Nur die bud. Community liest die Texte noch wie ein evangelikaler Christ seine Bibel: Als wörtliches Zeugnis des Religionsgründers.
Autsch! Nee, mal im Ernst - die Sutten des Palikanon halten im Westen wohl nur noch wenige beinharte Theravadin allen Ernstes für authentisches buddhavacana - 'Wort Buddhas'. Nicht zuletzt dank textgeschichtlicher Untersuchungen von Theravada-Ordinierten wie etwa Bhikku Anālayo.
Natürlich ist blanke Textgläubigkeit und Fundamentalismus das, was Mahāyāna-Texte als Śrāvakayāna bezeichnen und selbst in diesem Śrāvakayāna gibt es den eindringlichen Hinweis, nicht an Regeln und Riten zu haften - erst recht sollte man dies nicht an mehr oder weniger zuverlässig tradierten Texten. Jedenfalls setzt dieses Fahrzeug eine Kanonisierung von Texten voraus, auch, wenn das Ergebnis (der Textkorpus) nicht immer widerspruchsfrei ist. Was wiederum auf Differenzen in der ihre Textüberlieferung kanonisierenden Gemeinschaft bzw. auf unterschiedliche Überlieferungsstränge schließen lässt.
Dessenungeachtet gibt es ja einen gewissen Konsens, was als 'buddhistisch' gilt und was nicht und der DBU war da seinerzeit mit ihrem 'Buddhistischen Bekenntnis' eine mE brauchbare Definition gelungen, die in wenigen Sätzen aufzeigt, was 'Buddhismus' ist bzw. welche Grundaussagen Gemeinschaften, die sich als Teil des vierfachen Sangha verstehen, teilen. Einen vergleichbaren Ansatz muss es auch etwa bei der Rezeption indischer bzw. zentralasiatischer buddhistischer Texte in China gegeben haben. Also Kriterien, welche Texte 'buddhistisch' sind und welche nicht.
Die kanonischen Texte sowohl des Palikanon wie des deutlich umfangreicheren chinesischen Tripitaka und des vergleichsweise schmalen tibetischen Kanon sind das Produkt der Sangha, dessen Aufgabe es ist, den Buddhadharma zu übertragen - ein Prozess, den Buddha in Gang setzte. So wirken die 'drei Juwelen' zusammen als Zufluchtsobjekt.
Eine praktische Anmerkung. Grundsätzlich halte ich das Thema 'karma' in solchen Diskussionszirkeln für toxisch; Diskussionen über diesen Begriff im buddhistischen Kontext leiden nach meiner Erfahrung regelmäßig an heftigen beiderseitigen Missverständnissen, was dieser Begriff (der sich nebenbei bemerkt, im 'Buddhistischen Bekenntnis' nicht findet) im buddhistischen Kontext tatsächlich bedeutet - speziell unter den Implikationen 'bedingten Entstehens' pratītyasamutpāda und 'Nicht-Identität' anātman - beides Aspekte von Leere, śūnyatā.
Was das Thema kompliziert: vulgäre Missverständnisse des buddhistischen karma-Begriffs lassen sich, wenn man gründlich genug sucht, auch in kanonischen Schriften finden; und das ist ja auch Dein Problem, Hendrik . Im Saddharmapuṇḍarīkasūtra (2. Kapitel) wurde dieses Problem mit einem Modell unterschiedlicher hermeneutischer Level angegangen; der Doktrin von den upāya kauśalya, deren logische Konsequenz das Konzept des 'Einen Fahrzeugs' Ekayāna ist.
Ansonsten im Anklang an eine andere aktuelle Diskussion ein persönlicher Rat (so er mir erlaubt ist): für ein tieferes Verständnis des buddhistischen karma-Begriffs halte ich es für sinnvoll, die ganze Befrachtung mit hinduistischen und jainistischen (ātman-lastigen) Ideen und erst recht diversen esoterischen Wiedergeburtsfantasien über Bord zu werfen und ihn mit Schopenhauers Willensbegriff zu vergleichen. Die Brücke stellt hier Buddhas überlieferter Verweis auf cetanā, den Willen / die Absicht, als treibenden Impuls des Handelns (= wörtl. karma) dar. Wobei ich freilich Nyānatiloka Mahātheras Interpretation von cetanā als einem bewussten Willen für abwegig bzw. von theistischem Schuld - Denken infiziert halte (irgendwer muss an karma ja wohl schuld sein ... ). Ich sehe das eher triebgesteuert, durch avidyā bestimmt. Schopenhauers blinder Wille trifft es mE besser.