Beiträge von Sudhana im Thema „Daseinsfaktoren“

    Man könnte Leonie so verstehen, dass solange ich mich noch an Dingen erfreue / mir Dinge noch positive Empfindungen bescheren, habe ich Buddha / Dogen noch nicht komplett verstanden.

    Zitat

    Wenn alle Dinge im Licht der Wahrheit erscheinen, dann gibt es Verirren, Erwachen und Übung, Leben und Tod, Buddhas und sonstige Lebewesen.

    Wenn die zehntausend Dinge ohne Ich sind, dann gibt es weder Verirren noch Erwachen, weder Buddhas noch sonstige Lebewesen, weder Entstehen noch Vergehen.

    Weil der Buddhaweg über Fülle und Mangel hinweg springt, gibt es Entstehen im Vergehen, Verirren im Erwachen, und alle lebendigen Buddhas.

    Und dennoch: Die Blüten, die du liebst, welken dahin, und das Unkraut sprießt zu deinem Ärger – und das ist alles.

    (Dōgen, Shōbōgenzō Genjōkōan, Übers. Muho Nölke)

    Leonie hat in diesem Zusammenhang (zu Recht, wie ich finde) auf die Bedeutung der Realisierung des 3. 'Merkmals' hingewiesen. Dies erzeugt ganz natürlich die Gelassenheit, die sich im "das ist alles" ausdrückt. Wobei das - Universalität von Duhkha hin oder her - durchaus eine heitere Gelassenheit sein darf ... Wenn du schon dein Ich nicht mehr ernst nimmst - was dann sonst?

    Keine Worte mehr notwendig, die sind dann nur noch Verzierungen.

    Du sagst es. Solche Verzierungen zu drechseln ist nun einmal mein Hobby ;) - und ich finde es schlicht interessant, was man in der Tradition des Weges, den man geht, so alles an Worten finden kann ... alte "Verzierungen", aber auch hinterlassene Zeichen. Wo man sich dann als Fährtensucher wie Old Shatterhand (nicht zufällig war Karl May der wohl populärste deutsche Mystiker) "seine eigene" Tradition und seinen Weg zurecht sucht.;)


    Nun ja, es gibt sicher schädlichere Methoden, die Zeit totzuschlagen - vor allem so lange man das eher wegen des Unterhaltungswertes macht und nicht ernster nimmt als nötig. :) Der Weg ist so oder so da, wo er hingehört: unter Deinen Füßen.


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    Zum Punkt des Determiniert-Sein: dies wird ja implizit in der Formel "sabbe saṅkhārā aniccā / dukkhā" ausgedrückt. "Saṅkhārā" ist nun ein nicht ganz einfacher Begriff; zur Erläuterung setze ich hier mal einen kurzen übersetzten Ausschnitt (ohne Literaturverweise) aus dem 'Pali-English Dictionary' der 'Pali Text Society' herein. Zur Beachtung: der Eintrag (p. 665) behandelt eigentlich 'saṅkhāra', kommt aber auch auf das davon abgeleitete 'saṅkhārā' zu sprechen:

    Zitat

    saṅkhāra: (2) Eines der fünf khandhas oder Konstitutionselemente des physischen Lebens [...], das alle citta-sampayutta- cetasikā dhammā - d.h. die mentalen Begleiterscheinungen oder Zusätze, die beim Aufsteigen eines citta oder einer Erkenntniseinheit ins Bewusstsein kommen oder dazu neigen, ins Bewusstsein zu kommen. So klassifiziert bilden die saṅkhāras den mentalen Faktor, der dem körperlichen Aggregat oder rūpakkhandha entspricht und stehen im Gegensatz zu den drei khandhas, die nur eine einzige mentale Funktion repräsentieren. Aber so wie kāya sowohl für Körper als auch für Handlung steht, neigen die konkreten mentalen Synthesen, die sankhārā genannt werden, dazu, die Implikation von Synergien zielgerichteter Intellektion anzunehmen, die mit dem Begriff abhisaṅkhāra bezeichnet wird, wobei saṅkhārā ein zielgerichteter, anstrebender Geisteszustand ist, um eine bestimmte Wiedergeburt herbeizuführen.[...] So werden auch die saṅkhāras in der Paṭiccasamuppāda-Formel als die Gesamtheit der geistigen Bedingungen betrachtet, die unter dem Gesetz von kamma den Beginn des paṭisandhiviññāṇa oder die erste Regung des geistigen Lebens in einem neu begonnenen Individuum bewirken.

    Okay - man kann es sich natürlich auch einfacher machen und sich vorerst einmal mit einer Übersetzung in Richtung "Alles Determinierte / Bedingte ist Leiden / Unbeständigkeit" zufrieden geben. Ich würde jetzt nicht so weit wie Noreply gehen und sagen, dass Determiniert-Sein Leiden "erzeugt"; wir haben hier vielmehr eine pleonastische Identität: Determiniert-Sein = Leiden = Unbeständigkeit. Himmelsbaum und Thorsten Hallscheidt : kurze Abschweifung zur Frage, ob Buddha an Rückenschmerzen "litt": wenn man der Überlieferung trauen will, war Buddhas Körper kein 'Aggregat des Ergreifens' mehr, kein rupakkhanda, sondern einfach ein determinierter, zerfallender rupa - zweifellos mit entsprechenden neurologischen Signalen. Ohne Ergreifen (upādāna) körperlichen Schmerzes kann man jedoch wohl nicht von einer mentalen Leiderfahrung ausgehen - und erst mit dem Ergreifen wird aus dem neurologischen Signal 'mein Schmerz', 'mein dukkhā'.


    Zurück zum Thema: der eigentlich interessante Punkt ist ja, dass die Formel des dritten Merkmals anders konstruiert ist als die ersten beiden: "sabbe dhammā anattā". Nun ist dhammā kein weniger komplexer Begriff als saṅkhārā; gerade die Dhamma-Theorie war im frühen Buddhismus Kern der Abhidharma- / Abhidhamma-Literatur. Es soll hier genügen, den Begriff mit "Gegebenheiten" wiederzugeben. Logisch impliziert dies eine Dualität von determinierten Gegebenheiten, 'Bedingtheiten', einerseits und einem Nicht-Determinierten andererseits, für das ausschließlich das für alle (determinierte und nicht-determinierte) 'Gegebenheiten' (dhammā) gemeinsame Merkmal 'anatta' zutrifft, während die anderen beiden Merkmale dukkhā und aniccā lediglich für Determiniertes zutreffen.


    In der schon erwähnten Dhamma-Theorie oder Dharma-Theorie ging es vorwiegend um eine Klassifizierung von 'Gegebenheiten' sowie die Erörterung möglicher nicht-determinierter 'Gegebenheiten' - von denen allerdings nur sehr wenige angenommen wurden. Die letzte verbliebene Schule des Sthaviravada (der Theravada) lehrt nur ein einziges Nicht-Determiniertes - Nibbana.


    Es war Nāgārjuna, der in seinen MMK dialektisch eine "gemeinsame Grenze" von Nirvāṇa und Saṃsāra ableitete und damit den Dualismus der Dharmatheorie von Determiniertem und Nicht-Determiniertem in einem 'mittleren Weg' (madhyamaka) überwand. Eine andere mahayanische Entwicklungslinie finden wir in der 'Buddhanatur', wo der Dualismus der Dharmatheorie aufgegriffen wurde, jedoch das Nicht-Determinierte (eben die Buddhanatur) auch als Determinierendes verstanden wurde (was an Aristoteles' 'ersten Beweger' erinnert). Das Mahāyāna Mahāparinirvāṇa Sūtra geht in diesem Dualismus sogar so weit, der Buddhanatur drei Merkmale zuzusprechen, die die trilakṣaṇa / tilakkhaṇa gewissermaßen spiegeln: sukha, nitya und atman. Dies steht natürlich im Widerspruch zur oben angeführten 'dritten Formel', die auch dem Nicht-Determinierten einen 'atman' abspricht. Das (wohl nicht ohne Einfluss hinduistischer Ideen entstandene) Sūtra wurde dann in der Folge auch exegetisch 'entschärft'; das heisst, der Dualismus wurde als Provisorium interpretiert, als 'Gegengewicht' gegen die extreme Sichtweise des Nihilismus, die jedoch nicht in ihr Gegenteil umschlagen, sondern zu einem nicht-dualistischen Verständnis von Determiniertem und Nicht-Determiniertem führen soll. Wegweisend für diese Weiterentwicklung war insbesondere das Ratnagotravibhāga (Uttaratantraśāstra). Bezeichnend für diese Entwicklung ist Dōgens Lesart des berühmten Zitates aus dem Mahāparinirvāṇa Sūtra: sarva sattvāh tathāgatagarbhāh. Dōgen liest (in Shōbōgenzō Busshō) nicht (was der Kontext des Sūtra nahelegt): "alle Wesen haben Buddhanatur", sondern "alle Wesen sind Buddhanatur".

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    Ayya Khema lehrt das Wort Papanca als Vielschichtigkeit.

    Und keinesfalls als leeres oder negatives Geschwätz.

    Im mahayanischen Kontext (insbes. Madhyamaka) bezeichnet das entsprechende Skrt. 'prapanca' in etwa 'entfaltete Vorstellung'. Es ist - allegorisch ausgedrückt - der 'Schleier der māyā'. Wobei es von der Art der Vorstellung abhängt, wie transparent der Schleier ist.


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    Zitat


    लक्षण lakṣaṇa

    लक्षण laksh-ana a. indicating, expressing indirectly; n. mark, token, sign, characteristic, attribute (sg. often coll.); stroke; lines drawn on the place of sacrifice; catchword (rit.); lucky or auspicious mark; symptom (of a disease); characteristic of sex, sexual organ; description, definition; designation, name; species, kind; aim, scope; effect, influence; occasion, opportunity: –˚ a. characterised by; provided with; taking the form of, appearing as; relating to, coming within the scope of.

    (Macdonell, Arthur Anthony. A practical Sanskrit dictionary p. 259)

    Bitte - sich auf die sinnvolle Übersetzung 'drei Merkmale' (von mir aus auch 'Seinsmerkmale' oder 'Daseinsmerkmale') für die trilakṣaṇa / tilakkhaṇa zu beschränken, das erleichtert mE das gegenseitige Verständnis und auch das Verständnis der Sache. Anders als ein Merkmal ist ein 'Faktor' (von lat. factor, 'Macher, Urheber') etwas kausal Wirkendes (hetu) - Merkmale sind hingegen Bedingungen, Konditionalität (pratyaya).

    Das ist zwar vorerst eine Behauptung und letztendlich auch Glaubenssache.

    Dass Du (oder sonst jemand) diese "Behauptung" (die ich eher als "Beobachtung" bezeichnen würde) nicht oder noch nicht durch eigene Beobachtung und Einsicht verifiziert bzw. falsifiziert hat heisst nicht, dass es sich "letztendlich" um eine "Glaubenssache" handelt. "Letzendlich" ist es genau das nämlich nicht, sondern eine Erfahrung.

    Muss man an diese drei "Daseinsfaktoren" glauben um sich Buddhist zu nennen ?

    Man muss an gar nichts glauben "um sich Buddhist zu nennen" - warum auch immer manche Leute da scharf drauf sind. Wenn man das will, dann sollte man sein Handeln, seine 'Praxis', an der dreifachen Zuflucht ausrichten - das heisst, den achtfachen Pfad gehen. Und ihn gehend prüfen.


    Einsichten stellen sich dann früher oder später auch ohne Glaube ein. Wenn man in der Richtung ('Gläubigkeit') veranlagt ist, kann Glaube unterstützend sein. Man kann damit aber auch auf die Nase fallen, wenn es der falsche Glaube ist - mE lässt man besser die Finger davon.


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