Beiträge von Sudhana im Thema „Zen-Praxis und Qigong- verträgt sich das?“

    Qigong ist grundsätzlich religionsfrei.

    Zustimmung; es ist einfach Übung im Umgang mit Qi - wobei Geschick im Umgang mit Qi unterschiedlichen Zwecken dienen kann. Da ist auch durchaus eine Nähe zum Pranayama im Yoga und es ist wahrscheinlich, dass die Entstehung des 'religiösen' buddhistischen und daoistischen Quigong als Instrument spiritueller Vervollkommnung durch eine interkulturelle Begegnung damit angestoßen sein könnte, etwa durch buddhistische 'Missionare' oder Pilger vermittelt. Dies nun an dem Namen Bodhidharma festzumachen, ist eher ein mythisches als ein historisches Narrativ. Bodhidharma / Da Mo ist ein typisch chinesischer Kulturheros, auf den sich nicht nur Chan und Shaolin Gongfu als Traditionsbegründer berufen. Selbst den Tee soll er den Chinesen mitgebracht haben - wenn man nicht vorzieht, der Geschichte zu glauben, er habe sich die Augenlider abgeschnitten um beim Wandbetrachten (bi guan) nicht einzupennen. Aus den Augenlidern soll dann der erste Teestrauch gewachsen sein. Was bei näherem Hinschauen von der Geschichte bleibt ist, dass buddhistische Klöster eine Vorreiterrolle bei der Kultivierung von Tee als Nutzpflanze spielten. Auch aus ökonomischen Gründen, sie machten aus einer raren Kräutermedizin eine nachgefragte Handelsware ...

    Ich habe zwar mal gehört, dass es Qigong gibt bei dem die Hoden abgehärtet werden aber in Zusammenhang mit Bodhidharma habe ich bisher noch nichts dergleichen gehört.

    Das findest Du ziemlich zu Beginn des Xi Sui Jing (in beiden kursierenden Versionen); es steht am Beginn des Übungsprogramms, erstes Stadium (von vier) des Wai Dan, dem dann vier Stufen Nei Dan folgen.

    Nun - Qigong gab es, auch wenn die Quellen da spärlich sind, bereits vor der Dynastie der östlichen Han, während der der Buddhismus nach China gelangte (58 n.d.Z.). Es gab zwei Typen mit primär gesundheitlicher Ausrichtung; eine unter daoistischen und konfuzianischen Gelehrten verbreitete Gesundheitsprophylaxe sowie ein ausgesprochen therapeutischer Typus, der Qigong-Übungen ergänzend zu Akupunktur und Massage einsetzte. 'Religiöses', also buddhistisches und daoistisches Qigong, leiten sich davon ab, ebenso das Kampf-Qigong.


    Bodhidharma / Da Mo, der legendäre 1. chinesische Dharmavorfahr des Chan, soll 547 n.d.Z. nach China gekommen sein. Die ihm zugeschriebenen Werke Yi Jin Jing und Xi Sui Jing lassen wenig 'Buddhistisches' erkennen, das ist eher dem Bereich Kampf-Qigong (martial Qigong) zuzurechnen. Und da gibt es einige Sachen, die ziemlich 'strange' sind. Speziell das Wai Dan Training (Hoden-Massage) - da gibt es verschiedene Techniken. Dient übrigens nicht der Samenabfuhr, sondern nur der Produktionserhöhung; begleitend sind mindestens 100 Tage sexuelle Abstinenz angesagt, sonst kann man wieder von vorne anfangen. Das so gesammelte Qi kann man dann sublimieren, wenn man mit einem Seiden- oder Satintuch ein möglichst schweres Gewicht an die Genitalien bindet und in Reiterstellung (Ma Bu) schaukeln lässt. Men only. Let 'em swing!

    Zitat

    aber halt einfach umgekehrt - also Fingerspitze rechter Mittelfinger fast unter dem Fingergrundgelenk des linken Mittelfingers.

    So ist es richtig und so war es auch gemeint. Um Jandl zu zitieren:

    Zitat

    manche meinen

    lechts und rinks

    kann man nicht velwechsern

    werch ein illtum

    Die Handflächen halte ich ziemlich waagrecht, wie ja auch die Unterarme. Fingerspitze linker Mittelfinger fast unter dem Fingergrundgelenk des rechten Mittelfingers. Die 'Öffnung' des Mudra ist also ein gestrecktes Oval.


    Da die Handflächen in etwa parallel zum Boden gehalten werden, berühren die Daumen den Bauchnabel nicht - dazu müsste man das Mudra nach hinten kippen. Bei den kleinen Fingern lasse ich einen leichten Kontakt zu - die Höhe der Hände ist damit 'fixiert'. Das muss nun wohl nicht unbedingt sein; es ist im Grunde ein Element von Kontrolle. Und eine Alternative zum 'Ablegen' des Mudra auf den Unterschenkeln - man spürt die Position des Mudra und dadurch stabilisiert sie sich.

    Im Halb-Lotus kann ich meine Hände bis dato def. nicht ablegen, da sich meine Daumenspitzen dann deutlich unterhalb der Nabelhöhe befinden.

    Daher muss ich die Hände mittels minimaler Bizepsaktivierung (kaum Kraftaufwand) leicht erhöht halten - genauso wie der Kursleiter im Video.

    Ist das legitim bzw. wie hältst du das Mudra in Nabelhöhe? Wenn ich dich richtig verstehe, dann denkst auch du, dass die Höhe des Berührungspunktes der Daumenspitzen wichtig ist.

    Sorry wegen der Verzögerung, war ein paar Tage weg. Also zunächst mal: ich war nie der große Sitzakrobat, im Gegenteil. Ich habe mich über ein Jahrzehnt mit dem Halblotos herumgequält (bzw. dem damit verbundenen leichten Beckenschiefstand) ohne dass ich auch nur ein bißchen gelenkiger wurde. Ganzlotus - null Chance. Aber ich will Dir keinesfalls vom Üben des Halblotus abraten; 'Fortschritte' hinsichtlich einer besseren Sitzhaltung zeigen sich nur langsam und mit viel Geduld. Meistens jedenfalls - wobei es auch da 'Naturtalente' gibt.


    Ich bin froh, dass ich mich eines Tages entschlossen habe, nur noch seiza zu sitzen. Es ist bequem und ausgewogen, wenn auch der Körperschwerpunkt höher ist als beim Lotos und man nicht dieselbe Stabilität hat (man sitzt da ein wenig wie ein Huhn bzw. Gockel auf der Stange ...). Der eigentliche Witz beim Zazen ist ja nicht die Sitzhaltung - die ist nur Form; wenn auch eine, die den Bedingungen, die der Körper/Geist (shinjin) dem Zazen setzt, entsprechen sollte.


    Zu der "eigentliche Witz":

    Zitat

    Wenn du für einen längeren Zeitraum achtlos gegenüber Objekten bleibst, wirst du auf natürliche Weise vereinheitlicht. Das ist die essentielle Kunst des Sitzens in Versenkung.

    (Dōgen, Fukan Zazen Gi)

    Bei allen 'technischen' Finessen des Sitzens sollte man das nicht vergessen - auch das Sitzen ist "Objekt". Wichtig ist zu lernen, es außer Acht zu lassen - gerade während des Sitzens. Das geht nur, wenn der Sitz 'passt' und nicht Körper/Geist stört. Wobei nicht jedem jeder Sitz passt.


    Wenn der Sitz 'passt', dann lässt er auch dies zu:

    Zitat

    Sitzen in Versenkung ist das Wahrheitstor zu grosser Ruhe und Freude.

    (Dōgen, Fukan Zazen Gi)

    - etwas, was vielen 'Anfängern', die mit ihrem Sitzen kämpfen, erst einmal nach blankem Hohn klingt. Da hilft nur Geduld und Ausdauer beim Üben.


    Jedenfalls - um konkret zu werden: ja, ich hebe die Hände durch entsprechendes Anwinkeln des Ellbogengelenks so an, dass die Daumen in Höhe des Bauchnabels sind. Das ist im wesentlichen die Funktion der Bizepsmuskulatur - die soll dann eben nicht entspannt sein, sondern einen (leichten) Muskeltonus haben. Der richtige Tonus ist relativ schnell antrainiert und das ist mE sinnvoller, als das Absinken der Hände bei nachlassendem Tonus mit einem kleinen Kissen zu verhindern. Beim seiza funktioniert das mit dem Kissen ohnehin nicht.


    Du kannst das mal achtsam ausprobieren: je tiefer die Hände positioniert sind, um so mehr kommen die Schultern nach vorne. Der Brustraum wird enger, der obere Rücken rundet sich. Das wird schnell störend unangenehm.

    runterdrücken der Ellenbogen

    Ergänzend: das "runterdrücken" ist natürlich nur eine Vorstellungshilfe. Hier wird dann die Muskelspannung der Trizepsmuskulatur erhöht, deren wichtigster Muskelkopf (caput longum) am Schulterblatt ansetzt - das sich so Richtung hinten / unten ziehen lässt, was den oberen Rücken aufrichtet.


    Zur Sache mit dem tanden (umgangssprachlich auch hara genannt) - das ist nichts anderes als das daoistische 'Zinnoberfeld' (dantian 丹田), wobei der Begriff tanden mW nur auf den unteren dantian angewendet wird. Ob nun "Bauchatmung" oder der daoistische 'kleine himmlische Kreislauf' - das hat natürlich mit Zazen selbst nichts zu tun, sondern mit der Regulierung des Atems, mit dem das Zazen beginnt.

    Zitat

    Wenn du erst deine Körperhaltung eingerichtet hast, solltest du deinen Atem regulieren.

    (Dōgen, Fukan Zazen Gi)

    Je geübter man ist, um so weniger Atemzüge benötigt man dazu. Und wenn der Atem reguliert ist, folgt man ihm ein Weilchen (wie im Ānāpānasati Sutta beschrieben) und lässt ihn dann los.

    Konkret empfiehlt er nicht die Hände (in der bekannten Position des Versenkungsmudras) "lose" in den Schoß bzw. auf den Oberschenkel(n)/Füßen abzulegen (wie ich es bis dato immer in Anleitungen gelesen habe - sogar im Fukan Zazengi), sondern mittels minimaler Bizeps-Aktivierung leicht erhöht zu halten (Schultern-und Nackenbereich bleiben dabei locker und entspannt) - und zwar so, dass sich die beiden Daumenspitzen etwa auf Bauchnabelhöhe berühren.

    Diesen Punkt - die Positionierung des Hokkaijoin - hatte ich hier angesprochen:

    Der entsprechende 'Zugangspunkt' für den unteren Dantian ist Shenjue - etwas unterhalb des Nabels; der Punkt, der von der Öffnung der Hände im Hokkaijoin (dem 'kosmischen Mudra') umrahmt und so 'geöffnet' wird.

    Ob Du dabei die Hände 'ablegen' kannst - im kekka fuza (Ganzlotus) oder hanka fuza (Halblotus) auf dem (oben liegenden) linken Unterschenkel - hängt von Deiner 'Sitztechnik' ab und von der Höhe Deines zafu. Dass Du die Hände in der beschriebenen Position auch ablegen kannst, ist der Optimalfall. Aber dem näherst Du Dich mit den Beinen an (den Spann der Füße höher und näher am Körper auf den Oberschenkeln ablegen), nicht mit den Händen. Priorität hat die Position des hokkaijoin, wie im Zitat oben beschrieben, nicht das Ablegen.


    Das bedeutet zwar nicht unbedingt, dass die Unterarme zum Boden parallel sind (wie beim shashu während des kinhin), doch zumindest sind die Ellbogengelenke 'abgesenkt', was den oberen Rücken aufrichtet. Ellbogen und Schulterblätter sind nach hinten und unten ausgerichtet. Wenn man während des Sitzens ein Nachlassen der Haltung bemerkt (suboptimale Haltung macht sich früher oder später durch Schmerzen bemerkbar), lässt sich der obere Rücken wieder aufrichten, indem man die Ellbogengelenke nach unten zieht. Der 'Fixpunkt' bei dieser Aufrichtung ist das Mudra, d.h. seine Position (Daumen in Bauchnabelhöhe) wird dabei nicht verändert

    Ein Ablegen des Mudra auf den Oberschenkeln ist eigentlich nur bei seiza (vajrāsana) möglich - und da ist diese Positionierung deutlich zu tief. Vor allem, wenn man dabei zusätzlich ein Bänkchen als Sitzhilfe benutzt, führt das idR zu einem Sitzen mit Rundrücken. Was sich spätestens nach ein paar Stunden Sitzen recht unangenehm bemerkbar macht. Also - bei seiza sollte man besser auf das 'Ablegen' des Mudra verzichten. Der Kraftaufwand zum Halten der Position des Mudras ist jetzt auch nicht so hoch, dass man das bei längerem Sitzen bräuchte - egal ob im seiza oder kekka fuza.

    noch eine letzte Frage (versprochen xD) :

    Schon okay ;) dafür ist Sangha ja da ...

    Du hast da einen nicht unwichtigen Punkt entdeckt - die Leere zwischen Ein- und Ausatmen. Wenn Du 'natürlich' atmest (was Du bei der Atemübung tun solltest), dann ist dieser 'Spalt' sehr klein - aber er gibt Dir die Möglichkeit, Deiner subjektiven Aufmerksamkeit für einen Moment das Objekt zu nehmen - den Moment des fehlenden Atems. Da kann 'etwas' passieren - muss allerdings nicht. Am besten vergisst man das bzw. hakt es als vage Möglichkeit von begrenztem Interesse ab. Sonst begeht man unwillkürlich den Fehler, in den Atemkreislauf steuernd einzugreifen (etwa die Atempausen zu dehnen) und fällt so aus der Rolle des reinen Beobachters.


    Beim Qigong kann man zu diesen Wechselpunkten des Atems bestimmte 'Energieknotenpunkte' ansteuern - aber eben dies sollte man mit Zazen nicht vermischen, das wäre kontraproduktiv. In das, was geschieht, nicht steuernd eingreifen sondern es 'von sich' geschehen lassen.


    Am besten an diesen 'Nullstellen' einfach aufmerksam auf das erneute Kommen oder Gehen des Atems warten - der kommt bzw. geht von selbst und es dauert auch nicht (zu) lange (oder zu kurz) sondern halt so lange, wie es nun mal dauert ... :)

    Sogar im Rahmen meines Krafttrainings (Hobby zum Ausgleich) versuche ich mich mehr auf körperliche Empfindungen in den angesprochenen Bereichen zu konzentrieren, was nicht nur das Training selber "verbessert", sondern die Erfahrung an sich - komme so wirklich beim Sport gut runter.

    Das ist der Punkt, wo auch die traditionellen 'inneren' Kampfkünste (mein Lehrer bestand auf der Bezeichnung '... künste') ansetzten; am bekanntesten das Taijiquan. Ich konnte da auch Waffenformen lernen - Schwert, Lanze, Fächer (letzteres habe ich nie gut auf die Reihe gekriegt). Heute kämpfe ich nur noch mit dem Teegeschirr ... Ich kam eigentlich vom Kraft- und Ausdauertraining an Geräten zum Taijiquan, als in 'meinem' Studio da ein Schnupperkurs angeboten wurde. Zu der Zeit hatte ich auch angefangen, Zazen zu üben - also regelmäßig meine Zeit 'abzusitzen'. Bis ich mich auf mein erstes Sesshin traute, sollte es noch etwas dauern ... Langer Rede kurzer Sinn - eine positive Wechselwirkung mit Krafttraining kann ich mir sehr gut vorstellen.

    1. Was ist denn mit Atemkörper konkret gemeint?

    Es ist eine Wahrnehmungsebene des Atems jenseits körperlicher Bedingungen. Der Atem 'verschmilzt' mit dem materiellen Körper und löst diesen in sich auf - es verbleibt (wenn die konzentrierte Achtsamkeit nicht abreisst) die Wahrnehmung des Atems als immaterieller 'Körper'. Die "Gestaltungen des Körpers" - das Zwicken hier, das Jucken da - sind weg. Mach Dir deswegen keinen Kopf - Du merkst es, wenn das passiert. Wenn man mit Erwartungshaltung übt, schafft man sich nur unnötig Probleme.

    2. Nach der Sitz-Praxis, hänge ich immer 5 Minuten langsames Kinhin (Soto-Style) an.

    Wie würdest du einem Anfänger empfehlen hier zu üben, und zras bzgl. der Aufmerksamkeit?

    Einfach so, wie beim Sitzen? Ein-Ausatmung mit Schritten synchronisieren?

    Ggf. auch körperliche Empfindungen, die mit dem Gehen zusammenhängen (Beine, Fußsohlen,
    etc.) achtsam und bewusst wahrnehmen?

    Das Kinhin steht bei manchen Hardcore-Zennis ein wenig in Verdacht, 'nur' der Entspannung der Muskulatur zwischen den Sitzperioden zu dienen. Nunja - solchen Mißbrauch hat wohl schon jeder irgendwann mal betrieben, da ist nichts dabei. Ich persönlich teile die Wertschätzung meines Dharma-Vorfahren Menzan Zuiho für das Kinhin. Es zeigt uns einen Weg, die 'Haltung' des Zazen auf Bewegung anzuwenden und aus dem Zen im Sitzen ein Zen im Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen (gyōjūzaga, 行住坐臥) zu machen.


    Wichtig ist die Achtung auf den wie beim Sitzen ausgerichteten Oberkörper, unterstützt durch das Shashu-Mudra vor dem Brustbein bzw. mittleren Dantian. Der Atem 'reguliert', also tief und gleichmäßig, das Gehen damit synchron. Einatmend den hinteren Fuß vom Boden lösen und nach vorne bringen, ausatmend absetzen. Schrittlänge unter einer Fußlänge. Die wechselnden Kontakte von Füßen und Boden wahrnehmen sowie die horizontale Verschiebung des Körperschwerpunktes. Vertikale Verschiebungen vermeiden, also Kopf und Schultern sowie die waagrechten Unterarme auf konstanter Höhe halten.


    Ansonsten finde ich die angemessene Herangehensweise an die Achtsamkeit auf den Atem ganz gut in Vers 18 beschrieben:

    Zitat

    Wenn er lang einatmet, versteht er: ,Ich atme lang ein‘; oder wenn er lang ausatmet, versteht er: ,Ich atme lang aus.‘ Wenn er kurz einatmet, versteht er: ,Ich atme kurz ein‘; oder wenn er kurz ausatmet, versteht er: ,Ich atme kurz aus.‘

    Einfach ganz genau hinschauen, was da mit dem Atem geschieht, ohne einzugreifen. Ohne Erwartung - auch das wäre ein Eingriff. Mein Verständnis geht also eher in Richtung Deiner 2. Alternative.


    Der Atem kann natürlich auch als 'Einstiegsobjekt' für tiefergehende konzentrative Übungen genutzt werden, also die dhyāna / jhāna. Dieser Ansatz wird im Zen eher abgelehnt - das ist "totes Holz und kalte Asche".

    Zunächst noch einmal zu der Geschichte mit dem Zählen. Das ist eine konzeptuelle 'Zwischenschicht' zwischen achtsam beobachtendem Subjekt und beobachtetem Objekt - dem Atem. Diese konzeptuelle Zwischenschicht baut auf Unterscheidungen auf: Atem / Nicht-Atem, Aus- und Ein-Atem - beides zusammen eine Nummer mit Nachfolger und Vorgänger, wenn wir dann noch anfangen zu zählen ... Das Problem ist offensichtlich: die Achtsamkeit ist geneigt, sich auf das Konzept, die 'Zwischenschicht' zu richten und darüber das eigentliche Objekt - den Atem - zu vergessen.


    'Achtsamkeit auf den Atem' ist nach meinem Verständnis nicht nur eine Übung im Loslassen von Konzepten (geht also in Richtung hishiryō), es ist gleichzeitig eine Übung in Konzentration auf das, was in Vers 18 der "Atemkörper" genannt wird. Wenn dieser materiell körperlose Atemkörper durch Übung längere Zeit aufrecht erhalten werden kann, kann man beginnen, ihn als letztes Objekt loszulassen. Es zu vergessen.


    Die Eintrittsschwelle, wenn ich das mal so nennen darf, über die man beim Zen hinweg muss, ist Hingabebereitschaft für und Ausdauer bei der Übung. Aus dem obigen ist sicher deutlich geworden, dass auch die Achtsamkeit auf den Atem auf eine Aufhebung von Subjekt und Objekt der Beobachtung gerichtet ist. Das ekāgratā (der 'einspitzige Geist', ikkyō shō 一境性) ist keine Theravada-Spezialität ...


    Dass man als Übende/r da mit 'Tricks' arbeitet, also mit hilfreichen Werkzeugen, dagegen ist nichts einzuwenden. Das Konzept des Atemzählens kann eine Weile eine nützliche Krücke sein - aber die muss man unweigerlich loslassen. Als Übender sollte man darauf achten, über den Werkzeugen deren Zweck nicht zu vergessen. Und darauf, welche Werkzeuge einem weiterhelfen und welche nicht (mehr).


    Wie in einem früheren posting schon geschrieben, halte ich bestimmte Formen der Körperarbeit, die einen 'energetischen' Ansatz mit einbeziehen, für potentiell hilfreiche Werkzeuge, um 'Blockaden' beim Sitzen aufzuheben. Die Konzentration der Objektwahrnehmung auf bestimmte somatische Regionen ist ein guter 'Ankerpunkt', um die Konzentration aufrecht zu erhalten - da ist es hilfreich, wenn die Wahrnehmung dieser Regionen gezielt geschult wird; etwa durch Yoga oder Qigong.


    Vielleicht mal zum Ausprobieren eine "somatische" Alternative zum Zählen: lass den Fokus Deiner Achtsamkeit auf den Atem bei jedem Atemzug von einer Fingerspitze zu benachbarten übergehen und so im hokkai jōin kreisen. Auch das ist eine 'Zwischenschicht' - aber, wie ich finde, eine, die 'näher' am Atemobjekt ist - und 'transparenter' dafür.

    Sorry, hat etwas gedauert. Das Covid-Monster hat mir aufgelauert und mich erwischt ;).

    1. Erfolgt die Atmung bei Qigong über die Nase oder über den Mund? Oder evtl. eine Kombination, wie z.B. Einatmung über die Nase und Ausatmung über den Mund?

    Ganz so, wie es angebracht, also 'natürlich' ist. Bei stillem Qigong atme ich wie beim Zazen, Mund mit leicht aufeinandergelegten Lippen, ohne Zähne zusammenzubeißen - Atmung also durch die Nase. 'Leitpunkt' ist da allerdings nicht die Nase, sondern der Endpunkt des Dumai-Meridians (Du-28) - Mitte der Oberlippe, Innenseite. Da beginnt der Übergang vom Dumai- zum Renmai-Meridian, der wiederum Mitte der Unterlippe endet (Re-24). Die 'Brücke' für den Fluss des Qi ist die Zunge, die 'aufgestellt' wird und mit der Unterseite der Zungenspitze Kontakt zum vorderen Gaumen hält - also am Oberkiefer gegenüber von Du-28. Das ist der 'theoretische' (oder 'esoterische') Hintergrund für die Empfehlung dieser Zungenhaltung beim Zazen.

    Zitat

    Drücke deine Zunge gegen den vorderen Gaumen und schliesse deine Lippen und Zähne.

    (Dōgen, Fukan Zazen Gi)

    Beim Qigong in Bewegung hängt es von der jeweiligen Übung ab, wie ein- und ausgeatmet wird. Grundsätzlich sind da alle Kombinationen möglich. Bei den 'energetischeren' Übungen wird oft Einatmung durch die Nase mit Ausatmung durch den Mund verbunden, das baut eine Art 'Druck' auf. Ist natürlich alles esoterischer Hokuspokus, aber so lässt es sich vielleicht am verständlichsten beschreiben. Natürlich wird bei der 'Arbeit' mit dem Qi auch viel mit Vorstellungen bis hin zur Visualisierung gearbeitet. Das wiederum hat im Zazen absolut nichts verloren, davor hatte Himmelsbaum zu recht gewarnt. Selbst bei den paar Atemzügen zur Ein- und Ausrichtung von Sitzen und Atmen sollte man das auf das Notwendigste beschränken.


    Nach einer Weile des Übens braucht man übrigens solche Vorstellungen auch beim Qigong nicht mehr - der Körper ist dann hinreichend konditioniert; er hat die 'Form' der jeweiligen Übung gelernt.

    2. Zazen bezeichnet ja eigentlich die gegenstandslose, d.h. nicht objektbezogene Meditation (Shikantaza). Bei meinem Zen-Einführungskurs wurde jedoch Anfängern empfohlen, erstmal mit einem Objekt zu üben, um allgemeine Konzentrationsfähigkeiten weiterzuentwickeln, weil die Konzentration für gegenstandslose Mediation (das eigentliche Zazen) einfach noch nicht ausreicht. Dies kann ich ehrlicherweise so bestätigen, weil ohne Objekt (wie z.B. Atem zählen oder Atem(empfindungen) beobachten) ich mich schnell in Unachtsamkeit, d.h. z.B. in Gedanken verliere.

    Wie würdet ihr einem Anfänger vorschlagen, Zen innerhalb einer formalen Sitzpraxis zu üben?

    Okay, die wussten, wovon sie reden. In der Tat geht es bis auf wenige Ausnahmen jedem, der mit der Zazenübung beginnt, so wie Dir: die 'Objektfreiheit' wird erst einmal zurückgestellt, um 'jōriki' (定力) zu entwickeln. Das ist im wesentlichen Konzentrationskraft - der Übende ist auf ein Objekt konzentriert und bemüht sich, sich nicht davon ablenken zu lassen. Ist schwieriger, als es sich anhört. Ist aber eine wichtige Grundlage.


    Nicht ablenken lassen heisst, nichts anderes zu ergreifen - ergreifen mit Gedanken, die sich fortsetzen und in denen man versinkt. Das lernt sich leichter mit einem einzigen Objekt, an dem man sich 'festhalten' kann, als ganz ohne Objekt (wie beim shikantaza) oder mit einem Nicht-Objekt (etwa einem kōan).


    Das 'Objekt', mit dem man dieses jōriki, dieses Beharrungsvermögen, trainiert ist in aller Regel der eigene Atem. Ich persönlich halte da die 'klassische' Achtsamkeit auf den Atem für sinnvoll, wie sie etwa in MN.118.17-21 beschrieben wird. Wobei das im Kontext 'Zen' ja nur eine vorbereitende Übung ist; in aller Regel sollte da der Stand von Vers 18 schon ausreichen. Wenn das einigermaßen stabil ist, kann man dann den Fokus auf das Objekt 'Atem' lösen und versuchen, ohne Fokus einfach nur zu sitzen. Wobei man dabei erst einmal wieder recht ähnliche Probleme haben wird wie bei der Atemübung am Anfang - aufsteigende Gedanken, die sich verselbständigen. Der Umgang damit ist jeweils der gleiche: den Gedanken bemerken (der oft nur das letzte Glied einer bislang unbemerkt gebliebenen Kette ist), ihn los und ziehen lassen wie eine Wolke am Himmel - keine Wolkenschlösser bauen. Mit Übung tauchen immer weniger Gedanken auf, die Ketten werden kürzer. Das trainiert man erst einmal mit Objekt (Atem z.B.), dann ohne.


    Oft wird empfohlen, die Atemzüge zu zählen - von 1 bis 10 und dann wieder von vorne. Hat den kleinen Vorteil, dass es ein sehr deutliche Zeichen dafür ist, dass man den Fokus verloren hat, wenn man plötzlich nicht mehr weiss, beim wievielten Atemzug man gerade ist (man fängt dann einfach wieder bei 1 an). Ich persönlich halte vom Zählen nicht viel (wie schon meine Lehrerin). Wie ich im Selbstversuch feststellen konnte, kann man mit einiger Übung Multitasking machen - korrekt zählen und gleichzeitig dabei die Gedanken schweifen lassen. Spätestens, wenn man das bei sich feststellt, ist es höchste Zeit, auf das Zählen zu verzichten - da wird's kontraproduktiv.

    Punktuell dient aber die Nasenspitze meines Wissens nach als "Atemobjekt" eher im Theravada-Bereich (Samatha)?
    Bzgl. Zen habe ich tatsächlich immer nur den unteren Bauchbereich gelesen, sofern man mal punktuell (z.B. bei Unruhe) ein temporäres Objekt nutzen will und von der gegenstandslosen Praxis abweicht...

    "Unterer Bauchbereich" meint den unteren Dantian oder Qihai - bei Mattigkeit / Schläfrigkeit empfiehlt sich als Gegenpol der obere Dantian bzw. sein 'Zugangspunkt' Yintang zwischen Augenbrauen. Der entsprechende 'Zugangspunkt' für den unteren Dantian ist Shenjue - etwas unterhalb des Nabels; der Punkt, der von der Öffnung der Hände im Hokkaijoin (dem 'kosmischen Mudra') umrahmt und so 'geöffnet' wird. Man liest / hört manchmal auch 'den Atem in den Handflächen ruhen lassen'.


    Die Empfehlung, auf Nasenspitze bzw. Nasenöffnung kommt in der Tat aus dem ānāpānasmṛti (Pali ānāpānasati), da hast Du recht. Also der Atemachtsamkeit, nach wie vor beliebt im Theravada. Ich persönlich halte das für effektiver, weil leichter zu fokussieren.

    Ich dachte bis dato, dass die Zen-Atmung immer die Bauchatmung darstellt und man seine beobachtende Aufmerksamkeit im Unterbauch-Bereich (hara) halten soll

    Gutgemeinter Rat: vergiss das. Aufmerksamkeitsfokus im Unterbauch ist allenfalls bei Aufgeregtheit und Unruhe sinnvoll. Ansonsten tendiert das dazu, schläfrig zu machen. Umgekehrt kann man Dumpfheit / Schläfrigkeit entgegen wirken, wenn der Fokus auf der Nasenspitze oder in den Nasenlöchern sitzt. Am besten ist es freilich, überhaupt keinen Fokus zu setzen, sondern diesen im Gegenteil zu weiten, bis er den ganzen Herz-Geist umfasst und verschwindet.

    Nun - es gibt keine "korrekte Zenatmung" - allenfalls in dem Sinn, dass man sie geschehen lässt, wie sie geschieht. Lediglich zu Beginn des Sitzens sollte man den Atem regulieren.

    Zitat

    Wenn du erst deine Körperhaltung eingerichtet hast, solltest du deinen Atem regulieren.

    Dōgen, Fukan Zazen Gi

    Eine etwas eingehendere Beschreibung dieses "regulierens":

    Zitat

    Benutze diese Methode, um den Atem zu harmonisieren: öffne für eine Weile deinen Mund, und wenn ein langer Atemzug kommt, atme lang; wenn ein kurzer Atemzug kommt, atme kurz. Harmonisiere allmählich deinen Atem und folge ihm auf natürliche Weise. Wenn die Zeitabstände leicht und natürlich werden, verlagere dein Atmen still zur Nase.

    Keizan, Zazen Yojinki

    Das Problem insbesondere bei Neulingen ist häufig das 'Einrichten der Körperhaltung', bedingt vor allem durch im Laufe der Zeit erworbene Haltungsfehler - beispielsweise Rundrücken, der allerdings auch angeboren sein kann. Ich selbst habe wegen einer angeborenen (zum Glück nur leichten) Skoliose da mit ungünstigen Bedingungen zu arbeiten.


    Die in den Beiträgen oben beschriebene 'Enge' im Brustraum ist für Haltungsfehler ein typisches Symptom. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, es hat bei mir ein paar Sesshin gedauert, bis ich erstmals die Erfahrung einer 'Öffnung' des Brustraums machen konnte. Es hat sich tatsächlich angefühlt, als hätte ich ein eisernes Band um meine Brust gesprengt, eine recht spektakuläre Sache. Ein Yogin würde vielleicht von der 'Öffnung des Herzchakra' (anahata) sprechen. Im Qigong ist das Shan Zhong oder der 'mittlere Zinnoberfeld' (Zhong Dantian). Etwas Geduld und Beharrlichkeit muss man also (jedenfalls nach meiner Erfahrung) aufbringen, wobei das Ausmaß sicher individuell recht unterschiedlich ist, entsprechend den jeweiligen Ausgangsbedingungen.


    Was eine große Hilfe ist, ist die Ergänzung (nicht Vermischung!) der Zenübung mit einer Form der Körperarbeit; wobei sich insbesondere Hatha-Yoga und Qigong bewährt haben. Yoga konnte ich durch meine Lehrerin kennenlernen (die auch zertifizierte Yogalehrerin ist), auf deren Sesshin nach dem Samu am Vormittag eine Einheit Yoga zum Tagesablauf gehört. Persönlich bevorzuge ich Qigong, wobei ich das Glück hatte, vor fast 40 Jahren einen großartigen Lehrer zu finden. Von dem ich mich zwar nach einigen Jahren wegen persönlicher Unstimmigkeiten trennte, dem ich aber bis heute dankbar bin für das, was er mir gezeigt hat.


    Ich habe im Laufe der Jahre meinen eigenen (auf meine persönlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmten) Stil entwickelt; ziemlich eklektisch mit Elementen aus dem Baduan Jin ('acht Brokate'), dem Dayan Qigong ('Wildgans-Qigong'), therapeutischem Qigong und dem 'martial' Qigong meines ersten Lehrers (der eigentlich Taijiquan und Gongfuquan lehrte). Als besonders nützlich für das Zazen empfinde ich speziell die Übung des 'Kleinen himmlischen Kreislaufs' (Xia Zhoutian); eine einigermaßen brauchbare Beschreibung beispielsweise hier.


    Das ist dann auch meine Methode der "Harmonisierung" bzw. "Regulierung" des Atems - wobei damit gleichzeitig auch insbesondere der Oberkörper auf- und ausgerichtet wird. Also Ausrichtung der Wirbelsäule, der Punkt Baihui (kleine Fontanelle bei Kleinkindern) senkrecht über Huiyin (Mitte des Perineums), wobei automatisch das das Becken gekippt wird (um das Iliosakralgelenk, also nicht durch Beugung der unteren Wirbelsäule) und das Kinn 'eingezogen' wird. Bei der Ausatmung sinken automatisch die Schultern und die Schulterblätter richten sich nach hinten und unten aus, was dem Brustkorb Weite gibt und langes, schmerzfreies (zumindest im Rücken) Sitzen ermöglicht.


    Nochmals zur Verdeutlichung: das übt man nicht während des Zazen, sondern getrennt davon. Die Regulierung von Haltung und Atmung zu Beginn des Zazen ist dann (wenn man einigermaßen geübt ist) nur eine Sache von drei, vier Atemzügen - dann lässt man das los.