Zum Punkt des Determiniert-Sein: dies wird ja implizit in der Formel "sabbe saṅkhārā aniccā / dukkhā" ausgedrückt. "Saṅkhārā" ist nun ein nicht ganz einfacher Begriff; zur Erläuterung setze ich hier mal einen kurzen übersetzten Ausschnitt (ohne Literaturverweise) aus dem 'Pali-English Dictionary' der 'Pali Text Society' herein. Zur Beachtung: der Eintrag (p. 665) behandelt eigentlich 'saṅkhāra', kommt aber auch auf das davon abgeleitete 'saṅkhārā' zu sprechen:
Zitat saṅkhāra: (2) Eines der fünf khandhas oder Konstitutionselemente des physischen Lebens [...], das alle citta-sampayutta- cetasikā dhammā - d.h. die mentalen Begleiterscheinungen oder Zusätze, die beim Aufsteigen eines citta oder einer Erkenntniseinheit ins Bewusstsein kommen oder dazu neigen, ins Bewusstsein zu kommen. So klassifiziert bilden die saṅkhāras den mentalen Faktor, der dem körperlichen Aggregat oder rūpakkhandha entspricht und stehen im Gegensatz zu den drei khandhas, die nur eine einzige mentale Funktion repräsentieren. Aber so wie kāya sowohl für Körper als auch für Handlung steht, neigen die konkreten mentalen Synthesen, die sankhārā genannt werden, dazu, die Implikation von Synergien zielgerichteter Intellektion anzunehmen, die mit dem Begriff abhisaṅkhāra bezeichnet wird, wobei saṅkhārā ein zielgerichteter, anstrebender Geisteszustand ist, um eine bestimmte Wiedergeburt herbeizuführen.[...] So werden auch die saṅkhāras in der Paṭiccasamuppāda-Formel als die Gesamtheit der geistigen Bedingungen betrachtet, die unter dem Gesetz von kamma den Beginn des paṭisandhiviññāṇa oder die erste Regung des geistigen Lebens in einem neu begonnenen Individuum bewirken.
Okay - man kann es sich natürlich auch einfacher machen und sich vorerst einmal mit einer Übersetzung in Richtung "Alles Determinierte / Bedingte ist Leiden / Unbeständigkeit" zufrieden geben. Ich würde jetzt nicht so weit wie Noreply gehen und sagen, dass Determiniert-Sein Leiden "erzeugt"; wir haben hier vielmehr eine pleonastische Identität: Determiniert-Sein = Leiden = Unbeständigkeit. Himmelsbaum und Thorsten Hallscheidt : kurze Abschweifung zur Frage, ob Buddha an Rückenschmerzen "litt": wenn man der Überlieferung trauen will, war Buddhas Körper kein 'Aggregat des Ergreifens' mehr, kein rupakkhanda, sondern einfach ein determinierter, zerfallender rupa - zweifellos mit entsprechenden neurologischen Signalen. Ohne Ergreifen (upādāna) körperlichen Schmerzes kann man jedoch wohl nicht von einer mentalen Leiderfahrung ausgehen - und erst mit dem Ergreifen wird aus dem neurologischen Signal 'mein Schmerz', 'mein dukkhā'.
Zurück zum Thema: der eigentlich interessante Punkt ist ja, dass die Formel des dritten Merkmals anders konstruiert ist als die ersten beiden: "sabbe dhammā anattā". Nun ist dhammā kein weniger komplexer Begriff als saṅkhārā; gerade die Dhamma-Theorie war im frühen Buddhismus Kern der Abhidharma- / Abhidhamma-Literatur. Es soll hier genügen, den Begriff mit "Gegebenheiten" wiederzugeben. Logisch impliziert dies eine Dualität von determinierten Gegebenheiten, 'Bedingtheiten', einerseits und einem Nicht-Determinierten andererseits, für das ausschließlich das für alle (determinierte und nicht-determinierte) 'Gegebenheiten' (dhammā) gemeinsame Merkmal 'anatta' zutrifft, während die anderen beiden Merkmale dukkhā und aniccā lediglich für Determiniertes zutreffen.
In der schon erwähnten Dhamma-Theorie oder Dharma-Theorie ging es vorwiegend um eine Klassifizierung von 'Gegebenheiten' sowie die Erörterung möglicher nicht-determinierter 'Gegebenheiten' - von denen allerdings nur sehr wenige angenommen wurden. Die letzte verbliebene Schule des Sthaviravada (der Theravada) lehrt nur ein einziges Nicht-Determiniertes - Nibbana.
Es war Nāgārjuna, der in seinen MMK dialektisch eine "gemeinsame Grenze" von Nirvāṇa und Saṃsāra ableitete und damit den Dualismus der Dharmatheorie von Determiniertem und Nicht-Determiniertem in einem 'mittleren Weg' (madhyamaka) überwand. Eine andere mahayanische Entwicklungslinie finden wir in der 'Buddhanatur', wo der Dualismus der Dharmatheorie aufgegriffen wurde, jedoch das Nicht-Determinierte (eben die Buddhanatur) auch als Determinierendes verstanden wurde (was an Aristoteles' 'ersten Beweger' erinnert). Das Mahāyāna Mahāparinirvāṇa Sūtra geht in diesem Dualismus sogar so weit, der Buddhanatur drei Merkmale zuzusprechen, die die trilakṣaṇa / tilakkhaṇa gewissermaßen spiegeln: sukha, nitya und atman. Dies steht natürlich im Widerspruch zur oben angeführten 'dritten Formel', die auch dem Nicht-Determinierten einen 'atman' abspricht. Das (wohl nicht ohne Einfluss hinduistischer Ideen entstandene) Sūtra wurde dann in der Folge auch exegetisch 'entschärft'; das heisst, der Dualismus wurde als Provisorium interpretiert, als 'Gegengewicht' gegen die extreme Sichtweise des Nihilismus, die jedoch nicht in ihr Gegenteil umschlagen, sondern zu einem nicht-dualistischen Verständnis von Determiniertem und Nicht-Determiniertem führen soll. Wegweisend für diese Weiterentwicklung war insbesondere das Ratnagotravibhāga (Uttaratantraśāstra). Bezeichnend für diese Entwicklung ist Dōgens Lesart des berühmten Zitates aus dem Mahāparinirvāṇa Sūtra: sarva sattvāh tathāgatagarbhāh. Dōgen liest (in Shōbōgenzō Busshō) nicht (was der Kontext des Sūtra nahelegt): "alle Wesen haben Buddhanatur", sondern "alle Wesen sind Buddhanatur".