Danke für Deine ausführliche Argumente. Jetzt nähern wir uns die Kernfragen.
Gerade weil die beiden tot sind, stellt sich die Frage nicht, ob ich sie als persönliche Lehrer aufsuche, sondern bestenfalls die, ob ich von ihren Texten oder Reden etwas lernen kann - was ja für alle bedeutenden Zenlehrer gilt, von Dogen über Linji bis Sawaki usw. Das ist der Punkt, wo wir uns grundlegend unterscheiden.
Nicht ganz. Für mich gelten Wörter weniger als Taten, und da bin ich wohl ziemlich "typisch Zen". Der Unterschied zwischen Sasaki und Linji ist ja, dass wir wissen, wie Sasaki sich benommen hat und bei Linji nicht. Wenn ich persönlich wüsste, dass Linji auf Lolitas stand, dann würde ich ihn auch nicht mehr lesen, weil diese "Lösung" der Begierdenfrage kenne ich ja - und finde ihn verwerflich.
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Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass irgendjemand, der sich sexuell auf welche Art auch immer austobt, kein Leid erzeugt. Es muss also einen Maßstab geben für diese von Dir genannte Ausgrenzung. Einer wäre ein Gesetz, wie es Döring zum Verhängnis wurde. Dann aber könnte man - auch im Sinne dieses Gesetzes - nach Haftstrafen die Sache als abgebüßt betrachten.
Die Frage, wie viel Sexualität ein Lehrer sich erlauben sollte, und mit wem, ist noch nicht endgültig geklärt. Ich habe auch erstmal keine Wunderlösung dazu, weiß aber zumindest, dass es einen höheren Maßstab bedarf als das StGB. Und ich betrachte den Fall Sasaki anders wie Du. Selbst wenn er angeblich immer wieder seine Schwächen und das "Normalsterbliche" eines Meisters betont haben sollte, hat er trotzdem den ganzen institutionellen Macht- und Mythosapparat für sich selbst ausgenutzt. Und selbst wenn einige Frauen völlig abgeklärt über sein Verhalten gewesen wären, gab es genug andere, die darunter gelitten haben.
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Ein Dharma-Erbe sollte also keiner werden, wenn er sexuelle Schwächen wie diese hat? Was ist mit den anderen Schwächen, welche sind noch erlaubt? Ist das nicht genau der übliche Fallstrick, den Meister auf einen zu hohen Sockel zu stellen?
Das kann man nicht pauschal sagen; ich entscheide von Fall zu Fall, wer für mich ein würdiger Dharma-Erbe ist. Straftaten zu begehen und gleichzeitig CDs über "Zen und Ethik" zu verkaufen, wie Döring es tat, geht zum Beispiel nicht. Natürlich ist Pädophilie eine komplexe Krankheit, und es gibt eventuell sogar Konstellationen, wo ich von einem gesetzlichen Straftäter was lerne könnte - aber von Döring erstmal nicht. Dass man Kindesmisshandlung im mittelalterlichen Japan anders gehandhabt hat, ist dabei natürlich kein Kriterium.
Ich glaube, für mich ist die Offen- und Ehrlichkeit, wie der Lehrer mit seinen Schwächen umgeht, am wichtigsten. Und diese Offenheit sehe ich bei Sasaki, wie oben erwähnt, trotzdem nicht gegeben. Er hat für mich die Zen-Institution ausgenutzt, um sich zu befriedigen.
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Mit anderen Worten: Was uns unterscheidet ist meine Auffassung, dass ein Zenlehrer dann für mich Sinn macht, wenn er etwas erkannt hat, was mich weiterbringt und was er mir vermitteln kann. Am Besten per Text oder Rede. Diese bleibt auch dann zitierfähig, wenn sein Verhalten zu wünschen übrig lässt. Bei dieser Verhaltenskritik sollte mir aber bewusst sein, wo ich selbst Ansprüche stelle und was mich etwas angeht. Das Sexualleben anderer geht mich im Grunde nicht viel an.
So weit auseinander sind wir eigentlich nicht. Das Sexualleben anderer geht mich im Grunde auch nicht viel an - nur bei Zen-Lehrern schon, weil ich ja selbst nach Vorbildern und gesunden Verhaltensmustern (jenseits von christlichen Normen) suche. Das ganze Zen-Gerede über Ego-Kram und Koans langweiligt mich inzwischen nur. Ich möchte stattdessen Menschen finden, die mir Lebensweisheiten vorleben. Es verhält sich wohl ungefähr wie Du mit dem Besitz. Da habe ich aber selbst keinen Zweifel mehr, ich weiß was in der Weise richtig ist und sich gut anfühlt.
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Eine weitere wichtigere Kategorie als das Sexualleben ist für mich die Glaubwürdigkeit, mit der sie das dokumentieren, was sie behaupten zu sein (TNH ein autorisierter Thien-Lehrer usf.). Denn damit wollen sie sich ja als Lehrer ranschmeißen. Hier beginnt bei sehr vielen von mir zuvor Genannten bereits die Heuchelei, und die ist von ganz ähnlicher Natur wie die derjenigen, die ihre sexuellen Eskapaden unter den Teppich kehren wollen.
Sehe ich genauso. Wie gesagt, ist die Offen- und Ehrlichkeit am wichtigsten, sei es über den Meister-Titel oder den Sexualverhalten. Jemand, der ganz offen eine Sex-Kult betreibt, wäre für mich ja erstmal nicht problematisch. Aber bei allem, was ich bislang gesehen habe, geht es nur durch Ausbeutung und Machtmissbrauch.