Beiträge von Sudhana im Thema „Fragwürdiges Interview mit Dzongsar Jamyang Khyentse in "Buddhismus Aktuell"“

    Bevor wir uns verzetteln - das Thema hier sind doch nicht sexuelle tantrische Praktiken, so zweifelhaft einem so etwas erscheinen mag (was bei mir selbst zugegebenermaßen der Fall ist). Es wurde hier dankenswerterweise klar gestellt, dass das etwas Anderes ist Guru-Yoga, und dem wurde hier ja auch zumindest bislang nicht widersprochen. Das wäre also ein Thema für sich.


    Hier in diesem Thread geht es doch um Herrn Khyentses - wie soll ich es ausdrücken? - Verleugnung des Missbrauchs, der mit dem Schulungskonzept, 'Guru-Yoga', das den Schüler / die Schülerin komplett entmündigt und von ihm/ihr bedingungslose Unterwerfung fordert, mE praktisch vorprogrammiert ist. Nicht immer und in jedem Fall, aber grundsätzlich unvermeidbar. Es wäre mE sinnvoll, diese beiden Themen nicht miteinander zu vermengen.


    Ontopic: der kritische Punkt bei Guru-Yoga ist doch die Prüfung des Gurus vor Annahme der Samaya. Da frage ich mich, wie jemand, der selbst keine nonduale Einsicht erfahren hat, beurteilen soll, ob jemand anderes, der sich als Guru anbietet, eine solche hat oder einfach nur ein Maulheld ist. Und von welcher Tiefe ggf. diese Einsicht ist. Im Lotossutra heisst es: nur ein Buddha kann einen Buddha erkennen. Was auch heisst: ihn zweifelsfrei von einem Scharlatan unterscheiden. Für mich bedeutet das, dass die so oft als Voraussetzung der Unterwerfung angeführte 'gründliche Prüfung' nur ein Popanz ist. Das ist, wie wenn man einen Analphabeten das Kleingedruckte in einem Vertrag prüfen lässt, den er dann unterzeichnen soll.


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    Katholische Kirche: Chronologie sexueller Missbräuche - Politik - SZ.de


    Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche – Wikipedia

    Das ist ja bei weitem nicht Alles. Speziell zu dem "ungeheuer starken und positiven Einfluss auf die Welt, mit all den sozialen Projekten, der gelebten Nächstenliebe, der Arbeit in Krisenregionen, in caritativen Einrichtungen u.s.w." mal zwei Beispiele aus der jüngeren Geschichte, 20. Jahrhundert: die von der katholischen Kirche betriebenen irischen Verwahranstalten für ledige Mütter - ca. 15% der dort "betreuten" Kinder starben, über 9.000 insgesamt. Die aktive Beteiligung am kulturellen Genozid an den 'First Nations' in Kanada, wo man den Eltern die Kinder wegnahm und unter unmenschlichen Bedingungen in sog. 'residential schools' kasernierte. Erst letzen Monat wurde wieder ein Massengrab entdeckt, 751 tote Kinder, insgesamt schätzt man heute die Zahl der Opfer auf ca. 6.000. Gelebte Nächstenliebe. Lasset die Kindlein zu mir kommen ... Je tiefer man taucht, um so größer zeigt sich der Eisberg ...

    Dominiert das die Nachrichten? Den Eindruck habe ich nicht ...


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    Dort ist es aber immer eine Form von Paarretreat für Paare auf Augenhöhe.

    Echte Praktizierende haben fast immer einen festen Partner auf "spiritueller Augenhöhe",

    Ja. So kenne ich das von Lama Tilmann Lhündrup Borghardt, der das gemeinsam mit seiner damaligen Frau (bevor beide ordiniert wurden) unter Anleitung von Gendün Rinpoche praktiziert hat. Nicht mein Ding, aber davon abgesehen mE völlig in Ordnung. Aber: das ist dann auch kein Guru-Yoga. Und darum geht es hier - da ist eben keine "Augenhöhe". Und bei Guru-Yoga ist, wenn man Herrn Khyentse glaubt, alles erlaubt. Mein Freund Tenzin Peljor widerspricht hier (Link geht zu facebook), mit Verweis auf Quellen, leider nur auf Englisch. Aber der ist Gelug, und das sind ja bekanntlich notorische Spassbremsen ...


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    @kilaya : mir ist nicht bewusst, dass ich hier eine Generalverurteilung von Lamas oder generell des tibetischen Buddhismus formuliert hätte. Es ging ganz konkret um Dinge, die Herr Khyentse in dem Interview rechtfertigt und verteidigt. Krassestes Beispiel:

    Zitat

    F: Was sollen Lernende tun, wenn ihr Meister [...] körperliche Gewalt gegen seine Schülerinnen und Schüler ausübt oder sie vergewaltigt?

    A: Wenn sie diesen Menschen [...] als ihren Guru angenommen haben, dann werden sie sein Verhalten [...] was auch immer er tut, nicht als unangemessen ansehen. Denn inzwischen hat sich ihre Projektion, ihre Wahrnehmung verändert.

    Also: Vergewaltigung ist nur eine "Projektion". Gut, dass das mal jemand sagt - könnte hilfreich sein, wenn man wegen sexueller Nötigung mal vor Gericht steht. Ob diese "Argumentation" da zieht, ist freilich eine andere Frage. Oder es ist halt nur eine "Wahrnehmung", die sich ändert, wenn man nach Prüfung einen Guru annimmt. So läuft und lief es ja auch offensichtlich bei den Rigpa-Mitgliedern, die jetzt Herr Khyentse dank seiner Fürsprache für Herrn Lakar unter seine Fittiche genommen hat. Machen wir uns nichts vor - da ist schlicht von Gehirnwäsche die Rede.


    Wer als Buddhist nicht deutlich auf Distanz geht, wenn solch ein menschenverachtender Unsinn und religiöser Obskurantismus als "Buddhismus" ausgegeben wird, den sehe ich in der Tat in einer Mithaftung. Gleich, ob er einer tibetischen Tradition angehört oder nicht.


    Was sexuellen Missbrauch in anderen buddhistischen Traditionen angeht, so stelle ich den nicht in Abrede. Das geht aber völlig an der Sache hier vorbei - das tibetische Vajrayana hat eine Sonderstellung insofern es da Lehrer gibt, die ihn nicht nur entschuldigen, sondern sogar als eine buddhistische Praxis rechtfertigen und sich dabei auf 'klassische' Texte berufen. Einer davon ist ganz konkret Herr Khyentse, um den es in diesem Thread geht.


    ARYA DHARMA : obwohl Du es ausdrücklich zitiert hast - offensichtlich hast Du in dem Satz das "nur" überlesen. Und ja, ich beschäftige mich schon lange genug mit dem Buddhismus um mich noch an Zeiten zu erinnern, wo öffentlich (z.B. in den 'Lotosblättern', Vorgänger der 'Buddhismus Aktuell') von 'Experten' behauptet wurde, den vamamarga gäbe es nur im hinduistischen Tantrismus, im buddhistischen würde sexuelles Tantra ausschließlich ("nur") in Form von Visualisierung praktiziert. Was ich aus dieser Zeit mitgenommen habe ist der Eindruck bewusster Täuschung und Irreführung über dieses kontroverse Thema.


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    Nondualismus lässt sich nicht lehren und nondualistisch handeln geht schon gar nicht. In der Leere gibt es keine Moral, aber es gibt auch keinen moralisch oder amoralisch Handelnden, kein moralisches/amoralisches Subjekt und kein zugehöriges Objekt des Handelns. Jemandem, der sich der Zentradition zurechnet, sei dringend angeraten, sich insbesondere nach seinem ersten kensho eingehend mit Hyakujos Fuchs zu befassen. Entweder in der Koan-Arbeit mit einem/r qualifizierte/n Lehrer/in oder im Studium "mit ungeteiltem Körper und Geist", wobei Dogens Shobogenzo Daishugyo und Shobogenzo Jinshin Inga reichlich Hinweise geben. Und wenn man noch kein kensho erfahren hat, hält man zu dem Thema besser die Klappe, dann weiss man nämlich nicht, wovon man redet. Da hilft es auch nicht, wenn man das Herzsutra auswendig hersagen kann.


    Was die Deutschlandfunk-Sendung angeht - das ist das übliche ass-covering, was der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten aufgetischt wird und dabei zunehmend fadenscheiniger und unglaubwürdiger wird. Sexuelles Tantra, Karmamudra nur als "Visualisierung". Diesen bullshit habe ich auch mal geglaubt - vor 20 Jahren. Die Realität, immer schön als 'Skandal' deklariert, als bedauerliche Fehltritte Einzelner, lehrt einen da eine realistischere Sicht. Ich weiss nicht, ob das früher in Tibet anders war und wie viel ungewollte Schwangerschaften es in der Umgebung der Klöster gab. Aber insbesondere im Westen gilt: wo ein Trog ist, sammeln sich die Schweine. Und der Trog ist randvoll mit Geld und der Bereitschaft zu sexuellen Gefälligkeiten, es braucht nur das passende Marketing dazu. Je exotischer, desto besser.


    Der Guru trinkt nicht nur Schnaps, der Guru ist auch geil. Wenn er Dir an die Wäsche geht, dann geht es dabei garantiert nicht um Deine Erleuchtung - so funktioniert das nun mal nicht. Und ein Herr Khyentse redet den Leuten ein, das sei nur ihre "Projektion". In der deftigen Sprache der Landbevölkerung hier gibt es dafür die Metapher "jemandem eine Fotze auf die Backe malen". Nein - Projektion ist da was ganz anderes. Nämlich der Glaube, jemand der Andere sexuell und/oder materiell ausbeutet, sie schlägt und vergewaltigt, sei erleuchtet und tue dies nur zu ihrem Besten. Und das ist keine heilsame Projektion. Es ist ein Witz - wäre er nicht ernst gemeint und wäre es nicht so traurig, dass es Leute zu Hauf gibt, die sich solch einen Blödsinn andrehen lassen, könnte man sogar darüber lachen.


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    Zitat

    Ich fand die Idee, das Interview unkommentiert zu veröffentlichen, ausgesprochen amüsant und passend - so schön wie Herr Khyentse hat sich bislang noch niemand in der 'Buddhismus Aktuell' selbst demontiert. Wer da nicht merkt, wes Geistes Kind diese Sorte "Lehrer" ist, dem ist so oder so nicht mehr zu helfen. Auch nicht mit einem Kommentar.


    Das Interview hat ja eine Vorgeschichte - zum Kontext, in den ich das einordne, komme ich gleich. Was von Herrn Khyentse zu halten ist, wissen diejenigen, die den 'Fall' Sogyal Lakar verfolgt haben, jedenfalls spätestens seit 2017, siehe hier. Mittlerweile ist Herr Khyentse unter den tibetisch-buddhistischen Lamas, die in Rigpa-Zentren lehren, neben Ringu Tulku der wohl prominenteste. So qualifiziert man sich .


    Die Chefredakteurin der 'Buddhismus Aktuell', Frau Susanne Billig, hatte bereits bei einer früheren Gelegenheit Herrn Khyentses öffentlich geäußerte Ansichten kommentiert - worauf sich Frau Doris Wolter, Rigpa-Mitglied und langjährige Koordinatorin des Studienprogramms der DBU, zu einem Kommentar des Kommentars veranlasst sah, der (anders als andere Kommentare) ebenfalls online gestellt wurde. Besonders pikant an dieser Erwiderung Frau Wolters natürlich der Vorwurf an Frau Billig von "Verunglimpfungen der tibetisch-buddhistischen Lehre und Lehrer". Wobei zumindest ich die Quelle solcher Verunglimpfungen dann doch woanders verorte. Und unmittelbar darauf: "Ich würde mir an solcher Stelle eine bessere Prüfung solcher Beiträge durch die DBU wünschen." Nur so als Anmerkung: Frau Wolter sei geraten, sich etwas mit dem Grundsatz journalistischer Unabhängigkeit auseinanderzusetzen; die DBU ist zwar Herausgeber der BA, aber keine Zensurstelle und die Detailkompetenz liegt selbstverständlich bei der Redaktion.


    Nun ja, nun hat Herr Khyentse also völlig unbehelligt von Kommentaren und auch ohne Prüfung durch die DBU seine Weisheiten in der BA öffentlich verbreiten dürfen. Und die BA hat damit unmissverständlich offen gelegt, welche Lehren bei Rigpa aus dem Skandal um Herrn Lakar gezogen wurden - nämlich offensichtlich keine.


    Nachdem ich den oben stehenden Text auf Facebook veröffntlicht hatte, hat sich auch Frau Billig dort zu Wort gemeldet:


    Zitat

    Gerne möchte ich als Interviewerin und als Chefredakteurin von BUDDHISMUS aktuell dazu Stellung nehmen. Wer das Interview auch nur einigermaßen aufmerksam liest, wird leicht feststellen: Ich ziehe Fragen aufwerfende Stellen aus einem Buch, das lange auf dem Markt ist, ohne dass eine breitere Öffentlichkeit über die gewidmeten Schülerinnen und Schüler hinaus es zur Kenntnis nimmt. Ich mache diese Stellen öffentlich, indem ich beim Autor kritisch nachfrage und ihn bitte, dazu Stellung zu nehmen. Er hätte sich entscheiden können, sich von seinen Aussagen zu distanzieren oder deutlich zu machen, dass es sich um Ironie gehandelt hat. Er hat sich aber dazu entschieden, seine Aussagen zu bekräftigen. Das stelle ich den Leserinnen und Lesern vor. Ja, unkommentiert: Weil wir alle in der Lage sind, selbst zu denken. Also bitte das jetzt nicht in die Schublade legen: "Die DBU bietet ein Forum." Ich bin Koordinatorin der Ethik-AG der DBU und auch als solche selbstverständlich daran interessiert, die öffentliche Wahrnehmung zu schärfen. Kontaktiert den Buchautor, fragt nach, geht in die Debatte dort, wo so gedacht oder vielleicht noch nicht genug nachgedacht wird – das wäre in meinen Augen eine sinnvolle Reaktion. Hinzufügen möchte ich noch, dass das Buch durchaus auch sehr lesenswerte Passagen hat, beispielsweise lange und in dieser Art in der Literatur selten zu findende Reflexionen darüber, wie Menschen ihren Lehrer, ihre Lehrerin prüfen sollten, bevor sie sich ihnen anvertrauen. Es ist also nicht alles nur entweder so oder so, sondern vielschichtig – und darum brauchen wir vielschichtige, komplexe Beschäftigungen und Auseinandersetzungen mit diesen Themen.

    Da Frau Billig die Rolle, die Herr Khyentse bei Rigpa spielt, nicht weiter thematisiert hat (auch in der BA wurde nicht darauf hingewiesen), habe ich mich auch speziell dazu geäußert - Bezug nehmend auf den hier schon erwähnten Frank Hendrik Hortz, der von einem "Skandal" gesprochen hatte:


    Zitat

    Es ist auch meine Einschätzung, dass das ein Skandal ist. Aber es ist kein Skandal um die BA, sondern - wieder einmal - um RIGPA. Das ist religiöser Obskurantismus übelster Art und RIGPA bietet ihm in unheiliger Tradition einen institutionellen Rahmen. Da stellt sich die Frage, wie ernst RIGPA selbst das Versprechen der Erneuerung (https://www.rigpa.org/rigpa-erneuert-sich) nimmt, insbesondere die Verpflichtung, eine sichere Umgebung zu schaffen. Wie passen solche Aussagen wie die in dem Interview geäußerten zum 2018 verabschiedeten Verhaltenskodex von RIGPA? Nimmt Herr Khyentse eigentlich "an regelmäßigen Fortbildungen zu ethischem Verhalten" teil, "die Themen wie das Erkennen von Fehlverhalten" beinhalten? Das, so versprach der Verhaltenskodex, sei verpflichtend(!) für "Lehrer*innen, Kursleiter*innen und alle, die Rigpa repräsentieren, auf welcher Ebene auch immer". Und hier: https://www.rigpa.de/ueber-uns/wer-wir-sind/ wird Herr Khyentse an erster Stelle unter "Tibetisch buddhistische Lamas, die in Rigpa-Zentren lehren" aufgeführt. Wenn sich RIGPA auch nur einen Rest Glaubwürdigkeit bewahren will, sollte man sich schleunigst von solch einem "Lehrer" distanzieren. Oder ist das, was Herr Khyentse da verzapft etwa das, was RIGPA unter dem Slogan "Wisdom for Society" versteht? Rigpa: eure Bewährungsfrist ist noch nicht abgelaufen ...


    Zusammenfassend: das Interview erfüllt seinen Zweck. Es wirbelt den Staub wieder auf, den Viele wohl schon unter den Teppich gekehrt glaubten. Und das, indem man einfach nur Herrn Khyentse zu Wort kommen ließ und seine Äußerungen durch niemand anderen als seine Verteidigerin Doris Wolter übersetzen ließ - eine besonders gelungene Ironie, wie ich finde.


    Haltet Ihr es tatsächlich für sinnvoll, jetzt über die die BA bzw. deren Redaktion herzuziehen? Wo liegt denn wirklich das Problem? Doch wohl eher bei den Leuten, die jemanden wie Herrn Khyentse für einen seriösen buddhistischen Lehrer halten und ihm ein Podium als Guru bieten.


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