Zitat Voraussetzung eines sinnvollen Gedankenaustauschs wäre zunächst ein Offenlegen, in welcher Hinsicht man sich auf solche Narrative bezieht - als ein historisches Ideal oder als einen Wandlungsprozess. Im letzteren Sinne spielen bei diesem Thema aktuelle Bedingungen (z.B. ökologische) durchaus eine Rolle; wenn man ein aus dem Palikanon konstruiertes historisches Ideal zur Grundlage des Diskurses macht, eher nicht. Zu einem sinnvollen Diskurs gehört es, da nicht die Bezugsebenen nach Belieben zu wechseln, wie es einem gerade in die Argumentation passt.
Ich sehe natürlich den Wandlungsprozess im Vordergrund. Aber das nutzt ja nicht viel, wenn die andere Seite in einer Diskussion besonders das historische Ideal - oder sagen wir: die fix formulierte "Wahrheit" - betont, da sollte ich mich, wie ein Linguistenprof. mir mal beibrachte, auf die Ebene des Diskurses des anderen begeben. Man kann ja hier im Faden sehen, dass bestimmte Positionen (wie: "Ich bin Buddha", was im Idealfall natürlich auch der andere von sich sagen können sollte und keineswegs Angabe sein soll) nicht nachvollzogen werden. Dann also wird innerhalb des Textes argumentiert, und da wird auch schnell klar, warum ich ansonsten die Textebene schnell verlasse, da diese Literaturen, mit denen wir es zu tun haben, nicht der Weisheit letzter Schluss sein können.
Zitat Ist es da so abwegig, auf Sutren - also auf vom Sangha als 'kanonisch' anerkannte Texte - zu verweisen?
Nein, und es ist nicht abwegig, diese auf ihren Gehalt abzuklopfen. Da geht es nicht schon um eine konträre Position (im Sinne von Dharma als Wandlungsprozess), sondern erst einmal darum, sich zu fragen, wieso man so etwas wie "Wenn du Fleisch isst, werden dich Lebewesen meiden" überhaupt nachbeten soll. Hier findet ja erst mal kein Wandel statt, das steht da immer noch so und wird so rezipiert und zitiert. Der erste Schritt ist, auf diesen Irrsinn hinzuweisen und dem anderen zu zeigen, dass er hier schlicht ein Gläubiger ist. Entscheidend ist also nicht, ob er - wie das Thomas ja auch versucht - den Dharma auf moderne Umstände hin interpretiert, also den Wandel einbezieht, sondern ob er ein Textgläubiger ist, den Buddha als vollkommen ansieht usw. Das ist bereits auf der Textebene logisch zu widerlegen. Dann wird klarer, dass viele nicht so sehr aufgrund echter Erfahrung, sondern aus Hörensagen argumentieren.
Zitat Wobei sich zumindest mir da die Frage stellt, was eigentlich Dein Maßstab ist. (...) benötigen wir wohl oder übel auch einen Maßstab für 'Buddhadharma'. Und das sollte ein gemeinsamer sein, kein persönlicher
Das ist wieder so eine Wunschvorstellung, in meinen Augen, denn es setzt voraus, dass es da eine Instanz gibt, die über das entscheidet, was gemeinsam ist, und die gibt es im Zen nicht ("Wir haben keinen Papst oder Dalai Lama", wie Muho einem Zuschauer mal antwortete). Zwischen den Zen-Schulen und Lehrern kann ich schon erhebliche Unterschiede feststellen. Auf wenige Gemeinsamkeiten runtergebrochen sind das die von mir erwähnten Erkenntnis der Leere (und des Einsseins in dieser Leere mit den anderen Dingen), Aufhebung des dualistischen Denkens (das auf der diskursiven Ebene natürlich bestehen bleibt) etc. Das sind ja schon fast gängige Zen-Klischees. In der Praxis ist der Maßstab z.B. das Verständnis, ein "Ich übe mich" beinhaltet bereits ein "denn ich scheitere ja ständig", also eine lebenslange Übung. Es gibt also nichts, keinen Text und keine Figur ("Buddha"), die vollkommen ist oder war (es sei denn in einer Art der Betrachtung, die So-heit und Realität an sich annimmt, die dann gerade auch in ihrer Unvollkommenheit als "richtig" erlebt werden). Das Material Palikanon, Sutren, Buddha ist ein Ausgangspunkt für die eigene Verifizierung und Falsifizierung, genau wie z.B. das ganze Gerede, das wir in zweieinhalb Jahren Corona von ganz unterschiedlichen Parteien hörten und aus dem wir Sinn zu machen versuchten. Dieses Gerede steht stets unter dem Verdacht des Irrtums, und das sollte auch für den Text gelten.
Zitat Du plädoyierst für ethische Unbedenklichkeit von Fleischverzehr
,
Das würde ich doch lieber, im Anschluss auf die Frage nach dem Maßstab, so fassen: Ich bin davon überzeugt, dass man - wenn man so praktiziert, wie ich das andeutete - in einen Zustand kommt, in dem gewisse Dualismen aufgehoben sind für einen selbst. Es gibt keine Hindernisse im konkreten Essen usf. Natürlich bleiben auch bei mir (siehe oben, Üben und Scheitern) andere Hindernisse oder Abneigungen bestehen, ich habe mir z.B. mal überlegt, was passieren würde, wenn alle Schlachter streikten und forderten: Tötet eure Tiere selbst, ich versau mir nicht mein Karma! Dann müsste ich bei meinem Konsum vielleicht alle paar Jahre eine Kuh und jährlich ein Schwein erschießen, wenn alle anderen eben auch ihren Teil erledigen (ich habe das nicht wirklich ausgerechnet), aber bei Geflügel macht es wenig Sinn, mit einem Bolzenschussgerät anzurücken, und dem den Hals umzudrehen, wie es auf unserem Hof einer machte, oder die Kehle zu durchtrennen, das wäre nix, also würde ich ggf. auf Geflügel verzichten müssen. Das Töten der Tiere soll also in einem konfliktfreien, nicht-anhaftenden Zustand geschehen, und wenn ich das nicht kann, sollte ich es lassen. Denn plötzlich wäre es ja "bedenklich". Allerdings ist dieses Nicht-Können in meinen Augen ja ein Scheitern, während mich andere dazu beglückwünschen würden. Es ist z.B. auch ein Scheitern in den vom Zen beeinflussten Kampfkünsten, wenn man den entscheidenden (zumindest potentiell) tödlichen Schlag nicht ausführen kann, weil man durch wertendes Denken zögert.
Von daher ist das "konsistent mit dem Buddhadharma", weil das Ideal eine Zen-Übung ist, in der zuallererst Weisheit steht, die sich aus Erkenntnis und Erfahrung von Leere speist (in der Regel mittels Versenkung). Nur dann sieht man, dass nicht nur liebevolle, ausgedehnte Güte ein Einssein mit Tieren bedeuten kann, sondern auch zögerungsfreies Töten. Ansonsten hält man nur für weise, was nicht in jeder Situation weise sein kann (sila).
Zitat die strengere und geregelte Praxis der Ordinierten grundsätzlich Vorbildcharakter für Laien hat
Und das geht natürlich für mich auch nicht, denn das ist wieder "Text". Hier ist der Abgleich mit der Realität vonnöten. Das Ordiniertenleben kann Vorbild sein, aber aus vielerlei Gründen auch kein Vorbild sein, denn der Laie will sich fortpflanzen, will Handel betreiben (ggf. auch mit Waffen, die möglicherweise dann irgendwann den Erhalt des Klosters der Ordinierten schützen) usw. Diese Trennung ist im Sinne eines "Wandels" aufzugeben, sie ist überholt (auch wenn man hier in Theravada-Ländern meint, diese Strukturen seien für die Gesellschaft enorm wichtig). Wir haben alles Wesentliche, woran wir uns abarbeiten können, überliefert bekommen, und benötigen keine solche Trennung mehr.
Es gibt für mich überhaupt keine Notwendigkeit, mich auf Texte zu berufen, wenn die "Übertragung (doch) außerhalb der Schriften" stattgefunden hat. An den Texten ist "nichts von heilig", keine textliche Prämisse gilt. Es zählt nur das durch eigene Erkenntnis und Erfahrung Verifizierte, und das ist z.B., dass eine Buddha-Natur (könnte man freilich auch ganz anders nennen) tatsächlich inhärent ist und ein praktiziertes Überwinden von Dualismus tatsächlich möglich. Nicht möglich dagegen sind die meisten im Palikanon dargelegten und idealisierten Dinge wie Nicht-Töten, Nicht-Lügen etc, es sei denn als Übung im Scheitern. Darum kann man trotz des ebenfalls umfangreichen Textvolumens der Zen-Tradition im Grunde den Extrakt des Palikanons in einem Koan oder gar Jakugo oder Huatou finden, einem Schlüsselsatz, anhand dessen man das (falsche, fabrizierte) Selbst an sich selbst quasi verzweifeln lässt. Das ist die Basis, es ist aus diesem Blickwinkel also nötig, dass jeder notgedrungen, so paradox es klingt, eine solche "persönliche" Erfahrung macht. Dann kann er von da aus auf die Texte schauen. Dann sieht er vielleicht nicht mehr den perfekten Buddha, sondern eine konstruierte Heldengeschichte. Nicht mehr eine Handlungsanweisung, sondern lediglich eine mögliche Inspirationsquelle.