Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Religion aus materialistisch-wissenschaftlicher Perspektive“

    SteFo

    Deine Argumentation klingt nach Skepsis, allerdings ist es eine Skepsis, die in einem sehr fundamentalen Glauben fußt: In die Fähigkeit der Naturwissenschaft, Wirklichkeit lückenlos erklären und beschreiben zu können. Dabei landest Du dabei, dieses Konstrukt als letztliche und einzige Quelle tatsächlicher Erkenntnis zu setzten, um das einzige, dessen Du tatsächlich hier und jetzt sicher sein kannst – nämlich die Phänomene der unmittelbaren Wahrnehmung –, zu Illusionen zu deklarieren. Ziemlich grotesk.... Für mich ist es anders: Ich kann nur die Phänomene der Wahrnehmung der Gegenwart sicher als existent verifizieren, und bin mir darüber im Klaren, dass jede Spekulation, darüber, wie diese Phänomene zustande kommen, nur vorläufig und abhängig von kulturellen, psychischen und physischen Determinanten sein kann. Wir reden also nicht aneinander vorbei. Ich bin nur nicht Deiner Meinung. :|

    weil es nur Ausdruck einer Illusion ist und was innerhalb des Ausdrucks "Illusion" genannt wird, selbst wieder eine Illusion qua Illusion sein könnte.

    Genau das meine ich. Möge Dich jemand wachrütteln. :D


    Andrej Tarkowski hat dieses Thema in seinen Filmen immer wieder bearbeitet. Vor allem aber in "Opfer" und in "Stalker". Die Filme sind etwas aus der Zeit gefallen, aber immer noch sehr, sehr schön.


    Ein Gedicht habe ich noch für Dich:


    Zitat

    Aber abseits wer ist's?

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,

    Hinter ihm schlagen

    Die Sträuche zusammen,

    Das Gras steht wieder auf,

    Die Öde verschlingt ihn.


    Ach, wer heilet die Schmerzen

    Deß, dem Balsam zu Gift ward?

    Der sich Menschenhaß

    Aus der Fülle der Liebe trank?

    Erst verachtet, nun ein Verächter,

    Zehrt er heimlich auf

    Seinen eignen Wert

    In ungnügender Selbstsucht.


    Ist auf deinem Psalter,

    Vater der Liebe, ein Ton

    Seinem Ohre vernehmlich,

    So erquicke sein Herz!

    Öffne den umwölkten Blick

    Über die tausend Quellen

    Neben dem Durstenden

    In der Wüste.


    ->Quelle


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    SteFo

    Du bist auf dem falschen Dampfer. Aber das wirst Du vielleicht (hoffentlich) selbst noch merken. Das Arge bei dieser Art von Verirrung ist, dass sie einer Verschwörungstheorie ähnelt. Sie ist von ihrer Argumentation her vollkommen hermetisch. Wenn alles Illusion ist, gibt es nichts mehr zu reden, denn nichts kann diesen Kreis des Illusionären verlassen. Einsamkeit und hermetische Abgeschiedenheit sind total. Durch die buddhistische Praxis bin ich zur gegenteiligen Weltsicht gekommen. Alles ist komplett durchlässig, offen und in ständigem Austausch. Wahrnehmung ist das einzige, bei dem das Charakteristikum "wirklich" zutrifft. Die Konzepte und Vorstellungen, die ich mir zusammenspinne, wenn ich mich in Zukunft, Vergangenheit oder kommentierender Distanz zur Wirklichkeit bewege, sind die eigentlichen Illusionen.


    Aber nun ja. Das sind alles Dinge, die sich nur durch Erfahrung, nicht durch Worte, klären lassen. _()_

    Weder habe ich ein Leben, noch eine Wahrnehmung, weil ich nicht bin. Warum? Weil "selbst" - in all seinen Ausprägungen - ebenso ein mentales illusionäres Produkt der Materialität ist aus der Perspektive, welche ich im Thema dieses Threads festgelegt habe.

    Nachdem ich dieses Denken einige Monate mit mir herumgetragen hatte (immer wieder von Derealisationszuständen begleitet), bin ich an einer generalisierten Angststörung erkrankt, mit Panikattacken und allem drum und dran. Da war ich 27. Das ist kein Scherz. Ich brauchte volle acht Jahre, bis ich das wieder los war. Diese Zeit hat mich gründlich durchgerüttelt und mich aus dem Denken und Verrenken ins Leben und Wahrnehmen zurückgeworfen wie in einen Haufen Matsch – konkret, unmittelbar, real, unhintergehbar und herrlich lebendig – und es hat mich gründlich von diesem Unsinn geheilt. Aber das betrifft natürlich nur meine Geschichte. Du hast eine andere...

    Der sog. "Erkenntnisprozess" fällt in die Menge der illusorischen Produkte der Materie., ebenso die sog. "Wahrnehmung", der spekulative Rest des Zitates ebenso.

    Wahrnehmung ist alles, was Du jemals tatsächlich von der Wirklichkeit haben wirst. Wenn diese Grundlage Deines Lebens für Dich Illusion ist, dann bist Du zu bedauern. Im buddhistischen Kontext nennt man das die "Falle des Nihilismus" – wenn man so will, eine der Kontraindikationen der buddhistischen Lehre.

    Mir erscheint nichts, was die sog. "Qualia" als anderes als "Aktionspotentiale im Gehirn" erscheinen lässt.

    Mir erscheint nichts, was die sog. "Aktionspotenziale im Gehirn" anders als "Qualia" erscheinen lässt.


    Nicht "Materie" steht am Anfang des Erkenntnisprozesses, sondern Wahrnehmung. Aus der Wahrnehmung heraus konstruiert jede Kultur Abstraktionen und Vorstellungen zur Welterklärung. Das ist das, was Merleau-Ponty das "Primat der Wahrnehmung" nennt.


    Du hast sicher noch kein Aktionspotenzial gesehen oder gefühlt. Du kannst aber aufgrund komplexer Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse auf deren Existenz schließen. Dennoch steht auch bei der Wissenschaft die Wahrnehmung am Anfang als unhintergehbare, unmittelbare Selbstevidenz.

    Das ist lustig. Du sagst mit anderen Worten: Ich habe recht, aber ich habe nicht die Zeit und die Energie, das auch argumentativ zu belegen.


    :)


    Stattdessen sagst Du, Erfahrung sei interkulturell gesehen der gemeinsame Nenner, der uns einen objektiven Blick auf die Wirklichkeit ermöglicht. Wäre das so, würden wir noch an die flache Erde glauben.


    Das, was ich argumentiere, ist ja auch nicht nur auf meinem Mist gewachsen. Es stammt z.B. von Leuten wie David Chalmers:


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    Oder er hier, Bertrand Russell:

    Zitat

    Sowohl die Materialisten als auch die Idealisten haben sich, unbewusst oder ungeachtet ausdrücklicher Ableugnungen, in ihrem Vorstellungsbild von der Materie einer Verwechslung schuldig gemacht. Sie dachten, dass ihre Wahrnehmungsinhalte, wenn sie sehen oder tasten, die Materie der Außenwelt darstellten, während doch in Wirklichkeit diese Wahrnehmungsinhalte Bestandteile der Materie des wahrnehmenden Gehirns sind. Man kann aus der Untersuchung unserer Wahrnehmungsinhalte – so habe ich behauptet – auf gewisse formale, mathematische Eigenschaften der äußeren Materie schließen; dieser Schluss ist weder streng noch sicher. Andererseits erhalten wir aber doch durch die Untersuchung unserer Wahrnehmungsinhalte ein Wissen über die Materie unserer Gehirne, das nicht rein formal ist. Freilich ist dieses Wissen Stückwerk; aber soweit es reicht, hat es Vorzüge, die diejenigen des physikalischen Wissens übertreffen. [...] Die Wahrnehmungsinhalte sind der einzige Bestandteil der physikalischen Welt, die wir anders als in abstrakter Weise kennen. Was die Welt im allgemeinen betrifft, sowohl die physische als die geistige, so ist alles, was wir von ihrer Beschaffenheit wissen, von der psychischen Seite abgeleitet, und fast alles, was wir über Kausalgesetze wissen, von der physischen Seite. Aber vom philosophischen Standpunkt betrachtet, ist die Unterscheidung zwischen Physischem und Psychischem eine oberflächliche und irreale.

    Oder Merleau Ponty: Primat der Wahrnehmung

    Wenn du den Unterschied zwischen Kognitionen, die auf Sinneswahrnehmungen (der 5 Sinne) beruhen und solchen die auf bloßen Begrifflichkeiten, denen keine Sinneswahrnehmung (der 5 Sinne) zugrundeliegt, nicht anerkennen willst, dann kann ich da nichts machen.

    Ok, bleiben wir zunächst in Deinem Modell. Lichtwellen, Moleküle, elektromagnetischer Widerstand (Materialität) und vergleichsweise langfrequente Energie, die Luftmoleküle in Bewegung versetzt (akustische Signale) treffen auf "Sinnesorgane". Dort findet eine Umwandlung statt. Aus den auftreffenden Energien werden Aktionspotenziale. Synapsen kennen nur die Information 1 (es wird gefeuert) und 0 (es wird kein elektrischer Puls ausgesandt). Diese auf 0 und 1 reduzierte "Wirklichkeit" trifft dann auf verschiedene Bereiche des Gehirns und löst biochemische und elektrische Zustände aus, die sich messen lassen. Von der Art des eingehenden Signals und dem entsprechenden Zustand im Gehirn kann man auf eine gewisse Kausalität und Korrelation schließen. Soweit so gut.


    Dann beginnt aber etwas höchst ungewöhnliches: Aus biochemischen und elektrischen Zuständen, die auf der Reduktion der "Wirklichkeit" auf 0 und 1 basieren, entsteht subjektives Erleben. Und das ist wirklich das harte Problem der Neurophysiologie, das bisher vollkommen ungeklärt ist. Was wir wissen ist, dass irgendwie auf Basis der "äußeren Daten" Wirklichkeit erzeugt wird. Das ist aber kein kausaler Prozess. Maximal kann man hier von Korrelation sprechen. Am besten wird der Prozess aber durch den Begriff Kreativität gekennzeichnet, denn das Bild von der Welt entsteht aufgrund von evolutiven, physiologischen, kulturellen, psychologischen, soziologischen Bedingungen und ist alles andere als linear oder "objektiv". Es ist eine automatische kreative Leistung. Am nächsten kommt man dem Ergebnis dieses Prozesses mit dem Begriff der kreativen Vereinbarung auf der Basis ähnlicher innerer Erfahrungen und kultureller, evolutiver, soziologischer, etc. Determinanten.


    Zugleich müssen wir feststellen, dass, wenn unsere gesamten mentalen Zustände das Ergebnis kreativer "Dichtung" sind, zwangsläufig auch die Schlussfolgerungen aus diesen Zuständen positiv formuliert einen zweifelhaften Grad an Verlässlichkeit besitzen. Das zeigt die Geschichte der Welterklärungen bis in unsere Tage zur Genüge.


    Evidenzen entstehen, wenn innerhalb von bestimmten kulturellen Vereinbarungen bestimmte Schlüsse intuitiv folgerichtig erscheinen. Das geschieht aber immer nur auf der Basis bestimmter Axiome, von denen aus Weltentwürfe errichtet werden. Unsere Naturwissenschaft ist solch ein Modell, das auf Axiomen beruht, die in gewissem Rahmen Vorhersagen erlauben. Aber auch die Naturwissenschaft bildet die Wirklichkeit nicht ab, sondern stellt ein kreatives Konstrukt gesellschaftlicher Übereinkünfte dar, die wiederum auf subjektiv geschaffenen Wirklichkeiten beruhen, die ihrerseits von den jeweiligen evolutiven, sozialen, physischen und subjektiven Bedingungen seit Anbeginn abhängig sind.


    Gerade beim Übergang von Energie zu Information zu subjektivem Erleben (Energieimpuls -> Aktionspotenzial -> Qualia) sehe noch gar keine schlüssige Theorie, die die Entstehung des einen aus dem anderen auch nur ansatzweise erklären würde. Daher kann auch der umgekehrte Weg, Vereinbarung und Deduktion auf Basis subjektiver Erfahrung, um Wirklichkeit zu erklären (denn genau das ist Wissenschaft), immer nur vorläufig und von unzähligen Bedingungen abhängig sein (buddhistisch: leer von inhärenter Eigenexistenz). Daher ist reiner Materialismus auch ein logischer Fehlschluss, denn wir wissen schlicht nicht, was "da draußen" ist, und wir wissen auch nicht, wie aus "dem da draußen" das "hier drinnen" entsteht. Der Buddhismus geht noch einen Schritt weiter und stellt aus eben diesen Gründen die Grenze von Innen und Außen, ja sogar die Berechtigung dieser beiden Kategorien infrage, weil das Bild von Welt, das eine Kultur für sich prägt, immer aus unzähligen Wechselwirkungs- und Rückkopplungsprozessen zwischen "Innen" und "Außen" besteht, sodass letztlich diese Unterscheidung nur wenig Sinn macht.

    Alle mentale Phänomene sind eigentlich Illusionen, weil alles, was wirklich wissenschaftlich evident ist, Aktionspotentiale im Gehirn sind. Für Bewußtsein, Gefühle, Selbst, Glauben, etc. gibt es nicht die geringste wissenschaftliche Evidenz, weil wissenschaftliche Evidenz natürlich notwendigerweise ein bloß materielles Phänomen sein kann.

    Worin besteht denn der Unterschied zwischen mentalen und materiellen Phänomenen? Welche Phänomene bilden die Grundlage der wissenschaftlichen Evidenz? Wie kann es rein materielle Phänomene geben?


    Ich schätze mal, Dir sind diese Fragen bewusst, zumindest, wenn ich Deinen letzten Satz mit berücksichtige.