wie viel noch mal sollte er sich entschuldigen?
Ein Mal würde schon reichen. Aber da ist nach wie vor nix in Sicht. Alles, was er in der causa Lakar / Rigpa abgelassen hat, war doch nicht mehr als ein achselzuckendes 'shit happens'. Solch einen Skandal einfach wegzulächeln und zu verkünden, sein guter alter Freund, "my very good friend", sei jetzt aber in Ungnade gefallen ("but he’s disgraced"). Weil seine Schüler öffentlich gemacht haben, was er so treibt. Wenigstens behauptet er nicht, er habe davon nichts gewusst (das wäre nachweislich eine Lüge) - aber von einer Entschuldigung ist so etwas meilenwert entfernt. Der Säulenheilige der Morgenlandfahrer meint, so etwas nicht nötig zu haben. Die haben in Dharamsala den Schuss noch nicht gehört.
Ricard kann sich das nicht leisten, aber ich nehme ihm seine Reue durchaus ab. Wenn ich seine Entschuldigung lese, dann sage ich mir: okay, er sieht ein, dass er seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist - der Verantwortung, die ein Bodhisattva mit den praṇidhāna übernimmt. Das respektiere ich. Allerdings scheint mir diese Anmerkung von Leonie (Zitierfunktion klemmt mal wieder)
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Damit ist die Sache für ihn ja erledigt.
durchaus berechtigt, insbesondere wenn ich seinen abstrusen Vorschlag "Die Union Bouddhiste de France oder eine andere Einrichtung sollte diese Verantwortung übernehmen" lese. Mir blieb da erst mal die Spucke weg, im Nachhinein finde ichs lustig. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob der Grund meiner Amüsiertheit schlitzohrige Chuzpe oder naive Weltfremdheit ist.
Zunächst einmal muss ich Hogendoorns Einschätzung (wenn auch nur in diesem Punkt) zustimmen: "As the Dalai Lama’s epigone, Ricard’s first instinct is to always pass the buck to someone else." Nach dem Motto: ja, das ist ein ernstes Problem, da solltet ihr euch drum kümmern, macht mal. Da wird schlicht der scharze Peter weitergereicht (so auch meine erste Assoziation).
Ansonsten ist die Idee, die traditionsübergreifenden buddhistischen Dachverbände wie UBF (oder in Deutschland DBU) zur Reparaturwerkstatt für die Verkehrsunfälle des tibetischen Vajrayana zu machen, schlicht absurd. So etwas womöglich mit Hilfe 'tibetischer' Mehrheiten in den Verbänden durchzusetzen, würde diese spalten und vollends zur Bedeutungslosigkeit verdammen. Glaubt Ricard allen Ernstes, Vertreter anderer buddhistischer Linien würden bei so etwas mitspielen? Da wären die 'Tibeter' schnell unter sich (auch mich hielte nach solch einer Zumutung nichts mehr in der DBU) und der traditionsübergreifende Ansatz wäre gescheitert. Hallo? Theravada- und Mahayana-Buddhisten sollen freundlicherweise die Mitverantwortung (nicht zuletzt die finanzielle) für die Aufarbeitung solcher Skandale - und damit implizit für die Skandale selbst - übernehmen? Geht's noch?
Was es da in erster Linie braucht, ist kein Reparaturbetrieb, sondern eine offene Diskussion in den Dachverbänden über die Grundlagen traditionsübergreifender Zusammenarbeit. Der entscheidende Punkt dabei ist die Upaya-Doktrin. Was not tut, ist eine eindeutige Klärung und ein möglichst breiter Konsens, welche Mittel (upāya) als 'geschickt' (kauśalya) zur Übermittlung des Buddhadharma anerkannt werden und welche nicht.
'Geschickt' sind solche Mittel, wenn ihre Anwendung heilsam (kuśala) ist. Die Heilsamkeit von Mitteln und Methoden ist nicht zuletzt abhängig von den kulturellen und sozialen Bedingungen, unter denen die Übermittlung des Dharma stattfindet. Das heisst, es geht um eine zentrale Frage der Inkulturation. Diese Frage muss primär aus der Perspektive westlicher kultureller Normen beantwortet werden und nicht von Leuten, die in einer anderen (z.B. der tibetischen) Kultur sozialisiert wurden. Ob und welche Mittel heilsam sind, ist dabei keine Fage ihrer potentiellen Wirksamkeit in individuellen Fällen. Vielmehr geht es um ihre soziale Akzeptanz - und soziale Akzeptanz war auch von Anbeginn an ein wichtiges Leitmotiv bei der Entstehung des Vinaya.
Hinsichtlich des hohen Wertes individueller Autonomie in unserer Kultur ist das Konzept 'Guruyoga', das die Aufgabe eben dieser Autonomie verlangt, besonders problematisch. Wenn solch eine totale Abhängigkeitsbeziehung gar noch ihren Ausdruck in physischer Gewalt und / oder sexuellem Verkehr findet, ist die soziale Akzeptanz in unserer Kultur praktisch Null. Und ich finde, das ist gut so.
Die Antwort auf diese Nichtakzeptanz kann und darf nicht sein, solche Mittel im Geheimen anzuwenden - das führt regelmäßig zu Skandalen, weil das früher oder später publik wird. Vor allem, wenn die angeblich "weit fortgeschrittenen" Mittel - wie zumeist - nur fadenscheinige Tarnung für Geilheit, Machtbesessenheit und Gier des 'Gurus' sind.
Der Konsens eines solchen Diskurses über die Heilsamkeit von Mitteln unter den Bedingungen der westlichen Kultur kann mE nur darauf hinauslaufen, dass physische Gewalt und insbesondere sexuelle Handlungen zumindest in der westlichen Kultur nicht heilsame / geschickte Mittel der Dharmaübertragung, sondern mangels sozialer Akzeptanz vielmehr geeignet sind, das öffentliche Ansehen des Buddhismus schwer zu schädigen und damit seine Inkulturation zu erschweren. Was mE deutlich schwerer wiegt als (hypothetische) Erfolge solcher 'Schulungsmethoden'.
Wobei ein solcher Konsens nur dann Sinn macht, wenn eine deutliche Distanzierung von Personen und Organisationen folgt, die sich außerhalb des Konsenses stellen. Einschließlich Ausschluss aus dem Dachverband - so macht man sich ehrlich. Leute, die unheilsame Mittel anwenden, gehören nicht in einen buddhistischen Dachverband. Dann hat man vor der Öffentlichkeit auch ein klares standing (das man auch offensiv vertreten sollte) und kommt nicht in Erklärungsnot, wenn wieder mal mit einem Heiligen die Hormone durchgegangen sind. Dann ist zumindest klar, das so etwas nichts mit Buddhismus, gar mit 'fortgeschrittenen Methoden' zu tun hat, sondern mit mangelnder Selbstdisziplin des Lehrers.
Ergebnis mag dann vielleicht ein etwas kleinerer Dachverband sein (in dem natürlich auch Platz für tibetische Traditionslinien ist) - dafür einer, der dank einer klaren Position zum Thema Sexualität in Schüler-Lehrer-Beziehungen in der Öffentlichkeit seriöser und sauberer dasteht - und mit ihm auch der Buddhismus, worum es eigentlich geht. Die jetzige 'Lösung' der DBU mit einer freiwilligen ethischen Selbstverpflichtung ihrer Mitglieder schafft eben da keine wirkliche, hinreichende Klarheit. Das soll jetzt kein Tadel an den Initiatoren dieser Selbstverpflichtung sein - auch meine Übungsgemeinschaft hat dankbar die Gelegenheit wahrgenommen, da Stellung zu beziehen. Besser als nichts. Politik ist auch in der DBU die Kunst des Möglichen - und mehr war bislang nicht möglich. Aber jeder Skandal erweitert da den Bereich des Möglichen - das ist das Erfreuliche daran.
Vielleicht schaffen wir es dann mal so weit wie die Katholiken - da ist außer den kindlichen Opfern zumindest jedem klar, dass das Evangelium nicht mit heruntergelassener Hose gepredigt wird.