Ich kehre zum Eröffnungspost zurück und starte erneut, weil mir das zwischenzeitlich erschienene Brillengleichnis nun eine angemessene verbale Ausdrucksmöglichkeit ermöglicht.
Für einen Neustart ist es erforderlich den Eröffnungspost analysierend zu kommentieren:
[1. Zitat ]
Vielleicht mal Zeit die wissenschaftliche Perspektive einzunehmen? Streng wissenschaftlich, d.h. natürlich materialistisch-wisssenschaftlich (sog, "Geisteswissenschaften" gelten dann nicht als Wissenschaft):
Die Ankündigung lautet "streng wissenschaftliche, d.h. natürlich materialistisch-wisssenschaftlich[e]" Perspektive ("Brille"). Was dann folgt ist jedoch keine solche Perspektive. Selbst der letzten Satz ...
[2. Zitat ]
Dass dies alles natürlich wiederum selbst spekulatives [philosophisches] Denken ist und keineswegs bloß auf materiellen wissenschaftlichen Evidenzen beruht ist eben den besagten Kapazitäten des Gehirns geschuldet, die die Neigung haben, durch sich selbst irregeleitetet zu werden.
... , der alles zwischen dem einleitenden Satz (1. Zitat) und dem letzten Satz (2. Zitat) Geschriebene ungerechtfertigterweise als unwissenschaftlich (weil spekulativ philosophisch) outet, kann nicht ungeschehen machen, dass der Eröffnungspost ziemlich misslungen ist: eine Perspektive wird angekündigt, aber dann nicht (oder nur teilweise) eingenommen.
Das aber, was zwischen dem einleitenden Satz (1. Zitat) und dem letzten Satz (2. Zitat) geschrieben steht, entspricht unterschiedlichen Perspektiven ("Brillen"): zunächst ...
[3. Zitat]
Im Laufe der Evolution hat das humane Gehirn außerordentliche Kapazitäten erworben, um dem entsprechenden Organismus immer effizienter das Überleben zu ermöglichen. Diese außerordentliche Kapazitäten haben jedoch den Neben-Effekt, dass das Gehirn Fragen konstruiert (weil es das kann), die vollkommen irrelevant sind für das Überleben und Antworten ersinnt (weil es das ebenso kann), die ebenso irrelevant sind. Religionen sind demnach ein Produkt der durch sich selbst irregeleiteten Kapazitäten des Gehirns.
Alle mentale Phänomene sind eigentlich Illusionen, weil ...
... und ...
[4. Zitat]
... Die illusionären mentalen Phänomene spielen jedoch eine Rolle bei der Selbstregulation des Gehirnes, können also in nützliche (wie zB das Selbst ohne das es keine intentionalen Impulse gibt), unnütze (wie zB spekulatives Denken) oder gar schädliche Illusionen (zB obsessive Vorstellungen) eingeteilt werden.
Hierbei handelt es sich um den Ausdruck spontanen, wenn auch bedingten Denkens, welches der skeptischen Perspektive entspricht, wenn - und nur wenn - keinerlei Anspruch (claim) damit verbunden ist. Sollte zum Zeitpunkt des Niederschreibens ein Anspruch (claim) damit verbunden gewesen sein, so hätte es sich um einen naiv-realistische Perspektive ("Brille") gehandelt. Ich kann mich aber nicht daran erinnern wie mein Gehirn die ausgedrückten Gedanken "intern" präsentiert hatte. Die naiv-realistische "Brille" hatte ich beim Brillengleichnis fälschlicherweise gar nicht erwähnt, weil sie mir als eine "angeborene Brille" scbeinbar nicht erwähnenswert erschien: Gedanken erscheinen manchmal wie ein Abbild einer (gedachten) Realität.
[5. Zitat]
... alles, was wirklich wissenschaftlich evident ist, Aktionspotentiale im Gehirn sind. Für Bewußtsein, Gefühle, Selbst, Glauben, etc. gibt es nicht die geringste wissenschaftliche Evidenz, weil wissenschaftliche Evidenz natürlich notwendigerweise ein bloß materielles Phänomen sein kann.
Nur dieses Zitat beinhaltet die materialistisch-wissenschaftliche Perspketive ("Brille"), wobei der erste Satzabschnitt nicht ganz korrekt ist, denn, was wissenschaftlich evident ist, hängt von dem eingesetzten Meßverfahren ab: messe ich keine Potentiale sondern setze bildgebende Verfahren ein, die metabolische Aktivität darstellen, dann ist es eben die metabolische Aktivität die evident ist und nicht Aktionspotentiale.
Das alles wirft die Frage auf:
Kann Religion überhaupt aus der von mir in diesem Thread beschriebenen und beabsichtigten (aber selten eingenommenen) materialistisch-wissenschaftliche Perspektive betrachtet werden?
Mir erscheint: Ja, aber nur dann, wenn die Betrachtung sich exklusiv auf die doktrinären Ausdruckformen (Schriften, Aufzeichnung von Predigten/Belehrungen) bezieht, welche das Gehirn zur Synthese von Begrifflichkeiten veranlasst, Begrifflichkeiten, die dann auf Sinneseindrücken beruhen, welche stofflicher Provenienz und also dem Gehirn via Sehen und/oder Hören zugänglich sind.
Allein die Erforschung religiöser Doktrinen unter Zuhilfenahme entsprechender doktrinärer Hilfsmittel (traditionelle Kommentare und Wörterbücher) erfüllt den Anspruch "Religion aus materialistisch-wissenschaftlicher Perspektive". Es kann dabei keinesfalls um die Glaubwürdigkeit von doktrinären Aussagen gehen, sondern ausschließlich um die Begrifflichkeit, welche durch Sehen (von geschriebenen Wörtern und Sätzen) oder Hören (von gesprochenen Wörtern und Sätzen) hervorgerufen wird, wenn - und nur wenn - sich die entsprechende Begriffsbildung vorbehaltlos doktrinären Definitionen und Wortdeutungen der Religion unterwirft (d.h. jegliches Eigeninteresse beim Verständnis der religiösen Doktrin ist notwendigerweise ausgeschlossen). Gedanken, die sich vom Wort der Schriften, Kommentare, traditionellen Wörterbücher etc. entfernen und Begrifflichkeiten bilden, die eben nicht auf den Sinneseindrücken der religiösen Doktrin beruhen, können spekulativ philosophischer und dabei naiv-realistischer oder skeptischer Natur sein, weichen jedoch alle von der Doktrin ab und können nicht beanspruchen die Doktrin zu "interpretieren", weil die einzig zulässigen "Interpretationen" die traditionellen Kommentare sind.