Beiträge von Helmut im Thema „Nagarjuna Ratnavali“

    Zum Ich: Es gibt in den Mahayana-Traditionen, die in Indien entstanden sind. unterschiedliche Auffassungen darüber was das Ich / die Person ist. Sie alle sind sich zwar darin einig, dass das Ich / die Person eine abhängige Benennung ist, aber sie haben unterschiedliche Auffassungen darüber was die Benennungsgrundlage ist in Bezug auf die das Ich / die Person benannt wird. Ich / Person ist also eine begriffliche Benennung.


    Die Skandhas unseres jetzigen Lebens sind durch Karma und Klesas entstanden und diesen Skandhas fügen wir dann die Bezeichnung Ich oder Person hinzu, aber das benannte Ich und die Benennungsgrundlage sind nicht identisch.


    Der Begriff Ich / Person bezieht sich ja immer auf ein konkretes Lebewesen und dieser allgemeine Begriff drückt sich ja in der Regel im Namen eines Menschen aus. Der Name des Menschen entsteht natürlich nicht durch die Empfängnis. Er wird erst später hinzugefügt.


    Dass wir eine falsche Vorstellung vom Ich haben, beruht auf unserer Unwissenheit, die seit anfangsloser Zeit unser Geisteskontinuum prägt, und es ist schwierig diese Unwissenheit zu überwinden, aber es ist möglich.

    Denn all die Dinge die man am Anfang lernt (Karma, Wiedergeburt, Aufgaben, Erleuchtung) werden von Nagarjuna quasi widerlegt.

    Genau das ist ja nicht der Fall. In Schriften wie Mulamadhyamakakarikas, Ratnavali oder Suhrllekha (Brief an einen Freund) widerlegt Nagarjuna nicht Karma, Wiedergeburt, Erleuchtung usw., sondern er zeigt auf, dass sie kein Eigenwesen haben wie seine buddhistischen Zeitgenossen damals annahmen, weil sie ausschließlich in Abhängigkeit existieren.


    In den Mulamadhyamakakarikas argumentiert Nagarjuna von der Lehre der Leerheit her, hier im Ratnavali argumentiert er mehr auf der Ebene des abhängigen Entstehens.

    Vielen Dank Helmut und dann war ja mein vorangegangener Interpretationsansatz korrekt: Konditionalnexus (12 Glieder inkl.Geburt)->(falsche Vorstellung vom) Ich-> samsarische Skandhas (Anhäufungen von Körper und Geist) -> (weiterhin falsche Vorstellung vom) Ich....usw.


    So hatte ich diesen Vers 29 verstanden, interpretiert und so ergibt er einen Sinn.

    Meinst dies so, dass es die 12 Glieder gibt und dann kommen noch weitere Faktoren hinzu?

    Wenn es im ersten Satz von Vers 29 heißt:


    "Die Anhäufungen von Körper und Geist entstehen aus der Vorstellung von einem Ich, die faktisch falsch ist."


    dann geht es im ersten Teil des Satzes um unsere samsarischen Skandhas, die Anhäufungen von Körper und Geist und Anhäufungen ist eine Übersetzung des Begriffs Skandha. Es sind unsere Skandhas von Körper, Empfindung, Unterscheidung, Gestaltende Faktoren und Bewusstsein gemeint. Im zweiten Teil des Satzes stellt Nagarjuna die These auf, dass unsere samsarischen Skandhas ihren Ursprung in unserer falschen Vorstellung vom Ich haben. Wir haben hier also einmal die samsarischen Skandhas und andererseits die falsche Vorstellung vom Ich, die die Ursache der Skandhas ist. Also Wirkung und Ursache - in dieser Reihenfolge.


    Warum die falsche Vorstellung vom Ich die Ursache unserer samsarischen Skandhas sind, kann man anhand der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens nachvollziehen, In SN 12.1 hat H.Hecker diesen zwölfgliedrigen Zyklus mit "Das Gesetz von der ursprünglichen Entstehung" übersetzt.

    In Vers 30 heißt es dann:


    "Nachdem wir also die Anhäufungen als Täuschung erkannt haben, können wir die Vorstellung von einem ICH aufgeben. Haben wir die Vorstellung vom ICH aufgegeben, entstehen keine neuen Anhäufungen mehr."


    In diesem Vers beschreibt Nagarjuna kurz und knapp wie wir die Befreiung aus den samsarischen Existenzen erlangen können. In den Mulamadhyamakakarikas beschreibt er es ähnlich:


    "Erlösung kommt durch die Vernichtung von Karma und Anhaftungen. Karma und Anhaftungen kommen aus unterscheidenden Vorstellungen, sie kommen aus der begrifflichen Entfaltung. Die Entfaltung aber wird in der Leerheit vernichtet." MMK 18.5, Übersetzung Weber-Brosamer, Back)


    Damit charakterisiert Nagarjuna die falsche Vorstellung von einem aus sich heraus existierendem Ich als die Ursache unserer leidvollen samsarischen Existenz. Überwinden wir diese Vorstellung vom Ich, dann überwinden wir auch samsarische Existenzen, die daraus entstehen, und wir haben dann die dritte edle Wahrheit verwirklicht.

    "Durch die Anhäufungen, Körper und Geist, entsteht die Vorstellung von einem Ich, die tatsächlich und faktisch falsch ist. Wie kann das Ich, das aus einem nicht-existenten Samen wächst, letztendliche Wahrheit besitzen?"

    Wo kann es überhaupt letztendliche Wahrheit geben, die besessen werden kann? Letztendliche Wahrheit ist allumfassend und damit gehört sie jedem, weil jedes der Teile letztendliche Wahrheit ist, also nichts, das man besitzen kann.

    Es geht um letztendliche Wahrheit im Kontext von Nagarjunas Schriften wie den Mulamadhyamakakarikas, dem Suhrllekka, der Ratnavali usw. Es gibt in den buddhistischen Traditionen noch andere Auffassungen über die letztendliche Wahrheit als die von Nagarjuna.


    Letztgültige Wahrheit bedeutet in Nagarjunas System die der Wirklichkeit entsprechende Bestehensweise der abhängigen Phänomene und bedeutet inhaltlich, dass die abhängigen Phänomene leer oder frei von einer inhärenten Existenz sind. Die letztendliche Wahrheit oder Leerheit (Sunyata) ist ein Merkmal aller abhängigen Phänomene und in dem Sinne besitzen alle abhängigen Phänomene dieses Merkmal ohne Ausnahme. In dem Sinne kann man natürlich davon sprechen, dass die letztendliche Wahrheit allumfassend ist.


    Die letztgültige Wahrheit oder die Leerheit der Phänomene von inhärenter Existenz schwebt nicht irgendwie als solche über den Wassern, sondern existiert nur in Abhängigkeit der Phänomene dieser Welt.

    Vers 29:


    "Die Anhäufungen von Körper und Geist entstehen aus der Vorstellung von einem Ich, die faktisch falsch ist. Wie kann das, was aus einem nicht-existenten Samen wächst, letztendliche Wahrheit besitzen?" (Übersetzung E.Liebl)


    Im diesem Vers sagt Nagarjuna, dass unsere samsarischen Skandhas aus Vorstellungen entstanden sind, die keine Grundlage in der Wirklichkeit haben. Daraus folgt, wenn die Ursache unserer Skandhas keine Grundlage in der Wirklichkeit haben, dann gilt das auch für unsere Skandhas.


    Sie haben keine Grundlage in der Wirklichkeit bedeutet nicht, dass diese falsche Vorstellung von einem Ich und die durch sie verursachten Skandhas nicht existieren. Das tun sie ja ganz offensichtlich


    Es bedeutet, sie existieren nicht so wie sie uns in unserer alltäglichen Wahrnehmung erscheinen. In dieser Wahrnehmung erscheinen uns unser Ich und unsere Skandhas so als hätten sie ein Eigenwesen. Unter Analyse ist ein derartiges Eigenwesen aber nicht auffindbar.

    In der Ratnavali  Igor07 haben die Begriffe letztendliche Güte und Lehre von der letztendlichen Güte, obwohl sie ähnlich klingen, unterschiedliche Bedeutungen.


    Die letztendliche Güte meint die Buddhaschaft. Die Lehre von der letztendlichen Güte ist ein Synonym für die Lehre von der Leerheit. Im Kontext der Schriften Nagarjunas negiert Leerheit (Sunyata) die inhärente Existenz oder die Eigenexistenz der abhängig entstandenen Phänomene. Diese Leerheit ist also ein Merkmal aller abhängig entstandenen Phänomene. Man muss Leerheit und abhängiges Entstehen im Zusammenhang sehen.

    Anders ausgedrückt, diese "Letzendliche Güte" ist die Leerheit selbst. Wenn man das echt innerlich realisieren würde, denke ich, es gäbe keinen Platz für alle "Gifte". Und die "Buddhaschaft" ist doch genau das.

    Letztendliche Güte ist nicht die Leerheit selbst. Mit letztendlicher Güte wird die Buddhaschaft beschrieben in Ratnavali. Die Buddhaschaft ist aber leer oder frei von inhärenter Existenz. Insofern ist die Leerheit eine Eigenschaft der Buddhaschaft bzw. des Buddha.


    Die unmittelbare Einsicht in die Leerheit aller abhängig entstandenen Phänomene ist das Mittel mit dem die Unwissenheit und damit die anderen Geistesgifte aus unserem Bewusstseinskontinuum vollständig entfernt werden können.


    Die unmittelbare Einsicht in die Lehre von der letztendlichen Güte ist also das Mittel mit dem das Ziel, die letztendliche Güte oder die Buddhaschaft erlangt wird.

    Im 1.Kapitel der Ratnavali gibt es zwei Themen: Hoher Zustand und letztendliche Güte.


    Mit hoher Zustand ist das Glück der menschlichen Existenz in Samsara gemeint und mit letztendlicher Güte die Buddhaschaft.


    Hoher Zustand und letztendliche Güte stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander: "Wer zu Anfang den hohen Zustand praktiziert, wird am Ende letztendliche Güte erfahren, denn nur wer den hohen Zustand erreicht hat, kann Schritt für Schritt auch letztendliche Güte erreichen." (Vers 3)


    In den Versen 1 - 24 beschäftigt sich Nagarjuna mit dem hohen Zustand, ab Vers 25 beginnen die Erklärungen zur letztendlichen Güte.


    In Vers 25 verweist Nagarjuna darauf, dass die Lehre von der letztendlichen Güte, das ist die Lehre von der Leerheit (sunyata) tiefgründig und subtil ist und deshalb bei denjenigen, die noch kein höheres Verständnis entwickelt haben, Furcht auslöst.


    In Vers 26 wird hervorgehoben, was durch die Lehre von der Leerheit negiert wird, nämlich dass das Ich / die Person und deren Besitz ein Eigenwesen besitzen. Im Vers wird das so ausgedrückt:" Ich bin nicht. Ich werde nicht sein. Ich habe nicht. Ich werde nicht haben."


    In Vers 27 erklärt Nagarjuna, dass Buddha Sakyamuni gelehrt hat, dass alle Wesen Samsaras ausnahmslos durch das Festhalten an einem Ich, das ein Eigenwesen besitzt, und durch das Festhalten daran, dass auch der Besitz dieses Ichs ein Eigenwesen besitzt, entstanden sind. Dieses Festhalten am einem derartigen Ich und Mein ist die Wurzel Samsaras.


    In Vers 28 heißt es dann, dass diese Ansichten, dass das Ich als auch sein Besitz (Mein) Eigenwesen besitzen falsch ist, weil es für sie keine Grundlage in der Wirklichkeit gibt wie sie ist.

    Der LSD-Trip hilft nicht weiter, denn dass uns die Phänomene in unserer Wahrnehmung anders erscheinen als tatsächlich existieren, liegt ja an unserer Unwissenheit. Diese Unwissenheit gehört aber nicht zur Natur unseres Geistes. Sie ist eine vorübergehende Verdunkelung / Täuschung unseres Geistes. Sie kann nicht durch LSD-Trips überwunden werden, sondern nur durch Geistesschulung. Mit der Geistesschulung überwinden wir unsere Unwissenheit, aber unser Geist existiert immer noch, wenn wir unsere Unwissenheit überwunden haben


    Mittels Geistesschulung können wir die Vorstellung, wir hätten ein inhärentes, aufgrund eines Eigenwesen existierendes Ich überwinden indem wir untersuchen, ob es ein derartiges Ich überhaupt gaben kann. Und diese Untersuchung findet auf der Grundlage des abhängigen Entstehens statt, das Buddha Sakyamuni gelehrt hat.

    Wenn es in Vers 27 der Ratnavali heißt:


    "dass all diese Wesen ausnahmslos von dem Festhalten am 'Ich' ... entstanden sind",


    dann bezieht sich dies darauf, warum wir eine samsarische Existenz angenommen haben bzw. was die Wurzel Samsaras ist. Die Aussage bezieht sich nicht darauf wie die Ansicht eines 'Ich' entstanden ist und wie sie sich verfestigt.


    Die Ansicht eines 'Ich' bedeutet die Auffassung eines inhärenten, also unabhängigen und aus sich heraus bestehenden Ichs. Und 'Mein' bezeichnet eben die Auffassung, dass dieses inhärente Ich über einen ebenfalls inhärenten Besitz verfügt wie den eigenen Körper, Wohnung usw.


    Dieses inhärente Ich (atman) verneinen sowohl Buddha Sakyamuni als auch Nagarjuna, denn diese Auffassung eines 'Ich' hat keine Grundlage in der Realität.


    Das Problem ist, dass es uns in unserer Wahrnehmung so erscheint als hätten wir derartiges Ich und auch daran festhalten, dass diese Auffassung korrekt ist. So lange wir hieran festhalten, sehen wir den Widerspruch zwischen der Erscheinungsweise unseres Ichs und seiner Bestehensweise nicht. Dass uns unser Ich als inhärent existent erscheint und das tatsächliche abhängige Bestehen unseres Ich stehen in einem direkten logischen Widerspruch zueinander. Sie schließen sich somit gegenseitig aus.


    Das Festhalten an 'Ich' und 'Mein' wird im Zusammenhang mit den 51 Geistesfaktoren nach Asanga als die Ansicht der vergänglichen Anhäufung als wahres Ich und Mein definiert:


    "Die Ansicht der vergänglichen Anhäufung ist eine leidenschaftsverbundene Intelligenz, die bei der Beobachtung der durch Leidenschaften und befleckte Taten angenommenen Aggregate (skandhas) diese in verkehrter Weise als Ich und Mein auffasst."


    Diese Auffassung ist das Selbst der Person und somit die Wurzel Samsaras. Mit der Selbstlosigkeit der Person wird diese Auffassung negiert.

    In Vers 27 von Nagarjunas Ratnavali heißt es:


    "Er, der nur spricht, um den Lebewesen zu nutzen, lehrte, dass all diese Wesen ausnahmslos von dem Festhalten am 'Ich' und dem Festhalten an 'Meinem' entstanden sind."


    Mit "Er" ist Buddha Sakyamuni gemeint. Buddha Sakyamuni lehrt uns das Dharma, um uns zu nutzen. Indem er lehrt, dass wir unsere samsarischen Existenzen nur aufgrund des Festhalten am 'Ich' erlangen, lehrt er uns, was aufzugeben ist, um das Erwachen zu erlangen.


    Mit dem Festhalten am 'Ich' ist hier die Ansicht gemeint, die das Ich als ausschließlich von seinen eigenen Merkmalen her existent auffasst, die ein wahrhaftes Ich auffasst, die ein inhärentes Ich auffasst. Diese falsche Sichtweise ist die Ursache aller unserer samsarischen Existenzen. So lange wir an dieser Sichtweise festhalten, werden wir immer wieder aufs Neue in Samsara Geburt annehmen wie Buddha Sakyamuni es im Gesetz von der ursprünglichen Entstehung dargelegt hat. (SN 12.1 in der Übersetzung von H.Hecker) Genau dieser Vorrang des Geistigen vor dem Körperlichen wird ja auch im ersten Vers des Dhammapada zum Ausdruck gebracht.