aber keinesfalls den allgemeinen Normen entsprechen musste. Tatsächlich haben die Meister oft einen Eindruck hinterlassen, weil sie gewisse Charakterstärken hatten, aber auch, weil sie Regeln verletzen konnten. Das fing ja schon bei der Ausbildung an, bei der die japanische Höflichkeit flöten ging und man schrie und prügelte. Früher hätte man sich m.E. auch weniger um sexuelle Eskapaden geschert, denn es wird sie gegeben haben, wir erfahren aber fast nichts davon. Diese Aufregung ist also auch ein Zeichen unserer Zeit. Doch, Moment, mir fällt sogar ein Beispiel ein, der lebte wohl bis in die 60er-Jahre, angesehener Meister, zeitlebens stark sehbehindert, ein Säufer und Frauenheld, das verhinderte aber nicht seinen Rang in Japan (ich hab den Namen gerade vergessen, er steht im alten Zen-Lexikon), ich glaube sogar, er war der Lehrer von Zenkei Shibayama.
Ich stimme deshalb auch Deiner modernen Deutung des Machtgefälles usw. nicht zu. Man kann ein Sesshin und Dokusan jederzeit verlassen. Dort begegnen sich erwachsene Menschen, und sowohl bei Shimano als auch bei Sasaki wunderte ich mich sogar über das Alter vieler "Betroffener". Und wenn Sasaki nichts zu lehren gehabt hätte (wie dieser Thay oder Polenski etc.), dann würde ich sagen, das Ganze ist nur wegen Kommerz oder anderer Interessen aufgezogen worden. Wenn aber Sasaki fürs Zen lebt, also Sesshin um Sesshin gibt, und in diesem begrenzten Lebensrahmen Sex sucht, dann ist das zweite eher die logische Folge des ersten. Sasaki hätte ja auch nach Thailand reisen können und es einfacher und sauberer geklärt haben können. Mag zwar sein, dass ihn das nicht reizte, aber Deinen Umkehrschluss kann ich nicht nachvollziehen. Bestenfalls war er schon immer Zen- UND Sex-Besessen. Und im Zen sehe ich da eben keinen Widerspruch, solange er damit so umgehen konnte, wie er es tat - nämlich die ziehen zu lassen, die nicht wollten, die Sache einzuräumen, als er damit konfrontiert wurde, und ansonsten gelassen und nicht-anhaftend sein Zen-Ding weiterdurchzuziehen (denn das hat er gemacht, als Totgesagter wieder schlucken gelernt usw.). Sein Verhalten in den Dokusan betrachte ich zwar als falsch, aber auch die Reaktion vieler, die nicht weggingen. Es ist mir zu einfach, diese Verantwortung der anderen Beteiligten kleinzureden. Ganz einfach, weil da mit hoher Wahrscheinlichkeit einige dabei waren, die sich insgeheim einen Sonderstatus und sogar Sex mit dem Meister erhofften. Ich habe so etwas selbst in der Szene speziell im tibetischen Buddhismus beobachtet. Und das kommt von dem gleichen Fehler, der Illusion, der Meister habe etwas Besonderes. Und wenn einer ausdrücklich davor warnt und die Frauen können dann doch nicht einfach ihm eine scheuern oder weggehen, dann sind sie mitverantwortlich, auch wenn er den Schwarzen Peter als Initiator behält. Wer allein als Frau zu einem "fremden" Mann in ein Zimmer geht (und dort bleibt), trägt Mitverantwortung. Alle diese Frauen haben gelernt, das man das nicht macht.
Es gibt ja auch Sender, die Michael Jackson nicht mehr spielen. Aber seine Musik klingt für denjenigen, der sie mag, nicht anders als früher, es sei denn, man meint, seine Sexualität würde es einem moralisch verbieten, diese zu genießen. So ist das auch mit Sasaki. Niemand außer den Schülern - und NICHT Sasaki - hat gefordert, da müsse ein Vorbild sein. Das ist immer der Irrsinn der Adepten. Und das ist heute noch so, wenn sie zu Lehrern rennen, in der Hoffnung, das große Vorbild zu finden.
Wofür soll denn ein Zenmeister noch als Vorbild taugen, außer für seine Einsichten (oder für sein Zazen)? Wenn man z.B. meinen Lieblingslehrer aus der Schule entlassen hätte, weil er sich an Schülerinnen rangeschmissen, hätte ich das zwar verstanden, aber auch bedauert und wäre nach wie vor dankbar für das gewesen, was er mir beigebracht hat. Denn das war seine Aufgabe, mir sein Fachwissen zu vermitteln. Und ich hätte ggf., da wir die letzte Jungenklasse waren - dafür plädiert, dass er uns doch weiter unterrichten könne. Genauso wird man auch einem Meisterkoch, wenn er wegen Kindesmissbrauch im Knast sitzt, den Zugang zur Küche nicht verbieten und als Insasse noch von ihm lernen können.