Beiträge von Sudhana im Thema „Sind die klassischen Texte insgesamt für jeden Buddhisten verbindlich?“

    Das Bewusstsein ein Produkt äußerer Bedingungen

    Die indriya (Sinnesfakultäten) des rupaskandha sind gewiss keine "äußere" Bedingung, wenn man schon zwischen "äußeren" und "inneren" Bedingungen unterscheiden will. Erst (und einzig) die Affizierung der indriya durch Kontakt (sparśa) wäre eine äußere Bedingung, die mit der inneren Bedingung des namarupa wechselwirkt.


    Wobei sich bei solchen Dualismen wie "innen" und "außen" zumindest mir die Frage aufdrängt: innen bzw. außen wovon? In Bezug auf was? Ein solches Konzept von "innen" und "außen" ist selbst ein Produkt des Bewusstseins, konkret ist es sakkaya ditthi.

    Kannst du da einen Text zu empfehlen?

    An 'klassischer' Literatur vor allem Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā; speziell das 8. Kapitel ist der Dekonstruktion des karma - Begriffs gewidmet. Empfehlenswert (auch wegen der Einführungen, die jedem Kapitel vorangehen) ist die deutsche Übersetzung Weber-Brosamer / Back.


    Ansonsten halte ich, wie schon in meinem ersten Posting hier angemerkt, eine Beschäftigung mit Schopenhauer für hilfreich. Nicht nur hinsichtlich seiner Willensmetaphysik, sondern insbesondere auch deren Einbindung in ein monistisches Konzept.


    Wobei man nach meiner Auffassung den frühen Buddhismus als eine Art Prä-Monismus verstehen kann; zur expliziten Formulierung eines monistischen Konzepts war das abstrakt - begriffliche Instrumentarium noch nicht hinreichend entwickelt. Entsprechend ist die Sprache der Sutten stark metaphorisch, was (insbesondere bei zunehmendem zeitlichen und kulturellen Abstand) Unsicherheiten der Interpretation verursacht. Die Problematik metaphorischer Sprache war durchaus bewusst, was Anlass zur Entstehung der Abhidharma-Literatur war und weswegen die Doktrin der 'zwei Wahrheiten' entwickelt wurde. Generell war da jedoch eine Entwicklung zu monistischem (und nondualem) Denken angelegt, das sich dann in den Prajñāpāramitā - sūtren und der zugehörigen Śāstra - Literatur entfaltete.


    Auch, wenn es rein philologisch betrachtet anachronistisch erscheinen mag, die frühbuddhistischen Texte unter der Prämisse einer unausgesprochenen monistischen Intention zu verstehen, so löst sich jedoch gerade dadurch die scheinbare Inkonsistenz von (karmisch bedingtem) 'Wandern in Saṃsāra' und anātman auf. Wenn auch nur im Intellekt :) - der Verifizierung enthebt einen das nicht ...

    Was hat es für einen Sinn, einer Person einen dieser selben (?...) Person sinnstiftenden und heilsamen Glauben auszureden?

    Zunächst einmal geht es (mir) nicht darum, irgend jemand seinen Glauben auszureden, wie ich hier jetzt bereits zum dritten Mal erkläre; das hielte ich für sinnlos. Es geht vielmehr darum, dass den Leute offensichtlich ein Glaube eingeredet werden soll, wenn man hartnäckig behauptet, Buddha habe "Wiedergeburt" gelehrt. Ein Begriff, dessen Pali-Entsprechung *punajāti freilich nirgendwo in den Sutten des Palikanon belegt ist. Dafür findet sich die Sanskrit-Entsprechung punarājāti - allerdings in Schriften der Hindu und der Jaina, wo es auch hingehört. Im Kontext Buddhismus halte ich das für unheilsam, weil es geeignet ist, unheilsame Sichtweisen, insbesondere sakkāyadiṭṭhi, zu verfestigen statt aufzulösen..


    Mein Thema ist also - auch das hatte ich schon angesprochen - intellektuelle Redlichkeit bei der Übersetzung der Quellen. Eine Übersetzung, die mit persönlichen Interpretationen befrachtet wird (wie es der Fall ist, wenn man jāti oder auch upapatti mit 'Wiedergeburt' übersetzt) ist eine schlechte Übersetzung und ein Bärendienst am Leser, der mit seinen eigenen Projektionen beim Lesen schon genug zu tun hat. Interpretationen gehören in den Kommentar, wo sie als soche auch erkennbar sind.


    Sodann - ein Glaube mag sinnvoll und sogar heilsam sein, wenn er heilsames Handeln motiviert. Doch diese Heilsamkeit ist begrenzt, wenn an dem Objekt eines illusionären Glaubens festgehalten wird. Das mag duḥkha zeitweise verringern - aber es schließt das Überwinden aus.

    Inwiefern hat meine Aussage mit Eitelkeit zu tun?

    Bitte nimm mir die kleine Stichelei nicht übel _()_ - aber als ich "die Welt durchblicken dürfen" las, dachte ich erst einmal "geht's auch 'ne Nummer kleiner?" Wie auch immer - erfolgversprechender ist es, mit dem Durchblick bei sich selbst anzufangen, das mit der Welt kommt dann von selbst, als kostenlose Dreingabe. Und "dürfen" - ich bitte Dich, wer wollte sowas verbieten?


    Wie gesagt, war nur Gefrozzel - Entschuldigung, wenn es anders ankam.

    Schließlich weil sich die Argumente und Gegenargumente jeweils widerlegen lassen ohne dass dabei die Wahrheit ans Licht kommt. Der im Palikanon vorgeschlagene Weg in dieser Sache die Wahrheit zu finden ist das Erreichen des vierten Jhana.

    Werter mukti - ich stimme Dir ja zu, dass das letzlich kein Thema ist, das sich argumentativ klären lässt. Dazu bedarf es der Empirie; wie ich hier schon schrieb:

    Zitat

    So lange die erste samyojana, nämlich sakkaya ditthi, nicht überwunden ist, wird punnabhava unweigerlich aus dieser 'Sicht' (ditthi) personalistisch missverstanden.

    Ob die empirische Methode da nun die Übung der Jhana oder das jijuyu zanmai des Zazen ist, ist nicht der Punkt ...


    Jedenfalls - deswegen habe ich es auch als ein "toxisches" Thema bezeichnet. Es ging mir hier jedoch eher um einen Nebenaspekt - nämlich das Befördern solcher Missverständnisse durch inkorrekte, interpretierende Übersetzungen. Und jati mit "Wiedergeburt" zu übersetzen, ist genau das. Ich halte das nicht für hilfreich und auch hinsichtlich intellektueller Redlichkeit für bedenklich.

    Nyanatiloka sagt es sehr klar und genug eindeutig,

    Grundsätzlich ja - wobei das "Wiedergeburt" hier schlicht eine Erfindung Nyanatilokas ist. Was weiss ich warum - vielleicht um die Lesererwartung zu erfüllen, dass es in einem buddhistischen Buch um Wiedergeburt zu gehen hat - man will ja wissen, was auf einen zukommt und die geheimnisvollen asiatischen Mönche sollen da bestens Bescheid wissen ... 8)


    Immerhin schreibt er, es ist ein namarupa, der wiedergeboren wird und nicht der namarupa. Die Sutten des Palikanon sagen an etlichen Stellen recht eindeutig, dass der entstehende namarupa zwar bedingt entsteht, aber ansonsten in keinerlei Hinsicht oder als Einzelaspekt mit einem vergangenen namarupa identisch ist. Vergangen ist vergangen, so lange sich nicht das gesamte kalpa wiederholt (eine schon etwas spekulative Annahme ...) wiederholt sich auch kein namarupa und auch kein Teil davon; da kommt nix wieder. Das gilt nicht zuletzt (implizit, aber notwendig) auch für saṅkhāra, also die Funktion des 4. skandha und die von ihm erzeugten Bedingungen, das saṅkhata. Das saṅkhata ist eine der Bedingungen existierender, vergehender namarupa wie auch stetig neu entstehender namarupa. Nur wiederholt sich da nix, auch das saṅkhata ist durch stetig neue saṅkhāra in beständigem Wandel, ist anicca. Deine Chance ist jetzt, nutze sie. Eine zweite kriegst du nicht.

    Man muss den Begriff ja nicht im Sinne einer Atta-Lehre auffassen.

    Das wollte ich Dir auch nicht unterstellen. Nur kann man man sich schon fragen, warum dann eigentlich Du (oder die Person, von der Du das so übernommen hast) ohne Not aus jāti ein punajāti macht, aus der 'Geburt' eine 'Wiedergeburt'. Das lädt nur zu (freilich recht populären) Missverständnissen ein und ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass es genau das auch soll. So etwas ist Irreführung durch inadäquate Übersetzung.

    mukti : Deine Verwendung der Übersetzung "Wiedergeburt" für punnabhava (wieder werden) zeigt das von mir angedeutete Problem schon an. So lange die erste samyojana, nämlich sakkaya ditthi, nicht überwunden ist, wird punnabhava unweigerlich aus dieser 'Sicht' (ditthi) personalistisch missverstanden. Anatta heisst eben gerade nicht, dass da etwas "wiedergeboren" wird, was vorher schon in irgendeiner Weise existent war. Es wird etwas wieder - nämlich das Ergreifen aus der Grundbedingung avijjā - und ergriffen wird eine Form, die Entstehen und Vergehen unterworfen ist, Geburt und Tod. Also wird in diesem Prozess des Wieder-werdens (punnabhava, bhava als 10. nidana von paṭiccasamuppāda) auch etwas geboren - 11. nidana, jāti. Aber es wird eben nichts wieder geboren - die Konstanz, die das punna / 'wieder' anzeigt, liegt einzig in der Grundbedingung avijjā. Darum ist der soterologische Ansatz des dhamma eben die Auflösung dieser Grundbedingung. Existierte tatsächlich etwas, das wieder geboren wird, sehe ich nicht, wie die Auflösung von avijjā dagegen helfen sollte ...

    Nur die bud. Community liest die Texte noch wie ein evangelikaler Christ seine Bibel: Als wörtliches Zeugnis des Religionsgründers.

    Autsch! :eek: Nee, mal im Ernst - die Sutten des Palikanon halten im Westen wohl nur noch wenige beinharte Theravadin allen Ernstes für authentisches buddhavacana - 'Wort Buddhas'. Nicht zuletzt dank textgeschichtlicher Untersuchungen von Theravada-Ordinierten wie etwa Bhikku Anālayo.


    Natürlich ist blanke Textgläubigkeit und Fundamentalismus das, was Mahāyāna-Texte als Śrāvakayāna bezeichnen und selbst in diesem Śrāvakayāna gibt es den eindringlichen Hinweis, nicht an Regeln und Riten zu haften - erst recht sollte man dies nicht an mehr oder weniger zuverlässig tradierten Texten. Jedenfalls setzt dieses Fahrzeug eine Kanonisierung von Texten voraus, auch, wenn das Ergebnis (der Textkorpus) nicht immer widerspruchsfrei ist. Was wiederum auf Differenzen in der ihre Textüberlieferung kanonisierenden Gemeinschaft bzw. auf unterschiedliche Überlieferungsstränge schließen lässt.


    Dessenungeachtet gibt es ja einen gewissen Konsens, was als 'buddhistisch' gilt und was nicht und der DBU war da seinerzeit mit ihrem 'Buddhistischen Bekenntnis' eine mE brauchbare Definition gelungen, die in wenigen Sätzen aufzeigt, was 'Buddhismus' ist bzw. welche Grundaussagen Gemeinschaften, die sich als Teil des vierfachen Sangha verstehen, teilen. Einen vergleichbaren Ansatz muss es auch etwa bei der Rezeption indischer bzw. zentralasiatischer buddhistischer Texte in China gegeben haben. Also Kriterien, welche Texte 'buddhistisch' sind und welche nicht.


    Die kanonischen Texte sowohl des Palikanon wie des deutlich umfangreicheren chinesischen Tripitaka und des vergleichsweise schmalen tibetischen Kanon sind das Produkt der Sangha, dessen Aufgabe es ist, den Buddhadharma zu übertragen - ein Prozess, den Buddha in Gang setzte. So wirken die 'drei Juwelen' zusammen als Zufluchtsobjekt.


    Eine praktische Anmerkung. Grundsätzlich halte ich das Thema 'karma' in solchen Diskussionszirkeln für toxisch; Diskussionen über diesen Begriff im buddhistischen Kontext leiden nach meiner Erfahrung regelmäßig an heftigen beiderseitigen Missverständnissen, was dieser Begriff (der sich nebenbei bemerkt, im 'Buddhistischen Bekenntnis' nicht findet) im buddhistischen Kontext tatsächlich bedeutet - speziell unter den Implikationen 'bedingten Entstehens' pratītyasamutpāda und 'Nicht-Identität' anātman - beides Aspekte von Leere, śūnyatā.


    Was das Thema kompliziert: vulgäre Missverständnisse des buddhistischen karma-Begriffs lassen sich, wenn man gründlich genug sucht, auch in kanonischen Schriften finden; und das ist ja auch Dein Problem, Hendrik . Im Saddharmapuṇḍarīkasūtra (2. Kapitel) wurde dieses Problem mit einem Modell unterschiedlicher hermeneutischer Level angegangen; der Doktrin von den upāya kauśalya, deren logische Konsequenz das Konzept des 'Einen Fahrzeugs' Ekayāna ist.


    Ansonsten im Anklang an eine andere aktuelle Diskussion ein persönlicher Rat (so er mir erlaubt ist): für ein tieferes Verständnis des buddhistischen karma-Begriffs halte ich es für sinnvoll, die ganze Befrachtung mit hinduistischen und jainistischen (ātman-lastigen) Ideen und erst recht diversen esoterischen Wiedergeburtsfantasien über Bord zu werfen und ihn mit Schopenhauers Willensbegriff zu vergleichen. Die Brücke stellt hier Buddhas überlieferter Verweis auf cetanā, den Willen / die Absicht, als treibenden Impuls des Handelns (= wörtl. karma) dar. Wobei ich freilich Nyānatiloka Mahātheras Interpretation von cetanā als einem bewussten Willen für abwegig bzw. von theistischem Schuld - Denken infiziert halte (irgendwer muss an karma ja wohl schuld sein ... :roll: ). Ich sehe das eher triebgesteuert, durch avidyā bestimmt. Schopenhauers blinder Wille trifft es mE besser.