Beiträge von 1173

    Schmidt-Leukel kommt zu folgendem Resümee:


    „Vergleicht man die Entwicklung pluralistischer Ansätze in den sechs religiösen Traditionen, so werden im Christentum, Judentum und Islam pluralistische Positionen anscheinend nicht nur öfter, das heißt von einer größeren Anzahl von Theologen und Theologinnen, sondern auch konsequenter, mit einer größeren inneren Entschlossenheit, vorgetragen. Angesichts des weit verbreiteten Klischees, östliche Religionen seien von Natur aus pluralistisch, mag dieses Ergebnis überraschen.“


    „Was die theoretischen Grundlagen des religiösen Pluralismus betrifft, so lassen sich offensichtlich durch alle religionsspezifischen Besonderheiten hindurch zwei große Gemeinsamkeiten ausmachen: Erstens die Bekräftigung, dass die letzte Wirklichkeit alle menschlichen Worte und Vorstellungen übersteigt. (...) Zweitens stimmen Pluralisten weitgehend darin überein, dass der religiöse Pluralismus sich von selbst empfiehlt, wenn man der tatsächlichen Realität des religiös Anderen, so wie wir ihr heute begegnen, hinreichend gerecht werden will.“


    „Um die allgemeine Plausibilität von verschiedenen Formen des religiösen Pluralismus zu erhöhen, muss die bloße Möglichkeit ihrer interreligiösen Akzeptanz in tatsächliche Wirklichkeit überführt werden. Das heißt, verschiedene Formen von von religiösem Pluralismus aus unterschiedlichen Religionen müssen im interreligiösen Dialog thematisiert werden, um so ihre Vereinbarkeit zu überprüfen.“


    „Mit anderen Worten, ‚Welttheologie‘ wird von den Religionen gemeinsam betrieben. Ihr Objekt, so Smith, ist der ‚Glaube‘ (‚faith’) in seinen vielen Formen.“


    Schmidt-Leukel setzt im Folgenden dazu folgende thematische Schwerpunkte:

    · Der Prophet und der Sohn

    · Der Sohn und der Buddha

    · Der Buddha und der Prophet

    · Auf dem Weg zu einer interreligiösen Schöpfungstheologie

    · Eine fraktale Interpretation religiöser Vielfalt

    Perry Schmidt-Leukel:


    „Der Mahayana-Buddhismus bietet etwas günstigere Voraussetzungen für die Entwicklung einer pluralistischen Position“.


    „Doch Makransky hat seinen inklusivistischen Ansatz in einem verblüffenden Maß erweitert und sogar die Möglichkeit eingeräumt, dass Nicht-Buddhisten manche Aspekte der letzten Wirklichkeit ‚durch ihre Art des Verstehens und der Praxis tiefer [erfasst haben], als es mir als Buddhist bisher gelungen ist, und zwar deshalb, weil sie keine Buddhisten sind.‘ (...) Meiner Meinung nach hat er sich mit diesem Eingeständnis einer pluralistischen Position stark angenähert, zumindest einer gewissen Form von potenziellem Pluralismus, der die Möglichkeit der Gleichwertigkeit anderer Religionen nicht ausschließt.


    Ähnliches lässt sich auch über die Position von Rita Gross (1943-2015) sagen. Auch sie war eine wissenschaftliche Expertin für tibetischen Buddhismus und zugleich praktizierende Anhängerin. Gross betont insbesondere die buddhistische Auffassung, dass religiöse Lehren auf der Basis ihres pragmatischen Wertes und ihrer spirituellen Wirksamkeit zu bewerten seien. Nach Gross gibt es keinen wirklichen Grund für die Ansicht, Erleuchtung sei allein auf Buddhisten beschränkt. Doch könne das Erreichen der Erleuchtung durch ‚buddhistische Lehren und Praktiken‘ einfacher werden. Sie räumt ein, dass dies ein inklusivistischer Standpunkt ist, doch will sie die Möglichkeit und sogar die Notwendigkeit interreligiösen Lernens nicht ausschließen. Dies impliziert jedoch, wie sie selbst schreibt, ‚dass keine Religion alle Antworten hat‘ - eine Haltung, die tendenziell über den Inklusivismus hinausgeht. (...) Was uns voranbringt, ist laut Gross die direkte Begegnung mit den Anhängern anderer Religionen, wenn wir uns dabei um ein tieferes Verstehen ihres Glaubens und ihrer religiösen Praxis bemühen.


    Einen anderen Schritt in Richtung Pluralismus vollzog Masao Abe (1915-2006) in den späteren Jahren seines Lebens. Abe ist ein weithin bekannter Vertreter des japanischen Zen-Buddhismus. Er reinterpretiert den dharmakaya in einer für den Zen-Buddhismus typischen Weise als ‚grenzenlose Offenheit‘ und ‚formlose Leerheit‘ und vertritt, dass jede Religion, gleich ob sie auf einem personalen Gott oder einem impersonalen Absoluten beruht, ‚über ihr substanzielles, selbstidentisches Prinzip hinausgehen und zur dynamischen, selbst-negierenden ‚Grenzenlosen Offenheit‘ als dem letzten Grund erwachen muss‘. Wie Abe betont, dürfe dieser Vorschlag nicht als neue Variante eines ‚buddhistischen Imperialismus‘ missverstanden werden. Vielmehr verdeutliche er damit, dass es für jede große Religion notwendig sei, über ihre jeweilige dogmatische Fixiertheit hinauszugehen, aber eben auch, dass jede hierzu die Fähigkeit besitze.“


    „Auch im Buddhismus des Reinen Landes sind inzwischen einige innovative Schritte in Richtung einer buddhistischen und pluralistischen Interpretation der religiösen Vielfalt angeregt worden. Alfred Bloom, ein US-amerikanischer Anhänger des Reinen-Land-Buddhismus, vertritt, dass alle großen Religionen vermittels ihrer unterschiedlichen personalen oder impersonalen Vorstellungen einerseits auf eine Wirklichkeit jenseits von Wort und Begriff verweisen, sich aber andererseits zu Recht und unvermeidlich durch ihre traditionsspezifischen Bilder und Ideen auf diese Wirklichkeit beziehen. Aus der Perspektive des Reinen-Land-Buddhismus können, so Bloom, diese unterschiedlichen Repräsentationen der letzten Wirklichkeit als barmherzige Mittel verstanden werden. Das heißt, die letzte Wirklichkeit, die im Buddhismus des Reinen Landes als Amida Buddha gesehen wird, bedient sich quasi selbst dieser Mittel, damit so die verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Kontexten die endgültige Befreiung erlangen können.“

    Perry Schmidt-Leukel:


    „Nach Smith brauchen wir eine ‚Theologie, die die Geschichte unserer Gattung auf eine Weise interpretiert, die unserem Glauben, dem Glauben von uns allen, intellektuellen Ausdruck verleiht ...‘. Diese Art von ‚Welttheologie‘ kann nur durch einen globalen, multireligiösen Diskurs erreicht werden, der die gesamte religiöse Geschichte der Menschheit als Quelle des Nachdenkens über die ewigen Menschheitsfragen betrachtet.“


    Schmidt-Leukel arbeitet nach pluralistische Aufbrüchen im Christentum auch entsprechende Ansätze im Hinduismus, Judentum, Islam, den chinesischen Religionen (Daoismus, Konfuzianismus) heraus - und natürlich auch im Buddhismus, der sich in dieser Hinsicht allerdings sperrig erweist:


    „Wiederum hat Vélez de Cea versucht, einen Weg zu finden, wie der Theravada-Buddhismus dieses Hindernis überwinden könnte. Er verweist dazu auf das Gleichnis von den Simsapa-Blättern aus dem Pali-Kanon: Genau wie eine Handvoll Simsapa-Blätter weniger ist als die Blätter aller Simsapa-Bäume in einem kleinen Wald, so hat auch der Buddha seinen Jüngern nur sehr wenige Dinge gelehrt und nicht alles, was er weiß. Er hat sie nur das gelehrt, was zur Befreiung notwendig ist. Der Sinn des Gleichnisses unterstreicht natürlich, dass die Vier Edlen Wahrheiten und der Edle Achtfache Pfad alles enthalten, was zur Befreiung ausreicht oder notwendig ist, während alles andere, was man ansonsten noch wissen kann, entweder ‚unzuträglich‘ oder ‚irrelevant für die Grundlegung des heiligen Lebens‘ ist, wie es der Text ausdrücklich erklärt. Vélez de Cea argumentiert jedoch, diese Auslegung folge einer dogmatistischen Haltung, die in Spannung zum nicht-dogmatistischen Ansatz stehe, wie er sich an anderen Stellen des Theravada-Kanons finde. Dementsprechend schlägt er vor, das Gleichnis von den Simsapa-Blättern anders zu verstehen, nämlich als eine Bestätigung dafür, dass der Dharma weit mehr umfasst als das, was der Buddha gelehrt hat, sodass sich möglicherweise in anderen religiösen Traditionen andere Aspekte des Dharmas finden lassen. Bevor sie nicht andere Religionen sorgfältig daraufhin untersucht haben, sollten Theravadins nicht einfach dogmatisch ausschließen, dass solch andere Aspekte des Dharmas ebenfalls für ein heiliges Leben relevant sein, also zur Befreiung führen könnten. Das scheint mir ein wichtiger, ebenso lohnender wie herausfordernder Vorschlag zu sein. Aber man muss abwarten, inwieweit Vélez de Ceas Auffassung unter Theravadins Zustimmung findet.


    Soweit ich sehe, gibt es (neben Vélez de Cea) im Theravada-Buddhismus bisher nur einen Denker, der eine pluralistische Position entwickelt hat, nämlich den Thai-Reformer Bhikku Buddhadasa (1906-1993). Er vertrat die Ansicht, dass sich die grundlegenden Mittel zum Erlangen des Heils nicht nur im Buddhismus, sondern auch in Christentum, Islam und Hinduismus finden, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und in unterschiedlichen Formen. Der Buddhismus legt die Betonung auf ‚Weisheit‘, das Christentum auf ‚Glauben‘ (was Buddhadasa als Vertrauen und Zuversicht interpretiert) und der Islam auf ‚Willensstärke‘. Die verschiedenen spirituellen Wege, die sich primär auf die Entwicklung je einer dieser drei spirituellen Eigenschaften konzentrieren, bilden eine innere Einheit, sodass trotz der verschiedenen Schwerpunkte letztlich alle drei Wege in jeder einzelnen der drei Religionen vorhanden sind. (...) Im Hinblick auf das Christentum vertritt Buddhadasa sogar, dass ‚die wenigen Seiten der Bergpredigt mehr als genug sind und alles enthalten, was man für die Praxis braucht, die zur Befreiung führt.‘ Dementsprechend betrachtet Buddhadasa Jesus als einen Buddha.“

    Perry Schmidt-Leukel:


    „Beim Verständnis von religiösem Glauben besteht Smith auf einer scharfen Unterscheidung zwischen dem ‚Glauben‘ als persönlicher Glaubenshaltung (‚faith‘) und und ‚Glauben’(‚belief’) oder ‚Glaubensinhalten‘ (‚beliefs’) als Bestandteil religiöser Traditionen.“


    „Hick schlug daher vor, den Ausdruck ‚Glaube‘ - also faith in dem Sinn, wie Smith den Begriff gebraucht - durch die Formel ‚Transformation von der Selbst-Zentriertheit zur Wirklichkeits-Zentriertheit‘ zu ersetzen, wobei ‚Wirklichkeit‘ (‚Reality’) oder einfach nur ‚the Real‘ (der/die/das Wirkliche) die transzendente Wirklichkeit bezeichnet, unabhängig davon, ob diese als eine personale oder als ein impersonale Wirklichkeit vorgestellt wird.“


    „Formulierungen der Glaubenslehre sind als solche nicht selbst geoffenbart, sondern entstehen aus den spezifischen Umständen, unter denen Menschen die Gegenwart des Göttlichen erfahren. Kurz, sie beschreiben nicht die göttliche Wirklichkeit selbst, sondern verweisen auf bestimmte menschliche Erfahrungen mit dem Göttlichen. Für John Hick, zum Beispiel, sind verschiedene Religionen nicht unterschiedlicher Ausdruck derselben Erfahrung, sondern Ausdruck unterschiedlicher Erfahrungen mit derselben göttlichen Wirklichkeit.“


    Im folgenden Absatz zitiert Schmidt-Leukel John Hick:

    „‚Unsere menschliche Natur, mit ihrer ganzen Bandbreite an unterschiedlichen Vorstellungen und Sprachen, ist so beschaffen, dass das Wirkliche, wie es in einer Vielfalt göttlicher Phänomene erfahren wird, aus unserer Perspektive gesehen wohlwollend oder gut ist.‘“

    Perry Schmidt-Leukel:


    „Wenn man religiös bedeutsame Wahrheit nicht mehr länger als etwas versteht, das nur auf die eigene Religion beschränkt ist, dann kann eine theologische Reflexion, die nach Wahrheit sucht, sich nicht länger damit zufriedengeben, nur auf die Quellen der eigenen religiösen Tradition zurückzugreifen.“


    ...“präsentiert eine neue Interpretation religiöser Vielfalt, wonach diese Vielfalt von fraktalen Mustern geprägt ist. Das heißt, die Vielfalt, die wir auf der globalen Ebene antreffen, spiegelt sich in gewissem Ausmaß in jener Vielfalt wider, die uns innerhalb der großen religiösen Traditionen begegnet, und gründet schließlich in der Vielfalt der religiösen Möglichkeiten, die der menschlichen Psyche und dem menschlichen Geist inhärieren.“


    „Zudem ist für Smith der Begriff ‚Religionen‘ hochgradig irreführend, weil er den Eindruck erweckt, es handle sich hierbei um stabile und unveränderliche Realitäten.“

    Ich habe vor, hier in lockerer Abfolge aus meiner Sicht bemerkenswerte Passagen aus obigem Buch zu zitieren.


    Schmidt-Leukel, ursprünglich katholischer Theologe, jetzt Mitglied der Anglikanischen Kirche, wurde vom damals zuständigen Münchner Erzbischof die kirchliche Lehrbefugnis entzogen, nachdem er in seiner Habilitationsschrift den Überlegenheitsanspruch christlicher Religionen relativiert hatte.


    Schmidt-Leukel vertritt einen religionstheologischen Pluralismus und ist besonders um den christlich-buddhistischen Dialog bemüht. (Siehe Schmidt-Leukel, P. (2017). Buddhismus verstehen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.)


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    Perry Schmidt-Leukel:


    „Der Ausdruck ‚religiöser Pluralismus‘ bezeichnet eine spezifische Theorie und Bewertung der religiösen Vielfalt. Und zwar geht diese Theorie davon aus, dass religiöse Wahrheit in einer Vielfalt von Formen existiert - und in gewissem Sinn existieren muss -, und stuft diese Formen trotz ihrer Verschiedenheit als gleichwertig ein.“


    „Demgegenüber vertritt der Pluralismus, dass es durchaus gültige Kriterien gibt, die eine begründete Bewertung von Religionen erlauben, dass aber auf der normativen Basis dieser Kriterien mehrere Religionen gleichermaßen gut dastehen, sodass keine von ihnen allen anderen offenkundig überlegen ist. Pluralismus ist also etwas ganz anderes als Relativismus.“


    „Während die Toleranz eine negative Bewertung dessen voraussetzt, was man toleriert, ist der religiöse Pluralismus Ausdruck einer positiven Bewertung. Beim religiösen Pluralismus geht es somit nicht um die Tolerierung anderer Religionen, sondern um ihre echte Wertschätzung.“

    PS: War Obiges verständlich? Bin mir nicht sicher...

    Bin nun sicher, dass es nicht verständlich war. Dennoch Dank an alle, die geantwortet haben.


    Das Problem scheint sich inzwischen auf einer anderen Ebene zu lösen...

    Wo es bei mir immer noch hakt:


    Dharmakara gelobt, ehe er seine 48 Gelübde formuliert, alle fühlenden Wesen zu retten, sollte er Buddhaschaft erlangen. In diesem allgemeinen Versprechen finden sich keinerlei Vorbedingungen, die die Wesen zu erfüllen hätten, um von ihm gerettet zu werden.


    Dharmakaras folgende 48 Gelübde wiederum beziehen sich m. E. nicht auf die Errettung der fühlenden Wesen, sondern auf seine Erlangung der Buddhaschaft. In ihnen setzt er sich im Sinne einer Selbstverpflichtung klare Kriterien, die er zu erfüllen gedenkt, schließlich auch erfüllt und damit zum Buddha Amida wird.


    Demzufolge verstehe ich allerdings auch das 18. Gelübde als Selbstverpflichtung Dharmakaras und nicht als Verpflichtung gerichtet an die Adresse der fühlenden Wesen: Aus diesem Gelübde ergibt sich zwar, dass jene fühlenden Wesen, die

    • mit aufrichtigem Herzen
    • in hoffnungsfrohem Vertrauen
    • und dem Wunsch, ins Reine Land geboren zu werden
    • bis zu zehnmal seiner gedenken

    tatsächlich ins Reine Land hingeboren werden - andernfalls hätte Dharmakara nicht Buddhaschaft erlangt; können diese 4 Punkte aber - gerade im Licht von Dharmakaras allgemeinem Gelübde, alle fühlenden Wesen zu retten - ohne Weiteres als ein Sine-qua-non für die Hingeburt interpretiert werden?


    Ich meine: nein! Und wenn doch, wäre es laut Shinran ja wohl Amidas Angelegenheit, „Nichterfüller“ entsprechend zu qualifizieren...


    Haarspalterei? Vermutlich...



    PS: War Obiges verständlich? Bin mir nicht sicher...

    Selbstverständlich wird auch von Honen Shinjin großer Wert beigemessen (da sind wir uns durchaus einig) - allerdings wohl kaum im selben Ausmaß wie von Shinran (und vor allem seinen modernen Interpreten, etwa Takamaro Shigaraki).


    Eine (in meinen Augen die) zentrale Passage aus Honens Einseiten-Testament mag dies belegen:


    "Es bedeutet einfach, Namu Amida Butsu auszusprechen in dem Bewusstsein, dass du mit Sicherheit in Amidas Reines Land hineingeboren wirst, wenn du es einfach nur sagst. Nichts anderes ist dazu erforderlich.


    Was die vier wesentlichen Haltungen betrifft, die vier Qualitäten des Übens usw.: All diese sind einbeschlossen in dem Gedanken, dass man durch Namu Amida Butsu mit Sicherheit in Amidas Reinem Land geboren wird."

    Shinjin wird einem offensichtlich geschenkt - oder eben nicht. Erfolgt dieses Geschenk einmalig-plötzlich (in voller Stärke) oder nach und nach in kleinen "Gaben" (prozesshaft)?


    Ich frage mich außerdem, ob mit dieser Fixierung auf Shinjin nicht der umfassende Erlösungswille Amidas geradezu konterkariert wird. Was berechtigt Shinran, diesen Abschnitt des 18. Gelübdes so extrem zu betonen - im Gegensatz zu Honen?

    KISS ist die einprägsame Abkürzung für "Keep it simple, stupid!"


    Ich halte viel davon. So finde ich es z. B. keineswegs notwendig, in einer einschlägigen Gruppe (die es hier ohnehin nicht gibt) Mitglied zu sein und ich bin generell vorsichtig "amtskirchlichen" Aggregationen gegenüber. Ob jemand einem Tempel angehört, über Ermächtigungen verfügt, mir meine Fortschritte bestätigt oder nicht, ist für mich schlicht zweitrangig.


    Ich sage gelegentlich das Nembutsu und lasse Amida sein Ding machen...

    1173 , bist du denn selbst Mitglied einer Jodo Shinshu Gruppe?

    Vielleicht kannst du mal erzählen, worin für dich der Hauptunterschied und Vorteil zu anderen buddhistischen Richtungen liegt?


    Nein, in meiner Wohnumgebung gibt es keine derartige Gruppe.


    Ich bin auf diese Richtung gestoßen (worden), weil jemand in meinem Umfeld eine Arbeit darüber verfasst hat. Den Hauptunterschied zu anderen buddhistischen Richtungen sehe ich in der Abkehr vom buchhalterischen Karma-Bilanzieren. Hier wird der Schritt von der kalten Gerechtigkeit zur liebevollen Güte und Barmherzigkeit vom Buddha her vollzogen. Gnade für alle auf Amida Vertrauenden heißt die Devise. Ich muss nicht als perfekter Heiliger leben, sondern darf sein, wie ich bin - siehe Startbeitrag. Anders ausgedrückt: Auf Amida vertrauen bedeutet, einen leichten Weg zu gehen; einen, den auch ich mir zutraue.

    Ich finde es schade, dass hier im Buddhaland und in Europa überhaupt offenbar so wenig Menschen einen Zugang zum Shin-Buddhismus oder zum Reinen Land-Buddhismus überhaupt finden. Tatsächlich wird diese Buddhismus-Ausprägung außerhalb Japans (wo sie die Mehrheit darstellt) mitunter recht scheel angesehen und ihr das Prädikat "Buddhismus" manchmal sogar abgesprochen.


    Nun ja - die Dinge sind bekanntlich im Fluss...

    Den folgenden Text stelle ich hiermit zur Diskussion:

    Shinjin

    Rev. Josho Adrian Cirlea (Englisches Original ins Deutsche übertragen von 1172)


    Mir fällt auf, dass einige Praktizierende aus anderen Traditionen oder mit Vorerfahrung in anderen Schulen, wenn sie manchmal mit mir über Jodo Shinshu reden, Shinjin (Vertrauen auf Buddha Amida) als einen besonderen Geisteszustand auffassen, der von ihnen erreicht werden müsste und schwer zu erreichen wäre. Vielleicht kommt dieser Trend von den Praktiken, die sie aus ihren jeweiligen Traditionen gewöhnt sind, wo etwas erreicht, gefühlt oder visualisiert werden muss.


    Aber Shinjin ist anders. Es impliziert nicht notwendigerweise einen besonderen Geisteszustand oder etwas Besonderes, das gefühlt oder erlebt werden müsste. Es bedeutet einfach, sich Buddha Amida anzuvertrauen.


    Ich verlasse mich auf Amida hinsichtlich Erlangung der Buddhaschaft in seinem Reinen Land. Das ist alles.


    Menschen sind im Allgemeinen hungrig nach besonderen Gefühlen und Empfindungen und denken, dass sie vielleicht keine wahren spirituellen Einsichten hätten, wenn sie nicht etwas Besonderes fühlen würden. Aber in Angelegenheiten, die mit Shinjin und der Errettung durch Buddha Amida zu tun haben, ist im Alltag kein besonderer Geisteszustand erforderlich.


    Die Ersterfahrung der Vertrauensbeziehung zu Amida nimmt Ihnen eine große Last von den Schultern - und zwar in dem Sinn, dass Sie sich nicht länger auf sich selbst verlassen müssen, um ein Buddha zu werden, ein wirklich Freier. Die Last der Befreiung trägt stattdessen Buddha Amida, der bereits Ihren Pfad gekreuzt hat. Sie können glücklich sein oder sich erleichtert fühlen, wenn Sie sich zum ersten Mal Buddha Amida im Hinblick auf das Erreichen der Buddhaschaft oder die endgültige Befreiung von Geburt und Tod anvertrauen, aber das bedeutet nicht, dass Sie Stunde für Stunde, Minute für Minute, Sekunde für Sekunde an Amida denken oder vor Freude ununterbrochen in die Luft springen.


    Unser Leben ist so, dass wir immer wieder von alltäglichen Problemen und Sorgen überwältigt werden. Aber das ist okay, es ist einfach okay, so zu sein. Wir müssen nicht immer vor Freude springen, weil wir von Amida gerettet werden. Trotzdem ist die Erlösung durch Amida immer gegenwärtig, da das einfache Vertrauen auf ihn bei uns bleibt, nachdem wir es erstmalig in unserem Herzen empfangen haben.


    Ich habe bereits in einem früheren Artikel erklärt, dass das Vertrauen, wenn einmal empfangen, wie Atmen wird: Immer da, obwohl uns das nicht ständig bewusst ist.


    Auf dem Jodo Shinshu-Pfad sind wir entspannt, weil wir keine besonderen Geisteszustände oder Qualitäten benötigen. Wir brauchen nicht anders zu sein, als wir bereits in unserem alltäglichen Leben sind - also gefangen in Anhaftungen aller Art. Wir müssen nicht weise sein; kurz gesagt: Wir müssen nicht anders sein, als wir bereits sind.


    Das liegt daran, dass Amida ALLES für uns macht.


    Zuflucht in Amida, Vertrauen auf Amida, das Rezitieren seines Namens sind nicht aus uns heraus wirksam oder wegen eines bestimmten Zustands oder einer bestimmten Qualität, die wir entwickeln sollten, sondern aus Amida. Sobald Sie das erkannt haben, können Sie beruhigt sein. In Jodo Shinshu entspannt sein bedeutet, alles Amida zu überlassen. Es ist Amidas Problem, uns zu retten und zu Buddhas zu machen.


    Unser Vertrauen ist ein Vertrauen auf Amida - nicht auf uns selbst oder auf das, was wir tun können, auf unsere eigenen Gefühle oder Geisteszustände. Es ist Vertrauen auf den Anderen, den Einen, der bereits ein Buddha ist, ein völlig Freier, der versprochen hat, dass alle unwürdigen, gewöhnlichen Menschen durch ihn die Buddhaschaft erlangen.


    Ich wiederhole: Da ich diesen Beitrag nicht aus Versehen schreibe, sondern auf Grund meiner Erfahrung mit Menschen, von denen ich glaube, dass sie ihn brauchen: Denken Sie nicht an etwas Besonderes in Bezug auf dieses Vertrauen!


    Denken Sie auch nicht, dass etwas mit Ihnen passieren müsste, wie zum Beispiel ein besserer Mensch, weiser oder wer weiß wie zu werden, nachdem Sie sich Amida anvertraut haben. Jodo Shinshu ist in erster Linie für Menschen gedacht, die ihr ganzes Leben lang in ihren Wahnvorstellungen und blinden Leidenschaften unverändert bleiben. Der Buddha hat keine Erwartungen an die Menschen, für die er seine Gelübde abgelegt hat. Es ist normal für gewöhnliche Menschen, voller blinder Leidenschaften zu bleiben.


    Wenn es scheint, dass Sie, nachdem Sie sich Amida anvertraut haben, jemandem wirklich Gutes oder Nützliches getan haben, denken Sie bitte, dass dies auf Amidas Einfluss zurückzuführen ist und denken Sie nicht, dass sie ein besserer Mensch geworden wären.


    Beschäftigen Sie sich nicht mit Tugend oder Untugend, vertrauen Sie sich einfach Amida an und tun Sie in Ihrem alltäglichen Leben, was Sie eben so tun - für sich und für andere.


    Jemand erzählte mir, dass er nicht schlafen könne und sich bemühe, Shinjin zu erlangen. Ich sagte ihm: „Entspanne dich, Shinjin bedeutet, dich einfach auf Amida zu verlassen; es ist nicht etwas, das du in deinem Kopf hervorbringen oder konstruieren solltest. Mach dir keinen Stress, vertraue dich einfach Amida an. Lass die Idee los, etwas Bestimmtes fühlen oder hervorbringen zu müssen. Vertraue dich einfach an.“


    Der menschliche Verstand ist so kompliziert - aber Shinjin ist einfach das Geschenk des Vertrauens-Bewusstseins, das Amida uns gibt, wenn wir uns ausschließlich auf ihn verlassen, um Erleuchtung zu erlangen.


    Wenn Sie sterben, werden Sie im Reinen Land bzw. im Einflussbereich von Amida geboren und werden selbst ein Buddha, aber bis dahin entspannen Sie sich und bleiben Sie, wie Sie sind. Es ist alles okay. Sie brauchen nichts in Ihrem wahnhaften Verstand zu konstruieren.


    Amida macht ALLES und verlangt NICHTS von Ihnen.


    Namu Amida Butsu.

    Das "Switchen" (Hin- und Herschalten) zwischen oft sehr divergierenden Gefühlslagen ist besonders bei Kindern, aber auch Erwachsenen weit verbreitet. Psychologen vermuten dahinter eine Schutzfunktion: Wenn etwas zu unangenehm/belastend wird, schaltet der Betroffene auf etwas anderes um.


    Dafür spricht eine Beobachtung, die ich in meinem Leben schon oft gemacht habe: Beim Begräbnis wird auf dem Friedhof von Angehörigen und Freunden Rotz und Wasser geheult; eine halbe Stunde später erzählen dieselben Personen beim Leichenschmaus im Wirtshaus einen Witz nach dem anderen...