Beiträge von Thorsten Hallscheidt im Thema „Peter Riedl: „Buddhismus neu Denken““

    Im Sinne eines naturalistischen Weltbildes lehne ich die Annahme eines immateriellen, von der Materie losgelösten Bewusstseins/Bewusstseinsstroms/Geistkontinuums ab.

    Oha!

    Für das Auftreten von Bewusstsein ist nach unserem heutigen Kenntnisstand eine materielle Grundlage notwendig. Bewusstsein ist ein sogenanntes emergentes Phänomen.

    "Wir", also die Neurowissenschaftler (zu denen ich mich nicht zählen kann) wissen nicht, was Bewusstsein ist und auch nicht, wie es zustande kommt. Es gibt bisher nur mehr oder weniger plausible Theorien dazu. Ebenso plausibel ist übrigens die Theorie, dass Materie nicht ohne geistige Grundlage existieren kann (vgl. David Chalmers)


    Das Ungeborene, Ungeschaffene ist das aus der freien Entscheidung geborene Denken und Handeln im Hier und Jetzt. Der Kreislauf des Werdens in Bezug auf individuelles Bewustsein bezieht sich immer nur auf diese eine Existenz. Alles andere ist Religion.

    Auf der Basis eines materialistischen Weltbildes kann es keine freie Entscheidung geben (maximal die Illusion davon), da in der Naturwissenschaft (und im Buddhismus) keine Wirkung ohne Ursache aufscheinen kann. Jedes Tun, Denken und Entscheiden ist von Ursachen und Umständen abhängig. Es gibt aber das Ungeschaffene, behauptet zumindest der Buddha...


    Letzthin war ich in den Alpen. Die Wolken hingen sehr tief, sodass die großen Berge unsichtbar geblieben sind. Hätte ich nicht gewusst, dass ich in der Zentralschweiz war, hätte ich die Landschaft für ein Mittelgebirge gehalten. Beim Buddhismus ist es ähnlich. Je nach dem Maß geistigen Nebels, kann man das, man bisher erfahren hat, für die ganze Wirklichkeit halten. So wird aus einem Himalaya schnell mal ein Schwarzwald. Ich spreche aus eigener Erfahrung.


    Die Zeiten ändern sich schnell. Was vor 500 Jahren für die Wahrheit galt, ist heute in weiten Teilen überholt. So wird es auch in 500 Jahren sein. Entscheidend ist, dass der Buddha als Kosmonaut der Erste-Person-Perspektive weiter vorgedrungen ist als alle Menschen zuvor (soweit die Erinnerung ging) und die allermeisten seitdem. Von dort hat er Erfahrungen (keine Kosmologie) mitgebracht, praktische Wege und Möglichkeiten. Ich bin nur einen kleinen Teil des Weges bisher gegangen, musste aber immer wieder meine Ansichten und Statements revidieren, von dem, was es angeblich gibt und was es nicht gibt, und wie das alles zusammenhängt. Das hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass ich zwar immer irgendetwas sehe, und im Rahmen dessen auch mehr schlecht als recht beurteilen kann, aber ich muss zugleich auch immer damit rechnen, dass der Großteil der Berge im Neben verborgen ist.


    "Wir" wissen nicht, was nach dem Ende der menschlichen Existenz kommt, und wir wissen auch nicht, wie Bewusstsein entsteht. Vieles, vielleicht alles, ist noch im Nebel verborgen. Der vergiftete Pfeil steckt dennoch. Darum ist Vertrauen noch lange keine religiöse Haltung. Der Kern des Religiösen ist aber etwas, das Vertrauen rechtfertigt. Der Buddha hat diesen Kern gefunden.

    Dein Buddhismus. Meiner nicht. Eröffne doch nicht gleich eine dogmatische Ausernandersetzung.

    Ein Geisteskontinuum bedeutet ja noch lange keine Wiedergeburt einer Person. Dass der Geist nur von Augenblick zu Augenblick existiert und sich in Abhängigkeit von Ursachen und Umstände unablässig wandelt, kann jeder selbst erfahren. Daher "stirbt" und "entsteht" er ständig neu. Es gibt aber ein Ungeborenes, Ungeschaffenes, das (nicht nur) der Buddha entdeckt hat, das einen Ausweg aus diesem Kreislauf des Werdens und Vergehens darstellt. DAS ist der Kern der Lehre des Buddha. (Quelle) Formuliert ist diese Möglichkeit in der dritten edlen Wahrheit.

    Nach meiner Erfahrung gibt jeder Dhammalehrer die Lehre so wieder, wie er sie versteht (oder verstanden zu haben glaubt) und" eigener Senf" wird stets hinzugefügt... "Meine" Lehrer sagen von sich, dass sie "nicht erleuchtet" sind und bezeichnen sich als Kalyanamittas.

    Letztlich muss man den Weg alleine "finden" und gehen.

    Ja, klar, darin sehe ich auch kein Problem. Die Lehre des Buddha ist eben weit mehr als das, auf was Peter Riedl versucht sie zu reduzieren. Nirvana ist eben nicht die totale Kontrolle über Gedanken und Gefühle in ethischen Bahnen. Ich würde sogar sagen, es ist das Gegenteil. Nicht ohne Grund gilt Nirvana als sehr schwer zu ergründen. Dukkha hört ja nicht auf, weil ich Kontrolle über mein Innenleben habe und einsehe, dass Anhaftung und Ablehnung "nichts bringen". Der Stromeintritt bezeichnet den Punkt, in dem das intellektuelle Verständnis von Leerheit aller Erfahrungen selbst in Erfahrung umschlägt. Danach beginnt der buddhistische Weg erst. Was er aber hier als Kern der buddhistischen Lehre bezeichnet, ist Selbsterkenntnis gepaart mit Kontrolle. Das ist aber etwas ganz anderes. Ein Erwachter muss nichts mehr kontrollieren, weil durch Aufhebung der Unwissenheit (hier meine ich das Geistesgift) durch unmittelbaren Erfahrung Dukkha an der Wurzel abgeschnitten (nicht kontrolliert!) ist. Kontrollieren müssen Emotionen und Gedanken diejenigen, die am Anfang des Pfades stehen. Aus dieser Perspektive ist es aber nicht sonderlich sinnvoll, "den Buddhismus neu zu denken", weil der Pfad (nach dem Stromeintritt) ja noch gar nicht beschritten wurde.

    Ich glaube, dass nur jemand "den Buddhismus neu denken" kann, der den buddhistischen Weg auch zu Ende gegangen ist. Aber jeder kann natürlich eine Weisheitslehre begründen, die seiner Welt- und Innensicht entspricht, und das kann sicher sehr hilfreich für viele Menschen sein. Ich frage mich aber, warum das dann Buddhismus heißen muss.


    Nebenbei. Dafür, dass Peter Riedl so vehement gegen religiöse Strukturen argumentiert, inszeniert er sich aber dann doch sichtbar in Richtung Guru. Weiße Kleidung, Schal, im Zentrum der Aufnahme im Lotussitz sitzend, daneben eine lebensgroße Buddhastatue... Naja. Wahrscheinlich erwartet man das von einem Weisheitslehrer. Würde er da in Jeans und Rollkragenpullover sitzen, wäre der Eindruck nur halb so spirituell.

    Minute 7:09:


    "Da muss etwas Fixes in mir sein, eine Seele, ein fester Wesenskern, irgendetwas Absolutes. Das hat der Buddha aber so nicht gelehrt."


    Keine Seele, kein fester Wesenskern, aber:

    Zitat

    Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt von dem Heiligen, So habe ich gehört:

    „Es gibt, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Unerschaffenes, Ungestaltetes. Wenn es, ihr Jünger, dieses Ungeborene, Ungewordene, Unerschaffene, Ungestaltete nicht gäbe, so wäre hier ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Erschaffenen, Gestalteten nicht zu erkennen. Weil es nun aber, ihr Jünger, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Unerschaffenes, Ungestaltetes gibt, deshalb ist ein Ausweg aus dem Geborenen, Gewordenen, Erschaffenen, Gestalteten zu erkennen.“

    Dies sprach der Erhabene; daher heißt es mit Bezug hierauf folgendermaßen:

    „Das Geborene, Gewordene, Entstandene, Geschaffene, Gestaltete, Unbeständige, aus Alter und Tod Gebildete, das Nest des Siechtums, das Gebrechliche, aus dem Strom der Nahrung Entsprungene: es reicht nicht hin, um daran Wohlgefallen zu finden. Der Ausweg aus ihm ist der Friede, das dem Sinnen Unzugängliche, Beständige, die ungeborene, unentstandene Stätte, frei von Kummer und Leidenschaft, die Aufhebung der Leidenserscheinungen, das selige Zurruhekommen der Prozesse.“

    Auch dies ist vom Erhabenen gesagt worden, So habe ich gehört.


    Quelle


    Der Buddhismus geht von einem Geisteskontinuum aus, das sich ständig wandelt, entsprechend der Ursachen und Umstände. Es ist kein fester Kern, aber es hat auch zugleich weder Anfang noch Ende. Es ist auch nicht in mir. Im Gegenteil: alles, was für mich ist, Körper, Welt, Gefühle, Gedanken (inkl. Ichgefühl und Bewusstsein) ist Teil des Geisteskontinuums.