Beiträge von Sudhana im Thema „The Root of Zen: Ein Interview mit David Hinton“

    Bebop : Wenn wir über die chinesische Rezeption von Nāgārjuna und deren Einfluss auf das entstehende Chan diskutieren, sollten wir uns zumindest auf Arbeiten beschränken, die vor dem 7. Jahrhundert auch in China bekannt waren.


    Beim Bodhicittavivarana, mit dem Du argumentiert hast, ist der entscheidende Punkt nicht, dass es nicht authentisch ist. Übrigens - auch in dem von Dir selbst verlinkten Text steht ja gleich im ersten Satz "dem tantrischen Nāgārjuna zugeschrieben" und auf der zweiten Seite, dass mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Text vom Autor der MMK stammt. Der entscheidende Punkt ist jedoch, um es hier noch einmal zu wiederholen, dass der Text in China gar nicht bekannt war. Was sein Einfluss auf das tibetische Mahāmudrā mit unserem Thema zu tun haben soll, erschließt sich mir beim besten Willen nicht.


    Welche Texte da relevant sind, also die Grundtexte der Sanlun-Schule und das Nāgārjuna zugeschriebene Dazhi du lun (Mahāprajñāpāramitā-śāstra), habe ich genannt und auf vorliegende Übersetzungen verwiesen. Die Kommentare zu den 'drei Erörterungen' von Sengzhao (378 - 413) und von Jizang (549 - 623) liegen leider nicht in Übersetzungen vor. Zu Jizang gibt es zumindest diese interessante Arbeit Self-reflection in the Sanlun Tradition: Madhyamika as the "Deconstructive Conscience" of Buddhism - wobei Jizangs 'sizhong erdi' (vier Ebenen der zwei Arten von Diskurs) eine interessante Parallele zu Bodhidharmas 'erru sixing' (zwei Eingänge und vier Praktiken) ist, das ja ebenfalls ins 6. Jhdt. datiert wird.


    Stattdessen komst Du jetzt mit den Yuktiṣaṣṭikākārikā an. Die sind zwar mit ziemlicher Sicherheit authentisch, wurden aber erst im 10. Jahrhundert ins Chinesische übersetzt, sind mithin ebenfalls für unser Thema nicht relevant. Wenn es wenigstens die Suhṛllekha gewesen wären, die lagen im 5. Jahrhundert noch in zwei Übersetzungen vor (Guṇavarman 421 und Saṃghavarman zwischen 434-442). Haben in der Sanlun-Schule allerdings keine besondere Rolle gespielt.


    Ansonsten wären als Belege für Deine Thesen zur Abwechsung auch mal ein paar Zitate aus daoistischen Primärquellen ganz sinnvoll gewesen - nur so als Hinweis. Hat sich aber - zumindest für mich - erledigt, ich bin hier raus.

    Mir geht es hier nicht darum, Nagarjunas Verdienste zu schmälern, sondern aufzuzeigen, dass er seine Lehre unbedingt als die Buddhas verkaufen wollte.

    Also - darüber, dass die Sthaviravada-Sekten mit dem ganzen Mahāyāna ihre Probleme haben und deren Fundamentalisten das als 'andersfährtig' denunzieren (übrigens ein ausgesprochen westliches 'Problem'), brauchen wir hier doch wohl nicht diskutieren. Wobei da Nāgārjuna mit seiner zwei-Wahrheiten-Dialektik durchaus eine Brücke schlägt. MMK 24, ich komme später darauf zurück. Zunächst: ich sehe nicht, was die Frage, wie 'orthodox' Nāgārjuna aus Sicht von Śrāvakas war, mit seinem Beitrag zum ostasiatischen Mahāyāna im allgemeinen und zur Genese des Chan im speziellen zu tun haben soll. Finde ich offtopic. Trotzdem noch zu Deinem ersten Absatz:

    Zitat

    Ein wichtiger Satz darin (S. 227): Nagarjuna leitet die Leere der Phänomene aus ihrem bedingten Entstehen her.

    Ein wenig komplexer ist es schon. Ich habe es mir näher angeschaut, da ich Garfield so eine grobe Fehlinterpretation nicht zugetraut habe. Ich vermute mal, es geht um das hier: "for Nagarjuna, among the most important means of demonstrating the emptiness of phenomena is to argue that they are dependently" - zu den wichtigsten Mitteln, die Leere der Phänomene aufzuzeigen, gehört es, aufzuzeigen, dass dass sie abhängig sind. Das ist eine epistomologische Aussage, keine ontologische, wie Du es anscheinend verstanden hast. Es geht um eine didaktische Frage - um ein Mittel (unter anderen) der Argumentation - nicht darum, dass sich das Eine aus dem Anderen herleitet. Ich übersetze mal einen weiteren Abschnitt von Seite 227:

    Zitat

    Die wichtige philosophische Ausarbeitung beginnt mit 24:15. Von diesem Punkt an offeriert Nagarjuna eine Theorie über die Beziehung zwischen Leere, abhängigem Entstehen und Konvention und argumentiert nicht nur, dass diese drei als korrelierend / zusammenhängend verstanden werden können, sondern dass, wenn die konventionellen Dinge (oder die Leerheit selbst) nicht leer wären, dieser tatsächliche Nihilismus das zur Folge haben würde, den der verdinglichende Gegner dem Madhyamika unterstellt. Diese Taktik, nicht nur gegen jedes Extrem zu argumentieren, sondern auch, dass die widersprüchlichen Extreme sich tatsächlich gegenseitig bedingen, ist ein dialektisches Markenzeichen von Nagarjunas philosophischem Ich.

    Da leitet sich eben nicht eines vom anderen her; Leere, abhängiges Entstehen und Konvention sind lediglich unterschiedliche Aspekte der einen Realität - deren 'verhüllte Wahrheit' (saṃvṛtisatya, 'empirische Wahrheit'). Um Deinen ersten Absatz abzuschließen:

    Zitat

    Bedingtes Entstehen ist die Erklärbarkeit (expicability) und Stimmigkeit (coherence) des Universums.

    Auch hier lohnt etwas mehr Kontext, also nochmals Garfield S. 227:

    Zitat

    Die Leerheit von Verursachung geltend zu machen bedeutet, die Nützlichkeit unseres kausalen Diskurses und unserer Erklärungspraxis zu akzeptieren, aber der Versuchung zu widerstehen, diese als auf kausalen Kräften beruhend zu betrachten oder eine solche Begründung zu fordern. Das abhängige Entstehen ist einfach die Erklärbarkeit und Kohärenz des Universums. Seine Leerheit ist die Tatsache, dass dass es nicht mehr gibt als das.

    Entscheidend ist die Nützlichkeit des Diskurses - bei Nāgārjuna die Nützlichkeit der Dekonstruktion. Wobei ich die Dekonstruktion (von Wort und Schrift - und damit letztlich von begrifflichem Denken) als eine Voraussetzung der Annäherung an die 'Überlieferung jenseits von Wort und Schrift' ansehe - das bereits angesprochene 'gate, paragate, parasamgate'. Speziell dieser Punkt ist das wohl wichtigste Vermächtnis des Sanlun (Madhyamaka) an Chan. Das wunian, wuxin (Nicht-Gedanke, Nicht-Geist), auch Bodhidharmas biguan (Wand-Betrachtung) sind nichts als perfekte Dekonstruktion. Nāgārjuna ist nicht einfach ein Philosoph, er weist einen Weg der Praxis.


    Daher übrigens auch die Gleichgültigkeit der klassischen (Tang-) Chanmeister hinsichtlich konsistenten Lehrsystemen. Das überließ man Tiantai und Huayan. Im Chan-Diskurs werden da sehr unterschiedliche Ansätze aufgegriffen - psychologische wie das Weishi (Vijñānavāda), das eine Synthese mit der Tathāgatagarbha-Überlieferung eingegangen war und sich vom Monismus zum Non-Dualismus entwickelte, Huayan-Ideen wie die der wechselseitigen ungehinderten Durchdringung der Phänomene - und natürlich den der Leere, der völligen Dekonstruktion. Nicht Buddha, nicht Geist. Entscheidend im Chan ist nicht die Konsistenz des Diskurses, sondern seine Nützlichkeit. Was natürlich auch implizit eine Offenheit für kulturelles Substrat angeht. Seien es nun daoistische Ideen oder christliche. Wenn es denn nützt ...


    Wobei es nun nicht nur die 'drei Abhandlungen' waren, die zu Beginn des 5. Jahrhunderts den geistegeschichtlichen Boden für Chan mit(!) vorbereiteten, sondern natürlich auch die diesen Śāstras korrespondierenden Sūtren: das von Huineng hoch geschätzte Diamantsūtra, das Vimalakīrti-nirdeśa-sūtra, das Mahāprajñāpāramitā-sūtra in 27 Bänden und natürlich der Nāgārjuna zugeschriebene Kommentar dazu, das Mahāprajñāpāramitā-śāstra in 100 Bänden. Alles zwischen 401 und 413 von Kumārajīva und seinem Team übersetzt, wie auch die Sanlun ('drei Abhandlungen') von Nāgārjuna und Kanadeva.


    Dein ganzer zweiter Absatz ist völlig offtopic für unser Thema Proto- und frühes Chan. Trotzdem eine längere Anmerkung, weil diese Lichtkegel-Geschichte durchaus interessant ist. Ein Lichtkegel ist ja definiert als die Fläche der Raumzeit mit den möglichen Lichtstrahlen, die durch ein gegebenes Ereignis verlaufen. Das Ereignis selbst ist definiert als der Zustand eines vierdimensional (drei räumliche Koordinaten, eine zeitliche) bestimmten Punktes der Raumzeit. Zu jedem Ereignis (was man als physikalische Definition von 'dharma' verstehen kann) gibt es einen dreidimensionalen Vergangenheits- und einen Zukunftslichtkegel; d.h. die Bereiche der Kegel umfassen alle anderen Ereignisse, die das Ereignis beeinflussen können (seine absolute Vergangenheit) bzw. die selbst durch das Ereignis beeinflusst werden können (seine absolute Zukunft). Nun gibt es - Folge der Grenze der Lichtgeschwindigkeit - Ereignisse, die außerhalb der Lichtkegel anderer Ereignisse liegen, also mit diesen nicht unmittelbar wechselwirken können (wobei ich jetzt nicht mit Quantenverschränkung anfangen will so firm bin nicht). Dessenungeachtet nehmen die Überschneidungen beider Lichtkegel mit wachsender temporaler Distanz zum Ereignis kontinuierlich zu - den Zeitpunkt der Identität aller Vergangenheitslichtkegel bestimmt man ja mit zunehmender Genauigkeit - den sog. big bang. Was die Zukunftslichtkegel angeht, muss die Physik zunächst einmal die Geometrie der Raumzeit klären - ob sie hyperbolisch, flach oder sphärisch ist (was natürlich nur zweidimensionale Analogien für dreidimensionale Modelle sind, wie auch der Kegel). Letztlich geht es darum, ob das Raumzeit-Volumen endlich oder unendlich ist.


    Aber zurück zum Thema - Du unterstellst Nāgārjuna positive ontische Aussagen, die Du widerlegt siehst. Das läuft auf das hinaus, was die Tibeter eine Svatantrika-Interpretation des Madhyamaka nennen: aus Nāgārjunas Dekonstruktion positive Aussagen abzuleiten. Bhāviveka (auf den diese Interpretation zurückgeht) wurde allerdings erst im 7. Jahrhundert übersetzt - ist also für unsere Diskussion von Proto- und frühem Chan hier anachronistisch. Anachronistisch natürlich auch 'Widerlegungen' Nāgārjunas mit Argumenten aus der modernen Physik. Offtopic ohnehin (auch Igor07 ), geht es hier doch nicht um eine aktuelle Bewertung Nāgārjunas, sondern um seine Rezeption im China des 5. Jahrhunderts.

    Nagarjuna es laut Garfield so versteht: Zu behaupten, dass bedingtes Entstehen leer sei, heißt letztlich, dass die Leere der Phänomene selbst leer ist.

    Ist etwas verkürzt, aber ja - ein wichtiger Punkt. Die 'Leerheit der Leere' unterstreicht, dass es überhaupt nicht um eine Ontologie geht, sondern um Dekonstruktion von Sprache und begrifflichem Denken.

    Zitat

    24.18 Das Entstehen in gegenseitiger Abhängigkeit (pratītyasamutpāda), dies ist es, was wir 'Lehrheit' nennen. Das ist [aber nur] ein abhängiger Begriff (prajñapti); gerade sie (die Leerheit) bildet den mittleren Weg.

    Was den hier noch etwas kryptischen letzten Halbsatz angeht, so wird dessen Zielrichtung im letzten, dem 27. Kapitel deutlich, das sich mit der Zurückweisung von Sichtweisen befasst - aller möglichen Sichtweisen über das Selbst und die Welt und ihr Verhältnis zueinander, gegliedert in 16 Klassen. Die Leerheit, die den mittleren Weg bildet, ist eine Leerheit von Sichtweisen - auch der von der Leerheit.


    Übrigens nimmt dieser Abschnitt 27 unübersehbar Bezug auf das Brahmajāla Sūtra bzw. Sutta (im Palikanon DN.1), dem diese 16 falschen Sichtweisen entnommen sind. Möglicherweise ein später hinzugefügter Abschnitt mit apologetischer Intention, aber im Zhonglun enthalten und in China als authentisch rezipiert. Also - ich persönlich assoziiere mit 'Zurückweisen jeglicher Sichtweisen' problemlos Zen ...

    Allerdings sagt derselbe Nagarjuna (wenn es denn stimmt, dass auch diese Schrift vom selben ist) im Bodhicittavivarana

    Eben nicht "derselbe Nagarjuna". In Tibet wird Nāgārjuna ja so einiges untergeschoben. Das stammt mit ziemlicher Sicherheit aus dem 7. Jhdt., ist also ca. ein halbes Jahrtausend jünger. Der Autor wird gelegentlich hilfsweise in der Forschung als 'tantrischer Nāgārjuna' bezeichnet. Wurde mW auch nicht ins Chinesische übersetzt, also völlig offtopic. Ansonsten möchte ich darum bitten, zumindest in diesem Thread Dōgen aus dem Spiel zu lassen; ich hab's mir schon verkniffen, auf Deine provokante Bemerkung zum jijuyu zanmai zu reagieren - das trägt hier zur Sache absolut nichts bei.

    sind nicht dasselbe wie entleerte Phänomene bei Nagarjuna, wenn es da noch Früchte des Karma gibt

    Offen gesagt frage ich mich im Moment, warum ich mir in meinem letzten Posting die Mühe gemacht habe, Dir zu verklickern, was in MMK 17 steht, wenn Du denselben Unsinn, auf den ich da geantwortet habe, wiederholst ohne auf meine Argumentation einzugehen. Und ob da eine Fortführung dieser Diskussion noch Sinn macht.


    Trotzdem ein bibliografischer Hinweis für wen es auch immer interessant sein sollte. Wer sich für Sanlun / Sanron (ostasiatisches Madhyamaka) interessiert, sollte sich außer mit Nāgārjunas Zhong lun / MMK auch mit seinem nur in chinesischer Übersetzung erhaltenen Shiermen lun (Dvādaśanikāya-śāstra, 'Abhandlung der 12 Tore') sowie mit Kanadeva / Aryadevas Bai lun (Śata-śāstra, '100 Verse' - von denen allerdings nur die ersten 50 übersetzt sind) befassen. Das sind die '3 Abhandlungen', nach denen die Schule in China benannt wurde. Qellen für Zhong lun / MMK habe ich genannt, für die anderen gibt es leider keine deutsche Übersetzung. Vom Shiermen lun gibt es eine Übersetzung mit einführenden Essays und Kommentaren von Hsueh-li Cheng, leider recht teuer. Ich habe eine PDF-Arbeitskopie ohne chinesische Schriftzeichen 'only for personal use', die ich bei ernsthaftem Interesse zur Verfügung stellen könnte. Das Bai lun wurde von Giuseppe Tucci übersetzt und in 'Pre-Diṅnāga Buddhist Texts on Logic From Chinese Sources' übersetzt, darin auch Nāgārjunas erst 541 ins Chinesische übersetzte Huizheng lun (Vigrahavyāvartanī). Nur antiquarisch erhältlich (1. Auflage 1929, 2. 1981); ich habe einen Reprint von 1998 (Pilgrim House Kathmandu) gefunden. Das Dazhi du lun (Mahāprajñāpāramitā-śāstra) wurde von Etienne Lamotte in fünf Bänden ins Französische übersetzt, daraus ins Englische übertragen von Gelongma Karma Migme Chodron. Frei erhältlich im Internet.


    Was sonst noch so unter Nāgārjuna oder Madhyamaka läuft, mag interessant sein - ist aber nicht für das ostasiatische Mahāyāna und Chan von Belang.

    Buddhistische Praxis war für ihn Wiedergutmachung von Schuld: "Karma ist eine Schuld ohne Verfallsdatum, ... sie wird vergolten durch kontinuierliche Praxis (bhâvanâ-heya)."

    (siehe Youru Wang (Hg.): Deconstruction and the Ethical in Asian Thought ).

    Sorry, wenn ich deutlich werde - aber das ist Unsinn. Das scheint mir eine Zusammenfassung von MMK 17.14 -15 zu sein (Wang liegt mir nicht vor). In den Versen 12-20 stellt Nāgārjuna die Karma-Theorie vom 'avipraṇāśa' ('Unauflöslichen') vor. "Ohne Verfallsdatum" - naja ... Das ist die Auffassung der Saṃmitīya, eines Ablegers der Vātsīputrīya ('Personalisten). Eine der ca. 20 Sekten des frühen indischen Buddhismus, laut dem Pilgermönch Xuanzang in der ersten Hälfte des 7. Jhdts. zahlenmäßig so stark wie alle anderen zusammengenommen. Davor (Vers 6 bis 11) wird die saṃtāna- ('Verkettungs'-) Theorie vorgestellt, die Karma-Theorie der Sautrāntika, einer anderen bedeutenden frühen Sekte (und Abspaltung der Sarvāstivādin). Das ist also Abhidharma - einmal vom Sthaviravada-Zweig, einmal vom Pudgalavada-Zweig.


    Entweder hast Du den Autor missverstanden oder der Autor Nāgārjuna, evt. speziell Vers 13. Da lässt Nāgārjuna seinen Saṃmitīya-Kontrahenten sprechen bzw. auf die Sautrāntika-Position antworten: "Ich werde nun die richtige Auffassung darlegen ...". "Ich" ist hier aber nicht Nāgārjuna. So wird es übrigens auch im tibetischen Prasaṅgika-Madhyamaka gelesen, wenn man sich J. Garfields Übersetzung und Kommentierung der tibetischen Fassung der MMK (dBu-ma rtsa-ba shes-rab) anschaut.


    Wie schon gesagt - Nāgārjunas Dekonstruktion folgt erst im Anschluss, ab Vers 21. Ich zitiere mal Max Wallesers Übersetzung des Zhonglun, Piṅgalas Anmerkung zum Vorangegangenen (12 - 20) ist kursiv gesetzt, die letzten drei Sätze davon beziehen sich offensichtlich auf das 'Ich' des Vers 13; "unverlierbar" ist eine Übersetzung des 'avipraṇāśa':

    Zitat

    Was in diesem śāstra gelehrt wird, dessen Bedeutung ist ohne Abbrechen (uccheda) (und) ewig (śāśvata). Weshalb? karma ist vollständig leer, still-erloschen-vereigenschaftet. (Wenn sein) Eigensein (svabhāva) ohne Sein ist, welcher dharma ist abzuschneiden, welcher dharma ist verlierbar? Weil durch Verkehrtheit bedingt, ist Wandern im saṃsāra auch nicht ewig. Weshalb? Wenn dharmas durch Irrtum entstanden sind, dann sind sie illusorisch, nicht tatsächlich; weil nicht tatsächlich, nicht ewig. Ferner: da Gier und Haften (ihn) verwirren, erkennt (er) nicht die tatsächliche Beschaffenheit. Deshalb sagt er: karma ist unverlierbar. Das ist es, was Buddha lehrt. Ferner:


    Die karmas entstehen ursprünglich nicht, weil sie nicht mit wahrhaftigem Sein sind. Die karmas auch vergehen nicht, weil sie nicht entstehen. (XVII. 21.)


    Wenn karma mit Eigensein ist, dann heißt es ewig, nicht gewirkt auch heißt dann karma, (denn) das Ewige ist eben nicht zu wirken. (XVII. 22.)


    Wenn es nicht-gewirktes karma gibt, so wäre das nicht-gewirkte trotzdem Sünde. Den reinen Wandel nicht abgeschnitten (habend), hätte man doch die Mängel des Unreinen. (XVII. 23.)


    Dies dann widerspricht aller weltlichen Ausdrucksweise. Gutwirken und böswirken werden auch nicht unterschieden. (XVII. 24.)


    Wenn man sagt: »karma ist absolut bestimmt, so hat es doch selbst eigenes Wesen«, so würde man, Vergeltung empfangen habend, (sie) dennoch nochmals empfangen. (XVII. 25.)


    Wenn die weltlichen karmas aus Qualen (kleśa) hervorgehen, so sind diese kleśas nicht tatsächlich: wie wird karma tatsächlich sein? (XVII. 26.)


    Wallesers Zhonglun-Übersetzung ist im Internet zugänglich, ich empfehle zusätzlich Weber-Brosamer / Backs Übersetzung des Sanskrittextes (im Link leider nur Auszüge, aber die zitierten Verse sind dabei). Wallesers Übersetzung ist leider suboptimal (etwa 'Qualen' für kleśa).


    Zitat

    Anhaftungen, Taten, Körper, Täter und Früchte: Sie erscheinen als Fata Morgana, als Luftspiegelungen, als Traumgebilde.

    MMK 17.33

    Interessant ist also, dass die Daoisten schon damals das Gefühl hatten, was Wuzhu predigt, käme ihrer eigenen Lehre gleich. Was Wuzhu dagegenhält, ist nun ausgerechnet, dass der Buddha Kausalität (!! ein für viele Buddhisten unumstößliches Gesetz - siehe mein obiges Zitat aus dem "Proto-Chan") als nutzlos ansehe

    Das ist ein gutes Beispiel für die von mir oben konstatierten Defizite hinsichtlich der Kenntnis der geistesgeschichtlichen Wurzeln des Chan. Zunächst einmal - "Kausalität" gibt es im Buddhismus nicht. Es gibt eine Konditionalität, wobei vier Klassen von Bedingungen (四緣 siyuan / shien) unterschieden werden. Das findet sich schon im Abhidharma des frühen Buddhismus (der Theravada-Abhidhamma nennt sogar inflationäre 24). Nach China übermittelt durch das Jushe Lun / Kusha ron (Abhidharmakośa-bhāṣya) von Vasubandhu. Wobei das allerdings erst zu Lebzeiten Huinengs übersetzt wurde. Wichtiger für Chan war da das Zhonglun (中論 Madhyamaka-śāstra), also Nāgārjunas MMK mit Anmerkungen Piṅgalas. 409 von Kumārajīva übersetzt und kommentiert. Die Behandlung der siyuan findet man da vor allem in Abschnitt 20, wobei das Thema im Kontext 'abhängigen Entstehens' pratityasamutpada (緣起 yuanqi / engi) natürlich an mehreren Stellen der MMK aufgegriffen wird.


    Wenn Du mit "Kausalität" karma ansprichst, dann wirst Du hingegen vor allem in Abschnitt 17 fündig. Die Dekonstruktion des karma-Begriffs beginnt (nach Vorstellung verschiedener Konzepte davon) bei Vers 21. Wenn man damit etwas vertraut ist, überrascht einen Wuzhus Antwort nicht im geringsten.


    Nicht ganz zufällig gilt Nāgārjuna als indischer 'Patriarch' des Chan. Der oben erwähnte Vasubandhu übrigens auch, wenn auch wohl eher wegen der Autorschaft der Weishi sanshi zong (唯識三十頌, Triṃśikā vijñapti kārikā), Grundtext des Yogacāra. Auch erst zu Lebzeiten Huinengs übersetzt - Yogacāra- (und Tathāgathagarbha / Buddhanatur-) Konzepte wurden zunächst durch das Lankavatara-Sutra übermittelt, dem zentralen Lehrtext des Chan vor Huineng.


    Wenn es zu Beginn des 5. Jahrhunderts einen Impuls gab, als eine der Bedingungen für das Entstehen von Chan, dann war es die Übersetzung Nāgārjunas (und Kanadevas, ebenfalls indischer Zen-Patriarch) sowie die Übersetzung des Lankavatara (älteste bekannte, jedoch nicht erhaltene Übersetzung zwischen 412 und 433 von Dharmakṣema). Die Fassung in vier Schriftrollen, die traditionell mit Bodhidharma in Verbindung gebracht wird, ist von 443 von Guṇabhadra (im Tripitaka sind zwei weitere, spätere überliefert).


    Vorsorgliche Anmerkung: natürlich ist diese 'Patriarchenlinie' ein konstruierter Mythos. Aber trotzdem verweist sie auf eine geistesgeschichtliche Entwicklungslinie, in die Chan sich einordnete und mit der es auf seine Wurzeln verweist.

    Vorher wurde versucht, Roloff und Hinton als "Übersetzer" zu markieren, beide sind jedoch auch Praktizierende.

    Ich denke/hoffe mal, das gilt für uns alle hier. Da sind wir alle "Empiriker".

    Eben. "Wahrscheinlich", ergo, es gibt keine Übereinkunft.

    Ja. Es gibt Theorien, plausible und weniger plausible. Angesichts der Quellenlage ist das Räsonnieren über ein "vorinstitutionelles Chan" 400 n.d.Z. reine Spekulation. Historisch einigermaßen fassbar wird Chan erst mit der sog. Lankavatara-Schule oder Ekayana-Schule (nicht mit Tiantai zu verwechseln), davor gibt es nur Fantasie statt Empirie. Und die Bodhidharma-Legende entstand erst (nach und nach) in der Tang-Zeit, die kann man ja wohl nicht ernsthaft als Beleg heranziehen.


    Was das Platform-Sutra angeht, habe ich mit der Dunhuang-Version (Übers. Yampolsky) auf die älteste erhaltene Version (um 780, also ca. 70 Jahre nach Huinengs Tod) verwiesen - es ist also keine spätere 'Anwachsung'. Wenn Du Yampolsky, McRae, Red Pine oder Jarand greifbar hast, kann ich Dir die Stelle raussuchen. Ist ziemlich am Anfang - erster Lehrvortrag, anschließend an seine Auslegung der Trikaya-Doktrin.

    Wenn man diese Frage nicht stellt, bewegt man sich in einem endlosen Kreislauf von Formalitäten und verwechselt dann noch den Sinn der buddhistischen Praxis, nämlich Empirie, also Erfahrungswissen, mit Wissenschaft.

    Sorry - aber das ist nicht Empirie, das ist Hermeneutik. Und wenn man sich da im Kreis bewegt, dann ist das kein hermeneutischer Zirkel - der ist nämlich eine Spiralbewegung. Da kommt dann auch die praktische Erfahrung ins Spiel - die steuert diesen hermeneutischen Zirkel ins Zentrum - dem, "was außerhalb der Schriften und Rituale übertragen wurde" wird. Ob man da nun die wirre und inkonsistente schriftliche Überlieferung - sei es die des Buddhismus oder die Daoismus - als hermeneutisches Material bemüht oder das wirre und inkonsistente Geschwätz eines Meisters (oder Übersetzers, SCNR }:-)), macht keinen großen Unterschied. Allenfalls hinsichtlich des Risikos, an der Nase herumgeführt zu werden. Wobei ich persönlich ersterem - der schriftlichen Überlieferung - doch häufig das 'Sutra der Berge und Gewässer' vorziehe.


    Wie auch immer, wenn so eine daoistische Hermeneutik des Chan funktioniert (angeblich soll ja auch christliche funktionieren), habe ich nicht das geringste Problem damit - entscheidend ist da Orthopraxie, nicht Orthodoxie. Aber hier geht es ja um etwas anderes - nämlich um die kühne Behauptung, Chan funktioniere nur mit einer daoistischen Hermeneutik - den Buddhismus habe man da über Bord geworfen und Chan (erst recht Zen) auf buddhistischer hermeneutischer Grundlage funktioniere nicht bzw. sei dann nicht wirklich Chan / Zen.


    Ich kann mir nicht helfen - so ein wenig übergriffig empfinde ich das schon. Ich habe Hinton nicht gelesen (reizt mich auch nicht allzusehr), aber bislang habe ich nicht den Eindruck, dass diese Behauptung auch nur einigermaßen fundiert ist. Schon gar nicht empirisch evident. Die Evidenz (für Andere) ist entscheidend, sonst kannst Du Deine "Empirie" in die Tonne kloppen. Das ist dann nämlich nur ein "ich sehe was, was du nicht siehst" - Spiel.

    Oben wird dadurch, dass Wuzhu Schriftenkenner war, unterstellt, er habe den Buddhismus nicht hinter sich gelassen.

    ... was wiederum selbst eine Unterstellung ist. Ich will hier gar nicht über die Tiefe der Einsicht oder Nicht-Sicht von Wuzhu spekulieren, aber auf jeden Fall hat er seine (offenbar recht tiefgehenden) Kenntnisse buddhistischer Sutren als fangbian (hōben, upāya) zum Wohl seiner Zuhörer genutzt. Keinen Laozi, keinen Zhuangze, kein Yijing (falls Dir dieser Punkt entgangen sein sollte).

    ()

    Dass es daoistische "Einflüsse" auf den ostasiatischen Buddhismus (nicht nur Chan / Zen) gab, ist ja unbestritten und im Kontext Akkulturation / Inkulturation auch unvermeidlich - wobei der Einfluss des Buddhismus auf den Daoismus (das ist ja nicht nur Laozi, Zhuangzi und Liezi ...) eher noch größer war als umgekehrt. Eine knappe Einführung mit weiterführenden Literaturverweisen habe ich ja auch verlinkt.

    Das alles belegt aber nicht Hintons These, Chan sei ein Krypto-Daoismus. Und mal grundsätzlich - wer solche Thesen mit seinen persönlichen Deutungen von Gongan / Koan stützen will (wie es ja auch Roloff tut), hat den Boden wissenschaftlichen Argumentierens verlassen. Mit empirischer Evidenz hat das nichts mehr zu tun.

    Wenn man von dem X.-ten Patriarchen spricht, bewegt man sich bereits wieder im institutionellen Zen, nicht im frühen Chan. Diese ganze Linienhaftigkeit ist eine Rückwärtsprojektion auf ein Geschehen, wo sich ein paar Leute um einen anderen scharten und - wenn ich z.B. Broughtons Übersetzung heranziehe - den Buddhismus auf den Kopf stellten.

    Okay, damit wird etwas deutlicher, was Du mit "institutionellem" Chan meinst - ein Begriff, den ich nicht für sonderlich passend halte. Anscheinend sprichst Du von der formativen Periode - wobei diese Formierung ja durchaus unter institutionellen Rahmenbedingungen (also in Klöstern) stattfand. Wenn man in dieser Zeit von 'Schulen' spricht, bezieht sich das auf unterschiedliche exegetische Traditionen in einem gemeinsamen institutionellen Rahmen.


    Dass die 'Patriarchenlinien' und die frühe Chan-Geschichte auf deutlich späteren Narrativen beruhen, also konstruiert sind, ist ja nun nicht neu; dies herausgearbeitet zu haben, ist ja vor allem das Verdienst der "Yanagida-Schule" (u.a. McRae, Adamek, Schlütter, App ...). So lückenhaft die Quellen sind, zeichnet sich doch ab, dass die 'Formierung' ein Prozess war, der sich aus sehr unterschiedlichen Quellen speiste - 'nördliches Chan', Baotang, Heze, Niutou ... - und wahrscheinlich einige mehr, über die die Quellen schweigen. Was sie einte, war vor allem die Opposition gegen einen Buddhismus, für den das 'dreifache Studium' (von Sila, Prajna und Dhyana) gleichbedeutend war mit dem Studium des Vinaya, der Sastras und der Sutren. Wegweisend für Chan war da vor allem die Formel des Platform-Sutra vom 'formlosen dreifachen Studium' - auf wen auch immer die konkret zurückgehen mag.


    Mit "Broughton" beziehst Du Dich vermutlich auf seine Übersetzung und Kommentierung der Bodhidharma zugeschriebenen Dunhuang-Manuskripte.. Dein Insistieren, da sei der Buddhismus "auf den Kopf gestellt" kann ich ohne konkretes Beispiel nicht nachvollziehen. Zumal die Bodhidharma-Legende sich erst in der Tang-Zeit bildete. Bezeichnend ist, dass sich in der klassischen Chan-Literatur keine direkten Bezüge auf diese - zweifellos älteren - Texte finden. Dafür wird Bodhidharma konkret mit dem Lankavatara-Sutra in Verbindung gebracht - sogar in der Form, dass nicht nur die Robe sondern auch dieses Sutra Zeichen der Dharmaübertragung waren. Das findest Du auch bei Broughton (The Bodhidharma Anthology, p. 62 - hier Deepl-Übersetzung):

    Zitat

    Am Anfang nahm Dhyana-Meister Bodhidharma das vierbändige ['in vier Schriftrollen'] Lanka Sutra, übergab es Hui-k'o und sagte: "Wenn ich das Land

    China untersuche, ist es klar, dass es nur dieses Sutra gibt. Wenn du dich beim Üben darauf verlässt, wirst du in der Lage sein, die Welt zu überqueren."

    Hört sich jetzt für mich nicht nach "Buddhismus auf den Kopf stellen" an. Und Bezüge zum Daoismus findest Du in diesen Texten natürlich auch nicht - wer auch immer sie verfasst hat ...

    Zitat

    Die eigentlichen Anfänge des Chan sind jedoch wahrscheinlich auf den chinesischen Mönch Daoxin (580-651) und seinen Schüler Hongren (601-674) zurückzuführen, die beide im Kloster Huangmei (wörtlich "Gelbe Pflaume") auf dem Ostberg im heutigen Hubei tätig waren und nicht direkt mit Bodhidharma in Verbindung gebracht werden können. Obwohl wir die Lehren von Daoxin und Hongren nur aus späteren Quellen kennen, scheinen sie beide großen Wert auf Meditation und den Begriff inhärenter Buddha-Natur gelegt zu haben.

    (Morten Schlütter in seiner Einleitung des Sammelbandes 'Readings of the Platform Sutra', Deepl-Übersetzung)

    Für unser Thema von Interesse ist in diesem Sammelband insbesondere der Beitrag von Henrik Hjort Sørensen, 'The History and Practice of Early Chan' (pp. 52-76). Ebenfalls empfehlenswert 'The Northern School and the formation of early Ch'an Buddhism' von John McRae.


    Wenn Du Dir mal Wendi Adameks 'The Mystique of Transmission. On an Early Chan History and his Contexts' anschaust, findest Du in der Übersetzung des Lidai fabao ji, einem frühen Beispiel der Yulu-Literatur (über Baotang Wuzhu, den das spätere Chan-Narrativ ignorierte) übrigens jede Menge Sutren-Zitate - wobei Wuzhu ein ausgesprochen radikaler Chan-Meister war.


    Was dies hier angeht:

    wie sehr Zen-Praxis sich mit dem Beseitigen moralischer Mängel beschäftigt, was im Taoismus (und im Plattformsutra) ja schon als Ausdruck eines Problems betrachtet wurde.

    ... würde ich empfehlen, sich Sektion 20-23 des Platform-Sutra (Dunhuang-Version) mal anzuschauen (in der McRae-Übersetzung von TT2008 ab Seite 46). Der Huineng des Platform-Sutra vertritt dort nicht nur eine Doktrin der 'formlosen Gelübde' und leitet diese von der Prajñāpāramitā-Lehre ab, er überträgt die formlosen Gelübde auch in einer Zeremonie auf seine Zuhörer.

    wirklich alles an Dogmen über den Haufen zu werfen suchte - also im Grunde mit dem Buddhismus Schluss machte.

    Ersteres lässt sich schon von Nagārjuna sagen (der nicht zufällig Eingang in die Patriarchen-Liste gefunden hat) und exakt dieses "über den Haufen werfen" findest Du ja z.B. explizit im Herzsutra. Implizit z.B. auch in der Upāya-Lehre des Lotossutra. So gesehen hat das ganze Mahāyāna "mit dem Buddhismus Schluss gemacht". Lange, bevor an Chan auch nur zu denken war. Und - sorry, aber ein "vorinstitutionelles Chan" klingt mir doch ziemlich spekulativ, dafür würden mich dann schon die Belege des "Empirikers" Hinton interessieren.


    Aber mal was anderes. In China entstand ja, um die Inkonsistenzen zwischen verschiedenen buddhistischen Lehrsystemen zu erklären, eine Disziplin doktrinärer Taxonomie. Diese Systeme (panjiao 判教) wurden insbesondere im Weishi (z.B. Paramārtha), Tiantai (beginnend mit Zhiyi) und Huayan entwickelt. Der 3. Huayan-Patriarch Fazang war Zeitgenosse Huinengs; der 5. Patriarch Zongmi gehörte gleichzeitig zu Shenhuis Chan-Linie (Heze Chan); beides auch 'Taxonomen'.


    Ist es nicht irgendwie eigenartig, dass in den jüngeren (mit Chan koexistierenden) Klassifizierungssystemen Chan nie als ein 'Krypto-Daoismus' kritisiert wurde, sondern selbstverständlich als buddhistische Schule verstanden wurde? Ein solcher Vorwurf findet sich nicht einmal in den Tiantai-Polemiken gegen Chan (genauer: gegen eine zu große Nähe des Shanwai-Zweigs zum Chan) in der Song-Zeit (vgl. https://journals.ub.uni-heidel…icle/download/8820/2727/0). Die Wechselwirkung von Daoismus und Buddhismus sollte man mE doch etwas differenzierter betrachten. Zur Einführung: https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-02427046/document

    Hmm ... ich frage mich, ob dieser 'Seiteneinsteiger' eigentlich mitgekriegt hat, was die insbesondere mit Seizan Yanagida und dem IRIZ (International Research Institute for Zen Buddhism) an der Hanazono-Universität verbundene Forschung der letzten ca. 60 Jahre über die Genese des Chan erarbeitet hat. Ob er das nicht kennt oder nur souverän ignoriert.


    Ich sehe da ein ähnliches Problem wie bei Roloff (auch ein Übersetzer ...), nämlich einen etwas begrenzten geistesgeschichtlichen Horizont in Bezug auf Buddhismus. Um Chan / Zen als geistesgeschichtliches Phänomen zu "verstehen", ist es mE deutlich sinnvoller, sich mit seinen Wurzeln im Sanlun (Madhyamaka), Weishi (Yogacara) und den einheimischen älteren chinesischen Schulen (Nehan zong, Tiantai und insbesondere Huayan) zu beschäftigen. Man sollte sich wenigstens etwas mit den Prajñāpāramitā Sūtras, dem Lankavatara und dem Nirvana Sūtra beschäftigen - und natürlich mit dem Plattform Sūtra. Das alles weitgehend zu ignorieren und stattdessen eine Herleitung aus dem Daoismus zu bemühen ist etwa so, als würde man Zen im Westen aus der christlichen Mystik herleiten wollen. Es gibt zwar Leute, die das tun bzw. versuchen - aber überzeugend finde ich das nicht.