Gefühle der Freude oder "Liebe zur Welt" sind nicht das unmittelbare Ergebnis der Praxis. Es ist sogar eine Falle, glaubte man, dass man nur dem Pfad der Liebe und des Wohlbefindens folgen müsse, um "Befreiung" zu erlangen. Erlebnisse der Euphorie oder des tiefen Berührt-Werdens können zu großer Begierde führen, zu Stolz, Neid und Wut, wenn irgendetwas oder irgendwer diese Gefühle verhindert, anzweifelt oder scheinbar herabmindert, indem er sie schlicht nicht zum Ziel, sondern zum Symptom erklärt. Das, was die Praxis erwirkt, steht eher mit einer Veränderung der grundlegenden Parameter des Denkens und Fühlens in Verbindung. Vielleicht kann man es mit dem Unterschied von Klima und Wetter vergleichen. Es kann im Winter sehr kalt sein, obwohl sich das Klima in Richtung einer Erwärmung verändert. Ebenso kann es trotz buddhistischer Praxis zu Leid und Freude kommen, wie es eben immer zu Leid und Freude kommt und diese wieder vergehen. Ein einzelnes noch so positives Erlebnis von Befreiung oder Freude bedeutet noch keine Veränderung, ebenso wie ein einzelner Hitzetag kein Beleg für eine Klimaveränderung ist. Dennoch ändert sich im Laufe der Jahre das Klima des Lebens insgesamt, langsam und unmerklich wie Bäume wachsen.
Die Bereitschaft und Fähigkeit, an zahllosen kleinen Dingen Freude zu empfinden, nimmt zu, weil sie nicht mehr so sehr von großen, massiven Leidenschaften verdeckt werden. Ein Alkoholiker, der zwischen Rausch und Übelkeit schwankt, hat nur wenig Raum, sich von einem Windhauch erfreuen zu lassen, weil Schuld und Begierde, Kopfschmerz und pathetische Gefühle ihn komplett gefangen halten. Von dieser Abhängigkeit befreit, entsteht mehr Raum für subtilere Wahrnehmungen, von denen die gegenwärtige Wirklichkeit übervoll ist, wenn der Sinn und die Aufmerksamkeit dafür vorhanden und nicht überdeckt sind. Sei es nun Alkoholismus, Angst, Eitelkeit, Ehrgeiz, Neid oder andere unheilsame Zustände, ihnen ist gemeinsam, dass sie die Empfindungsfähigkeit für das, was im Hier und Jetzt geschieht, überdecken, den Geist sich immer wieder in Projektionen und Vorstellungen verlieren lassen, sodass er am Leben selbst, an der unmittelbaren Wirklichkeit keinen Anteil mehr haben kann, denn das Leben findet weder in der Zukunft noch in der Vergangenheit noch in der Vorstellung statt.
Leidenschaften, Geistesgifte, unheilsame Zustände erzeugen einen Schleier vor der Wirklichkeit, der so dicht gewebt sein kann und so massiv, dass von Lebendigkeit keine Rede mehr ist. Und aus diesen Verstrickungen auch nur wenig gelöst zu sein, führt zu einem "Wieder-zum-Leben-Kommen", das von Glücksgefühlen und dem Gefühl der Gesundung begleitet werden kann. Dieses veränderte Klima führt zu einer insgesamt freieren Gestimmtheit, einer größeren Bereitschaft, sich von der unmittelbaren Wirklichkeit berühren zu lassen, ohne gleich in Vorstellungen, Begierden oder Ablehnungen zu verfallen, die einen wieder von der Wirklichkeit und Gegenwart abtrennen, was einem Zustand der Krankheit ähnelt. Darum können auch freudige Zustände nicht das Ziel der Praxis sein, denn dieses Streben nach einer Veränderung dessen, was hier und jetzt ist zugunsten eines eingebildeten Besseren, schnürt die Fesseln, die Leben verhindern und Leid vermehren, nur um so enger.