Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Daseinsfaktoren“
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Es geht in dem Podcast oder dem Mitschnitt um das Thema Freude und Leid. Und um die Jhanas. Geht es auch um die Daseinsfaktoren ? Werde ich ja hören ( habe noch nicht alles angehört ). Jedenfalls mag ich seine Art zu lehren.
Wer hielt denn den Vortrag ?
Die Daseinsfaktoren spielen auch eine Rolle. Ajahn Cattamalo hält den Vortrag.
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Und im Bewusstsein einer Jhana empfindet kein Geist Gefühle.
Das ist nun wirklich nicht richtig. Das erste Jhana z.B. wird folgendermaßen charakterisiert:
Zitat"Was ist nun, Bruder, die erste Vertiefung (jhana)?"
Da, o Bruder, gewinnt der Mönch, den sinnlichen Dingen entrückt, frei von unheilsamen Geisteszuständen, die mit ‘Gedankenfassung’ (vitakka) und ‘Diskursivem Denken’ (vicāra) verbundene, in der Abgeschiedenheit geborene, von ‘Verzückung’ (pīti) und ‘Glücksgefühl’ (sukha) erfüllte erste Vertiefung.
"Und was für Eigenschaften, Bruder, besitzt die erste Vertiefung?"
"Die erste Vertiefung, Bruder, besitzt fünf Eigenschaften: da sind, o Bruder, einem Mönch, der die erste Vertiefung erwirkt hat, die 5 Vertiefungsglieder zugegen:
- Gedankenfassung (vitakka),
- Diskursives Denken (vicāra),
- Verzückung (pīti),
- Glücksgefühl (sukha) und
- Sammlung (samādhi)
Solcher Art, Bruder, sind die fünf Eigenschaften der ersten Vertiefung."
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Gerade bei näherer und mehrdimensionaler Berücksichtigung dieser Aspekte sind pauschale Aussagen wie: Im Nirvana wird nichts mehr gefühlt, zweifelhaft.
Aber das ist ja alles reine Theorie. Wir (also ich zumindest) reden hier wie die Blinden von der Farbe. Ich erfreue mich selten genug an der Ahnung der Verzückung der ersten Sammlung und habe ansonsten noch massiv mit Geistesgiften zu kämpfen. Und da fasele ich davon, wie sich Nirvana anfühlt oder auch nicht anfühlt. Bekloppt!
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Wird das denn behauptet?
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So wie es eben Dinge auch die vier Arten gibt die ein Jeder verrichten wird.
Diesen Satz habe ich leider nicht verstanden. Kannst Du ihn bitte genauer erklären?
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Thorsten Hallscheidt dagegen meint, dass ich ohne solche positiven Empfindungen gar nicht die Freude am Buddhaweg haben werde, um ihn zu gehen.
Erwartungen verschließen die Wirklichkeit. Die Erwartung, dass etwas nicht vergänglich ist und dass es mich konstituiert, die Erwartung, dass es MICH glücklich machen sollte. Erwartungen erzeugen Anhaftung und Ablehnung. Was wird aus der Wirklichkeit, wenn ich bis in die kleinste Vorstellung hinein nichts mehr erwarte? Das ist alles andere als einfach.
Ich hatte mal eine Diskussion mit einem Lehrer von mir. Ich hatte gerade mühevoll Zitate aus dem Palikanon zusammengesucht, um meine Thesen zu stürzen. Da sagte er: Mit dem Palikanon kannst Du jede These belegen. Und das bildet sich auch hier ab. Jeder liest und deutet entsprechend seiner Erfahrung seine Vorstellung in die Lehre. Die Lehre ist aber eine Methode zur Befreiung, keine Theorie zur Welterklärung. Entscheidend ist, welche Erfahrungen ich damit mache, und ob diese Erfahrungen mir helfen, mettā, karuṇā, muditā und upekkhā in meinem Leben zu entfalten.
Zitat- Da strahlt, ihr Brüder, ein Mönch liebevollen Gemütes weilend nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.
- Erbarmenden Gemütes,
- freudevollen Gemütes,
- unbewegten Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit erbarmendem Gemüte, mit freudevollem Gemüte, mit unbewegtem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärt.
Wie sollte jemand, der Nirvana verwirklicht hat, zugleich diese Eigenschaften ausgeprägt haben, wenn es für ihn oder sie keine Empfindungen mehr gibt?
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Daher erkennt man kaum, dass gerade diese angenehmen Seiten des Lebens ebenso leidvoll sind, weil vergänglich und nicht-Ich.
Diese Kausalität sehe ich nicht. Empfindungen sind leidvoll, sind vergänglich und nicht-Ich. Dem stimme ich zu. Aber ich setze sie in eine andere Beziehung:
Solangewir nicht erkennen und akzeptieren, dass alles Zusammengesetzte vergänglich und Nicht-Ich ist, ist es leidhaft in dem Sinne, als dass es entweder Dukkha ist (Alter, Krankheit, Tod) oder aber zu Leiden führt. Aber ich kann es erkennen und akzeptieren lernen.
Wenn man kein Haus mehr bauen möchte, ist es vollkommen gleichgültig, ob der Boden aus Sand besteht. Ein Zelt reicht zum wohnen vollkommen aus.
Der Anspruch auf ein dauerhaftes Glück ist mit der Wirklichkeit nicht vereinbar. Wenn ich diesen Anspruch habe, ist jedes Streben frustrierend. Ich kann aber auch den Anspruch aufgeben.
Die Erkenntnis, dass Gefühle und Gedanken Nicht-Ich sind, finde ich überaus befreiend. Das hat negativen Gefühlen viel von ihrer Kraft genommen, für mich leidvoll zu sein. Wenn mir die entsprechende Distanz gelingt, kann ich üblen Gefühlen zuschauen, wie ich einem Großbrand zuschaue, ohne selbst im brennenden Haus zu sitzen. Das befreit auch die Gefühle, weil ich sie nicht mehr zurückdrängen muss. Damit kommt vieles auf seinen Platz.
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Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema bin ich hier auf eine kleine Theravada Aufsatzsammlung gestoßen, die ich gerne mit euch teile:
Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.
Der Text kommt von hier.
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die egal welche Empfindungen sind im "geistigen " Sinne neutral.
Die buddhistische Lehre unterscheidet zwischen angenehmen, unangenehmen und neutralen Empfindungen. Und wenn ich mein Leben beobachte, so gehen mich diese Empfindungen auch etwas an, sie berühren mich. Und Berührung ist Teil der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens, Teil dessen, was zu Leid und Frustration führt – aber auch zu Glück und Befreiung. Letztlich geht es mir aber gar nicht so sehr darum. Wir haben im buddhistischen Studium in Hamburg eine Widmung gelernt, dich ich seit dem täglich nach der Meditation spreche:
Mögen alle Wesen Kraft dieser Bemühungen
von zerstörerischem Tun und Denken ablassen
und in Freundschaft, Liebe und Mitgefühl zusammen leben.Mögen alle Wesen kraft dieser Bemühungen
verdienstvolle Handlungen und Weisheit ansammeln können
und mögen sie die zwei heiligen Körper erlangen,
welche aus verdienstvollen Handlungen und Weisheit entstehen.
Möge der Dalai Lama und der große Ozean der Halter der Lehre lange leben
und möge der Geist der Einsichtsvollen sich wie ein Lotus entfalten
und mögen unter der Sonne von Studium und Praxis
allen zehn Himmelsrichtungen Glück beschieden sein.
Und ich glaube tatsächlich daran, dass die buddhistische Praxis nicht die depressive Abkehr von einer zutiefst leidhaften Existenz zum Ziel hat. Im Gegenteil. Das hier ist meiner Ansicht nach das Zentrum der buddhistischen Lehre:
ZitatDies soll erwirken, wer des Heiles kundig
Und wer die Friedens-Stätte zu verstehen wünscht:
Stark soll er sein und aufrecht, aufrecht voll und ganz.
Zugänglich sei er, sanft und ohne Hochmut.
Genügsam sei er und sei leicht befriedigt,
Nicht viel geschäftig und bedürfnislos.
Die Sinne still, und klar sei der Verstand,
Nicht dreist, nicht gierig, geht er unter Menschen.
Auch nicht im Kleinsten soll er sich vergehen,
Wofür ihn andere, Verständige, tadeln möchten.
Sie mögen glücklich und voll Frieden sein,
Die Wesen alle! Glück erfüll' ihr Herz!
Was es an Lebewesen hier auch gibt,
Die schwachen und die starken, restlos alle;
Mit langgestrecktem Wuchs und groß an Körper,
Die mittelgroß und klein, die zart sind oder grob.
Die sichtbar sind und auch die unsichtbaren,
Die ferne weilen und die nahe sind,
Entstandene und die zum Dasein drängen, -
Die Wesen alle: Glück erfüll' ihr Herz!
Keiner soll den anderen hintergehen;
Weshalb auch immer, keinen möge man verachten
Aus Ärger und aus feindlicher Gesinnung
Soll Übles man einander nimmer wünschen!
Wie eine Mutter ihren eigenen Sohn,
Ihr einzig Kind mit ihrem Leben schützt,
So möge man zu allen Lebewesen
Entfalten ohne Schranken seinen Geist!
Voll Güte zu der ganzen Welt
Entfalte ohne Schranken man den Geist:
Nach oben hin, nach unten, quer inmitten,
Von Herzens-Enge, Haß und Feindschaft frei!
Ob stehend, gehend, sitzend oder liegend,
Wie immer man von Schlaffheit frei,
Auf diese Achtsamkeit soll man sich gründen.
Als göttlich Weilen gilt dies schon hienieden.
In falscher Ansicht nicht befangen,
Ein Tugendhafter, dem Erkenntnis eignet,
Die Gier nach Lüsten hat er überwunden
Und geht nicht ein mehr in den Mutterschoß.
Wie sollte ich wünschen, dass die Herzen aller Wesen von Glück erfüllt seien, wenn dann doch letztlich jede Empfindung von Glück Leiden ist? Sollte ich da nicht eher wünschen: Die Wesen alle! Empfindungslosigkeit und Überdruss an der Welt erfüll' ihr Herz, mögen sie besser nicht geboren sein, denn Geburt bedeutet nur Elend und Frustration?
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Empfinden ist Leiden
Dieser Satz ist aus meiner Sicht schlicht falsch und zugleich destruktiv für diejenigen, die sich auf dem Pfad befinden. Die Sutte, die Himmelsbaum zitiert hatte, macht das deutlich. Zum einen sind es nicht die Empfindungen, die Leiden sind, sondern es sind die Empfindungen, die Leiden hervorbringen. Eine glückliche Empfindung ist eine glückliche Empfindung, nur führen Unwissenheit, Gier und Hass dazu, dass in der Folge unheilsame Impulse auftreten, die diese Empfindung festhalten, sie gierig immer wieder hervorrufen wollen, die Hass und Angst erzeugen, wenn jemand der Kühlung des Fiebers im Weg steht, etc.. Genau das ist Dukkha. Nicht die Empfindung ist Leid, sondern was sie auslöst ist leidhaft.
Die Auffassung, Freude oder Glück seien eigentlich Leid, führt nur zu Argwohn den positiven Empfindungen gegenüber, die unser Leben reich machen. Zudem stimmt diese Auffassung auch nicht. Freude ist Freude und nicht Leid. Das Leiden liegt darin, was wir daraus machen (müssen), dass wir zum Beispiel Stolz empfinden und anderen herablassend behandeln, wenn uns etwas gut gelungen ist. Dass wir Angst davor bekommen, schlecht bewertet zu werden, wenn es uns das nächste Mal nicht mehr ganz so gut gelingt. Dass wir immer tiefer in die Fesseln des Persönlichkeitswahns geraten, weil wir die Illusion unserer Identität durch Erfolge, Besitz und Dominanz zu stützen versuchen, u.s.w. , u.s.w, u.s.w.
Aber wir brauchen auf der anderen Seite dringend positive und negative Empfindungen, um den Weg in die Freiheit überhaupt zu finden. Indem wir erkennen, dass an äußere, sinnliche Bedingungen gebundenes Glück Abhängigkeit, Angst und Hass hervorbringt, finden wir erst den Weg zu stabilerem Glück, zu Glück, das eher von inneren Faktoren abhängig ist, zu Glück, das eher in der Abwesenheit von groben Reizen zu finden ist. Würden wir nicht die große Erleichterung und echtes Glück empfinden, wenn eine Abhängigkeit überwunden ist, würden wir niemals Kraft und Motivation aufbringen, dem Weg weiter zu folgen.
Sätze wie "Empfinden ist Leiden" oder "Alle Empfindungen führen zum Leiden" entwerten genau diese Kraft der Suche nach dauerhaftem Glück. Wir brauchen positive Empfindungen, um weiterzumachen. Wir brauchen Empfindungen als Kompass für den Weg.
Der Weg des Buddha ist ein Weg aus dem Leiden heraus zu immer subtileren, tieferen und beständigeren Formen der Lebensfreude und des Glücks. Leute, die Lebensfreude empfinden, sind nicht nur potenziell netter zu ihren Mitmenschen, freundlicher und sorgender zu allen Wesen, sie entwickeln auch deutlich mehr Vertrauen in die Lehre, einfach deshalb, weil sie an sich selbst erleben, dass die Lehre heilsam ist und guttut. Lebensfreude, die Freude an den unzähligen kleinen Kostbarkeiten des Augenblicks ist der Schlüssel zu noch tieferem, intensiverem und dauerhafterem Glück. Und genau darum ist es destruktiv, Gefühle von Freude und Glück als Leiden zu bezeichnen.
Natürlich ist es so, dass ein Mensch, der das erste, zweite, dritte Jhana erlebt hat, sehr wahrscheinlich aus einer sehr anderen Perspektive auf die schnellen Formen des sinnlichen Vergnügens schaut. Allerdings ist dieser Weg der Erkenntnis dadurch gekennzeichnet, dass erst die Erfahrung eines tieferen, beständigeren und unabhängigeren Glücks, das, was zuvor ebenfalls Glück war, weniger tief und beständig erscheinen lässt, weil sich mit der Erfahrung überhaupt erst eine neue Relation erschließt. Und dann erst offenbart die Erfahrung dieser Formen des Glücks auch die Anhaftung und die Hybris, die sie erzeugen können, sodass auch diese Zustände irgendwann als nur vorläufig und Leid erzeugend erlebt werden und als Gebrechen erscheinen.
Zunächst aber durchstrahlen diese Empfindungen die ganze Welt und befreien sie spontan von gröberen Formen der Abhängigkeit, denn man muss schlicht das Glück nicht mehr außen suchen, weil beinahe unerschöpfliche innere Quellen sichtbar geworden sind. Es ist absurd, diese Ergebnisse des Pfades als Leiden zu bezeichnen, auch wenn sie in der Folge Leiden auslösen können. Im Gegenteil: Es lohnt sich, der buddhistischen Lehre zu folgen, das muss doch die Botschaft sein.
Und selbst das tiefste Gefühl von Freiheit und Glück verblasst offenbar vor dem Ziel des Weges, wie das Nibbānasukha Sutta es eindrücklich zeigt. Aber, und das ist auffällig, die Menschen, die diese Ebenen erreicht haben, stahlen eine unglaubliche Herzlichkeit, Freundlichkeit und Lebensfreude aus. Diese Lebensfreude weht aus all ihren Worten und Handlungen, sie sind also mitnichten empfindungslos. Mitgefühl lässt sie weinen, Mitfreude lässt sie lachen, und alle betonen sie die Freude und den Reichtum, der im jetzigen Augenblick verborgen ist. Sie sind weit entfernt von der pessimistischen Sicht auf die Welt, die in allen Dingen und Empfindungen nichts als Leiden sieht. Diese Menschen habe ich gerne zum Vorbild.
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Es gibt verschiedene Übersetzungen und deshalb habe ich die englische Übersetzung der Shasta Abbey genommen
Wenn man Deine Übersetzung aus dem Englischen nimmt, heißt es ebenfalls:
Zitatsuffering is nothing other than a sense perception
Übersetzt: Leiden ist nichts anderes als eine Sinneswahrnehmung.
Auch hier steht nicht "Empfindung ist Leiden".
Es ist ein wichtiger kategorialer Unterschied, ob man sagt, Leiden gehört in die Kategorie der Sinneswahrnehmungen oder Sinneswahrnehmungen gehören in die Kategorien des Leidens. Beim ersten Fall ist ein Teil der Sinneswahrnehmungen leidhaft – andere sind es nicht. Beim zweiten Fall sind Sinneswahrnehmungen grundsätzlich leidhaft. Und diesen zweiten Fall sehe ich bei Dogen nicht.
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Shobogenzo, Sanjūshichihon Bodai Bumpō
Hm... hier steht aber nichts davon, dass Empfinden Leiden ist. Eher steht da, dass Leiden ein Gefühl ist. Das ist ein Unterschied, meine ich.
Die Kristkeits-Übersetzung formuliert so:
Zitat"Das Gewahrsein der Leidhaftigkeit der Gefühle" bedeutet, dass das Leiden ein Gefühl IST. Gefühle sind nicht "unsere" Gefühle, und sie kommen auch nicht von außen; sie sind weder greifbar noch nicht-greifbar, sondern einfach die Gefühle eines lebendigen Körpers. Sie bedeuten, dass eine süße Melone plötzlich zu einem bitteren Kürbis geworden ist. (Leid des Wandels, A.v.m.) und dass dies leidhaft für die Haut, das Fleisch, die Knochen und das Mark ist und dass es leidhaft für den bewussten und den unbewussten Geist u.s.w. ist. [Dessen gewahr zu sein] ist eine Praxis, eine Erfahrung und eine übernatürliche Kraft, die noch eine Stufe höher steht, weil sie über den Stiel [der Melone] und die ganze Wurzel [des Kürbisses] hinausspringt. Deshalb heißt es: "Lebende Wesen leiden, und das Leiden der lebenden Wesen existiert." Obwohl das Leiden der lebenden Wesen existiert, sind die lebenden Wesen nicht das Selbst und auch nicht die Welt; letztlich ist es unmöglich andere [diesbezüglich] zu täuschen. Obwohl süße Melonen bis zu ihrem Stil süß und bittere Kürbisse bis zu ihrer Wurzel bitter sind, ist es nicht leicht, sich wirklich klar darüber zu sein, was Leiden ist. Fragt euch selbst: Was ist das, dieses Leiden?
Shobogenzo Band 4, Sanjūshichihon Bodai Bumpō, S. 33
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Empfinden ist Leiden
Guten Morgen Leonie. Könntest Du mir bitte die Textstelle nennen, in der Dogen das sagt?
Wenn es so einfach wäre, warum hat der Buddha dann so ein Problem damit gehabt, seine Lehre sei schwer zu verstehen?
Von einfach habe ich nicht gesprochen. Aber die buddhistische Lehre ist nun auch nicht unüberwindlich schwer zu verstehen. Zumindest sehr viele Teile davon nicht. Viel schwieriger ist es, sie zu verwirklichen. Bhava benennt gewohnheitsmäßige Tendenzen, die eine spezifische Relation und ein spezifisches Reaktionsspektrum in Bezug auf die Wirklichkeit bestimmen (Persönlichkeit). Diese Tendenzen zu aufzudecken und zu beenden, ermöglicht die Befreiung von Dukkha, indem ich aus einer von unbewussten Gewohnheitsmustern determinierten in eine bewusstes und selbstbestimmtes Existenz übergehe. Das kann auf mehreren Ebenen erfolgen. Letzten Endes ist aber auch meine pure Wahrnehmung, all mein Sprechen und Denken insofern determiniert, als sie sozialen, kulturellen und nicht zuletzt rein physischen Bedingungen folgen, die sehr schwer zu erkennen und noch schwerer aufzubrechen sind. Falls also Determiniert-Sein Leiden ist, ist auch jede Wahrnehmung Leiden – zumindest so lange, wie eine Identifikation stattfindet.
Danke für den Text. Ich werde ihn mal lesen in den nächsten Tagen.
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Das klingt für mich, als ob du sagst: "mein dukkha" ist überwunden, aber "dukkha allgemein" noch nicht.
Schmerz ist Dukkha, wenn jemand diesen Schmerz als leidvoll empfindet.
Ein Beispiel: Stell Dir vor, jemand sagt im Bus hinter Dir: Du Idiot! Du drehst Dich um und bist wütend, weil Du denkst, dieser Jemand hätte Dich gemeint. Dann bemerkst Du, dass er gar nicht mit Dir gesprochen hat, sondern ein Headset im Ohr trägt. Er telefoniert. Die Beleidigung ist noch immer im Raum, aber sie betrifft Dich nicht. Und da Du merkst, dass sie Dich nicht betrifft, löst sie auch keine Wut mehr aus.
Was ist körperlicher Schmerz? Zunächst nur ein Phänomen unter vielen. Erst durch Identifikation mit dem Schmerz (Ich habe Schmerzen im Gegensatz zu Da ist Schmerz) wird er zum Leiden, zu Dukkha. Wenn Du aber weißt: Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst, dann betrifft Dich der Schmerz nicht mehr und löst auch weder Anhaftung noch Ablehnung aus.
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Das verstehe ich nicht. Du schriebst doch: "Körperlicher Schmerz ist nach der buddhistischen Lehre auch für einen Erwachten noch vorhanden."
Das Phänomen körperlicher Schmerz ja, aber durch die Überwindung der Unwissenheit nicht mehr die Identifikation mit dem Schmerz als "mein" Schmerz. Da ist Schmerz, aber das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst. Und das bedeutet das Ende des Leidens unter dem Schmerz.
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Wenn man Dukkha als Daseinsmerkmal bezeichnet, kann es nicht einfach so verschwinden.
Das ist so, wie bei einer Droge. Heroin hat das Merkmal, dass es abhängig macht. Dennoch muss ich davon nicht abhängig sein, wenn mir klar wird, welche negativen Auswirkungen Heroin hat, auch wenn es zu ungeheuren Glücksschüben führen kann.
Ebenso ist jedes Phänomen leidvoll (führt zu Abhängigkeit und Gewöhnung), sofern ich nicht die Unwissenheit überwinde, die im Nichterkennen von anicca und anatta besteht, denn dadurch entstehen Ablehnung und Anhaftung. Daher steht auch Unwissenheit am Anfang der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens.
Mit anderes Worten: Die Phänomene bleiben leidhaft (behalten das Potenzial, Leid zu erzeugen), aber das betrifft mich nicht mehr, wenn ich ihre Vergänglichkeit und Unpersönlichkeit durchschaut habe, wenn ich die Wurzeln von Anhaftung und Ablehnung ausgerissen habe.
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Also führt eine Überwindung der Geistesgifte nicht zu einem sofortigen Ende von dukkha. Richtig?
Doch, natürlich, die vollständige Überwindung der Geistesgifte führt zu einem sofortigen Ende von Dukkha. Denn Dukkha hat Anhaftung, Ablehnung und Unwissenheit zur Ursache. Der körperliche Schmerz wird in dem Fall zu Leiden, sofern eine Identifikation mit diesem Phänomen auftritt (Ich habe Schmerzen). Allerdings sind die Schmerzen a) vergänglich (anicca) und b) unpersönlich (anatta), und durch die Erkenntnis dieser Daseinsmerkmale, also durch die Überwindung der Unwissenheit, verschwinden auch Anhaftung und Ablehnung bezüglich der Schmerzen, sodass der Geist befreit davon ist, obwohl das Phänomen der schmerzhaften Empfindung noch da ist.
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Dein Zitat spricht explizit von "geistigem Schmerz". Was ist mit körperlichem Schmerz?
Körperlicher Schmerz ist nach der buddhistischen Lehre auch für einen Erwachten noch vorhanden. Allerdings leidet er nicht mehr darunter, und das bedeutet, dass durch die Schmerzen keine unheilsamen Geisteszustände aufgrund von Dukkha mehr entstehen, weil ein Erwachter die Geistesgifte vollkommen überwunden hat, die die Ursache für Dukkha sind.
ZitatDa hat nun den Erhabenen nach dem bei Cundo dem Goldschmied eingenommenen Mahle eine heftige Krankheit befallen, blutiges Erbrechen mit starken Schmerzen stellte sich ein, lebensgefährlich. Auch diese hat denn der Erhabene klar und wohlbewußt erduldet, ohne sich verstören zu lassen.
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Die Wahrheit im richtigen Umgang mit Dukkha ist jedoch zu erlernen es erst zu erdulden und sich dann damit abzufinden.
Vielleicht verwechselst Du das mit der Kernlehre der Stoa:
ZitatFür den Stoiker als Individuum gilt es, seinen Platz in dieser [kosmologischen] Ordnung zu erkennen und auszufüllen, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe (Ataraxie) nach Weisheit strebt. (-> Quelle)
Buddha hingegen lehrt (mit der dritten und vierten edlen Wahrheit) den Weg, der zur Überwindung der Geistesgifte führt und somit auch zum Ende von Dukkha:ZitatAus Gier, Haß und Verblendung, Brahmane, und dadurch überwältigt, wirkt man zum eigenen Schaden, zu des anderen Schaden, zu beiderseitigem Schaden, erleidet man geistigen Schmerz und Trübsal. Sind aber Gier, Haß und Verblendung geschwunden, so wirkt man weder zum eigenen Schaden, noch zu des anderen Schaden, noch zu beiderseitigem Schaden, erleidet man keinen geistigen Schmerz und keine Trübsal. Das, Brahmane, ist das sichtbare Nirvana, das zeitlose, einladende, anregende, jedem Verständigen verständliche.
Insofern also, Brahmane, der Mönch die restlose Versiegung von Gier, Haß und Verblendung verwirklicht, so gibt es eben das sichtbare Nirvana, das zeitlose, einladende, anregende, jedem Verständigen verständliche.
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Vielleicht solltest du nicht so selektiv, entsprechend deinen Ansichten, zitieren.
Ich hatte schon in einem früheren Beitrag die ganze Textstelle zitiert.
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Und wie du rein persönlich nimmst es wahr?
Ohne zu viel zu zitieren, das kann ich auch...
Den einen zu persönlich, den anderen zu weit von der Lehre des Buddha entfernt, den einen zu sehr Zen, den anderen zu sehr Thera... Ich schreibe, was ich denke und belege es durch das, was ich gelesen habe, weil ich Erfahrungen gemacht habe, die in diese Richtung weisen und mir Orientierung geben. Nicht mehr – nicht weniger.