Beiträge von Mabli

    Wir müssen hier allerdings ein bisschen vorsichtig sein, denn obgleich wir ein gesundes Gefühl für dieses konventionelle „ich“ aufbauen, um Selbstbeherrschung usw. üben zu können, kann das auch ein übersteigertes Selbstgefühl verstärken. Während wir also unser konventionelles „ich“ aufbauen – und wir haben inzwischen bereits einige Anstrengung darauf verwandt -, können wir nun anfangen, nach einem übersteigerten Selbstgefühl Ausschau zu halten. Das übersteigerte Selbstgefühl bezieht sich auf das Selbstbild, dass „ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“, das Selbst, das diese Kraft der Selbstbeherrschung haben sollte und könnte, und weil ich sie nicht hatte, bin ich schuldig. Das ist ein übersteigertes Gefühl von „ich“ – es entspricht der Art von Person, die sich wie ein Polizist überwacht, um sich zu kontrollieren, und dann vollkommen rigide wird usw. Das ist ungesund. Wenn einem dann ein Ausrutscher passiert und man diese Selbstbeherrschung nicht aufbringt, fühlt man sich total schuldig – „Ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“ – und ohrfeigt sich innerlich.

    Was Berzin hier als übersteigertes Ich beschreibt ist in psychoanalytischer Terminologie nichts anderes als ein rigides Über-Ich.

    Und wenn Berzin von dem Unterschied zwischen "ich" und "mich" spricht, klingt das sehr ähnlich wie die Unterscheidung von "I" und "Me" bei G.H. Mead.


    Wenn Sie Schwierigkeiten mit diesem ganzen Konzept von Zuschreibung haben, versuchen Sie, an sich selbst zu denken. Wir haben dieses Vorgehen gestern schon erwähnt, und wir haben festgestellt, dass man nicht „ich“ denken kann ohne irgendeine Grundlage, ohne irgendetwas, das „mich“ in den Gedanken repräsentiert, sei es einfach der verbale Klang des Wortes „ich“ – wir denken ja: „ich“ – oder ein geistiges Hologramm, wie ich aussehe, oder ein bestimmtes Gefühl oder sonst irgendetwas. Wir bezeichnen das als „ich“ – wir nennen das „ich“ , um es noch einfacher auszudrücken. Aber ich bin nicht das Wort, und ich bin nicht die Grundlage, das geistige Hologramm. Doch es gibt ein „ich“. Das ist es, was geistige Zuschreibung bedeutet: Es wird der Grundlage zugeschrieben, die das „ich“ repräsentiert, wenn ich an mich denke.

    Das "Me" ist eine Selbstrepräsentanz, die in den Aggregaten verkörpert ist. Da trennen sich dann auch Mead und Berzin. Bei Mead ist das "Me" eine Repräsentation von Einstellungen und Erwartungen bedeutsamer Anderer, die durch die Perspektivübernahme internalisert wurden. Die Gemeinsamkeit besteht in der Unterscheidung einer unmittelbar gegenwärtigen, spontanen Instanz und einer Repräsentanz des Ich im "Me".

    Auch in der Psychoanalyse gibt es die Unterscheidung zwischen einem falschen und einem wahren Selbst. Insbesondere Winnicott hat diese Unterscheidung geprägt.


    Besonderes theoretisches Augenmerk richtet Winnicott (1974) auf die Unterscheidung zwischen dem „wahren“ und dem „falschen“ Selbst. Das wahre Selbst entwickelt sich seiner Ansicht nach in einer hinreichend empathischen und fürsorglichen mütterlichen Umwelt. Im Falle eines Versagens dieser empathischen Versorgung entsteht ein falsches Selbst, das das wahre Selbst vor den destruktiven mütterlichen Einflüssen schützen soll. Die Definition des Narzissmus als einer Entfremdung von den authentischen Tiefen des Selbst kann als eine Entfremdung von diesem „wahren Selbst“ konzeptualisiert werden, wie sie von Winnicott beschrieben wurde. Seine Arbeiten wurden zunächst von Melanie Klein beeinflusst, er gelangte aber schließlich zu der Auffassung, dass die Versorgungsfunktionen, die die Mutter in Bezug auf die Bedürfnisse des Babys erfüllt, die wichtigsten Determinanten psychischer Gesundheit darstellen. Das „wahre“ Selbst, das sich auf dieser Grundlage entwickelt, ist das Resultat der Beziehung zu einer „hinreichend guten Mutter“, die nicht nur die Triebbedürfnisse ihres Säuglings wahrnimmt, sondern auch seine Kreativität anerkennt, seine Grenzen respektiert und ein Gleichgewicht zwischen seinen Illusions- und Desillusionserfahrungen herzustellen weiß. Nach Winnicotts Auffassung ist die Einheit der psychischen Entwicklung nicht das Kind, sondern eine intersubjektive Entität, die Mutter-Kind-Einheit. Für Winnicott bringt die Persönlichkeitsspaltung eine Entfremdung mit sich, und zwar weg von einer rudimentären Selbsterfahrung (des wahren Selbst) und hin zu einem willfährigen, nach außen gerichteten Selbstaspekt (dem falschen Selbst). Der letztere Aspekt des Selbst ist das Winnicottsche Äquivalent des schizoiden Persönlichkeitsaspekts, den Fairbairn (1952) und Guntrip (1968) dargestellt haben. Das wahre Selbst ist ein Potential, dessen Ursprünge in den frühesten Körperempfindungen liegen, wie sie im Kontext der Beziehung mit der Mutter als Umwelt wahrgenommen werden: „Das Wahre Selbst kommt von der Lebendigkeit des Zellgewebes und der Tätigkeit der Körperfunktionen, einschließlich Herz- und Atemtätigkeit“ (1974, S. 193). Auch kann nur das wahre Selbst kreativ sein und sich real fühlen, und während „ein wahres Selbst sich real fühlt, führt die Existenz eines falschen Selbst zu einem Gefühl des Unwirklichen oder einem Gefühl der Nichtigkeit“ (1974, S. 193).

    Über das Leib-Seele (oder Körper-Geist)Problem zerbricht sich die (westliche) Philosophie ja seit über 2000 Jahren den Kopf ohne zu einer Lösung des Problems gekommen zu sein. Ich gehe davon aus, dass es im Buddhismus ungeachtet der vielen unterschiedlichen Schulen eine Tendenz in dieser Frage gibt. Man wird da sicher nicht den einen Standpunkt, aber vielleicht ja einige maßgebliche Ansichten der wichtigsten Schulen zu dieser Frage ausmachen können.

    Inwieweit der Monismus als Etikettierung einer philosophischen Position bzw. metaphysisches Grundprinzip jetzt eine westliche Erfindung darstelllt kann man diskutieren. Die Position bzw. das Prinzip scheint mir doch eher universeller Natur zu sein.

    Danke dir für die fundierte Einschätzung zu der Frage der Autorschaft.

    Inhaltlich ist die Kritik (sicher aus der Madhyamaka-Schule stammend) wenig fundiert, was wohl mit etwas Polemik kaschiert werden soll. Grundsätzlich sind solche Texte eher 'Merkverse', die vor allem als Grundlage ausführlicher Kommentierung dienten (wie etwa die MMK auch).

    Gibt es denn auch andere Textsorten in der klassischen buddhistischen Literatur, die eher argumentativ verfahren? Also sind das dann eher die Kommentare zu den in Versen verfassten Werken? Also verstehe ich das richtig, die Mūlamadhyamakakārikā ist auch eher eine Sammlung von Merkversen?


    Aber unabhängig von der Frage der Autorschaft ist für mich der Raum der Auseinandersetzung interessant zwischen einer objektiv idealistischen Weltsicht und einer Sicht der Leerheit, deren Aussage ich aus den wenigen Versen und mit meinem begrenzten Vorwissen nicht so ganz erschließen kann.

    Werder Leerheit noch Geist kann ungeschaffen sein, denn sie werden vom Verstand geschaffen.

    Das klingt auch in Vers 28 an, oder?

    Zitat

    Das Benannte, das Abhängige

    und das Vollständige:

    Ihre Essenz ist einzig die der Leerheit,

    ihre Wesensart wird vom Bewusstsein erstellt.

    Wobei ich mich frage, ob mit "Essenz" und "Wesensart" hier zwei verschiedene Dinge gemeint sind oder dasselbe. Das hieße dann bei der ersten Lesart. dass die Leerheit vom Bewusstsein geschaffen wird.

    In der "BODHICITTAVIVARANA - Erläuterung des Erleuchtungsgeistes" schreibt Nagarjuna folgendes über die Nur-Geist-Schule:

    Das heißt er lehnt die Ansicht, dass es so etwas wie einen objektiven Geist gibt, ab. Nach Nagarjuna hat der Buddha dies zwar gelehrt, jedoch aus dem Motiv, sich an seine Zuhörerschaft anzupassen. Seine Sicht scheint zu sein, dass das Wesen der Dinge die Leerheit sei und dass der Geist ungeschaffen (und damit ewig?) sei.


    Nagarjuna lehnt die Möglichkeit, dass sich das Bewusstsein in einer Selbstbezüglichkeit selbst erkennen könnte, ab. Dadurch dass das Bewusstsein - selbst das achte und vermeintlich grundlegende Bewusstsein - immer in Bewegung sei, könne es sich nicht selbst zum Gegenstand werden.


    Mir erscheint diese Argumentation zumindest sehr angreifbar. Man könnte da zum Beispiel die Unterscheidung von "Ich" und "Selbst" einführen, wie das z.B. Mead getan hat. Das Ich als spontane und unmittelbare Gegenwärtigkeit, kann sich des Selbst als vergegenständlichter Form der sozialen Erfahrungen bewusst sein. Oder man könnte die soziale Interaktion in der wechselseitigen Anerkennung zwischen Individuen als Basis der Selbsterkenntnis ansehen, wie das etwa Hegel tat.

    Was Alexander Berzin in dem folgenden Zitat beschreibt, die Unterscheidung eines "falschen" , übertriebenen Ich-Gefühls und einem konventionellen Ich, das einer korrekten Betrachtung entspricht, könnte in der psychoanalytischen Terminologie mit einem unreifen Größenselbst und einer starken Ich-Struktur übersetzt werden.


    Was wir auf jeden Fall tun, ist, das konventionelle „ich“ einer Grundlage zuzuschreiben, die „mich“ repräsentiert. Wir denken daran, und zwar mit der allgemeinen Kategorie „ich“, und wir haben entweder eine korrekte oder eine verkehrte Betrachtungsweise in Bezug darauf, wie „ich“ existiere.

    • Mit der korrekten Betrachtungsweise denken wir im Sinne des konventionellen „ich“.
    • Mit der verkehrten Betrachtungsweise denken wir im Sinne des falschen „ich“ – eines „ich“, das nicht existiert.

    Aber in beiden Fällen schreiben wir die Bezeichnung „ich“ irgendetwas zu, das „mich“ repräsentiert.

    Was wir erörtern werden, ist Folgendes: Wie entwickelt man ein gesundes Ichgefühl, indem man im Sinne des konventionellen „ich“ an sich selbst denkt, und wie werden wir dieses übersteigerte „ich“ los, mit dem wir uns identifizieren und in dessen Sinne wir an uns denken? In den westlichen Ländern sprechen wir von einem gesunden Selbst und einem überdimensionierten Selbst. Ein gesundes Selbst bedeutet, dass man im Sinne des konventionell existenten „ich“ an sich denkt; und ein ungesundes bzw. überdimensioniertes Selbst bedeutet, dass wir im Sinne dieses falschen „ich“ an uns denken, desjenigen, das eigentlich nicht der Realität entspricht.


    Das konventionelle „ich“ kommt in der Einstellung zum Ausdruck: „Ich halte mich nicht für etwas Besonderes. Ich bin einer von sieben Milliarden Menschen. Und wie jeder andere möchte ich glücklich und nicht unglücklich sein.“ Ein gesundes Ichgefühl besteht darin, dass man auf diese Weise von sich denkt. Dass ich für mein Leben und für das, was ich erlebe, Verantwortung übernehme – all das ist im Sinne des konventionellen „ich“, dieses gesunden Ichgefühls. Aber wenn wir von uns denken: „Ich bin das Wichtigste, alle sollten sich nach mir richten“ usw. und uns damit identifizieren – in unserer Terminologie ausgedrückt: uns selbst als diese Art von „ich“ betrachten -, dann ist das ein übertriebenes Ichgefühl. Weil es nicht der Realität entspricht, kann es nie zufrieden gestellt werden. Es ist unmöglich, dass alles immer nach unserem Willen geht und dass jeder uns für etwas ganz Besonderes hält – das geht nicht, oder?

    Der Psychiater und Psychoanalytiker Mentzos hat für die Regulation des Selbstwertgefühls ein Drei-Säulen-Modell entwickelt. Es ist eine Weiterentwicklung eines Modells von zwei "Bankonten", das dann durch die mittlere Säule zum Drei-Säulen-Modell erweitert wurde. Das Modell zeigt, dass das Selbst im psychoanalytischen Sinne eine komplexe Struktur ist. Unser Selbstwertgefühl und unsere psychische Stabilität hängen wesentlich davon ab wie unser Selbst strukturiert ist.



    Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.



    Die erste Säule (rechts vorne) entspricht dem »Grundkapitalkonto « des alten Modells. In ihrer Basis präsentiert sich das Größen-Selbst, etwas höher darüber die bei allen Menschen mehr oder weniger lebenslang vorhandenen halbbewußten Größenphantasien und schließlich, zur Spitze hin, das reife Ideal-Selbst (die realistisch korrigierte, positive Vorstellung von sich selbst, die uns auch trotz Fehlern, Mißerfolgen, negativer Kritik etc. ein gewisses Maß an unerschütterlichem Selbstvertrauen und einen Puffer - im alten Modell ein ausreichendes »Polster« - garantiert). Die Voraussetzung für eine solche günstige Entwicklung und ein daraus resultierendes selbständiges Funktionieren dieser Säule habe ich schon oben geschildert, als ich das Grundkapital-Konto beschrieb. Allerdings ist ein gewisses Ausmaß von zusätzlicher lebenslanger narzißtischer Zufuhr, Anerkennung und positiver Zuwendung von außen immer erforderlich. Normale Funktionalität des Systems bedeutet nämlich nicht völlige Unabhängigkeit von außen; sie setzt lediglich voraus, daß man über eine genügende eigene »Substanz«, über ein eigenes Polster verfügt und nicht ständig von einer äußeren Zufuhr abhängig ist oder sogar süchtig danach wird.

    Die zweite Säule, die keine Entsprechung im Bankkonto- Modell besitzt, symbolisiert in der Basis die symbiotische Abhängigkeit, dann in ihrem mittleren Teil die anfänglichen, idealisierten Elternimagines. In ihrem oberen Abschnitt stellt sie das reife (assimilierte und nicht nur introjizierte) Idealobjekt dar. Hier spielen zunächst symbiotische und später identifikatorische Prozesse die Hauptrolle. Die gesunde narzißtische Stärkung erfolgt im Kreislauf der normalen Internalisierungen und Externalisierungen. Durch sie wird auch eine zunehmend differenzierte, kritische und realistische Selbsteinschätzung möglich.

    Die dritte Säule schließlich entspricht dem Girokonto des alten Modells, dem Über-Ich-Konto. Sie wird gestärkt durch Leistung, Pflichterfüllung und dadurch erreichte Anerkennung. An der Basis der Säule wird das archaische unreife Über-Ich, in den Mittelabschnitten das ödipale Über-Ich, in dem oberen Drittel das nunmehr reife Gewissen repräsentiert.

    Hallo Mabli ,


    gerne teile ich morgen oder übermorgen meine persönlichen Erfahrungen. Vorher würde mich aber noch interessieren, wo Du persönlich überhaupt ein Problem siehst/erwartest?

    Hey Aravind,


    ein mögliches Problem sehe ich darin, dass die Psychotherapie in seelischen Krisen stabilisieren möchte und dabei auch das Scheinselbst erstmal stützt und darin bestärkt über eine Identifikation mit diesem Scheinselbst das Selbstwertgefühl zu stärken. Es kann ja auch aus psychotherapeutischer Sicht durchaus angezeigt sein, das Ich zu stärken und Ich-Strukturen aufzubauen, wenn dort eine Schwäche besteht. Das steht dann aber oberflächlich betrachtet in einem diametralen Gegensatz zu dem Ziel, die Täuschung, die in diesem Selbst steckt, zu erkennen.


    Eine weitere mögliche Gefahr spricht Welwood in seinem Buch an, wenn er von spiritueller Umgehung schreibt. Dann wird Spiritualität zu einer Vermeidungs- und Abwehrstrategie, um sich nicht mit unfinished buisness, eigenen emotionalen Schwierigkeiten, zu befassen.


    Ein weiterer möglicher Konflikt besteht darin, dass die Psychotherapie sich bemüht weltanschaulich und ethisch neutral zu bleiben. Dagegen hat der Buddhismus eine klare ethische Ausrichtung und hält dazu an, ethisch zu handeln.


    Kannst du nicht einfach klar machen, welche Ziele du verfolgst, wenn du von "Synergien" sprichst? Warum befasst du dich damit? Strebst du die Ziele des Buddhismus an und glaubst mit Hilfe psychotherapeutischer Ideen diese leichter/besser erreichen zu können oder strebst du im 'do-it-yourself' Modus psychotherapeutische Ziele an und glaubst diese mit Hilfe buddhistischer Ideen leichter/besser erreichen zu können?

    Das sind genau die Fragen, auf die ich versuche im Prozess eine Antwort zu finden. Ich würde gerade sagen: sowohl als auch. Auch wenn das für dich unbefriedigend oder als Rumgeeier erscheinen mag.

    Für mich ist das auch keine rein hypothetische Frage, sondern eine praktische und lebensnahe. Ich habe selbst schon therapeutische Prozesse erlebt und praktiziere Meditation - wenn ich auch nicht Mitglied in einer buddhistischen Glaubensgemeinschaft bin.

    Ich bin also gerade selbst dabei herauszufinden inwieweit beides ineinander greifen kann oder eben auch nicht. Aus meiner bisherigen - begrenzten - Erfahrung heraus würde ich sagen, dass sich beides befruchten kann. Das hängt natürlich sehr starkt vom Kontext ab und kann nicht verallgemeinert werden. Aber ich wollte doch erwähnen, dass mich die Frage wirklich beschäftigt.

    Bei der Psychoanalyse ist es ja so, dass es darum geht Unbewusstes bewusst zu machen, sich die eigene Lebensgeschichte anzueignen und dadurch von einengenden und leidvollen Mustern befreit zu werden.

    Dies geschieht in der klassischen Psychoanalyse unter anderem in der Übertragungssituation, das heißt dass Gefühle und Einstellungen, die man gegenüber wichtigen Bezugspersonen aus der Kindheit hegt, auf den Therapeut oder die Therapeutin übertragen und dadurch einer Bewusstmachung und Bearbeitung zugänglich werden.

    Es wäre interessant in welchem Verhältnis dies zur Methode der Meditation als Weg zur Befreiung steht und ob es da eine Resonanz gibt.

    Ich tippe mal, dass sich Hegel zu sehr auf den natürlichen Intellekt verlassen hat und wünsche allen, dass sie es besser machen als er.

    Nichtsdestrotz war Hegel ein Fuchs. ^^

    Ok, du versuchst also eine dritte Perspektive einzunehmen und die Objekte "Psychotherapie" und "Buddhismus" aus dieser zu betrachten. Inwieweit diese dritte Perspektive aber ggf. gar keine genuine dritte Perspektive ist, weil auch sie Ideen von "Psychotherapie" und/oder "Buddhismus" nutzt, bleibt ungeklärt.

    Natürlich. Ein komplett neutraler Standpunkt ist sehr wahrscheinlich eine Illusion. Wenn es darum geht Anschlusspunkte zwischen Psychotherapie und Buddhismus zu finden, kann man ja auch von der Warte des Buddhismus oder der Psychotherapie argumentieren.

    Und wenn du von "Synergien" sprichst, so scheint mir, dass du dann einen Nutzen/Zweck im Sinne haben musst, anhand dem du "Synergien" erst feststellen kannst. Was ist dann dieser Nutzen/Zweck? Der Nutzen/Zweck der Psychotherapie oder der Nutzen/Zweck des Buddhismus oder der Nutzen/Zweck eines dritten Systems?

    Der "Nutzen" wären ja die Ziele. Also wobei natürlich beide, die Psychotherapie und der Buddhismus, nicht von Nutzen sprechen und keine utilitaristischen Nutzenkalküle verwenden. Die Ziele sind anderer Natur denke ich.

    Ich verstehe deine Worte so, dass deine Sicht auf die Dinge geprägt ist von dem Wunsch dich einem philosophischen System anzupassen (eine "(Post-)Moderne [Sicht] ... nach Hegel"), um deine Erfahrungen in einem einheitlichen System zu integrieren.

    Hegel war der letzte Philosoph in der kontinentalen Philosophie, der den Versuch unternahm ein System zu entwerfen, das die ganze Welt erklären kann. Wenn man dem Systemgedanken folgt, führt das dazu, dass man Probleme mit Dissonanzen, Lücken, Rissen und Unstimmigkeiten hat, denn man möchte ja letztendlich doch alles in einer Einheit zusammenführen. Daran ist Hegel ja auch gewissermaßen gescheitert.

    Der Sachverhalt, dass die Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und Buddhismus im Subjekt notwendigerweise ein integriertes System erforderlich macht, ist von natürlichen Bedürfnissen aber eigentlich unberührt.

    Dieses theoretische System (etwa bei Hegel) ist natürlich etwas anderes als ein intuitives Bedürfnis nach Konsistenz und Kontinuität im eigenen Selbstbild. Das meinst du wahrscheinlich, wenn du von du von dem "notwendigerweise integrierten System im Subjekt" und kognitiven Dissonanzen sprichst. Nur ist der Widerspruch den du da zwischen Psychotherapie und Buddhismus konstruierst in meinen Augen zum Einen sehr abstrakt und zum Anderen muss er auch nicht zwingend in der Praxis wirksam werden. Das hängt von dem Kontext und vielen weiteren Faktoren ab.

    Vielleicht verstehst du ja als "sinnvolle Ergänzung" deine individuelle Zusammenstellung des Typs individuelle Zusammenstellungen von aus der Psychotherapie und/oder dem Buddhismus entliehenden Ideen zur Steigerung des individuellen Wohlbefindens.

    Ich nehme einfach die Ziele der Psychotherapie und des Buddhismus, also die (Wieder-)Herstellung von Autonomie und psychosozialer Integrität und das Erlangen von nibbana und frage, ob sich diese Ziele gegenseitig ausschließen oder im Rahmen der Verfolgung dieser Ziele vielleicht sogar Synergien entstehen können.

    Es ist sicher hilfreich, wenn Psychotherapeut und spiritueller Lehrer nicht gegeneinander arbeiten. Das heißt sie sollten dem jeweils anderen Bereich zumindest Akzeptanz entgegenbringen und im Idealfall auch ein Grundverständnis mitbringen, was im jeweils anderen Bereich passiert. Schädlich wäre es sicher, wenn sie sich gegenseitig ins Handwerk pfuschen, der Eine dem Anderen widerspricht oder dessen Methoden schlecht redet.

    Die Frage nach der Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und spiritueller Praxis läuft nach meiner Einschätzung auf ein integriertes einheitliches System hinaus. Das Subjekt erfährt ja dann parallel seine Psychotherapie und seine spirituelle Praxis und wenn diese für das Subjekt kein integriertes einheitliches System bilden, dann läuft das mit großer Wahrscheinlichkeit auf kognitive Dissonanz hinaus.

    Das mit dem einheitlichen System ist so eine Sache. (Post-)Moderne Menschen in einer funktional differenzierten Gesellschaft haben es da schwer, wenn sie den Anspruch aufrecht erhalten alle Erfahrungen zu einem einheitlichen System zu integrieren. Die Philosophie hat den Anspruch aufs System bereits nach Hegel aufgegeben. Die Frage ist, ob sich dieser Anspruch heute noch in der Alltagserfahrung der Menschen aufrecht erhalten lässt.


    Das Konzept der kognitiven Dissonanz ist ja selbst Teil des medizinisch-psychologischen Systems und damit in seiner Geltung durchaus begrenzt. Daneben gibt es die Systeme Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Erziehung, Religion, Recht, intime Beziehungen, Familie und was weiß ich noch. Diese Systeme funktionieren jeweils nach eigenen Logiken, die sich nicht ohne weiteres ineinander übersetzen lassen.

    Und nochmal: für mich geht es nicht darum ein einheitliches System aus Religion und Psychotherapie zu konstruieren, sondern die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung in den Blick zu nehmen. Dafür muss der Therapeut nicht zum Guru werden und der spirituelle Lehrer nicht zum Therapeut. Das kann personell durchaus getrennt sein.

    Das Zitat von mir ist etwas aus dem Kontext gerissen, Um die Frage geht es in dem Buch, das ich in diesem Thread vorstelle. Die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung würde ich nicht so kategorisch ausschließen. Man kann die Frage auch umformulieren:

    Kann die Heilung oder Genesung in psychotherapeutischer Arbeit durch eine gleichzeitig ergänzend stattfindende spirituelle Praxis befördert werden? Kann die spirituelle Entwicklung durch eine ergänzend stattfindende psychotherapeutische Arbeit befördert werden?

    Es geht nicht darum Psychotherapie und Buddhismus zu einem einheitlichen System zu integrieren. Die wissenschaftlich untermauerte Kunstlehre der Psychotherapie und die religiös-spirituelle Praxis können meiner Meinung nach durchaus unbeschadet nebeneinander bestehen.

    Jetzt kommt mir die Begründung auf Deinen Beitrag. Ich fühlte mich nie als Opfer, auch als ich eine Therapie in Anspruch nahm.

    Vielleicht ist das auch ein Grund, die Spiritualität vorzuziehen, wenn auch unbewusst.

    Das ist spannend. Meinst du dass dir die Spiritualität geholfen hat keine Opfermentalität zu haben? Ich vermute es ist da entscheidend, dass man sich selbst als wirksam erlebt, dass man das Selbstvertrauen in sich hat etwas bewirken und verändern zu können.

    An der Stelle möchte ich kurz ein paar Überlegungen zu Selbstkonzepten in der Psychoanalyse und Soziologie einfügen. Nach der Diskussion drüben in dem Thread Wahres Selbst ist mir klar geworden, dass es im Buddhismus ein Selbstkonzept gibt, das eher dem entspricht was wir heute Seele nennen würden. Das wird verneint. Das entstandene und vergängliche Selbst wird dagegen als Schein verstanden. Um das Entstehen dieses Scheinselbst zu verstehen und daran zu arbeiten, können meiner Meinung nach diese Perspektiven sehr hilfreich sein.

    Wiener Kreis für Psychoanalyse und Selbspsychologie::
     Das Selbst ist in erster Linie ein phänomenologischer Begriff, der die emotionale Verfasstheit des Menschen meint, aus der heraus die subjektive Art und Weise, wie er sich selbst und den Anderen erlebt, organisiert wird. Das Selbsterleben entwickelt sich in den frühesten Eltern-Kind-Interaktionen aber auch lebenslang in allen wichtigen Beziehungen. Es sind die Präsenz und Verfügbarkeit der Bezugspersonen sowie deren empathisch akzeptierenden Qualitäten im wechselseitigen Austausch, die unser Selbsterleben formen.

    Hier wird deutlich, dass dieses Scheinselbst nicht einfach nur eine individuelle Erscheinung ist, sondern in sozialen Beziehungen entsteht. Es besteht aus Verinnerlichung (Introjektion) von sozialen Beziehungen.


    Das Selbstkonzept des Pragmatisten G.H.Mead macht den Einfluss der Gesellschaft auf das Selbst deutlich.

    Selbstkonzept (Wikipedia)::
    George Herbert Mead hat das Konzept in Anlehnung an William James ausgebaut. Mead überträgt James’ Kategorisierung des Selbst in I und Me auf das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft: (a) Das Individuum erschließt sich zunächst durch Rollenübernahme die Perspektive anderer und letztlich der gesamten Gemeinschaft. Darüber entwickelt es ein Me bzw. eine Selbstwahrnehmung, die primär von gesellschaftlichen Verhaltensnormen geprägt ist. (b) Der konzeptuelle Unterschied des I liegt darin, dass es eine aktiv-schaffende Antwort des Individuums verkörpert: Es reagiert zwar ebenso auf eine durch Normen und Erwartungen konstituierte Situation, kann diese aber von sich aus verändern.

    Das sind durchaus prozessuale Konzepte, die auf emotionale Zustände und soziale Interaktionen Bezug nehmen. Es handelt sich bei diesen Selbstkonzepten also nicht um essentialistische Vorstellungen, sondern das Selbst wird gewissermaßen als eine geronnene Struktur verstanden die aus Prozessen entstanden ist und - laut diesen Konzepten - zu einem gewissen Maß auch wieder verflüssigt werden kann.

    Eine Rollenübernahme ist die Aneignung einer Person (lat. persona=maske).

    Rollenübernahme heißt bei Mead erstmal nichts anderes als sich in eine andere Person hineinversetzen - "taking the role of the other". Das ist nach Mead wesentlich für die Entstehung eines Selbst. Da geht es nicht um die Marx'schen Charaktermasken oder ähnliches, sondern um viel grundlegenderes.

    Korrekt, darum ist es ja zeitgenössich, materialistisch, atheistisch.

    Ich bin mir da nicht so sicher, ob das so eindeutig ist. Schauen wir zum Beispiel mal die Selbstpsychologie an.


    Das Selbst ist in erster Linie ein phänomenologischer Begriff, der die emotionale Verfasstheit des Menschen meint, aus der heraus die subjektive Art und Weise, wie er sich selbst und den Anderen erlebt, organisiert wird. Das Selbsterleben entwickelt sich in den frühesten Eltern-Kind-Interaktionen aber auch lebenslang in allen wichtigen Beziehungen. Es sind die Präsenz und Verfügbarkeit der Bezugspersonen sowie deren empathisch akzeptierenden Qualitäten im wechselseitigen Austausch, die unser Selbsterleben formen.

    Oder das Selbstkonzept des Pragmatisten G.H.Mead



    George Herbert Mead hat das Konzept in Anlehnung an William James ausgebaut. Mead überträgt James’ Kategorisierung des Selbst in I und Me auf das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft: (a) Das Individuum erschließt sich zunächst durch Rollenübernahme die Perspektive anderer und letztlich der gesamten Gemeinschaft. Darüber entwickelt es ein Me bzw. eine Selbstwahrnehmung, die primär von gesellschaftlichen Verhaltensnormen geprägt ist. (b) Der konzeptuelle Unterschied des I liegt darin, dass es eine aktiv-schaffende Antwort des Individuums verkörpert: Es reagiert zwar ebenso auf eine durch Normen und Erwartungen konstituierte Situation, kann diese aber von sich aus verändern.

    Da sehe ich keinen Materialismus drin. Das sind durchaus prozessuale Konzepte, die auf emotionale Zustände und soziale Interaktionen Bezug nehmen.

    Es wäre ja spannend nochmal genauer anzuschauen, was mit Selbst denn gemeint ist. Etwas unvergängliches. Aha. Dann ist alles was vergänglich schon mal kein Selbst.


    Zeitgenössische psychologische oder soziologische Konzepte zielen aber auf ganz andere Qualitäten eines Selbst. Das hat mit Unvergänglichkeit gar nichts mehr zu tun. In welchem Verhältnis steht die Buddhalehre zu diesen Qualitäten? Das fände ich auch spannend zu diskutieren.

    Zitat

    However, adds Peter Harvey, these texts do not admit the premise "Self does not exist" either because the wording presumes the concept of "Self" prior to denying it;

    Das habe ich halt auch gedacht. Wenn man nach einem Selbst sucht, muss man ja auch wissen, was ein Selbst ausmacht, also wonach man eigentlich sucht. Woher weiß man das denn, wenn es keins gibt? Oder ist das jetzt zu sophistisch?