Shi Yongxin ist derart bekannt über die Landesgrenzen Chinas hinaus, es gibt sogar ausländische Spitznahmen für ihn. Der „CEO-Mönch“ wird er von jenen genannt, die die Geschäftstüchtigkeit des Abtes bewundern.
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Der ausgeschiedene Mönch bezichtigt den Abt, ein „korrupter Tiger“ zu sein, nennt ihn einen Betrüger, wirft ihm Bigamie und Ausschweifungen vor. Shi habe, so der anonyme Zeuge, zwei Kinder mit zwei Frauen gezeugt, darunter eine Nonne. Zudem habe er sich sexuellen Abenteuern hingegeben. Schon 2011 wurden ähnliche Vorwürfe gegen Shi erhoben. Damals soll er bei einem Bordellbesuch erwischt worden sein.
Shi habe allerdings nicht nur das Zölibat gebrochen, sondern dem Kloster auch finanziellen Schaden verursacht. Der Abt soll drei Milliarden Dollar auf Auslandskonten versteckt haben und seiner Geliebten, die sich mit dem gemeinsamen Sohn in Deutschland aufhalten soll, Unterhalt zahlen. Das Kloster Shaolin erstattete damals Anzeige und lobte öffentlich 50.000 Yuan für Hinweise aus, die zum Verantwortlichen für diese „bösartigen Gerüchte“ führen sollten.
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Shis Jünger reagieren empört: In einer Online-Petition bezeichneten sie alle Anschuldigungen gegen ihren Abt als „unwahre und bösartige Verleumdungen“. Renommierte buddhistische Gelehrte in Peking, wie zum Beispiel der 70-jährige Ling Haicheng, verteidigen Shi weiter und nennen ihn einen Heiligen. Es seien diabolische Feinde, die den Mönch seit Jahren verfolgten. Dahinter steckten mächtige regionale Interessengruppen. Sie wollten sich an ihm rächen, weil sie Shis geplanten Börsengang verhindern wollten, der dem Kloster viel Geld eingebracht hätte.
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Kritiker werfen dem Abt vor, er habe das Kloster in den 16 Jahren seiner Führung in eine Geldmaschine verwandelt und sie vom Pfad der Askese abgebracht. Tatsächlich hat Shi ein weit verzweigtes Geflecht an wirtschaftlich lukrativen Gesellschaften aufgebaut. Unter dem Dach des Klosters finden sich Buchverlage, Kung-Fu-Shows, Nahrungs- und Arzneimittelfabriken sowie das Management für 40 Kulturzentren im Ausland. Shi selbst hat das Imperium und die Art, wie er es vermarktet, stets verteidigt. Es gehe darum, die Shaolin-Ideen der Welt bekannt zu machen. Die Vorwürfe, er habe sich dabei auch selbst bereichert, wies er stets von sich.
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Die Attacke von amtlicher Seite deutet darauf hin, dass Peking die Kultfigur in der rot-gelben Kutte fallen lässt. Seit 22 Jahren ist Shi Vizevorsitzender des chinesischen Verbands der Buddhisten, BAC, des staatlichen Aufsichtsgremiums über die größte Religionsgruppe des Landes mit mehr als 200 Millionen Gläubigen und 33.000 Tempeln und Klöstern. Zudem sitzt der Abt seit 1998 als Abgeordneter im nationalen Volkskongress-Parlament. 2000 wählten ihn Chinas Medien noch unter die 100 führenden Personen des Landes, weil er mit dem Shaolin-Imperium als Teil der chinesischen Softpower gesehen wurde. Wer Shi beim chinesischen Suchdienst Baidu googelt, erhält fast so viele Treffer wie Staats- und Parteichef Xi Jinping: 5,5 Millionen Ergebnisse.