Die Frage nach der Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und spiritueller Praxis läuft nach meiner Einschätzung auf ein integriertes einheitliches System hinaus. Das Subjekt erfährt ja dann parallel seine Psychotherapie und seine spirituelle Praxis und wenn diese für das Subjekt kein integriertes einheitliches System bilden, dann läuft das mit großer Wahrscheinlichkeit auf kognitive Dissonanz hinaus.
#1 Das mit dem einheitlichen System ist so eine Sache. (Post-)Moderne Menschen in einer funktional differenzierten Gesellschaft haben es da schwer, wenn sie den Anspruch aufrecht erhalten alle Erfahrungen zu einem einheitlichen System zu integrieren. Die Philosophie hat den Anspruch aufs System bereits nach Hegel aufgegeben. Die Frage ist, ob sich dieser Anspruch heute noch in der Alltagserfahrung der Menschen aufrecht erhalten lässt.
#2: Das Konzept der kognitiven Dissonanz ist ja selbst Teil des medizinisch-psychologischen Systems und damit in seiner Geltung durchaus begrenzt. Daneben gibt es die Systeme Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Erziehung, Religion, Recht, intime Beziehungen, Familie und was weiß ich noch. Diese Systeme funktionieren jeweils nach eigenen Logiken, die sich nicht ohne weiteres ineinander übersetzen lassen.
#3 Und nochmal: für mich geht es nicht darum ein einheitliches System aus Religion und Psychotherapie zu konstruieren, sondern die Möglichkeit einer sinnvollen Ergänzung in den Blick zu nehmen. Dafür muss der Therapeut nicht zum Guru werden und der spirituelle Lehrer nicht zum Therapeut. Das kann personell durchaus getrennt sein.
"#1-2" eingefügt
ad #1: Ich verstehe deine Worte so, dass deine Sicht auf die Dinge geprägt ist von dem Wunsch dich einem philosophischen System anzupassen (eine "(Post-)Moderne [Sicht] ... nach Hegel"), um deine Erfahrungen in einem einheitlichen System zu integrieren. Damit implizierst du, dass es gar nicht um einen "Anspruch" geht (den du glaubst aus meinen Worte herauslesen zu können, obgleich ich ihn niemals erhoben habe), sondern um ein natürliches Bedürfnis, welches auch dir widerfährt. Deine eigene Frage beantwortest du damit aber nicht, weil nur dein Wunsch erkennbar wird, nicht aber inwieweit es dir gelingt deinen Wunsch zu realisieren.
Der Sachverhalt, dass die Gleichzeitigkeit von Psychotherapie und Buddhismus im Subjekt notwendigerweise ein integriertes System erforderlich macht, ist von natürlichen Bedürfnissen aber eigentlich unberührt.
ad #2: Deine Einwand geht an der Sache vorbei:
Die Unvereinbarkeit von Buddhismus und Psychotherapie wird auch deutlich, wenn eine Abweichung vom Normalzustand des jeweiligen Systems aus der Perspektive des jeweiligen Systems bewertet wird:
1. buddhistische Perspektive: eine Abweichung vom Buddhismus durch Anhängen an psychotherapeutischen Ideen hat zur Folge die Nichterreichbarkeit des Zieles der buddhistischen Praxis.
2. psychotherapeutische Perspektive: eine Abweichung von psychotherapeutischen Instruktionen durch Anhängen an buddhistischen Ideen hat zur Folge ein Scheitern der Psychotherapie oder - wenn versucht wird zu vereinen, was nicht vereinbar ist - eine kognitive Dissonanz.
Ich wiederhole aber, dass davon unbeschadet ist, dass manche Psychotherapien buddhistische Methoden modifizieren und diese Modifikationen anwenden - aber eben nur punktuell ohne den Buddhismus damit integrieren zu wollen.
ad #3: Vielleicht verstehst du ja als "sinnvolle Ergänzung" deine individuelle Zusammenstellung des Typs individuelle Zusammenstellungen von aus der Psychotherapie und/oder dem Buddhismus entliehenden Ideen zur Steigerung des individuellen Wohlbefindens. Dass es sich dabei aber weder um Buddhismus noch um Psychotherapie handeln kann, und aufgrund der Unvereinbarkeit auch nicht um ein integriertes System der beiden, sollte eigentlich selbstverständlich sein.