Beiträge von Himmelsbaum im Thema „Es gibt keinen authentischen Buddhismus“

    Ziele sind ja vielleicht nicht immer die wirklichen Ziele sondern nur geschickte Mittel - Scheinziele


    Dies ist denke ich ist ja auch die Kernaussage von meinem Zitat aus dem Lotus-sutra. Das nirvana des Lotus-sutra ist das wirkliche Ziel und das nirvana des Hinayana, Sravakayana und/oder Theravada ist nur ein geschicktes Mittel. (Oder Lüge wie ich sage würde.)


    Etwas kann einen ja auch auf dem Weg zu dem Heilsziel Nibbana zuverlässig ein Stück weiterbringen ohne dass es dieses erreicht.


    Richtig. Wie zum Beispiel der Katholizismus, Daoismus usw. Letztendlich jedes System - sei es Religion oder Lebensweise -, das heilsam ist. Daher stimme ich dir auch bei dem folgenden Zitat zu:


    Vom Weg und den konkreten Wirkungen religiöser Praktiken auszugehen, ist auch viel zu schammig, als dass es groß etwas bringen würde.


    Zum Abschluss:


    Wenn Ziele Scheinziele und Soterilogien Schein-Soteriologien sein können, macht es dann Sinn diese zum Hauptkriterieum zu machen?

    Kommt auf den einzelnen Übenden an. Wer "nur" ein guter Mensch sein möchte, der praktiziert die 5 buddhistischen Tugendregeln, die 10 christlichen Gebote, das deutsche Grundgesetz o.ä. Will ich aber mehr und auch nicht nur glauben, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dann finde ich es äußerst wichtig, Scheinziele von Zielen unterscheiden zu können. Immer noch geschrieben im Modus des Hypothetischen.


    Möchte ich nach Usa 宇佐市 in Japan, dann ist auch der bequemste Flieger mit toller Beinfreiheit Richtung USA falsch für mich. Will ich dies erst beim Aussteigen merken?

    Statt von einem kleinen Pfad auszugehen


    Mir scheint, uns interessieren in diesem Faden unterschiedliche Dinge. Du redest viel von Weg und ich mehr vom Ziel. Aber dann wieder schreibst du ...


    die Heilsziele also eine breitere Bandbreite gewonnen haben


    ... und dann mag der Schein doch trügen. Sind wir noch auf dem gleichen Blatt Papier oder nähern wir uns zumindest diesem von unterschiedlichen Seiten an?


    Zum breiteren Heilsziel: Die Pali-Lehrreden erklären den Buddha als die eine Person, die gekommen ist zum Glück der Vielen, aus Mitgefühl für die Welt, Lehrer der Götter und der Menschen. Damit ist klar, nicht alle seiner Schüler streben hier und jetzt nach dem Heilsziel. Die spezifische Ausrichtung auf das Heilsziel ist dem soteriologischen Pfad zu eigen - diesem folgen allerdings nur einige Ordinierte. Andere richten sich aus auf ein moralisches Leben oder gute Wiedergeburt - dies wird manchmal karmischer Buddhismus genannt. Ebenso gibt es einen apo­tro­pä­ischen Buddhismus, der wiederum andere Aufgaben erfüllt als der nirvanische Buddhismus bzw. soteriologische Pfad usw. All dies hat Platz im anthropologischen Theravada und größtenteils auch im Theravada der Großen Tradition. Es bleibt aber dabei, dass es im Theravada nur ein Heilsziel gibt. In einer guten Wiedergeburt liegt kein Heil, genau so wenig wie im Schutz gegen böse Geister.


    Würdest du obiges als Heilsziel mit breiterer Bandbreite benennen oder eher so wie ich?

    So lässt sich der Dharma, die Lehrreden als einen Kompass betrachten ...


    Klingt gut, aber die Landmarken zeichnen doch ganz unterschiedliche Wege.


    In den alten Lehrreden heißt es, man muss Sex aufgegeben haben und erst dann ist Erleuchtung möglich. Bei anderen, ganz salopp gesagt, geht es dann erst richtig los. In Teilen des Theravada ist das Trinken von Alkohol ein ganz sicheres Zeichen noch nicht in den Strom eingetreten zu sein. Andere Konfessionen kennen Stromeintritt (in dieser Art) gar nicht und ein wenig Alkohol hat noch niemanden geschadet.

    Woher kommt so eine Verschiebung des Heilziels?


    Ich erkläre mir dies u.a. anhand der Geschichte von Buddhas Begegnung mit Brahma Sahampati vor seiner Lehrtätigkeit. Dem Buddha war klar, dass er zu einer radikalen Wahrheit erwachte und daher entstanden ihm Zweifel, ob irgendjemand dies anstreben, verstehen oder auch nur hören will. Vollkommen berechtigter Einwand finde ich. Sahampati meinte dann, ach komm schon, für Buddha chill 佛系 ist es noch zu früh. Wenn du es lehrst, werden sie schon kommen und verstehen.


    Einige wenige haben es dann tatsächlich verstanden, aber selbst für viele oder sogar die meisten Buddhisten, ist Buddhas dhammavinaya zu radikal.


    Diese Geschichte wird oder muss sogar anders interpretiert werden, wenn das eigene Bezugssystem das Bodhisattva-Konzept enthält, wie es im Theravada und Mahayana der Fall ist. Hier noch einmal explizit der Hinweis, dass der bodhisatt(v)a kein Alleinstellungsmerkmal des Mahayana ist. Im Theravada wird die Geschichte wie folgt interpretiert: natürlich wollte der Buddha schon immer seine Lehrtätigkeit aufnehmen, dies ist ja ein Kennzeichen eines bodhisatta, aber er wollte dem Brahma Sahampati nicht die Möglichkeit verwehren, etwas äußerst heilsames zu tun: nämlich ihn bitten, zu lehren.


    Es ist ja auch so, dass eine minimal Abweichung im Laufe der Zeit große Unterschiede ausmachen kann. Weiche ich 1 Grad von meinem Kurs ab, dann ist die Differenz nach 100m noch ziemlich gering, aber nach 1000km bin ich schon woanders als ursprünglich geplant. Finden beim Gehen des Weges aber kontinuierlich minimale Abweichungen von 1 Grad statt, dann kumulieren sich diese zu einer enormen Abweichung. Es bedarf nicht immer viel, um am Ende viel zu haben - Zinseszins.

    Das hab ich bereits geschrieben - wir haben authentische Übertragungslinien vorliegen.


    Ich hab's nicht gefunden. Wie wird bezeugt, dass diese Übertragungslinien authentisch sind?


    Ein Beispiel: Vimalaramsi sieht sich selbst als Lehrer, der so lehrt, wie es der Buddha damals tat. Und weil er lehrt wie der Buddha, ist die Praxis mit ihm so effektiv und führt zu schnellen Resultaten. In Meditationsretreats teilt er den Teilnehmern dann mit, dass sie die Vertiefungen erlangt haben. Das Erlangen der Vertiefungen gilt gleichzeitig wiederum als Beweis für die Authentizität seiner Belehrungen. Weil sonst würde man ja nicht so schnell Fortschritte machen. Selbstauthentifizierung kann halt auch Selbstbetrug sein. Denn die Vimalaramsi-Vertiefungen sind eben nicht gleich den Vertiefungen, wie sie in den Lehrreden beschrieben werden. (Sollte sich hier jemand bzgl. der Aussagen über Vimalaramsi gestört fühlen, dann einen neuen Faden aufmachen, hier diskutiere ich dies nicht.)


    Eine Zwei-Faktor-Authentifizierung ist einer einseitigen Stütze auf eine Übertragungslinie immer vorzuziehen.


    Er begenete ja sehr vielen Menschen mit unterschiedlchem Hintergrund und er achtete darauf, jeden in seiner eignen Sprache und Denkart anzusprechen.


    Das Beispiel mit Sona bezieht sich auf die Praxis, den Weg und nicht auf Doktrin und das Heilsziel. Das vermische ich nicht. Buddha hat in seinen alten Lehrreden klar gemacht, dass nur ein einziger Weg zum Heilsziel führt: der edle Achtpfad. Ebenso hat er klar gemacht, dass man diesen Weg unterschiedlich gehen kann: schnell und leicht, mühevoll und langsam usw. Aber wir reden hier ja vom Ziel und nicht vom Weg. Natürlich kann ich zu Fuß pilgern oder aber mit der Bahn fahren - welcher der beiden Fahrzeuge schneller ist, sei einmal dahin gestellt. Es kann aber auch sein, dass wir gar nicht in der gleichen Stadt ankommen.


    Das Ziel des Buddhismus ist die Befreiung von Gier, Hass und Verblendung.


    Ich erwarte schon, dass man dies dann ähnlich beschreibt und sich daraus die selben Konsequenzen ergeben. Vor Jahren zitierte ich in meinem Mahayana und die Anderen aus dem Lotus-sutra:


    Zitat

    Als ich sah, daß die,

    Die jeweils den Weg erstrebten,

    Mitten auf der Straße müde wurden

    Und nicht fähig waren, den steilen Weg

    Von Leben und Tod und Verblendung zu überqueren,

    Lehrte ich mit der Kraft des geschickten Mittels,

    Damit sie ausruhen können, das Nirwana.

    Ich sagte, daß eure Leiden ausgelöscht

    Und daß ihr euer Werk bereits vollendet habt.

    Als ich erkannte, daß ihr beim Nirwana angelangt

    Und alle die Arhatschaft erlangt hattet,

    Versammelte ich die große Schar

    Und predigte das wahre Gesetz…

    Nun lehre ich euch die Wahrheit.

    Das, was ihr erlangt, ist nicht das Nirwana.

    Dies ist aus dem Gleichnis der Zauberstadt. Die Nicht-Mahayanin sind also in der falschen Stadt ausgestiegen und merkten es nicht. Fälschlicherweise dachten sie, ihre Leiden wären ausgelöscht. Ist diese Zauberstadt nach dem Buddha authentischer Dharma, weil authentisches Nirvana ist sie nicht.


    Im Theravāda leitet sich aus der Befreiung von Gier, Hass und Verblendung als Konsequenz die Nicht-Wiedergeburt ab. Dies scheint auch für die Vaibhāṣikas, aber zumindest nicht für alle Mahayana-Konfessionen, zu stimmen:


    Dalai Lama; Chodron, Thubten (2018): Saṃsāra, Nirvāṇa, and Buddha Nature:

    Within Buddhism there are two positions regarding this question. Some Vaibhāṣikas say that when an arhat (someone who has attained liberation from saṃsāra) passes away (attains nirvāṇa without remainder of the polluted aggregates), the continuum of the person ceases to exist, like the flame of a lamp going out due to lack of fuel. (…)


    Furthermore, there is nothing that can eradicate the mindstream — the continuity of mind. The wisdom realizing selflessness eradicates afflictive obscurations, but it cannot destroy the clear and cognizant nature of the mind. For this reason Mādhyamikas and most Cittamātrins assert that after a person attains parinirvāṇa — the nirvāṇa after death — the continuum of the purified aggregates exists. These purified aggregates are the basis of designation of that arhat; thus the person does not cease to exist when he or she attains parinirvāṇa. Motivated by compassion, bodhisattvas who have overcome afflictive obscurations continue to take rebirth in cyclic existence. The continuity of buddhas’ mindstreams also remain forever. {Dalai Lama 2018 #2697D: 39–40}


    Ich kann die beiden obigen Aussagen für mich nicht als ein und dasselbe Heilsziel auffassen. Sowohl der Dalai Lama als auch das Lotus-sutra selbst stellen die Nicht-Gleichheit fest.


    So kann man sich doch leicht vorstellen, dass das Konzept "Buddhanatur" bei Menschen hilfreich sein kann. Indem sie im Hier und Jetzt verharren und dabei nicht Gier und Hass aufkommen lassen, nähern sie sich deren Verminderung an. Aber man kann sich auch Risiken und Nebenwirkungen vorstellen: Also zum Beispiel jemand, der in Buddhanatur eine innere Essenz - eine Form des Atman zu sehen beginnt. Das Festhalten an dieser Vorstellung kann zu einem Hindernis und einer Sackgasse werden.


    Aber im Kontext der geschickten Mittel müsste doch auch der Umkehrschluss gelten, oder nicht? Buddhanatur als Hindernis und Sackgasse und ein Seelen-Atman als hilfreich für die Minderung von Gier und Hass.

    Hilft der Begriff "authentisch" weiter oder ist er eher hinderlich?


    Könnte das Hochhalten der Frage, was authentisch ist, praktiziertes Mitgefühl sein? Ich schweife mal wieder ins Hypothetische:


    - falls man Authentizität feststellen kann und

    - falls es verschiedene Heilsziele gibt von denen einige innerhalb Buddhas Rahmen fallen und einige außerhalb,


    dann finde ich die Frage hilfreich. Im Fußball gibt es die schöne Weisheit: knapp daneben ist auch vorbei. Falls ein Menschenleben wirklich kostbar ist und man sich mit "irgendwas mit Buddhismus" beschäftigt, will man dann einfach weiter so knapp daneben hauen oder zumindest mittels der Authentizitätsfrage einmal innehalten und eine Bestandsaufnahme vornehmen. Das Hervorbringen der Frage könnte zum großen Zweifel führen und den Samsara-Geist zerschmettern.


    Ich gehe mit Einschränkungen davon aus: das Christentum funktioniert und ist heilsam, der Daoismus funktioniert und ist heilsam usw. Aber nicht alles, was heilsame Wirkungen hervorbringt, ist auch authentischer Buddhadharma:


    Dalai Lama; Chodron, Thubten (2017): Approaching the Buddhist Path:

    changing the teachings of the Buddha that describe duḥkha, its origin, its cessation, and the path to nirvāṇa would alter the fundamental perspective and principles of the Buddhadharma, making it no longer the teachings of the Buddha. {Dalai Lama 2017 #2699D: 251}

    Buddhas Achtpfad der Edlen beginnt mit rechter Ansicht. Für mich gehört die Authentitzitätsfrage auch dazu und daher empfinde ich die Frage - über den Begriff kann man vielleicht diskutieren - als hilfreich.

    Buddha vergleich sich teilweise mit einem Arzt. Ein Arzt stellt eine Diagnose und identifiziert dann diejenigen Behandlungsmöglicheten die am Besten funktionieren.Im Mahayana gibt es ja den Begriff der geschickten Mittel (upāya) - eine spirituelle Arznei die ihre Wirksamkeit gezeigt hatte und so Eingang in Hausapotheke bekommen hat. Statt danach zu fragen, ob etwas dem entspricht was schon vorher da war, fragt man ob es in dem von Buddha aufgezeigten Rahmen den Zweck erfüllt. Natürlich kann einen auch so eine Pragamtismus in die Irre führen.


    Aber das Problem ist doch gerade, dass die buddhistischen Konfessionen sowohl das Heilsziel anders verstehen als auch das Leiden unterschiedlich diagnostizieren. Und den Heilsweg natürlich auch noch.


    Wenn Medikament A für Heilsziel x wirkt, aber nicht für Heilsziel y, dann wird dieses Medikament entsprechend der Gläubigen x,y unterschiedlich bewertet. Haben sowohl Heilsziel x und y Anteil in dem von Buddha aufgezeigten Rahmen, oder nicht? Nur weil irgendetwas "wirkt" ist es nicht "Buddha authentisch" also führt eine positive Wirkung nicht zwingend zur Schlussfolgerung "authentisch".


    Was meinst du?