Beiträge von void im Thema „Religion aus materialistisch-wissenschaftlicher Perspektive“

    Der Begriff ist definiert. Das Problem entsteht, wenn man im Diskurs Begriffe verwendet, deren Definition und Begriffsgeschichte man nicht kennt und sich stattdessen selbst Definitionen ausdenkt.

    Von dieser Definition wird ja klar, dass es eun eher philosophisch-werltanschauiicher Begriff ist, der gegen den damaligen Idealismus gerichtet war.


    Während ja das was SteFo vorschlägt ganz was anderes ist. Etwas was die materielle Grundlage und den Kontext außer acht lässt und ganz von Text ( der Doktrin) ausgeht:


    Kann Religion überhaupt aus der von mir in diesem Thread beschriebenen und beabsichtigten (aber selten eingenommenen) materialistisch-wissenschaftliche Perspektive betrachtet werden?

    Mir erscheint: Ja, aber nur dann, wenn die Betrachtung sich exklusiv auf die doktrinären Ausdruckformen (Schriften, Aufzeichnung von Predigten/Belehrungen) bezieht, welche das Gehirn zur Synthese von Begrifflichkeiten veranlasst, Begrifflichkeiten, die dann auf Sinneseindrücken beruhen, welche stofflicher Provenienz und also dem Gehirn via Sehen und/oder Hören zugänglich sind.

    Allein die Erforschung religiöser Doktrinen unter Zuhilfenahme entsprechender doktrinärer Hilfsmittel (traditionelle Kommentare und Wörterbücher) erfüllt den Anspruch "Religion aus materialistisch-wissenschaftlicher Perspektive". Es kann dabei keinesfalls um die Glaubwürdigkeit von doktrinären Aussagen gehen, sondern ausschließlich um die Begrifflichkeit, welche durch Sehen (von geschriebenen Wörtern und Sätzen) oder Hören (von gesprochenen Wörtern und Sätzen) hervorgerufen wird, wenn - und nur wenn - sich die entsprechende Begriffsbildung vorbehaltlos doktrinären Definitionen und Wortdeutungen der Religion unterwirft (d.h. jegliches Eigeninteresse beim Verständnis der religiösen Doktrin ist notwendigerweise ausgeschlossen).

    Für mich beschreibt das doch eher einen hermeneutischen Ansatz wo man von Text und seiner Eigenlogik ausgeht. Während die materialistischen Vulgärmarxisten aus jedem Wolkenkuckucksheim von der Luft auf den Boden zerren wollen, erforscht man das ja als Hermeneutiker aus der Innenperspektive.


    Wenn ich mir das praktisch vorstelle, muß ich an die Texte von von Himmelsbaum .( z.B Mahayana und die anderen) denken.

    Sudhana, void, Leonie, um auf eure Posts eingehen zu können, müsste ich nicht nur die materialistische-wissenschaftliche Brille ablegen

    Nein, müsstest du nicht. Im Gegenteil.


    Wissenschaft basiert nicht so sehr auf "Materialismus" sondern dass man empirisch und systematisch von der Sache selbst ausgeht und seine Methode, Begriffe und Erkenntnisse für andere nachvollziehbar macht. Transparenz ist das A und O.


    Als Galileo Galilei durch sein Fernrohr die Jupitermonde entdeckte gab er genaue Anleitungen, wie andere sein Instrumentarium nachbauen und so seine Aussagen potentiell reproduzieren oder widerlegen konnten. Seine "Brille" kam mit Gebrauchsanleitung. Sich verständlich zu machen und zu rechtfertigen zum wissenschaftlichen Handwerkszeug.


    Ich verstehe dich so dass du uns nicht erklären willst, was du genau unter materialistisch oder unter wissenschaftlich versteht. Wie ein merkwürdiger Galileo der seinen Kollegen sagt, dass er ihnen seine "wissenschaftlich/materialistischen Brille" nicht zeigen kann, weil er sie sonst abnehmen müsste. Mann kann ja schlecht von Evidenzbasiertheit ausgehen ohne Evidenz zu geben.


    Vermutlich meinst du mit ""wissenschaftlich/materialistischen Brille" was anderes - eher so eine innere nüchterne "no Bullshit" Herangehnsweise? Eine aufklärerischen Ideologiezertrummerung oder so etwas?

    Der Begriff "Materialismus" ist für mich etwas was nicht so sehr Wissenschaftler sondern Marxisten im Munde führen.


    "Materialismus" ist für Marxisten ein wichter Begriff ist, weil für sie das Problem ja Ausbeutung und Machtmechanismen das Problem sind und Gedankenkonstrukte häufig die materielle Realität von Ausbeutung, Herrschaft und Stofflüssen verschleiert. Von daher wollen sie den ideologischen Überbau der "hehren Ideen" beiseite schieben und sich die Herrschaftsverhältnisse anschauen. Wobei natürlich der "dialektische Materialismus" selber eine Philosophie und Weltanschauung ist. Die richtige Ideologie die die falschen zertrümmert.


    Während Wissenschaftler ja von ihrem Untersuchungsgegenstand ausgehen sollten und die passenden Instrumente und Begriffe aus ihren Fragestellungen ableiten. Da stört der Begriff des "Materialismus" eher.


    Auch Newton sah sich ja dem Vorwurf ausgesetzt, dass er mit der Gravitation eine ohne Berührung funktionierende "Okkulte Kraft" annahm. Wissenschaft kann sich also auf alles Mögliche beziehen. Man konnte Jahrhundertelang "Licht" erforschen und dabei darüber reden, inwieweit es Materie ist oder eher nicht. Materialismus wäre da ganz im Weg gestanden.

    Mit materialistisch-wissenschaftlicher Brille sage ich, dass es gar keine "geistigen Zustände" gibt. Was es gibt, weil wissenschaftlich evident, ist die sich ändernde Materialität des Gehirnes. Und wissenschaftlich kann niemals eine Korrelation zwischen meßbaren materiellen Erscheinungen des Gehirnes und behaupteten illusorischen "geistigen Zustände" belegt werden, weil es keinerlei wissenschaftliche Evidenz für "geistigen Zustände" geben kann.

    Evidenz bedeutet ja vor allem, dass man sinnvolle eine Zusammenhange nachweisen kann. Wenn ein Neurochirurg eine bestimmte Stelle im Gehirn reizt und er kann danach den Patienten befragen und diese berichten alle von einem bestimmten geistigen Zustand ( Lichtblitz) dann kann man da eine Korrelation zwischen beiden herstellen.


    Für Mediziner ist es ja Alltag auch subjektive Parameter ( Hungergefühl, Völlegefühl, Schläfrigkeit, Wohlbefinden) mit einzubeziehen und die so gewonnenen Daten mit anderen zu korrelieren. Das geht ja soweit, dass man so etwas wie das subjektive Schmerzempfinden untersuchen kann und z.B herausfinden kann, inwieweit sich das bei Männern und Frauen Jungen und Alten oder bei unterschiedlichen Kulturen unterscheidet.


    Eben weil man da als Mediziner ja nicht an einen vom Körper unabhängigen Geist glaubt sind geistige Zustande einfach nur eine bestimmte Art von komplexen körperlichen Zuständen. So wie man andere körperliche Parameter ( Herzvolumen) nicht auf Blutkörperchen reduzieren muß, reduziert man geistige Zustande ( Niedergeschlagenheit) nicht auf Aktionspotentiale. Man verwendet diejenigen Parameter die es einem erlauben Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln.


    Wissenschaftlichkeit bedeutet das zu untersuchen was vor einem liegt und dabei die eigenen subjektiven Gedanken außer acht zu lassen - nicht Subjektives generell.

    Illusion bedeutet ja grob 'Tauschung' und bei mentalen Zuständen besteht die Täuschung natürlich darin, dass sie als unmittelbar, einheitlich und selbstevident auftreten wo sie in Wirklichkeit bedingt, zusammengesetzt und komplex sind


    Wenn man sagt, dass z.B diese Forumssoftware nur Nullen und Einsen sind dann ist damit einerseits was gedacht, was irgendwie trivial richtig ist ( alle Computerprogramme kodieren sich als Nullen und Einsen) andererseits aber auch etwas, was falsch ist. Das was diese spezielle Software auszeichnet ist ja ihre Organisationsstruktur die Input und Output verbindet. Und so ist am geistigen Zuständen nicht so sehr wichtig, dass sie in Aktionspotentialen realisiert sind, sondern welche Prozesse sie innerhalb dieses Zustandsraum definieren. Eine Funktion auf den natürlichen Zahlen ist etwas anderes als eine natürliche Zahl.


    Wen man einen Endokrinologen fragt, dann sind ja schon Emotionen wie "Wut" komplexe Choreoaphien des Hormonsystems.

    Mir erscheint nichts, was die sog. "Qualia" als anderes als "Aktionspotentiale im Gehirn" erscheinen lässt. Ich kann den Sinn, den deine Worte in meinem Gehirn erzeugen, nicht nachvollziehen. Der Sinn deiner Worte erscheint mir wie "da ich erlebe, kann mein Erleben nicht nur 'Aktionspotentiale im Gehirn' sein". Vollkommener Unsinn, weil jegliches Selbsterleben natürlich auch nichts anders ist als "Aktionspotentiale im Gehirn"

    Willst du in Wirklichkeit nur sagen, dass zu der psychischen Grundlage des Gehirns - den Aktionspotentialen und Hormonwirkungen nicht höheres und "seelisches" hinzukommen muß?


    Oder bist du tatsächlich ein Reduktionist. Jemand der denkt man könne ein Forum als eine Ansammlung von Nullen und Einsen sehen ohne die Programmierung zu betrachten und der denkt, Moleküle waren auf die Atome aus denen sie bestehen reduzierbar?


    Während das erste eine relativ verbreitete Haltung ist ist die zweite Haltung eher verschroben.

    Wenn ich ein Phänomen materialistisch untersuchen will dann sind die Qualia ja erstmal egal. Dies bedeutet aber nicht, dass geistige Zustande an sich egal sind. Denn diese kann man ja daraufhin untersuchen unter welchen Bedingungen sie auftreten und welche Wirkung sie haben.


    Und das tun ja Ethologen ( Verhaltensforscher) "Wut" sieht man dann nicht als Inneres Erleben sondern schlicht als "mobilisierte" Zustand der Angriffsbereitschaft. Und natürlich kann man auch Zustande des Begehrens, der Dominanz und der Unterwerfung als Verhalten und von der Wirkung her beoachten ohne sich Gedanken machen zu müssen wie sich das "subjektiv anfühlt".


    Geistige Zustande mögen in der Hinsicht "Illusionen" sein als sie die Welt nicht in der Form repräsentieren wie sie es vorgeben sie sind aber insofern "wirklich" als sie mit beobachtbaren Wirkungen einhergehen.


    Wenn der Feueralarm in einem Betrieb schrillt dann kann man eine Änderung des Gesamtzustand es des Systems beobachten. Statt das alle an ihren Platzten sitzen verlassen sie sich an den Gebäuden, Brandhelfer tragen Warnwesten. Wie das Signal klingt und ob man es durch ein ganz anderes ersetzten kann, ist dabei unwichtig. Das Signal bekommt seine Bedeutung aus dem was es deutet.


    Und von daher kann man auch bei Religion schauen wie sie Menschen mobilisiert und ordnet.


    Sogar so etwas wie buddhistisches Erwachen ist nichts subjektives sondern die Abwesenheit von Gier und Hass sind etwas was man von seinen Auswirkungen her beobachten kann.

    Empirisch prüfen wird man das Vergangene wohl eher nicht können. Aber man kann zB prüfen ob man einem solchen Gedanken, einem solchen Sprachbild zustimmen mag 'Religion erfüllt eine Funktion*' - prüfe ich für mich stelle ich fest: diese Aussage macht keinen Sinn, es ist mehr ein Erklärungswunschdenken.

    Der Begriff "Religion" ist wie gesagt sehr unscharf und hat zu unterschiedlichen Zeiten ganz was anderes bedeutet Intetessant finde ich z.B das es in Japan den Begriff der Religion als einer abgegrenzten Sphäre nicht gab und er nach dem Kontakt mit dem Westen "erfunden" werden mußte:


    The Invention of Religion in Japan by Jason Ānanda Josephson

    Dies ist ein wichtiges Buch. Seine Grundthese, die im Wesentlichen eine Erweiterung der neueren Religionswissenschaft ist, lautet, dass das Konzept der Religion in Japan bis Mitte bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts gar nicht existierte, als es aus dem Westen eingeführt wurde, und dass die Japaner daraufhin an der modernen Konstruktion der Idee der Religion teilnahmen.

    Erst mit den Formen der Säkularisierung wurde der Bereich der Nicht-Religion sichtbarer , wo man sich rein mit Natur ( Naturwissenschaft ) rein mit Gesellschaft und Staat oder Kultur beschäftigte. Je mehr es klar unreligiösen Bereiche gab, desto klarer wurde der Begriff.


    In Umkehrschluss bedeutet dies aber, das vor den diversen säkularen Abtrennung Religion und das Soziale immer mehr in Deckung geraten. Je weiter man zurückgeht desto mehr werden "Kultus" und "Kultur" unterscheidbar . Wenn das aber der Fall ist - und wir reden ja von den Ursprüngen der Religion - dann ist Religion ( dort) das Soziale also das was die Menschen zusammenschweißt.


    Weil SteFo nach einer "materialistischen" Fundierung für Religion fragte ist dies ein guter Ansatzpunkt.


    Je mehr man aber von den Ursprüngen weggeht desto verworren und vielfältiger wird alles. Und man muß genau eine Zeit und einen Ort anschauen um sagen zu können, was eine bestimmte religiöse Praxis bewirkt. Man kann nicht mehr von der Religion reden und von ihrer Funktion erst recht nicht.

    Und warum nennst du das Vorhandensein der Überlegungen dieser Menschen, void ?


    Damit gehst du nicht auf meine Anstrengung ein, auf deine Gedanken einzugehen. Wenn du 'zurückkommunizieren' magst - ich laufe derweil nicht weg.


    Was hältst du von der Kalamer Sutta in der ganz bewusst empfohlen wird ... ? :?

    Du hast mich nach den Grundlagen meiner Aussage gefragt und ich habe dir genannt auf welcher Basis ich zu meinen Aussagen komme. Und jetzt kannst du das prüfen.

    Steven Pinker hat in "Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit" die Rolle und Prävalenz von Gewalt in der Geschichte untersucht. Von Jäger und Sammler Gesellschaften, über Stadtstaaten hin zur Neuzeit. Und in seinen Erhebungen kommt er zu dem Ergebnis, dass die Gewalt insgesamt abgenommen hat. Gerade wenn man nicht nur die Gewalt innerhalb einer Gruppe anschaut - gerade bei den amerikanischen Ureinwohner gab es ja viele Gruppe, wo man innerhalb der Gruppe recht friedlich lebte aber dann gegenüber dem Feind gnadenlos war. Dies ist das Doppelgesicht vieler religiöser Ordnungen.


    "Du sollst nicht töten" ist ja eine beliebte Fehlübersetzung des sechsten Gebotes. Gemeint ist ein "Du sollst nicht morden " - das heißt es sind rein die verbrecherischen Tötungshandlungen untereinander untersagt, während man im Krieg den Feind, bei Gericht den Übeltäter oder bei Opfer das Schlachttier durchaus töten darf. Es wird Friede nach innen gestiftet Gewalt nach außen gelenkt.


    Eine ähnliche Entwicklungsgeschichte - nicht bezogen auf Gewalt selber sondern auf Ungleichheit liefert Kent Flannery "The Creation of Inequality: How Our Prehistoric Ancestors Set the Stage for Monarchy, Slavery, and Empire" Auch hier werden die verschiedensten Komplexitätsstrukturen von Gesellschaften durchgegangen und bei jeder die Ungleichheiten - von denen ja jede wieder Gewalt zu ihrer Durchsetzung benötigt, durchgegangen. Halbwegs egalitäre Gesellschaften tauchen zwar ab und zu auf verschiedenen Ebenen immer wieder auf, sie sind aber "selten" zu nennen.


    Und speziell zur Religion gibt es ja das Werk "Der Ursprung der Religion" von Robert N Bellah wo er eben die Entwicklung der Religion und der mit ihr verbundenen Gesellschaftsformen nachzeichnet.

    Wenn ich nicht genau wüßte, daß Dir klar ist, daß diese Art der Betrachtung nicht nur nicht-buddhistisch, sondern ausgesprochen anti-buddhistisch ist, würde ich den Dialog jetzt abbrechen. Ich nehme aber einmal an, daß es Dir darum geht ein wichtiges Thema weiterzuführen und daß Du deshalb zu einer kleinen Provokation bereit bist.

    Mir geht es ja um die Entstehung von Religion und deren ursprüngliche Funktion. Und diese sehe ich darin, Menschen zu Kollektiven zu formen.Dies war natürlich meist eine eher archaische, grauenhafte und irrationale Sache: Leute die getötet werden weil sie irgendwelche Tabus gebrochen haben, Kriegshymnen an Stadtgötter, Menschenopfer damit die Ernte besser wird. Große Teile der Religionsgeschichte sind ganz und gar hässlich und dumm.


    Aber irgendwann kam eine Zeit, wo sich zunehmend große Reiche ergaben und unterschiedlichste Menschen verschiedenster Kultur und Herkunft sich in dem selben Reich vorfanden. Was eben traditionelle Firmen der Religion - die Formierung "kollektiver Egos" in die Krise stürzte.


    Das was dann dass was Karl Jaspers die Achsenzeit nannte und wo dann auf einmal die Frage nach der conditio Humana aufkam. Bei den griechischen Philosophen, bei Kinfuzous, im Judentum aber eben auch bei Buddha. Das Kalamer Sutra ist ein gutes Beispiel für so ein Enmythologisierung.


    Denn was wäre denn Religion für eine Falle, wenn sie erfolgreich dazu führt das individuelle Ego zu überwinden, um sich dann im kollektiven Ego zu verfangen. Aber genau dies die Schaffung kollektiver Egos aus individuellen Egos war die ürsprüngliche Funktion von Religion.


    Und auch bei Religionen wie dem Christentum - die eigentlich den Sprung vom kollektiven Ego hin zum Universellen ( Liebe deinen nächsten wie dich selbst) geschafft haben sollten, besteht immer und überall die Gefahr in diese ursprüngliche Funktion zurückzufallen.


    Das schöne am Buddhismus ist, dass er in dieser ersten Sinne so wenig Religion ist. Aber wie man ja leider in Myanmar sieht, kann auch der Buddhismus dazu degradiert werden, kollektive Egos zu schaffen.

    Ich denk, ihr redet da aneinander vorbei.


    Konkretes Beispiel, wenn jemand behauptet 'alles' (das Universum) wurde von einer Gottheit erschaffen, dann muß sich diese Person der Frage stellen, woher diese Gottheit kommt, nach welchen Regeln sie funktioniert etc. etc.

    Dies nimmt aber eben genau an, dass die Funktion solcher Antworten, die Welterklärung ist. Und da ist natürlich jede Erklärung die statt etwas auf was anderes reduziert, etwas neues erklärungsbedürftiges hinzufügt eine schlechte Erklärung.


    Aber das Rätsel löst sich doch sehr schnell, wenn man eben annimmt, dass viele dieser religiösen Antworten gar nicht die Funktion von Erklärungen haben - also ein besseres konsistentes Bild der Welt liefern wollen - sondern den Zweck haben eine bestimmte Emotion zu erzeugen..


    Denn auch eine Emotion kann ja insofern eine Antwort sein als die es schaffen die in der Frage vorhanden Anspannung zu lösen. Und das emotionale Bild eines gültigen Gottes schafft es solche Emotionen zu evozieren.


    Wenn ein Kleinkind fragt "Warum gewittert es" und es kriegt die Antwort "Der Vater lässt seine Donnergäbse kreisen " dann macht das gar keinen Sinn und wirft mehr Fragen auf als es beantwortet. Aber allein die Worte "Vater" und "kreisen lassen" erzeugen vielleicht das wohlige Gefühl von "na dann ist ja alles in Ordnung".


    Es ist eine ganz andere Art von Antwort. Mit einem anderen Zweck. Vielleicht hätte es auch ein Wiegen oder ein Lied mit sinnlosen Silben getan -hauptsache es vermittelt Geborgenheit.


    Wieder theoretischer ausgedruckt: Der Zweck ist nicht auf der Ebene des Inhalts sondern auf der Ebene der Beziehung die vertieft wird.

    Gerade in der angelsächsischen Welt stehen die Geisteswissenschaften sich dem Vorbehalt ausgesetzt oft einfach so rumzuspekulieten und zu labern. Weswegen man versucht, dass was man sagt möglichst gut empirisch zu untermauern. Ein gutes Beispiel ist "Big Gods" von Ara Norenzayan:


    Er argumentiert, dass es als ein Nebenprodukt menschlicher Kognitionen wie der Überwahrnehmung von Wesenhaftigkeit (agency detection) und Mentalisierung (dem Erstellen von Theories of Mind) begann, die schließlich zu einer Welt voller mythologischer Akteurerif;"> wie weiterwirkender Ahnen, beobachtender Geister und, später, Götter führte.

    Da “beobachtete Menschen nette Menschen” seien, evolvierte Religiosität zu einem sozialen Werkzeug, um die Kooperation innerhalb der Gruppe zu stärken. Um Trittbrettfahrer abzuwehren, hätten religiöse Netzwerke und Gruppen begonnen, Tätigkeiten zu adoptieren, die glaubwürdiger als bloße Worte seien: Credibility-enhancing displays (CREDs), deutsch etwa: Glaubwürdigkeit steigernde Darbietungen wie Gebete, Opfer und kostspielige Gebote, die “echte Gläubige” von denen unterscheiden, die bestenfalls Lippenbekenntnisse ablegen.

    Norenzayans Thesen stimmen mit archäologischen und ethnologischen Befunden zur Ko-Evolution zunehmend mächtiger und moralisierender Gottheiten mit größeren Gruppen und agrarischen Siedlungen überein. Gleichzeitig werden beide Seiten der religiösen Medaille sichtbar: Während religiöse Gläubige befähigt wurden, stärkere, größere und beständigere Gemeinschaften zu errichten, wurden sie auch zunehmend intolerant gegenüber Außenstehenden und vermuteten Abweichlern. Indem Norenzayan eine Reihe von Experimenten zu anti-atheistischen Vorurteilen präsentiert, kann er zeigen, dass Nichtglaubenden auch in heutigen Gesellschaften häufiger mit Mißtrauen begegnet wird. Weitere historische wie psychologische Studien zeigen auf, dass religiöse Traditionen sowohl Konflikt- wie Friedensbereitschaft fördern können.

    Norenzayans Grundthese unterscheidet sich also nicht grundsätzlich von denen Durkheims aber er erinnt eine Vielzahl von Experimenten mit der er den gedachten Answenheit göttlicher Beobachter auf das Handeln der Menschen konkret misst.

    Es ist ein sehr breites Thema. Vor allem weil ja der Begriff "Religion" so schwammig ist. Was es weiter schwierig macht, ist dass in Evolution und Geschichte, Sachen auftauchen aber dann später ganz neue Funktionen bekommen: Beim Fisch entwickeln sich Flossen, die sich dann später bei Vögeln zu Flügeln, beim Menschen zu Füßen und Händen werden.


    Und auch bei Religionen kann man sich ja aus heiligen Texten alles mögliche rauskramen und für die unterschiedlichsten Zwecke verwenden: Für magische Rituale, um die Unterdrückung anderer zu rechtfertigen, als kulturelle Identität, als Weg zur Selbstvervollkommenung, als Legitimation für die Gesellschaftsordnung, als Welterklärung, als Ableitung Kranke zu heilen usw. So betrachtet erscheint die Aufgabe uferlos.


    Aber es gibt eine andere Herangehensweise: Je komplexer Gesellschaften werden, desto mehr spalten sich die Aufgaben auf. Wo es in der kleinen Gemeinschaft noch den Schamanen gibt der gleichzeitig Krieger, Heiler und kulturelles Gedächtnis gibt erledigen das in einem komplexeren Setzung verschiedene Professionen. Der Hohepriester scheidet sich vom Herrscher und dieser delegiert dann seine Aufgaben an Richter, Feldherrn. Je komplexer die Gesellschaften werden, desto mehr profane weltliche Aufgaben gibt es. Und je weiter man in Richtung einfacherer Gesellschaften geht, desto mehr fällt alles im Religiösen zusammen bis dieses schlechthin mit der Kultur synonym wird. Mit dem Kit der die Menschen zusammenhält.


    Der sakrale Bereiche ist also zunächst der kollektive Bereich - der Bereich dessen was die Angelegenheit des einzelnen "transzendiert". Die Stammesgesetzte sind nicht einfach menschengemacht sondern gehören einer anderen Sphäre an wo man sich besonders anzieht, seine Stimme verstellt, Masken trägt und die Schwirrholzer surren. So dass klar wird, dass man es mit etwas zu tun hat, was über den Einzelnen hinausgeht und nicht so einfach änderbar ist


    Das klingt gut, Aber natürlich wurden von Antropologen auch viele Beispiele gefunden, wo das nicht passt. Wo ganz individuelle, scheinbar banale Tätigkeiten viel mit Gottheiten zu tun haben oder welche wo kollektive Entscheidungen ganz ohne Bezug auf Götter oder Übernatürliches getroffen wurden.

    "Welterklärung" ist natürlich auch ein Klassiker.

    Es ist psychologisch und vom Individuum aus gedacht nachvollziehbar dass Mensch sich ihr Nichtwissen dadurch begegnen, dass sie sich irgendwas ausdenken.


    Aber davon ob man sich die Welt gut oder schlecht erklärt, ob man im Erdbeben die Wut eines Gottes oder wie die Japaner die Bewegung eines unterirdischen Riesenwels sieht, ist zwar ganz lustig aber für das Überleben eher egal.


    Von daher finde ich Durkheims Ansatz - das Religionen ihre ursprüngliche Daseinsberechtigung daraus bekamen aus Individuen Kollektive zu schmieden (und zurückgingen nachdem man Kollektive anders organisieren komnte ) viel überzeugender. Es erklärt auch besser, warum den Menschen "ihre" Religion so wichtig ist. Teilweise wichtiger als ihr Leben - die Funktion "Welterklärung" vermag das nicht zu erklären.


    Die Frage der "kollektiven Organisation" ist dagegen etwas auch evolutionär gesehen extrem wichtiges. Sie stellt sich auch wo anders im Tierreich. Bei den Insekten kamen irgendwann die Insektenstaaten der Bienen, Ameisen, Wespen und Termiten auf - wo unterschiedliche Tiere einen Metaorganismus bilden und geradezu zu dessen Organen wurden. ( mit dem Nacktmull gibt es sogar einen Vertreter bei den Säugetieren - auch dort versorgen sterile Arbeiter eine Königin )


    Ein Modell das so erfolgreich war, dass eusoziale Insekten einen gewaltigen Anteil der Biomasse der Insekten bilden. Eben auch weil die zahlenmäßige Überlegenheit gerade im Konflikt von entscheidender Bedeutung ist.


    Damit Eusozialitat gelungen kann, ist es wichtig, die Individuen so zusammenzuschweissen dass das einzelne Individuum seine individuelle Fortpflanzung aufgibt und nicht mehr nur Individuum sondern Teil von was Größerem ist


    Und von daher sehe ich die ursprüngliche Funktion von Religion darin, Menschen zusammenzuschweissen. Und so jenseits der unmittelbaren Familie immer größere Kollektive möglich zu machen, indem man sie auf eine Kollektiven den einzelnen transzendieren Kern ausrichtet.


    Auch ein Gott kann ja für das kollektive Gemeinwohl stehen, in dessen Dienst man individuelle Bedürfnisse und sogar Fortpflanzung zurückstellt um für die anderen und das Ganze da zu sein.


    Die Religion erlaubt das auf einee sehr unmittelbaren, emotionaleren Beziehunsebene. Während dann nachfolgende Arten das Gemeinwohl zu verkörpern -Staat, Justiz, Zivilgesellschaft, Schule, Gesundheitswesen dies anders und auch in einem anonymeren Rahmen vermögen so dass Religion ein nach der anderen Aufgabe verloren hat und immer mehr zu einer individuellen Sache wurde.

    Diese außerordentliche Kapazitäten haben jedoch den Neben-Effekt, dass das Gehirn Fragen konstruiert (weil es das kann), die vollkommen irrelevant sind für das Überleben und Antworten ersinnt (weil es das ebenso kann), die ebenso irrelevant sind. Religionen sind demnach ein Produkt der durch sich selbst irregeleiteten Kapazitäten des Gehirns.

    Religion fängt ja nicht als Spekulation an sondern als Verehrung von Übernatürlichen und da insbesondere übernatürlichen Wesen.


    Von daher ist doch die erste Frage, warum der Menschen eine Tendenz hat übernatürliche Wesen anzunehmen und dann zweitens zu fragen was für eine Funktion so eine Verehrung haben kann.


    Es gibt bestimmte Arten wie unser Gehirn getweakt ist, die uns dazu bringt, Übernatürliches anzunehmen. Wir haben z.B sehr detaillierte Modelle anderer Menschen - wie stellen sie uns im Traum vor und auch wenn jemand gestorben ist, bleibt er uns so in Erinnerung, dass wir teilweise Dialoge mit ihm führen können. Von daher ist es sehr verständlich, das man zu der Idee eines vom Körper unabhängigen Seele und von Gespenstern kommt. Da von einer "irregeleiteten" Kapazität zu sprechen ist nicht ganz falsch


    Aber nur weil es kontraintuirive Elemente beinhaltet, bedeutet dass ja nicht, dass es keine wichtige Funktion für das Überleben erfüllt.


    Und die wichtigste Funktion von Religion - die seit dem Vater der Religionssoziologie Èmile Durkheim als zentraler Punkt gehandelt wird, ist der des sozialen Zusammenhalts.


    Eben gerade weil der Mensch so ein soziales Wesen ist, ist der Gruppenzusammenhalt so extrem wichtig - gerade in kriegerischen Auseinandersetzungen.


    Ein zentraler Punkt ist hier der Klang - der Verwandtschaftsverbund. Wenn es noch einen Großvater oder einen Grossmutter gibt, dann fühlen sich die Enkel noch als Familie aber bei den Urenkeln wird es schon schön schwieriger in diesen das Gefühl des Zusammenhalts wachzurufen. Ein Weg ist es, den gemeinsamen Ahnen präsent zu halten - in Mythen - in Festen - in Ritualen des Zusammenhalts. Indem man gemeinsam agiert und dich geibsam an einem Bezugspunkt ausrichtet bleibt man ein großer Verbund und kann sich gegen andere Verbunde durchstzten - der Kult dient unmittelbar dem Überleben.


    Gerade weil der der Ahn unsichtbar/virtuell ist kann er zum Repräsentanten der kollektiven Energie der Gruppe werden. So wie ein unsichtbares Leittiers an der Spitze eines Schwarms.


    Und wenn man mehrere solche Klans zu einem noch größeren Gemeinwesen organisiert, dann wird man seine höheren Wesen in eine Ordnung bringen müssen und gemeinsame übergreifende Kulte und Mythologien schaffen, Stammesgesetzte in dieser Ordnung verankern usw.