Beiträge von Mabli im Thema „Aus Lamrimschriften“

    Helmut


    Ja, das leuchtet mir schon ein, dass der Lamrim als eine systematisierte Form der Lehre seine Vorteile hat. Wenn die Menschen im Westen verschiedene Versatzstücke der Lehre hier und dort mitbekommen, aber nicht wissen wie sie im gesamten Lehrgebäude einzuordnen sind, dann bringt das sicher Probleme mit sich. Mir ging es ja ähnlich mit der Tonglen Meditation. Als ich dann erfahren habe, dass sie im Stufenweg eher am Ende steht und für sehr fortgeschrittene Praktizierende vorgesehen ist, hatte ich eine andere Perspektive auf diese Praxis und habe mich weniger unter der Druck gesetzt.


    Ich mache mal einen gewagten Vergleich. In der Schule gibt es in Mathematik einen Lehrplan, der vorsieht, dass bestimmte Themen in einer bestimmten Reihenfolge durchgearbeitet werden. Erst die Grundrechenarten, dann Flächenberechnung und dann der Satz des Pythagoras. Das ist als Lehrgebäude mit verschiedenen Ebenen / Plateaus mit Exposition von neuen Themen, Übungsphasen und Wiederholungen so festgelegt. Jetzt kommen aber die Reformpädagogen und sagen, ich mache schon in der fünften Klasse eine Unterrichtseinheit, in der die Kinder sich forschend mit dem Satz des Pythagoras auseinandersetzen. Das kann für einige Kinder das Verständnis für Geometrie vertiefen und ihre Begeisterung für Mathematik wecken. Aber die Lehrer, die nach dem Lehrplan vorgehen, schlagen wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammen und sagen, das könne man auf keinen Fall machen.

    "(3) Denjenigen, der mit irgendwelchen Methoden den eigenen Vorteil nur im Glück des Samsara sucht, den erkenne als Menschen mit niedriger Motivation.


    (4) Denjenigen, der dem Glück des Samsara den Rücken kehrt und sich von schlechten Handlungen abwendet, jedoch nur den eigenen Frieden im Sinn hat, den nenne einen Menschen mit mittlerer Motivation.


    (5) Derjenige, der alle Leidend er anderen vollständig und in jeder Hinsicht beenden möchte, weil ihre Leiden Bestandteil des eigenen Bewusstseinsstroms sind, der ist ein Mensch mit höherer Motivation."

    Ich frage mich, ob man diese Stufen in der Praxis wirklich scharf voneinander abgrenzen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass da auch oft ein fließender Übergang passiert oder auch wie bei der Echternacher Sprungprozession (ein Schritt vor und zwei zurück) kein linearer Fortschritt statt findet.

    Ich habe tatsächlich bevor ich mit dem Lamrim-Studium und den Meditationen dazu angefangen habe auch schon mal versucht Tonglen zu praktizieren, was ja eigentlich mit die höchste Praxis der Praktizierenden mit höherer Motivation ist. Und ich hatte obwohl ich schon meine Schwierigkeiten damit hatte, trotzdem das Gefühl, dass ich dadurch weiter gekommen bin. Wie streng meinst du sollte man sich an die Abfolge der Schritte auf dem Pfad halten? Bauen die Schritte wirklich immer sinnlogisch aufeinander auf? Oder kann auch eine andere Reihenfolge beschritten werden?


    Man kann den Aspekt des Fortschreitens auf dem Pfad ja mit unterschiedlichen Bedeutungsakzente verstehen. So klingt "Stufen" schon anders als "Schritte" auf dem Pfad.

    Zu der Anhaftung an Lob und Anerkennung und der Ablehnung von Kritik habe ich mir einige Gedanken gemacht:


    Ich hafte an, wenn ich die Erwartungen von Anderen übererfüllen möchte, um deren Anerkennung zu erlangen. Ich bin in der Ablehnung, wenn ich die Erwartungen anderen brüsk zurückweise und gegen den Strom schwimme. Es sind zwei Seiten einer Medaille. In der Erfüllung der Erwartungen steckt die Ablehnung, da ich mit so einer Haltung nicht wirklich bereit bin von anderen etwas anzunehmen. Insgeheim halte ich mich für schlauer und möchte meine Unabhängigkeit in der Abhängigkeit bewahren. In der Ablehnung steckt der Wunsch nach Anerkennung, da ich mich mit meinem heroischen Stemmen gegen den Strom besonders hervor tue und über andere stelle.

    Der Wunsch nach Anerkennung und die Ablehnung von Kritik sind ein Paar der acht weltlichen Dharmas. Ich möchte diese Haltungen, die so tief in meinen Charakter eingegraben sind, loslassen und einen mittleren Weg finden. Es entsteht so viel Leid dadurch für mich selbst und für Andere. Ich möchte meine Zeit nicht in diesem Hamsterrad auf der Jagd nach einem scheinbaren Glück vergeuden, sondern sinnvoll einsetzen.

    es scheint so zu sein, dass die acht weltlichen Dharmas auch in den ausführlichen Lamrimschriften nicht besonders behandelt werden, aber indirekt sind sie natürlich angesprochen, wenn es darum geht, was aufzugeben ist.

    Den einzigen direkten Bezug auf die acht weltlichen Dharmas im ersten Band des Lamrim Chenmo habe ich hier gefunden (Band 1, S.350):


    Zitat

    Moreover, the four cravings for gain, fame, praise and pleasure and the dislike for their opposites are quick to occur and difficult to get rid of. Strive to remedy this, and stop these eight worldly concerns by meditating on the faults of cyclic existence in general and by cultivating the mindfulness of death in particular. Eliminate pride, as it is the chief obstacle to the development of the path in this lifetime and causes future rebirth as servant and so forth.

    Meine Übersetzung:


    Darüber hinaus treten die vier Anhaftungen an materiellen Besitz, Ruhm, Lob und sinnliche Annehmlichkeiten und die Ablehnung von ihrem jeweiligen Gegenteil schnell auf und sind schwer loszuwerden. Bemühe dich dem abzuhelfen und beende diese acht weltlichen Dharmas, indem du über die Unvollkommenheit zyklischer Existenz im Allgemeinen meditierst und die Erinnerung an die Vergänglichkeit im Besonderen kultivierst. Beseitige Stolz, der ein Haupthindernis bei der Entwicklung auf dem Pfad in dieser Lebenszeit darstellt und eine zukünftige Wiedergeburt als Diener und so weiter bewirkt.

    Im Zusammenhang mit dem Zitat sprichst du von zwei Bedeutungen des Begriffs Dharma. Der Begriff Dharma hat aber noch eine Reihe weiterer Bedeutungen.

    Ja, das war mir bewusst. Es ging mir vor allem darum, auf die unterschiedlichen Bedeutungen in dem Zitat hinzuweisen und nicht um eine erschöpfende Erklärung des Bedeutungsfelds von "Dharma".

    Das wäre doch sehr schön. Ein säkularer Buddhist und ein nicht-säkularer Buddhist tauschen sich dann über den Dharma wie er in Lamrimschriften dargelegt wird aus.

    Tatsächlich habe ich diese Bezeichnung "säkular" für mich gewählt, da ich mich bisher keiner Richtung oder Tradition wirklich zugehörig fühle und auch in eher säkularen Kontexten praktiziert habe. Das ändert sich aber auch gerade und ich würde das jetzt nicht als fixes Etikett für mich nutzen.


    Ich beschäftige mich gerade mit den acht weltlichen Dharmas. Die spielen wohl in den traditionellen Lamrim Schriften keine so große Rolle, aber sind dennoch von großer Wichtigkeit. So schreibt Lama Zopa Rinpoche in seinem Buch "How to practice the Dharma" (in deutscher Übersetzung hier kostenlos zum Download)

    Zitat

    Jede unserer Handlungen ist entweder Dharma, die Ursache für wahres Glück, oder Nicht‐Dharma, die Ursache für Leid und der Unterschied besteht allein darin, ob diese Handlung durch die 8 weltlichen Dharmas motiviert ist oder nicht. Deshalb ist die Entsagung des schädlichen Denkens der 8 weltlichen Dharmas der erste Schritt, wenn wir Glück im Leben erlangen wollen.

    Hier sind zwei verschiedene Bedeutungen von "Dharma" zu unterscheiden. Zum einen "Dharma" als die Methode die zur Erleuchtung führt, wie sie Buddha uns gezeigt hat, und zum Anderen Dharma als "'etwas, das seine eigene Natur behauptet', in anderen Worten, ein inhärent existierendes Phänomen."


    Die 8 weltlichen Dharmas sind in vier Paare unterteilt:


    1a. Verlangen nach materiellem Besitz.

    1b.Verlangen, vom Mangel an materiellem Besitz frei zu sein.

    2a. Verlangen nach Glück und Annehmlichkeit.

    2b. Verlangen, von Unglück und Beschwerlichkeiten frei zu sein.

    3a. Verlangen nach gutem Ansehen.

    3b. Verlangen, von schlechtem Ruf frei zu sein.

    4a. Verlangen nach Lob.

    4b. Verlangen, von Kritik verschont zu bleiben.


    Für mich fließen die Dharmas teilweise ineinander. Zum Beispiel kann das Verlangen nach Annehmlichkeit in Form von dem Wunsch nach ästhetische ansprechenden Dingen auch mit dem Wunsch verbunden sein diese Dinge zu besitzen. Oder das Verlangen nach Lob und Anerkennung kann dazu führen, dass man auch ein Verlangen nach einem guten Ruf in Form eines bestimmten sozialen Status entwickelt.

    Lieber Helmut,


    ich freue mich sehr über Deinen Thread hier, da ich kürzlich damit begonnen habe täglich analytische Meditationen zum Lamrim zu praktizieren!

    Eventuell kann ich aus meiner begleitenden Lektüre dazu demnächst auch mal einen kurzen Text und meine Reflexion dazu zu deinem Thread beisteuern.


    Herzliche Grüße

    Zur konzeptlosen Wahrnehmung gibt es am 2.April einen Buddha-Talk von der ehrwürdigen Bhikshuni Tenzin Metok: https://www.buddha-talk.de/


    Mir fallen zu konzeptloser Wahrnehmung ja gleich alle möglichen philosophischen Theorien ein. Adornos zentraler Begriff des Nicht-Identischen soll das umschreiben, was nicht im Begriff und der begrifflichen Erkenntnis aufgeht. Fichte und Schelling sprachen von der intellektuellen Anschauung als einer Anschauung jenseits der sinnlichen Wahrnehmung.


    Mit J. G. Fichte und F. W. J. Schelling wird die intellektuelle Anschauung zu einer zentralen Kategorie ihrer philosophischen Systeme. So ist für Fichte die intellektuelle Anschauung „das unmittelbare Bewußtseyn, dass ich handle, und was ich handle“ und so „der einzige feste Standpunkt für die Philosophie“. Sie lässt sich nicht begrifflich ausdrücken, sondern nur erfahren.[2] Für Schelling ist die intellektuelle Anschauung das „Organ alles transcendentalen Denkens“.[3] Für Friedrich Heinrich Jacobi ist die intellektuelle Anschauung „ein Ausdruck, der nicht gerade zu widersinnig und verwerflich ist“ und bezeichnet „die Art des Bewusstseins [...], in welcher sich uns das an sich Wahre, Gute und Schöne vergegenwärtigt und als ein Überschwängliches, in keiner Erscheinung darstellbares Erstes und Oberstes, offenbart“.[4]

    Würde mich ja sehr interessieren, wie das im tibetischen Buddhismus aufgefasst wird.

    (1) Hören, Lernen, Studieren; (2) Kontemplation und (3) Meditation. Der erste Schritt dient dazu, erst einmal etwas zu lernen, zu verstehen. Der zweite Schritt stellt ein vertieftes Nachdenken über das Gelernte dar. Es ist also noch mit begrifflich-analytischen Denken verbunden.

    Der unterschied zwischen Kontemplation (oder Nachdenken) und der analytischen Meditation ist mir noch noch ganz klar geworden. Ich habe deswegen auch nochmal bei Berzin nachgelesen zur analytischen Meditation. Ich versuche das mal wieder zu geben, um es selbst besser zu verstehen. Also das Nachdenken dient dem Nachvollzug der Argumentation, also der Schlussfolgerungen, und dem richtigen Verständnis der Begriffe.

    Für die klar erkennende Meditation benutzen wir den Geistesfaktor des groben Feststellens (tib. rtog) und den der subtilen klaren Erkennungsfähigkeit (tib. dpyod), was in manchen Zusammenhängen Untersuchung und genaue Prüfung bedeutet.

    Die analytische Meditation beruht dann - mit einem westlichen Begriffsrahmen beschrieben - auf den intellektuellen Fähigkeiten des Verstands. Es geht um das Verständnis der Bedeutungen und die Fähigkeit in der Anwendung auf das eigene Leben klare Unterscheidungen zu erkennen, wenn ich das richtig verstehe.

    Helmut:

    Die Meditation dient dann als dritter Schritt dazu, das Gelernte zu vertiefen, zu verinnerlichen. Es geht dabei darum, es vom Kopf ins Herz rutschen zu lassen, so dass man die meditierten Inhalte stets präsent hat.

    Das passiert dann aber so richtig erst in der stabilisierenden Meditation, oder?

    Seien Sie sich bewusst, dass es sich sowohl bei der klar erkennenden als auch der stabilisierenden Meditation immer noch um auf Konzepten beruhende Wahrnehmungen handelt. Sie basieren auf der Vorstellung, was ein kostbares menschliches Leben bedeutet. Die Vorstellung repräsentiert das kostbare menschliche Leben – entweder mit Worten, einem Bild oder einem Gefühl; diese Repräsentation ist jedoch mit einer Bedeutung verbunden.

    Das heißt nach Berzin sind auch die analytische und stabilisierende Meditation noch durch begriffliches Denken und Vorstellungen geprägt. Letztlich beschreibt Berzin das nicht-konzeptuelle, also nicht-begriffliche Verständnis, das nicht mehr auf Vorstellungen beruht, als Ziel, führt das aber leider nicht weiter aus.

    Man unterscheidet zwischen Praktizierenden mit anfänglichen, mittleren und höchsten Fähigkeiten. Der anfänglich Praktizierende ist jemand, der eine hohe Wiedergeburt als Mensch in der nächsten Existenz anstrebt. Der mittlere Praktizierende ist jemand, der die Befreiung aus Samsara anstrebt, also ein Arhat werden will. Der höchste Praktizierende ist jemand, der den Bodhisattvapfad verwirklichen will, um Buddhaschaft zu erlangen. Entsprechend dieser Zielsetzungen werden die Übungen den Praktizierenden zugeordnet

    Danke für die Erläuterung. Das hilft mir gerade sehr weiter. Ich habe vor einiger Zeit mit Tonglen angefangen, ohne den Stufenweg zu praktizieren. Ich glaube diese Übung ist auf dem Stufenweg eigentlich den höheren Praktizierenden vorbehalten. Ich habe aber auch mal gehört, dass das von manchen nicht so eng gesehen wird. Aber die Voraussetzungen der Übung sind wahrscheinlich schon eher groß - auch meiner Erfahrung nach. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Übung mit unterschiedlichen Fähigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen hilfreich sein können. Oder wie siehst du das?

    Die hauptsächlichen Meditationen sind auch im tibetischen Buddhismus die analytische und konzentrative Meditation wie wir sie auch aus dem indischen Buddhismus kennen.

    Die analytische Meditation kannte ich bis jetzt eher als Kontemplation. Shamata und Vypashyana fallen dann beide unter konzentrative Meditation nehme ich an, oder ? Gerade hier im Westen bei den säkularen Meditationsangeboten spielt Kontemplation meiner Erfahrung nach in der Regel eine untergeordnete Rolle, wenn sie denn überhaupt eine Rolle spielt. Beim Lamrim scheint sie sehr zentral zu sein. Wird dann die konzentrative Mediation in der Regel vor der analytischen Meditation als Vorbereitung gemacht oder anders herum?

    Für einen Einstieg ist meiner Meinung nach folgendes Buch besser geeignet: Dagyap Rinpoche, Achtsamkeit und Versenkung, München, 2001, ISBN 3-7205-2264-4 .


    Hilfreich finde auch: Die Struktur des Lamrim - Ein Arbeitsheft, zusammengestellt von C. Weishaar-Günter und R. Leisner. Erhältlich ist es im Tibethaus Frankfurt.

    Danke für die Literaturtips. Ich habe mir gerade kürzlich gebraucht ein Buch von Thubten Chodron zu "Guided Meditations on the Stages of the Path" bestellt. Wird die Organisation von Thubten Chodron eigentlich dem Vajrayana zugeordnet?

    Helmut Du scheinst Dich im tibetischen Buddhismus ganz gut auszukennnen.


    Vielleicht darf ich dich hier was zu dem Thema Lamrim fragen. Welche Bücher zu Lamrim würdest du jemandem empfehlen, der zwar schon Meditationserfahrungen hat, für den aber die Praktiken des tibetischen Buddhismus doch eher neu sind?